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KCTOS:
Wissen, Kreativität und Transformationen
von Gesellschaften |
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Alfred Gusenbauer, Bundeskanzler der Republik Österreich | Deutsch | English |
Als ich vor zwei Jahren – am 9. Dezember 2005 – zu den TeilnehmerInnen der INST-Konferenz „Innovationen und Reproduktionen in Kulturen und Gesellschaften“ sprach, ging es darum, grundlegende Veränderungen in den Gesellschaften in Österreich und weltweit zu benennen und auch programmatisch Notwendigkeiten von Veränderungen festzuhalten. Wichtig war damals, dass es nicht um Äußerlichkeiten geht, um Symbole einer Macht um ihrer selbst willen. Im Zentrum der Rede stand vielmehr, was sich im Alltag der Menschen verändert hat und was im Alltag verändert werden soll und muss. Mit den Wahlen in Österreich im Oktober 2006 bekam ich die Chance, Bundeskanzler einer Koalitionsregierung zu werden. Mein zentraler Ausgangspunkt bei den Verhandlungen, der Abfassung und Umsetzung des Regierungsprogramms war und ist, die Alltagsbedingungen für die Masse der Menschen in Österreich zu verbessern. Dies meint aber nicht nur eine Erhöhung der Pensionen, eine Veränderung der Förderungsstruktur, sondern vor allem auch eine Ermöglichung für die Menschen in Österreich, sich in die Veränderungsprozesse einzubringen. Das meint, Armut nicht nur abfedern, sondern mehr noch Armut, strukturelle Massenarbeitslosigkeit durch eine neue Bildung, durch neue kulturelle Strukturen zu beseitigen. Das meint, den Menschen in Österreich eine neue Chance bei der Mitgestaltung ihres Landes einzuräumen – durch Absenkung des Wahlalters, aber auch durch neue Rahmenbedingungen bei der Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen. Ihr Kongress mit dem Titel „Wissen, Kreativität und Transformationen von Gesellschaften“ versucht gerade dies für Österreich, aber auch für über hundert andere Länder im Kontext der Globalisierung herauszufinden. Ihr Kongress versucht, Vorschläge für eine Globalisierung mit einem humanen Gesicht zu entwickeln und entspricht damit der modernen Wissenschaft und Forschung, die sich als eigenständige Kraft im Rahmen der modernen Gesellschaften seit dem Mittelalter entwickelt hat. Eine Wissenschaft und eine Forschung, die nicht im Auftrag einer Macht Erkenntnisse erzielen, sich nicht auf deren Interessen beschränken, sondern die Bedingungen anstreben, die freies Lehren und Forschen ermöglichen, Vorschläge zu gesellschaftlichen Entwicklungen machen und sich in diesem Sinne an der Entwicklung der Gesellschaften beteiligen. Wissenschaft und Forschung, wie sie auch dem Verständnis der österreichischen Sozialdemokratie, der österreichischen Verfassung entsprechen. Bemerkenswert ist, dass es dem Veranstalter gelungen ist, ein derartig großes, freies Forum zu organisieren, das sich einerseits durch Vielfalt auszeichnet, andererseits aber auch öffentlich via Internet nach Synergien in einem Polylog strebt. Ein öffentlicher Arbeitsprozess von Jahren, an dem offenbar Tausende beteiligt sind und in den auch internationale Organisationen wie die UNESCO, die EU und der Europarat eingebunden wurden. Im Kontext Ihrer Konferenz möchte ich im Sinne Ihres Begriffes Polylog zu folgenden fünf Punkten Stellung nehmen:
