Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 17. Nr. |
Juni 2010 |
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Sektion 8.7. |
Das Kreuz mit dem Halbmond: Ethnische und religiöse Transformationen in europäischen Kontexten | The Crux of Islam in Europe: Ethnic and Religious Transformations in European Contexts Sektionsleiter | Section Chair: Gregor Thuswaldner (Gordon College, Massachusetts) |
Sektionsbericht 8.7.
Das Kreuz mit dem Halbmond:
Ethnische und religiöse Transformationen in europäischen Kontexten
Gregor Thuswaldner (Gordon College, Massachusetts, USA) [BIO]
Email: Gregor.Thuswaldner@gordon.edu
Diese Sektion hat Fragen diskutiert, wie das in Europa scheinbar neu entfachte Interesse am Christentum zu sehen und wie die scheinbare Bedrohung der säkularen Tradition in Europa durch den Islam zu beurteilen ist. Dabei hat sich gezeigt, dass die Antworten, die europäische Intellektuelle und AutorInnen geben, sehr unterschiedlich ausfallen. Einig ist man sich aber in der Annahme, dass Religion in Europa weiterhin eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen wird.
Lanfranco Aceti (University of London) hat sich in seinem Vortrag zum Thema Is Islam the Crux of Europe? Faith, Culture and the Honorable Killing of Secularism? dagegen ausgesprochen, dem Islam im europäischen Kontext eine Sonderrolle zuzuweisen. Während Aceti den wichtigen Stellenwert des Säkularen herausgestellte, machte er auch darauf aufmerksam, dass es gerade im künstlerischen Bereich nicht Ziel führend ist, dem Islam mit übertrieben politischer Korrektheit zu begegnen. Dies hat Aceti anschaulich an Hand von zensurierter Kunst deutlich gemacht.
In ihrem Beitrag mit dem Titel Whither European Islam? Muslims in the Balkans and in Western Europe Compared hat Ina Merdjanova (Sofia University) darauf hingewiesen, dass man vom Islam nicht im Singular sprechen kann, da es seine Reihe von äußerst unterschiedlichen Erscheinungsformen dieser Religion gibt – auf dem Balkan, aber auch in Westeuropa. Merdjanova hat darüber hinaus die Frage diskutiert, wie unterschiedlich sich der Islam im europäischen Kontext manifestiert.
John K. Cox (North Dakota State University) untersuchte in seinem Vortrag mit dem Titel Between Kadare and Andrić: Approaches to European Muslims in 20th-century Balkan Literature die literarische Darstellung der moslemischen Bevölkerung am Balkan. Zwar konzentrierte sich Cox auf die durchaus unterschiedliche Repräsentation von Islam in den Texten von Ismail Kadare und Ivo Andric, doch er bezog sich auch kontrastierend auf Meša Selimović and Ćamil Sijarić. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei die ungleiche Literarisierung von serbischen und albanischen Moslems.
Der Beitrag von Talia Kazan (zur Zeit der Konferenz am Gordon College, Wenham, MA; USA und jetzt an der University of North Carolina at Chapel Hill, USA) versuchte das komplexe und konfliktbeladene Verhältnis von türkischen „Gastarbeitern“ und Deutschen auszuloten. Obwohl das Gastarbeiterprogramm der Bundesrepublik in die sechziger Jahre zurückreicht, ist es bis heute nicht gelungen, die türkische bzw. türkisch-deutsche Minderheit in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Kazan interessierte sich besonders für die literarische bzw. kulturelle Komponente dieses Konflikts, den sie u.a. an Hand von Filmen von Fatih Akin und Rapmusik von Cartel untersuchte.
Didem Uslu (Beykent University, Istanbul, Türkei) stellte in ihrem Referat Orhan Pamuk’s narrative strategies and ‘Muslim Turk characters die spannende paradoxe Poetologie des türkischen Nobelpreisträgers heraus. Die Vielschichtigkeit der von Pamuk gestalteten Figuren korrespondiert mit der Vielschichtigkeit der abgebildeten gesellschaftlichen Verhältnisse. Uslus Beitrag unterstrich dabei, dass in Pamuks Romanen auch der Islam dementsprechend komplex geschildert wird.
Der Titel des Vortrags von Karin Bischof (IKF – Institut für Konfliktforschung) lautete Europa und die Türkei – über die Konstruktion von Beitrittsszenarien und Strategien des Othering aus gendersensibler Perspektive. Auf dem Hintergrund der derzeit laufenden EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei interessierte Bischof besonders die nun diskutierte „Europäische Identität“. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die meist negative Berichterstattung in den österreichischen Medien, die höchst fragliche, oftmals orientalische Metaphern kolportierte. Aus feministischer Perspektive stufte Bischof dabei zurecht die Darstellung der Türkei als Macho-Bräutigam als besonders problematisch ein.
Werner Thuswaldner (Salzburger Nachrichten) konnte zwar leider nicht anwesend sein, doch sein Beitrag Interkulturelle Missverständnisse: Plädoyer für differenziertere Betrachtungsweisen wurde in absentia verlesen und diskutiert. Thuswaldner wies in seinem Vortragstext nach, dass Europa immer wieder viel von den Einflüssen anderer Kulturen profitiert habe. Daher forderte Thuswaldner eine offene Einstellung und den Willen, sich unvoreingenommen mit dem Islam auseinanderzusetzen und sich nicht mit vorgefertigten Meinungen zufrieden zu geben, die von rechtsextremen Parteien forciert werden.
Gregor Thuswaldner (Gordon College, Wenham, MA, USA) untersuchte in seinem Vortrag mit dem Titel Katholischer Kitsch? Anmerkungen zu Martin Mosebach, Patrick Roth und Arnold Stadler die religiöse Dimension in den Texten dreier mit wichtigen literarischen Preisen ausgezeichneten Autoren. Dass die Vorwürfe, die Romane von Martin Mosebach und Patrick Roth nahe an religiösen Kitsch geraten, nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, wies Thuswaldner nach. In seiner Darstellung von Arnold Stadlers Texten zeigte Thuswaldner jedoch, dass es auch andere, z.T. überzeugendere Wege gibt, sich dem Religiösen literarisch zu nähern.
8.7. Das Kreuz mit dem Halbmond: Ethnische und religiöse Transformationen in europäischen Kontexten | The Crux of Islam in Europe: Ethnic and Religious Transformations in European Contexts
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