Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. | April 2010 | |
Sektion 8.6. | Die mobile Gesellschaft Sektionsleiterin | Section Chair: Penka Angelova (Veliko Tarnovo / Rousse, Bulgarien) |
Ausflucht ins Ambiente. Sondierungen zum Tourismus
Jens Badura (Paris) [BIO]
Email: jens.badura@orange.fr
Abstract:
The text deals with the motifs of tourism and the relation between tourism, mass culture, and modernity. At first, different ‘dispositifs’ (Foucault) of tourist cultures are described and a variety of tourist practices are compared, in particular the demand for a specific ambiance and the related services that became more and more important: this service is named ‘ambiance service’, here. Secondly, the metaphor of the tourist as the (post)modern way of life is critically analysed: what makes tourists move, so the assumption, here, is not a described modern attitude, but mainly their interest in protecting their clichés within appropriate coulisses.
Touristische Motivationen orientieren sich im Wesentlichen an zwei Dispositiven: dem Romantiker- und dem Pragmatiker-Dispositiv. Es sind theoretisch alle Exklusiv- und Mischformen dieser Dispositive möglich, praktisch aber vor allem mehr oder weniger auf eine Seite tendierende Kombinationsformen üblich. Das Romantiker-Dispositiv vereint jene touristischen Ambitionen, die auf Eigentlichkeit, Ursprünglichkeit oder Authentizität zielen, wobei sich ganz unterschiedliche touristische Praxen unter diese Kategorie fassen lassen: Dies kann der auf der Suche nach dem einfachen Leben sich selbst suchende globale Teilzeit-Nomade mit Rucksack im Peruanischen Hoch- oder sibirischen Tiefland sein, der auf den Spuren Kafkas durch Prag oder auf jenen Benjamins durch Paris wandelnde Aura-Fetischist, der Ferienhausbesitzer im sanierten bretonischen Bauernhof oder der auf dem Containerfrachter eingeschiffte Atlantikpassagier. Im Romantiker-Dispositiv drückt sich vor allem eine bestimmte Haltung aus: die nur individuell und exklusiv zu erfahrende Besonderheit der Erfahrung. Diese Haltung hat als Nebeneffekt auch zur Folge, dass andere Touristen vor allem ein Problem darstellen, stören sie doch diese intime Exklusivität – sei es direkt aufgrund ihrer entweihenden Präsenz in zu exklusiven Zonen erklärten Individualerfahrungsräumen oder aber indirekt durch die erschließungs- und nutzungsbedingte infrastrukturelle Transformation der Aura geliebter Orte oder Objekte romantischer Begierde. Es steckt ein phantasmatisches Credo der Unberührtheit und ein Hauch narzistisch gefärbten Egoismus hinter dieser Konzeption – andere sind Konkurrenten um die erste Nacht, den ersten Blick ; ich habe mit meinem Blick, meiner Anwesenheit, meiner Erinnerung dieses Land entdeckt und eingenommen, es ist nunmehr ‘meins’. Zur Befriedigung bedarf es daher der Abwesenheit des anderen Touristen wie auch der Abwesenheit von Inszenierung im Sinne der Animation, der Kopie oder der Folklore. Da diese Abwesenheitsheitserwartung de facto aber zumindest mittelfristig fast überall illusionär geworden ist (die Welt ist entdeckt) wird sie zumindest auf einem Umweg erhalten: mittels diskursiver Verachtung und Herabschätzung ‘des Touristen’ und des ‘Tourismus’. Der Umstand, dass diese Strategie weit verbreitet ist und wissenschaftliche wie feuilletonistische Debatten prägt, deutet wohl darauf hin, dass ein entsprechendes romantisches Motiv in den Herzen und Köpfen der Protagonisten relativ weit verbreitet ist.