1. Wissen Wenn heute von einer Wissensgesellschaft gesprochen wird, so sind mit diesem Begriff recht unterschiedliche Interpretationen und Strategien verbunden. Die Deutung, dass Wissen besser ist als Nicht-Wissen reicht nicht aus. Tatsächlich ist das Wissen heutiger Menschen in modernen Gesellschaften selbst dann größer als mancher WissenschafterInnen der Vergangenheit, wenn sie keine hohen Schulen absolviert haben. Aber diese Menschen leben auch in einer Welt, die Zugänge zu Wissen in jedem Bereich erforderlich macht, wenn sie die Errungenschaften dieser Gesellschaft nutzen wollen. Und es kommt daher durchaus darauf an, nach der Art und Funktion des Wissens in Wissensgesellschaften zu fragen. So ist zum Beispiel der erste und wesentliche Schritt zu einer persönlichen Lebensverlängerung – wie eine wissenschaftliche Studie jüngst zeigte -, dass die Menschen lesen und schreiben können. Die Studie zeigte, dass (funktionale) Analphabeten wesentlich kürzer leben, weil sie keinen Zugang zu wesentlichen Informationen über Essen, Medikamente, Arbeits- und Lebensformen etc. haben. Aber nicht nur die Qualität der individuellen Lebensgestaltung ist auf das Engste mit dem Zugang zu Wissen verbunden. Wesentliche Probleme heutiger Gesellschaften werden auch durch den funktionalen Analphabetismus bedingt – wie zum Beispiel die strukturelle Massenarbeitslosigkeit, die Absenkung des Sozialniveaus. Bereits diese wenigen Bemerkungen zeigen, welch strategische Bedeutung Bildung in unserer heutigen Zeit hat. Und es ist daher höchst an der Zeit, die notwendigen Schlussfolgerungen für das Schulsystem in Österreich, aber auch anderswo zu ziehen. Neue Schulen Der erste Ansatz ist daher, ein neues Verständnis für die Bedeutung der Schulausbildung zu gewinnen, in deren Mittelpunkt seit den Modernisierungen des 18. Jahrhunderts das Erlernen von Lesen und Schreiben stand. Dadurch, dass Lesen und Schreiben nicht nur einer kleinen Gruppe ermöglicht wurde, sondern durch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Österreich im 18. Jahrhundert möglichst alle Zugang zu Wissen erhalten sollten, sollte auch eine wesentliche Grundlage dafür gelegt werden, dass die Gesellschaft ideell und materiell reicher wird. Ein Ansatz, der sich in den Jahrhunderten bewährt hat und der nicht aus dem Auge verloren werden darf, ist daher, dass eine möglichst breite Bildung die Basis für den Reichtum einer Gesellschaft darstellt. Spitzenleistungen von einer kleinen Gruppe reichten und reichen keineswegs aus, so bedeutsam sie auch immer sonst sein mögen. Weiters bedeutet aber Lesen und Schreiben allein noch keineswegs den Zugang zu Informationen und Wissen. Vielmehr erfordert der Alltag heute überall die Interpretation von Zeichen, Bildern, Wörtern, Tönen. Das beginnt bei den Symbolen in der U-Bahn oder für die Leitwege auf dem Flughafen und endet nicht bei den historischen Symbolen. Das Sehen von Bildern muss ebenso gelernt werden wie das Verstehen von Wörtern und Tönen. Die Zeichen, Bilder, Wörter, Töne bezeichnen oder korrespondieren aber im Laufe der Zeit nicht immer das Gleiche bzw. mit dem Gleichen. Vielmehr können sich Bedeutungen grundlegend ändern – und dies gerade heute. Die ständigen Veränderungen erfordern, dass der Umgang mit alten um neuen Wissen angeeignet wird. Oder anders formuliert: die Entwicklung des Interpretierens, des Denkens (und damit des Verwertens des Interpretierten) ist eine der zentralen Erfordernisse der heutigen Zeit. Eine derartige Anforderung bringt aber auch die Erfordernis für ein neues Lernen mit sich. Es kann keineswegs mehr darum gehen, die Fähigkeit zur Reproduktion an erster Stelle zu trainieren, sondern vielmehr geht es darum, Eigenschaften zu wecken, die mit vorgegebenen Informationen oder Wissen produktiv umzugehen erlauben. Dies alles geschieht im Kontext einer gesellschaftlichen Entwicklung, die neue Strukturen hervorbringt. Wichtig sind für die produktive Entwicklung einer Gesellschaft nicht die Kommando-Zentralen, sondern wichtig sind die Rahmenbedingungen für die neuen Prozesse, die vor allem als Prozesse im Alltag verstanden werden müssen. Interpretationen und Gesellschaften Bereits aus diesen wenigen Bemerkungen geht hervor, dass dieses neue Lernen nicht nur als ein individueller Prozess verstanden werden