Das Pragmatiker-Dispositiv ist anders orientiert: Tourismus und Tourist-Sein sind hier schlichtweg Optionen, derer man sich in unterschiedlichster Weise und zu unterschiedlichsten Zwecken bedient: Erholung, Bildung, Sport oder Dröhnung – jedem das seine. Tourismus ist in dieser Perspektive die massendemokratisierte Inanspruchnahme und Gestaltung von Freizeit, und das heißt konkret: Er ist für alle da und in all der Varianz, die ‚Alle’ im Einzelnen fordern. Seine Beschränkung ist daher ebenfalls eine Sache aller – und damit prinzipiell nicht in einer exklusiven Definitionsmacht von Minderheiten und niemandem speziell – auch nicht den Sensibilitäten einer bildungsbürgerlich geimpften, romantischen Minderheit – verpflichtet. Der Tourist in der Masse ist im Pragmatiker-Dispositiv somit schlichtweg das logische Produkt einer Gesellschaft, die sich massendemokratisch organisiert und Freizeiträume zu einem Wert gemäß dieser demokratischen Organisation gemacht hat – und daher jeden Exklusivitätsanspruch auf Zugriff ablehnt bzw. diesen nicht anhand im weiteren Sinne ästhetischer oder moralischer Normen reguliert, sondern diese Regulation in das ökonomische Feld verlagert: Wer seine touristischen Wünsche bezahlen kann, kann sie sich erfüllen. Die Zugriffsintensität auf Orte und die Modi der Gestaltung touristischer Zeit sind in diesem Sinne im Spannungsfeld kontingenter Moden und demokratisch legitimierter Gesetze gelagert, nicht aber im Rückgriff auf romantische Ideale der Eigentlichkeit ins Werk gesetzt – und eine Romantiker-Minderheit muss sich demokratisch und ökonomisch gegen den Anspruch einer Pragmatiker-Mehrheit durchsetzen, will sie eine bestimmte Exklusivität oder Zugangsbegrenzung für bestimmte Orte oder Praxen installieren. Im Gegensatz zum Romantiker-Dispositiv ist inszenierte Wirklichkeit im Pragmatiker-Dispositiv kein Problem: Disneyland, Center Parcs, Ballermann etc. gelten nicht als touristische Varianten zweiter Klasse, sondern vollwürdige Optionen der Gestaltung von Freizeit. Die artifizielle Andeutung dessen, was im Romantiker-Dispositiv ‘echt’ sein muss, reicht im Pragmatiker-Dispositiv völlig hin.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Tourismus-Wirtschaft Romantiker und Pragmatiker – und die breit gelagerte Mischmenge jener, die durch beide Dispositive geprägt sind – gleichermaßen ansteuert: sei es durch Werbung für die Abwesenheit anderer Touristen (wenn z.B. ein Reiseprospekt die ‚grandiose Einsamkeit’ in Portugal verspricht) oder die der Anwesenheit anderer zum geteilten Erleben von ‚SANGRIA – SONNE – SAND – STRAND – SEX’ (Mallorca-Werbung). Und es ist eben sowenig verwunderlich, dass sie dies mit den gleichen Mitteln tut: Werbung, Markenbildung und Kundenbindungsprogramme; das alles bei Ausrichtung auf das Ziel, touristische Bedürfnisse in Geld zu verwandeln. Natürlich bringt die Kundenorientierung mit sich, dass auf diese Bedürfnisse gemäß der Kundschaft differenziert reagiert wird – und entsprechend variantenreich sind die Strategien: Es existieren Massen- und Luxusmarken; Pauschalarrangements und Individualprogramme, Kataloge, die jedem atmosphärischen Bedürfnis zuzuarbeiten in der Lage sind und auch Werbestrategien ohne Kataloge – die Aura des Hörensagens, die Repräsentanz des phantasmatischen Raumes im Roman, Film oder Reisefeuilleton – können Teil dieser Strategie werden: Bettenburg-Beridorm an der Costa Blanca im L’tur-Verzeichnis bis High-Class Individualtourismus in den entlegensten Ecken der Welt im NZZ-Reisereport: in der ganzen Bandbreite rediskursiviert sich der Symbolvorrat des je als würdiger Referenzpunkt der ‚schönsten Wochen des Jahres’ deklarierten Phantasmas. Es geht um das Andere der Alltäglichkeit, als Optionsfluchtraum einer Kontingenzkultur, die es sich erlauben kann (‚Urlaub’ stammt von ‚Erlaubnis’), Freizeitgesellschaft zu sein – und diese Erlaubnis fetischisiert im gesättigten Sinne des Wortes. Der entsprechende Markt bildet einem Spiegel gleich in seinen Angeboten die phantasmatischen Wunschbestände jener ab, an die er sich richtet. Und viele wollen den Spiegel halten, wollen Zahlungsempfänger derer werden, die einen Raum ansteuern wollen, in dem sich das Gespiegelte zu realisieren scheint. Der Tourismus-Markt ist, vielleicht stärker noch als andere Märkte, ein riesiger Buhlbetrieb um Vertrauen bei der Inszenierung von Erträumtem, Erhofftem, Erwünschtem – sei es romantischer oder pragmatischer Art – und lässt so betrachtet interessante Einblicke in das zu, was eine Gesellschaft an Vorstellungswelten birgt.
Zuweilen lässt sich die Varianz dieser Vorstellungswelten und ihrer Realisierungen auf engstem Raum nebeneinander erleben und nachvollziehen. In der Tourismus-Metropole Paris gibt es die hochpreisig konsequent inszenierte Authentizität des ‚wirklichen’ Paris genauso wie die sightseerschleusende Kolonne dachfreier Doppeldecker-Busse und den phototechnisch aufgerüsteten Menschwurm des ‚Best of’ Paris, der sich durch Notre-Dame windet oder vor den Aufzügen des Eiffelturms Schlange steht – und alles vermischt sich zu einem großen Ganzen, das die ‚Marke’ Paris ausmacht, die es Romantikern erlaubt, über Touristen lästernd Ambiente- und Klischeedienstleistungen zu konsumieren und es Pragmatikern erlaubt, dies ohne Lästern zu tun. Ein anderes Beispiel ist die infrastrukturpolitische Strategie auf Mallorca: Hier wurde eine gezielte (und logistisch geniale) Konzentration massentouristischer Angebote rund um Palma vollzogen – und kontrastiv zum vielbeschworenen ruhigen Norden der Insel mit den ‚echten’ Dörfern inszeniert bzw. der Kontrast in umgekehrter Weise – die Marke Mallorca jedenfalls hält beides bereit und bietet Romantikern wie Pragmatikern Anhaltspunkte. Und natürlich gibt es jede Menge Beispiele, die sich gezielt auf eine der Seiten festlegen (‚Ibiza – der größte Club der Welt’; ‚Norwegen – Die Einsamkeit der Rondane’)’ oder aber genau in die Mitte zielen (‚Ostsee-Holstein: Die gute Laune Küste Deutschlands’ die für jeden Geschmack etwas bietet), und den pragmatischen Romantiker ‚zum Verweilen' einladen.