kann. Vielmehr zeigt sich seit der Moderne, dass Literatur, Theater, Künste, Wissenschaften, Forschung zentrale Elemente sind, um durch ihre besondere Form der Schaffung einer Öffentlichkeit eine dynamische gesellschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. Und es zeigt sich, dass je größer dieser Kreis ist, dem es ermöglicht wird, zu partizipieren, desto reicher auch die Gesellschaft ist. Gesellschaften dagegen, die diese Fähigkeiten nur oder besonders einer kleinen Schicht oder Gruppe zukommen lassen, waren und sind ärmere oder arme Gesellschaften. Tatsächlich sind aber die Entwicklungen in den gesellschaftlichen Bereichen in der Globalisierung längst nicht so, dass die neuen Chancen gesellschaftlicher Wirksamkeit von Bildung, Literaturen, Theater, Künste usw. so verstanden werden, dass sie auch adäquat genutzt werden. Vielfach erhöht sich die gesellschaftliche Kluft, weil die Zugänge von Wissen immer weniger möglich sind. In diesem Kontext geht es keineswegs darum, dass nur künstlerische wissenschaftliche Werke geschaffen werden, die eine breite Öffentlichkeit erreichen. Gerade das Experiment, die Versuche, die Brüche sind es, die Neues in die Wege geleitet haben. Hier ist der Ansatz, dass neue Interpretationen nicht nur in kleinen Gruppen erlernt werden, sondern Interpretationen öffentlich verhandelt werden. Wissenschaft und Forschung Die SpezialistInnen sind in den öffentlichen Diskursen über Wissen wichtig, aber sie sind nur ein Element eines breiten, komplexen Prozesses der Veränderungen, in dem Wissen, Interpretationen etc. sich laufend ändern. Eine besondere gesellschaftliche Stellung nehmen Wissenschaft und Forschung ein. Von ihnen wird – ebenso wie von den Künsten – erwartet, dass sie Motoren der Innovationen sind. Aber diese Erwartung ist nicht allgegenwärtig. Strukturen von Wissenschaft und Forschung werden heute vielmehr nach wie vor geprägt durch die nur auf ihren eigenen Vorteil bedachten inneren Hierarchien, die Übernahme von anderen Produktionsmodellen (aus der Industrie: Stunden, Stückzahl), den Dirigismus durch Calls und vorgegebene Programme, die Vorgabe von Strukturen. Derartige Ansätze be- bzw. verhindern, dass sich Wissenschaft und Forschung entfalten können, denn Interpretations- und Denkprozesse lassen sich nur sehr bedingt in Zahlen fassen und Modellen, Hierarchien etc. unterwerfen. Die zentralen Stichworte sind in diesem Zusammenhang Öffentlichkeit, Pluralität, materielle Sicherung, Unabhängigkeit, Demokratie und Ausrichtung auf Interpretations- und Denkprozesse. Die Medien Wesentliche Träger der Entwicklung von Wissensgesellschaften könnten die Medien sein, insofern sie Plattformen für die notwendigen gesellschaftlichen Diskurse bieten. Im medialen Bereich zeigen sich aber sehr unterschiedliche Entwicklungen – Berichterstattungen, die den alten Kuriosen-Kabinetten aus dem 18. Jahrhundert entsprechen, gekauft Beilagen, die wissenschaftliche Bedeutung öffentlich unterstreichen sollen, aber nur Ausdruck der Finanzkräftigkeit sind. Kurz: die Rolle der Medien hätte sich im Zuge der Entwicklung von Wissensgesellschaften noch grundlegend zu ändern bzw. zeigen sich auch völlig neue Strukturen der Schaffung von Öffentlichkeit für Wissenschaft und Forschung im WWW oder durch Kooperationen mit Kultureinrichtungen. Das WorldWideWeb Völlig neue Möglichkeiten bietet in diesem Zusammenhang das WWW. Es hat in den letzten Jahren eine zunehmende Bedeutung erlangt. Gerade im Bereich der Infrastruktur soll im Rahmen des Regierungsprogramms einiges getan werden, um einen breiten Zugang zu ermöglichen. Dabei geht es aber nicht nur um eine materielle Infrastruktur, sondern vor allem auch darum, das WWW für eine neue Partizipation in der Gesellschaft zu nutzen, einen neuen Zugang zu Wissen zu schaffen.