All das rechnet sich auf den ersten Blick blendend: 550 Milliarden Euro per anno, Tendenz steigend: Soviel wurde 2005 laut der neusten Schätzung der World Tourism Organization (WTO; sic!) im internationalen Tourismus mit der Befriedigung romantischer oder pragmatischer touristischer Bedürfnisse erwirtschaftet, was diesen Wirtschaftszweig zu einem der stärksten überhaupt macht. Nebenbei, folgt man der WTO, dient das auch noch dem interkulturellen Verständigungsprozess: Aufklärung durch Kennenlernen usw. – also, wie man so sagt, eine win-win Situation. Für die bekannten Problemzonen schafft man einen Ethik-Kodex, der noch mal feststellt, dass Sextourismus verwerflich ist und Touristen landesübliche Sitten und Gebräuche respektieren sollten. Und da jeder Tourist und Demokrat ist – fast immer und überall – lässt sich dagegen ja auch kaum sinnvoll etwas einwenden.
Doch auch jenseits romantischer Bedenken oder der berechtigten Kritik an manchen ekelhaften Auswüchsen neo-imperialer Fernmobilität lässt sich durchaus fragen, ob nicht die jüngere und jüngste Entwicklung touristischer Praxen – und ich möchte diese hier auf westeuropäische Tourismusziele eingrenzen – Fragen aufwerfen, die zumindest diskussionsbedürftig sind – und zwar auch deshalb, weil sie eine indikatorische Rolle für die Entwicklung der Gesellschaft insgesamt spielen. Das Zusammenspiel von der in massendemokratischen Freizeitgesellschaften realisierten Bewegungsfreiheit relativ vieler (im geographischen, finanziellen und zeitlichen Sinne) mit dem kraftvoll fließenden Bedürfnisstrom und seinen vielen Seitenarmen und Stromschnellen, in dem spätkapitalistische Lebensformen treiben, erzeugt ein transformationsenergetisches Potential von ungekannter Größenordnung. Und nur in diesem Kontext, so scheint mir, ist Tourismus als zeitgenössisches Kulturphänomen mit Folgen für die zeitgenössische soziokulturelle Wirklichkeit zu verstehen. Und nur, wenn man romantische und pragmatische Motivlagen in diesen Horizont einschreibt und den Ausdruck, den sie in bestimmten touristischen Praxen finden, als Chiffren einer massenkulturellen Normalisierung sieht, die ihre eigenen Spannungsfelder erzeugt, wird man wohl angemessen begreifen können, worum es beim Tourismus als Massenphänomen geht: Um eine Kultur des konkret Anders-Möglichen, die jede Alltäglichkeit auf die andere Zeit (den Urlaub), den anderen Raum (das Reiseziel als definierbares Signifikant des phantasmatischen Anderland) und die andere Praxis (die eine von Daseinserhaltung entlastete Variante selbstbestimmter Daseinsgestaltung ist) ver- und aufschiebt. Eine Kultur, die das Erbe ihrer mal aristokratisch mal bürgerlich dominierten, mal durch avantgardistische, mal durch massenkulturelle Dynamiken geprägten Entwicklungsgeschichte in sich trägt und in romantischen und pragmatischen Motiven weiterleben lässt, die im allgegenwärtig gewordenen Modus der Darstellung und zum Teil gezielten Umkodierung (Beispiel Ruhrgebiet) regionaler oder kommunaler Besonderheiten als touristische Attraktoren eine neue und infrastrukturell folgeträchtige Form der symbolischen Identitätsstiftung und Revalorisierung generieren, und als mögliches Modell zur Gestaltung mondialer Pluralität gewisse Ideenpotentiale bergen könnte. Und das alles, so die gängige Metatheorie, mittels des allmächtigen kommunikativen Modus, der dieser Kultur ihre aufgeklärte Selbstverständigung ermöglicht – dem besagten Markt der Ideen und Güter also, auf dem jeder seine Signifikanten finden und seine Möglichkeiten, diese von anderen beworbenen zu den eigenen erworbenen Signifikantenwerden zu lassen, nutzen kann.