2. Kreativität Im alten Schulsystem der Reproduktionen – so wie dies für die Agrar- und Industriegesellschaften gebraucht wurde -, war Kreativität oft ein negatives Faktum. Viele Beispiele sind dafür bekannt, dass gerade heute führende Leitfiguren der Wissensproduktion wie Wittgenstein oder Einstein schlechte Schulnoten bekamen. Umgekehrt kann freilich keinesfalls davon gesprochen werden, dass schlechte Schulnoten bereits ein Zeichen für Kreativität sind. Und auch die Aussonderung von Kreativen in spezielle Schulen ist nicht unbedingt die ideale Lösung, weil Lernen auch immer im sozialen Bereich erfolgt und gerade auch deshalb Schulen oder Universitäten nicht durch Bildschirme ersetzt werden können, an denen jede oder jeder für sich lernt. Mit dem Einsatz der modernen Technik wurden neue, hervorragende Möglichkeiten geschaffen, aber im Zentrum verbleibt, sich soziale Kompetenz zu erwerben, um in einer Gesellschaft auch seinen Platz einnehmen zu können. Diese soziale Kompetenz wird auch im Alltag überall ebenso eingefordert wie der kreative Umgang mit Zeichen, Sprachen, Symbolen, Informationen, Wissen. Dies ist schon in den einfachsten Alltagsbereichen eine wesentliche Voraussetzung, aber die Strukturen der Schulen richten sich heute noch keineswegs danach. Das gilt sowohl für die Zeit bis 14 Jahren als auch dann für die „hohen Schulen“, die gerade Ende des 20. Jahrhunderts begannen, mehr und mehr Gewicht auf Stunden und Stoff Wert zu legen, denn auf die Fähigkeit zu verstehen, Zugänge zu Wissen zu finden, zu interpretieren, zu denken. Immerhin sind aber in den unterschiedlichsten Bereichen völlig neuartige Ansätze von Kooperationen entstanden. Kreativität in der Wissensgesellschaft bedeutet daher, sich neu zu entfalten unter der Berücksichtigung der Entfaltung individueller Fähigkeiten im Kontext sozialer Prozesse und der Ermöglichung der Einbringung dieser Fähigkeiten in gesellschaftliche Prozesse.
3. Gesellschaften Wissen steht also in einem direkten Verhältnis zur Gesellschaft und zur Entwicklung von Gesellschaften. Und im Gegensatz zu den Theorien, die besagen, dass eine soziale Differenzierung den Reichtum einer Gesellschaft erhöhe, zeigt sich auch anhand der Geschichte Österreichs, dass der Reichtum Österreichs desto größer wurde, je mehr Menschen an der Entwicklung partizipierten, je größer ihre Fähigkeiten waren, sich in Kooperation mit anderen gesellschaftlich zu betätigen. Im Zusammenhang mit der heutigen Regierungstätigkeit bedeutet dies, einerseits negative Faktoren zu beseitigen, andererseits Neues zu ermöglichen. So profitiert gerade eine heutige, moderne Budgetpolitik vor allem dann, wenn es gelingt, die Massenarbeitslosigkeit zu senken, sodass die Kosten für die Sozialsysteme sinken, zugleich aber die Steuereinnahmen und die Möglichkeiten des Staates steigern. Das gelingt aber nicht, wenn nur traditionelle Produktionsformen gefördert werden. Hier bedarf es anderer Ansätze, die sich auf die neuen Möglichkeiten des Wissens und dessen Distribution via Internet beziehen. Alle diese gesellschaftlichen Prozesse werden durch eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen bestimmt. Auch wenn die Wissensgesellschaft nun an Bedeutung gewinnt, so verbleiben die Agrar- und Industrieproduktionen doch von zentraler Bedeutung. Aber auch diese Produktionen wandeln sich, weil sie Nutzen aus der Wissensentwicklung ziehen. Aber keineswegs macht es Sinn, die Wissensproduktion nur auf diese traditionellen Produktionsformen hin auszurichten.
4. Transformationen Meine Interpretation des Begriffes „Wissensgesellschaft“ ist, dass durch Wissen sich individuell Lebensqualität und Lebensdauer wesentlich verbessert haben, sich die Produktivität und Qualität von Industrie- und Agrarproduktion, aber auch im Dienstleistungssektor wesentlich erhöhten. Aber Wissensgesellschaft bedeutet auch für viele eine neue Form der Lebensgestaltung, für die Solidarität neu definiert und gestaltet werden muss. Die Anforderungen gehen daher in der Wissensgesellschaft in die Richtung, dass nicht nur die Qualität des Wissens erhöht werden muss, sondern dass das Wissen auch breit zugänglich ist. Transformation bedeutet daher in diesem Kontext keineswegs nur eine Form einer besonderen Art des Produktionskostenzuschusses unter einem neuen Titel, sondern Transformation bedeutet vor allem auch eine neue gesellschaftliche Nutzung des Wissens. Transformation in diesem Sinne ist eine gesellschaftliche Veränderung - wobei eine andere Form der Politik, die nicht aufzwingt, sondern ermöglicht, die nicht verhindert, sondern neue Rahmenbedingungen schafft gemeint ist. Transformation in diesem Sinne meint soziale Demokratie im besten Sinne des Wortes. Und Wissensgesellschaft meint in diesem Kontext, dass soziale Demokratie unter neuen Bedingungen realisiert werden soll. Der Ansatz für diese Transformationen beginnt mit der Veränderung des Alltages. Die Erkenntnisse zu Essen, Trinken, Wohnen, Mobilität, Identitäten, zwischenmenschlichen Beziehungen, Klima usw. haben sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Das wurde von staatlicher Seite zum Beispiel in Österreich bisher nur bedingt nachvollzogen. Gerade im Bereich der Schulen, der Gleichstellung von Partnerschaften und in vielen anderen Bereichen sind grundlegende Defizite festzustellen. Und gerade in diesen Bereichen sollen in einer Vielzahl von Fällen neue Voraussetzungen geschaffen werden. Grundsatz einer solchen neuen Politik der Ermöglichung im Zuge der Transformation von Gesellschaften ist, dass der Staat dort nicht maßregelt, wo es um die Entfaltung individueller Prozesse geht, sofern diese nicht Dritte schädigen. Vielmehr soll das Prinzip der Vermeidung von Gewalt – auch staatlicher - im Zentrum der Überlegungen stehen. Das entspricht der Entwicklung seit der Aufklärung, für die der „ewige Friede“ (Immanuel Kant), die „allmähliche Verfertigung von Gedanken während des Sprechens“ (Kleist), die Freiheit der Partnerwahl (und deren gesetzliche soziale Absicherung), die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt der Überlegungen stellte. Meine Interpretation der Wissensgesellschaft beschränkt sich daher nicht nur auf die Art der Produktion, die sich durch den Einsatz von Wissen verändert, sondern meine Interpretation des Begriffs „Wissensgesellschaft“ versucht, auf der Basis der neuen Möglichkeiten auch diejenigen Voraussetzungen zu schaffen, die auf der breiten Basis von Partizipation auch qualitativ neue individuelle und gesellschaftliche Möglichkeiten bietet.