An all dem ist etwas dran – und das ist nicht zu unterschätzen und schon gar nicht mit erhobener Nase kleinzureden. Aber zugleich darf auch nicht aus dem Blick geraten, das diese Touristisierung der Welt und ihr Medium – der Markt als das imaginäre ‚tertium comparationis’ der Moderne –, ja keineswegs eine Verteilung im touristischen Feld produziert, die jeden auf seine Kosten kommen lassen würde. Vielmehr produziert er eine neue, entlang von Güterverteilung und ökonomischer Potenz sich entwickelnde Fragmentierungen der Lebenswelt: Jene zwischen Herkunfts- und Zieldestinationen. Diese Segmentierung ist nicht nur der quantitativen Steigerung touristischer Mobilität entlang bestimmter Strukturbedingungen (Stadt-/Land; reich/arm; im Trend/aus dem Trend etc.) geschuldet, sondern figuriert gleichermaßen in einer Segmentierungslogik, die eine Neuverteilung von Produktions- und Konsumptionsökonomie in der funktionalen Grammatik der Gesellschaft als Ganzer vorantreibt – und der Konsumption eine spezifische, immer weitergehend artifiziell erzeugte Dimension zuweist, welche wiederum mit der touristischen Bedürfnisdynamik wechselwirkt: Es handelt sich um Ambientekonsumption, also eine handel- und bewerbbare, integrative Konsumform, die auf der Kurzschließung der Gestaltung von realen, komplexen Umwelten mit touristischen Bedürfnisstrukturen beruht. Auch wenn es das schon seit der Entstehung des Tourismus im späten 18. und vor allem im Verlauf des 19. Jahrhunderts gab (Bad Ischl, Brighton, Davos, Le Croisic usw.) und in den 50er- und 60er Jahren mit dem explodierenden Stationstourismus französischer und spanischer Bauart in Reinform vorlag, gewinnt der Ambientekonsum und die gezielt geschürte Nachfrage nach Ambientedienstleistungen heute eine neue Qualität: Denn es handelt sich häufig nicht mehr um eine Entwicklung oder Neukonstruktion geographisch und saisonal klar begrenzter touristischer Ambiente, sondern um die gezielte Transformation ganzer Regionen in genuine und ständig genutzte Ambientedienstleistungsregionen. Also eine Umfunktionierung, die inklusiv ist in dem Sinne, dass die Totalität der entsprechenden Region unter die funktionale Bestimmung ‚Ambiente X’ gesetzt wird – Natur, Infrastruktur, Kultur inbegriffen und somit natürlich auch all jene‚ die dort leben. Auf den ersten Blick scheint das ja auch sinnvoll, denn es geht vor allem um strukturschwache Regionen, deren bisherige ökonomische Standbeine (z.B. Landwirtschaft, Fischerei, Kleinhandwerk, z.T. auch Industrie) nicht mehr tragen. Diese haben nun, durch die massivierte Nachfrage nach Nutzung des durch sie repräsentierten Ambientes, die Chance, sich umzuorientieren. Die touristische Gesellschaft weist ihnen eine klare funktionale Rolle zu, indem sie sie als Räume konsum-ökonomischer Aktivitäten definiert und auf dem Markt der Möglichkeiten, seine Zeit als freie Zeit zu verbringen, wertschätzt.
Aber diese Funktionalisierung hat natürlich einen Haken, denn die so definierten Räume müssen sich kundenorientiert entwickeln – also auf die Bedürfnisse hin, die jene in ihnen und durch sie befriedigt sehen wollen, die sie schlussendlich als zahlende Konsumenten besuchen sollen: Sie müssen sich auf dem Markt behaupten – und davon ist ihr Wert abhängig. Das heißt einerseits, dass idealerweise gemäß aller Regeln der Kunst der je aktuelle touristische Bedürfnisstrom anzuzapfen ist, und eine gemäß der jeweiligen Möglichkeiten optimale Positionierung zu vollziehen ist, die DIE Antwort auf spezifische Bedürfnisse in diesem Strom darstellt: Meerzugang, Schnee- oder Partysicherheit, kanonisches Kulturerbe, reizvolle Accessoirerwerbsofferten usw. Es heißt aber andererseits, dass die Definition der Ambienteidentität im Prinzip für all jene verbindlich wird, die dauerhafter Teil des Ambienteraumes sind, also alle Bewohner, seien sie nun aktiv im touristischen Markt eingebunden oder nicht – und es heißt gemäß der Verstetigung touristischer Praxis in Zeit und Raum, dass dies nicht nur ein paar Wochen im Jahr der Fall ist: die Tendenz, sich mittels Zweitwohnsitzen im gewünschten Ambiente manifest einzuschreiben ist nur ein Element dieser Entwicklung. Einmal in die funktionale Struktur der Ambientekonsumregion eingebunden, ist es mithin kaum möglich, anders denn als direkter oder indirekter Ambiente-Dienstleister zu leben – und das bedeutet immer auch, auf sich verändernde ‚Markterwartungen’ reagieren zu müssen, was in diesem Falle heißt, Teile dessen, was man landläufig ‚Identität’ nennt, zum Gegenstand einer Werbestrategie zu machen. Das ist zwar in anderen Feldern der ökonomischen Organisation der Gesellschaft ebenso – aber in diesem Fall ist direkt dasjenige betroffen, was man ‚kulturelle Autonomie’ nennen könnte – die Möglichkeitsbedingung mithin, sich regional gemäß eigener Vorstellungen entwickeln zu können. Denn Ambiente-Dienstleistungen sind wie gesagt in spezifischer Weise integrativ und total – sie schließen infrastrukturelle Erwartungen (Straßen, Architektur, Serviceangebote) genauso ein wie kulturelle Erwartungen (‚das Typische’ der Region: Kleidung, Folklore, Habitus) und Entfaltungsfreiheiten (Wegrechte, Teilhabe am ‚alltäglichen’ Leben, das Recht auf Störung und Exzess etc.) – ganz nach angesteuertem touristischem Dispositiv. Diese totalisierende Dimension der Ambiente-Dienstleitung unterscheidet sie von anderen Dienstleistungen, deren Akteure in definierbaren Rahmenbedingungen (z.B. in Arbeitsverträgen festgelegt) operieren, während es bei der Ambiente-Dienstleistung kein ‚Außen’ mehr gibt – weder auf der individuellen noch auf der kollektiven Ebene. Und damit entsteht eine Dynamik der Inszenierung, die sich zur Normalität ganzer geographischer Zonen und Gesellschaftsteile entwickelt, die somit ihrerseits zum ‚Anderen’ der Normalität jener werden, die als Touristen dort ihren Urlaub verbringen. Mit ganz konkreten Effekten: Wenn etwa Landwirtschaft in touristisch erschlossenen Bergdörfern zu einer Landschaftspflege mit kundenorientierter Klischeebildpflegefunktion wird, wenn Fischerei in Küstendörfern zum Zweck der atmosphärischen Befriedigung der touristischen Kundschaft aufrechterhalten wird, anstatt ein eigenständiger Wirtschaftszweig mit dem Zweck der Produktion von Gütern zu sein, dann zeigt sich, dass ein Teil gesellschaftlicher Produktivität in – über inszenatorische Praxen verwirklichte – Ambiente-Produktivität transformiert wurde. Wenn ein Unternehmen, dessen Produktionsbetrieb mit Lärm oder Geruchsbelästigungen verbunden ist, abwandern muss, weil sich Touristen gestört fühlen und die Gemeinde deshalb die Betriebserlaubnis entzieht – also somit im klassischen Sinne produktionsökonomische Arbeitsplätze nicht erhalten werden können, wenn Immobilienpreisentwicklungen angesichts der finanzstärkeren Zweitwohnsitz-Gäste auf das Preisniveau von deren Herkunftsregion steigt und ein lokaler Käufer keine Chance mehr hat und zur Abwanderung gezwungen ist (ein Phänomen, dass sich etwa in den westbretonischen Küstenorten und Inseln massiv zeigt), dann wird buchstäblich deutlich, dass die ‚Entwicklung’ einer Region zur Tourismusregion einen hohen Preis haben kann in dem Sinne, dass sich die genannte Neusegmentierung der Gesellschaft unter dem scheinbar unschuldigen Mantel des Tourismus als eine mehr oder weniger subtile Form kultureller Enteignung darstellt und bis hin zur ökonomisch operationalisierten Vertreibung führen kann. Kurz gesagt kann die Konsequenz einer solchen Entwicklung hin zur regional verstetigten Ambientedienstleistung also sein, dass die an romantischen und pragmatischen Motiven orientierte Mobilität touristischer Akteure eine Zwangsmobilisierung jener zur Folge hat, die dort leben, wohin sich touristische Aktivitäten orientieren. Und damit stellt sich die Frage als politische Frage, ob eine solche Entwicklung erwünscht oder unerwünscht ist – und wie sie ggf. zu steuern wäre – denn der Markt allein und die ihn konstituierenden Mechanismen scheinen zumindest dann nicht hinreichend, wenn man besagte schleichende Enteignung und ihre kulturellen und sozialen Konsequenzen nicht einfach für akzeptable Kollateralschäden einer marktbasierten Gesellschaftsorganisation hält. Übertragen auf eine allgemeinere Ebene stellt sich mit Blick auf die im Zuge der umfassenden touristischen Welterschließung mithin die Frage, ob es Grenzen der beliebigen Neufragmentierung der Welt entlang marktförmig sich organisierender Wunscherfüllungsoptimierung (seien die Wünsche romantischer, pragmatischer oder ökonomischer Art) geben kann – und die Aktualität dieser Frage zeigt sich eben nicht nur im Zusammenhang mit der vieldiskutierten, globusumspannenden Produktionsstättenverlagerung entlang eines Kostensenkungsvektors (die aus ganzen Landstrichen Fabriken werden lassen), sondern eben auch hinsichtlich der globusumspannenden Zuweisung von Zonen der ‚Freizeitgestaltung’, die aus ganzen Regionen Ambientedienstleistungsregionen werden lassen – mit allen Folgen, die das haben kann.