5. Alltag und Politik Auch wenn am Ende des 20. Jahrhunderts so getan wurde, als ob die Politik an Bedeutung verlieren würde, so zeigt sich doch im 21. Jahrhundert, dass es die Vorstellungsbildung, die Politik sind, die auch die Ökonomie bestimmen, wenngleich die Realität der Ökonomie durchaus einen wesentlichen Einfluss auf die Politik hat. Diese Vorstellungsbildung war in den letzten Jahren und Jahrzehnten keineswegs immer auf Wissen basiert. Im Zusammenhang mit der Gesundheit (Zigaretten), dem Klima (Erderwärmung) und vielem anderen, zeigte es sich, wie schädlich es ist, wenn die Wissensproduktion nur einer kleinen Gruppe überlassen bzw. diese wesentlich durch Finanzmittel aus einer bestimmten Richtung beeinflusst wird. Die Schäden, die dadurch angerichtet wurden, sind enorm und lassen sich durchaus in sehr großen Zahlen ausdrücken. Für eine Politik im 21. Jahrhundert, die am Wohl einer Bevölkerung ausgerichtet ist, sich als Beitrag dazu versteht, der Globalisierung ein humanes Gesicht zu verleihen, sind daher folgende Elemente zentral, um Transformationen in Gesellschaften durchzuführen und damit zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen beizutragen:
Abschließend möchte ich bemerken, dass im Rahmen dieser Konferenz auch die Theateraufführung „La Fine del Mondo“ von Jura Soyfer zu dessen 95. Geburtstag am 8.12.2007 zu sehen sein wird. Von den OrganisatorInnen wird diese Aufführung in italienischer Sprache als Beispiel dafür hervorgehoben, dass Menschen sich auch verstehen können, wenn sie keine gemeinsame Sprache sprechen, weil doch vieles an Typischen im Alltagsleben durchaus auch das Verbindende der Kulturen darstellt. So wichtig daher das Erlernen von Sprachen ist, so grundlegend bedeutsam bleibt es aber zunächst, die Lebensinteressen des anderen zu kennen und zu respektieren. Und gerade die Stücke Jura Soyfers können dazu einen sehr wesentlichen Beitrag leisten. Jura Soyfers Alltag, der 1912 in Charkow in der Ukraine geboren wurde, aber den Grossteil seines Lebens in Wien verbracht, war geprägt durch die Auseinandersetzung mit sozialer Ungerechtigkeit, der politischen Gewalt im Alltag und an der Universität, Diktaturen, Bürgerkrieg und dem drohenden Weltkrieg. Er kam am 16.2.1939 im Konzentrationslager Buchenwald ums Leben. Dass sein Werk bis heute in über 30 Sprachen übersetzt wurde, zeigt seine weltweite Bedeutung. Für Österreich ermöglicht dieses Werk Erkenntnisse zur Differenz mit dem Alltag und der Politik in der Vergangenheit. Es zeigt, dass Gewaltausübung in keinem Fall eine Lokomotive der Geschichte war bzw. ist, sondern Gewalt im 20. Jahrhundert nur zu Destruktionen und Massenmorden führte. Es ist daher wichtig zu erkennen, dass eine Wissensgesellschaft nicht funktionieren kann, wenn sie breite Massen vom Wissen ausschließt. Vielmehr ist die breite Partizipation der Bevölkerung, eine soziale Demokratie keineswegs nur als ein Zugeständnis zu verstehen, sondern vielmehr als eine Voraussetzung für den Reichtum einer Gesellschaft und auch für eine Kultur des Friedens, die uns auch im 21. Jahrhundert ein zentrales Anliegen sein muss. In diesem Sinne wünsche ich der Konferenz, dass Sie zur Entwicklung unserer heutigen Wissensgesellschaften grundlegendes beitragen möge. |
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Webmeister: Gerald Mach
last changes: 14.01.2008