Bezieht man diese Überlegungen zur Ambiente-Dienstleistung auf die eingangs gemachte Unterscheidung zwischen Romantiker- und Pragmatiker-Dispositiv, so lässt sich nun feststellen, dass zwar beide Dispositive dieser Entwicklungen zuarbeiten, dies aber aufgrund der unterschiedlichen Leitmotive Authentizität/Funktionalität in relevant unterschiedlicher Weise tun: Romantiker suchen Authentizität, die sie heute – zumindest im westeuropäischen Raum – nur noch als inszenierte Authentizität bekommen – also streben sie nach der perfekten Suggestion und fordern diese von ihren touristischen Zielregionen ein bzw. werden von diesen mit entsprechenden Versprechungen geworben. Pragmatiker hingegen suchen eine überzeugende Preis-Leistungskonstellation gemäß der Bedürfnisse, die sie in ihrer Freizeit erfüllt haben wollen – Authentizität zählt hier gegenüber der Satisfaktionseffizienz relativ gesehen weniger und zudem sind artifizielle Substitute kein prinzipielles Problem: hier können es also Ski- oder Badestationen, Clubs oder Hoteldörfer, Center Parcs oder Kreuzfahrtschiffe sein statt der zur ambientetouristischen Nutzzone umfunktionierten ‘echten’ Dörfer, Landschaften oder Regionen. In der Werbung für das ‘Tropical Island’ bei Berlin stehen dann auch Hinweise auf Palmen und Sandstrand direkt neben solchen die sich auf die technische Optimierung der Hygiene durch Zinkbecken und Wasserdesinfektion beziehen.
Das Romantiker-Dispositiv ist daher – ganz abgesehen von der eigenwilligen Ignoranz bezüglich seiner eigenen Borniertheit gegenüber den als ignorant deklassierten Touristen – nicht nur aufgrund seines inhärenten Exklusivitätsanspruchs problematisch, der schlichtweg mit der normativen Grammatik demokratischer Massenkulturen und ihrem Gleichberechtigungspostulat kollidiert. Und dass sich ein solcher Befund vermutlich auch für andere, Exklusivität anzielende, kulturelle Praxen (wie etwa ‘Hoch’- und ‘Popular’kultur) erheben ließe, sei hier nur am Rande erwähnt. Das Romantiker-Dispositiv verlangt darüber hinaus aber auch eine (nicht nur räumlich) viel ausgreifendere Ambientedienstleistung als das Pragmatiker-Dispositiv, da aufgrund der geforderten Authentizität immer ein Bestehendes nach den romantischen Vorstellungen gestaltet bzw. gemäß ihrer erhalten werden muss – was natürlich im Prinzip genauso eine ‘Inszenierung’ darstellt wie im Falle des Tropenparadieses in Mittelholland oder der Hallen-Skipiste mit Hüttenzauber in Dortmund, sich aber von diesen dadurch unterscheidet, dass die Inszenierung unmerklich bleiben soll. Das heißt: während es im Rahmen des pragmatischen Dispositivs selbstverständlich ist, dass der Tourist es mit einer Dienstleistung zu tun hat, die im Rahmen eines abgesteckten Anspruchshorizont sich bewegt (und mit für und im Rahmen dieser Dienstleistung tätigen Angestellten, die Arbeitszeit und Freizeit , Berufs- und Privatsphäre haben; mit Zugangsbeschränkungen für bestimmte Räume etc.), gibt es diese Selbstverständlichkeit im Romantikerdispositiv nicht: Da man sich in der Exklusivität wähnt, braucht es keine Regeln, die für die Organisation der Masse gedacht sind ; da man sich in die authentische Welt eingewoben wähnt, gibt es keine professionelle Distanz zwischen den ‘Bewohnern’ und den ‘Besuchern’, man lebt miteinander. Wenn derartige Erwartungen durch das Romantiker-Dispositiv ansteuernde Werbestrategien auch noch assoziativ geschürt bzw. aufgrund einer systematischen Verlagerung touristischer Gewohnheiten (z.B. durch den Einzug in eine Region mittels Zweitwohnsitzerwerb) infrastrukturell befördert werden, dann liegt auf der Hand, dass auch die Lebensumstände vor Ort sich in Richtung der Ambiente-Dienstleistung verändern – und zwar genau in dem Maße, wie den Erwartungshaltungen an die Ambiente-Dienstleister mit der durch ökonomische Alternativen ermöglichten Dienstleistungsverweigerung begegnet oder eben nicht begegnet werden kann. Insofern stellt sich die Frage an regionale Tourismusstrategen, welche Kosten das gezielte, über Marken- und Imagekonstruktion betriebene Spiel mit diesem Dispositiv bei jenen verursacht, die für die Realisierung des Realisierten gewollt oder ungewollt gerade zustehen haben – kurzfristige Gewinnrealisierung hin oder her. Direkter formuliert: Es wäre schlichtweg politisch angezeigt, eine im weiten Wortsinne gefasste Diskussion zur ‘Kostenwahrheit’ romantischer Attraktionsstrategien in der Tourismuswirtschaft zu etablieren. Diese Forderung nach politisch geführter Diskussion betrifft allerdings nicht nur den Umgang mit dem Romantiker-Dispositiv, sondern, in einem etwas weit gefassteren Sinne auch den tourismuswirtschaftlichen Umgang mit dem Pragmatiker-Dispositiv. Dieses ist zwar in den Hinsichten Exklusivität und Authentizität unproblematisch und sicherlich auch mit Blick auf eine konsequente Anwendung demokratisch-massenkultureller Gleichheitsgrundsätze adäquater. Gleichwohl aber lässt sich die zwar nicht neue aber weiterhin aktuelle Frage stellen, inwieweit ein relevanter Teil des normalisierten pragmatischen Umgangs mit touristischen Praxen nicht eine durch gezieltes Anspielen individueller und kollektiver Sehnsüchte befeuerte, gigantische Selbstablenkungsstrategie jener Gesellschaften darstellt, in denen man eher nicht mehr darüber nachdenken möchte, wie man eigentlich alltäglich leben will – solange man sich denn den Urlaub erlauben kann.
Doch abschließend möchte ich kurz über diese moralisch-pragmatische Perspektive hinausgehen und ein wenig abstrahieren – in Richtung einer metaphorischen Deutung des Tourismus als einer spezifisch modernen Lebensform, die ihrerseits Rückschlüsse auf den Tourismus als Gegenwartsphänomen erlauben: Denn der Tourismus wird oft als Beispielfall mobiler Kultur gedeutet – und in diesem Sinne als Ausdruck einer Modernität, die sich mit dem Umstand der ‘Nicht-Festgestelltheit’ des Menschen versöhnt hat, die sich also als mobilisiert oder, in den Worten des Soziologen Zygmunt Bauman, als fluid begreift und diese Luzidität zuweilen sogar programmatisch – Stichwort geistige oder berufliche Mobilität – zur Forderung erhebt. Bauman stellt den Touristen dem als komplementäre Figur stilisierten Vagabunden gegenüber: Während der Vagabund das Opfer einer mobilisierten Moderne ist, der nur noch als Getriebener existieren kann, bleibt der Tourist Herr im eigenen Verkehrsmittel und vermag sich durchaus mit Gewinn im modernen Dasein einzurichten. Er repräsentiert mithin, so die These, einen selbstbestimmt-mobilen Menschen, der relativ ungebunden die Welt als offenen Möglichkeitsraum zu erschließen vermag – und weder von jener Melancholie des Traditions- und Bindungsverlustes geplagt wird, die so oft als die schwerlastende Zumutung der Moderne beschrieben wird, noch in die heteronom-prekäre Vagabunden-Rolle sich gedrängt fühlen müsste.
Spiegelt man nun diese metaphorische Deutung des Touristen auf das Realphänomen zurück, so scheint das Baumansche Schema nicht mehr so eingängig, sondern vor allem sehr schematisch. Denn in welchem Sinne, so wäre zu fragen, ist denn der Tourist wirklich mobil im Sinne der Bindungsrelativierung? Was obenstehende Dispositivanalyse ergab, war schließlich, dass touristische Praxen im wesentlichen Klischees reproduzieren – und somit strukturell die phantasmatischen Topographien derer reterritorialisieren, die ‘touristisch aktiv’ sind. Ein Beispiel wäre im Falle des Wohnmobiltourismus die die Reterritorialisierung des ‘zu Hause’ in Form eines ‘mobile home’, wobei die Rolle der dieses Automobil umgebenden Welt einen ähnlichen Status erhält wie die durch den Fernseher erblickte Telerealität: Die Welt zieht am Fenster vorbei, während man am Steuer sitzt, bei sich zu Hause. Der oben geschilderte Ferienhaustourismus, das Stammhotel, das Feriendorf mit eigenen Familienhäuschen, die in einem Servicenetz zu quasi-Hotels werden, aber dennoch den Effekt des ‘bei sich seins’-Dispositiv adressiert, wären weitere Beispiele.
Vor diesem Hintergrund bleibt Baumans Metaphorik eigenwillig ignorant gegenüber den verschiedenen materialen und ideellen Strukturen, die das Phänomen Tourismus überhaupt erst ermöglichen – und verkennt damit eine zentrale Dynamik der Moderne: diese ist nämlich keineswegs einseitig bindungsauflösend und in diesem freisetzenden Sinne mobilisierend, sondern konstituiert mannigfaltige Supra- und Infrastrukturen, die touristische Mobilität erst möglich werden lassen. Die Mobilität des modernen Menschen ist, anders gesagt, nicht (nur) ein Effekt von Strukturauflösung und Entbindung, sondern wesentlich auch von Strukturbildung und Einbindung bestimmt. Und wenn man die Moderne als ambivalent charakterisiert, dann wäre dieser doppelte Effekt ins Auge zu fassen: denn die Welt der Moderne ist eine Welt, die einerseits als Raum für das Experimentieren mit Andersmöglichkeiten begriffen wird und in diesem Sinne ‘offen’ ist, sich andererseits aber mittels vielfältiger Strukturationsdynamiken immer neu entlang von Zweckmäßigkeitsüberlegungen formiert und stabilisiert, bis hin zur totalitären Möglichkeitsbeschränkung.
Die aus vergangenen Möglichkeitsverwirklichungen resultierenden Strukturen sind zwar kontingent, aber wirken oft, sobald sie einmal etabliert bzw. normalisiert sind, als weltgestaltende Rahmenbedingungen von quasi-natürlicher Qualität, also so, als ob sie nicht kultürlichen Ursprungs, sondern in ihrem Bestand und ihrer Funktion notwendig bzw. evident wären. Diese Dynamik hat vielfältige Implikationen, welche hier nicht im Einzelnen erläutert werden können. Wichtig ist allerdings der Hinweis, dass derart zu Quasi-Natur verwandelte Kultur von eminenter Gestaltungspotenz ist und dasjenige konstituieren, was man gemeinhin ‘Normalität ‘ nennt – und die prinzipielle Kontingenz dieser Normalitäten gerät aus dem Blick. Konkreter gesprochen: Dass es ein den Globus umspannendes Verkehrsnetz gibt, dass es Unterbringungs-, und Dienstleistungsstrukturen gibt, die u.a. auch den Tourismus als Massenphänomen erst ermöglichen, ist nicht notwendig, sondern ein kontingentes historisches Produkt vergangener Weltgestaltungs- und –strukturierungsdynamiken. In einer – unserer – Gegenwart aber lässt sich eine Welt, die all das nicht kennt, bzw. nicht darauf zurückgreifen kann, kaum mehr denken – sondern nur imaginieren, so wie man sich das Leben der Menschen im Mittelalter heute nur anhand von Indizien rekonstruieren, nicht aber sich ohne relevanten Realitätsverlust in es hineinversetzen kann.
Dass die Welt, wie wir sie heute erleben, ‘kontingent’ ist, heißt allerdings nicht, dass sie beliebig wäre – zwar könnte das Verkehrsnetz anders aussehen bzw. müsste in der aktuellen Form nicht bestehen, doch wäre die dann etablierte Form der Welt ihrerseits dennoch Produkt einer spezifischen Strukturierungsleistung und der kulturellen Konstellation, die diese hervorgebracht hat, mittels bewusster und unbewusster Operationen – nur eben einer anderen als derjenigen, die die aktuelle Welt hervorgebracht hat. Und: die Analyse der jeweils etablierten Strukturen ermöglicht einen Einblick in die abgelagerten, pragmatischen und phantasmatischen Motivationen, die der heutigen Weltgestaltung zu Grunde liegen, die entsprechende Operation könnte man (frei nach Foucault) Archäologie der Strukturation nennen. Ohne das hier vertiefen zu können lässt sich vor diesem Hintergrund konstatieren, dass auch der heutige Massentourismus Ausdruck einer spezifischen Strukturation der Welt ist – und dass die in ihm sich manifestierende Mobilität (wenn denn touristischen Praxen überhaupt mobile Praxen sind, was ja, wie oben dargelegt keineswegs selbstverständlich ist) einer durchaus sehr festgefügten Logistik bedarf und keineswegs einfach alles mobilisiert oder fluid ist, wie gerne behauptet wird. Denn touristische Mobilität ist keine Mobilität, die sich der Entbindung von festgefügten Strukturen verdanken würde, sondern im Gegenteil eine, die sich aus der Einbindung in vielförmige, fest strukturierte Logistiken speist: der Einbindung in jenes strukturelle Netz, das mit der Moderne eine ungeheure Dichte und Interkonnexivität seiner Knotenpunkte erreicht und normalisiert hat. Und Teil dieser Logistik ist eben auch dasjenige, was oben als ‘touristische Dispositive’ bezeichnet wurde: Strukturen zur Kanalisierung und Orientierung von Wunschvorstellungen und Bedürfnissen.
Daher ist die These, dass, am Touristen exemplifiziert, der moderne Mensch ‘mobil’ sei revisionsbedürftig. Will man nicht einer Affirmationsstrategie zuarbeiten, die letztlich nur jenen dienlich ist, die daran verdienen, dass manche meinen es sei normal und deshalb geboten, mobil sein müssen (hier gibt es eine Parallele zum Beschleunigungsdiskurs, der derzeit so à la mode ist) und die davon ablenkt, dass wir an den Strukturen, die die Gesellschaft sein lassen, wie sie zu sein scheint, durchaus etwas ändern können. Touristische Mobilität ist in wesentlichen Teilen ein Simulacrum von Mobilität: denn sie zielt schussendlich darauf, bezüglich der eigenen Wunschvorstellungen unbeweglich zu bleiben, die reale Bewegung ist dabei oft eher lästiges Übel als erwünscht. Freilich erfordert die Erhaltung des Simalacrum ihrerseits eine umfassende Mobilität: die derjenigen nämlich, die die strukturellen Rahmenbedingungen des Tourismusgeschäfts aufrechterhalten und sich dafür – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – mobilisieren müssen. Und so, in einer reformierten Form, macht dann auch Baumans These wieder Sinn: Die Vagabunden sind jene, die der Daseinserhalt dahin treibt, wo Touristen, die ihr Klischee aufzufinden hoffen, sich hinbegeben – diejenigen, die im Schatten stehen müssen und dort die Kulissen all der sonnigen Paradiese halten, welche wir uns durch die Tourismusindustrie versprechen.
8.6. Die mobile Gesellschaft
Sektionsgruppen | Section Groups| Groupes de sections
Inhalt | Table of Contents | Contenu 17 Nr. |
Webmeister: Gerald Mach last change: 2010-04-06