Nr. 17

KCTOS: Wissen, Kreativität und Transformationen von Gesellschaften

Koïchiro Matsuura, Generaldirektor der UNESCO Deutsch | English
   

Der Zugang zu Information und Wissen bestimmt zunehmend Lernmuster, kulturellen Ausdruck, Chancen des Vorankommens und der Partizipation; er eröffnet wirtschaftliche und soziale Chancen, Möglichkeiten zur Armutsbekämpfung und für den Frieden. Wissen wurde zu einer der wichtigsten Kräfte für soziale Veränderung. In Wissensgesellschaften geht es darum, Potentiale zu identifizieren und Information zu produzieren, sie weiterzuverarbeiten, zu transformieren, zu verbreiten und zu nutzen, so dass Wissen für die menschliche Entwicklung produziert und eingesetzt werden kann. Wissensgesellschaften erfordern eine Vision, die Pluralität, Einschluss, Solidarität und Teilhabe umfasst und fördert.

Das Konzept der Wissensgesellschaft hebt Pluralität und Inklusivität hervor. Es verlangt nach einer auf den Menschen konzentrierten Entwicklung und nach einer Herangehensweise, die neue Möglichkeiten eröffnet. Es basiert darauf, Wissen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu teilen und auszutauschen. Die Grundlage dieses Konzeptes ist weltweite Solidarität und gegenseitiges Verständnis. Der Schwerpunkt liegt darauf, was Technologie bewirken kann, um das Leben der Menschen zu verbessern, und nicht so sehr auf Technologie um ihrer selbst willen. Tatsächlich eröffnet der Aufbau von Wissensgesellschaften Wege für eine Humanisierung des Globalisierungsprozesses. Unter Betonung ihres multidisziplinären Charakters vertritt die UNESCO daher eine Kultur der Innovation durch das Anwenden und Austauschen von Wissen.

Der Begriff der Wissensgesellschaft ist von strategischer Bedeutung für alle Länder, die sich im Prozess der Globalisierung befinden. Solange Länder nicht qualitativ hochwertige Erziehung für alle anstreben, solange sie kulturelle Vielfalt nicht respektieren, solange sie den universellen Zugang zu Informationen und Wissen nicht bewusst fördern und die Redefreiheit missachten, solange sind die Bedingungen für wirtschaftliche und soziale Entwicklung nicht gegeben. Der Aufbau einer Wissensgesellschaft bedeutet auch, eine Wissensbasis durch wissenschaftliches Arbeiten zu schaffen. Wie jüngst im Zusammenhang mit dem Klimawandel demonstriert wurde, ist es entscheidend, durch Forschung verlässliche wissenschaftliche Daten und Informationen zu produzieren und sie einer weltweiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen – durch Erziehung, Informationsmittel und Informationsressourcen. Indigenen Völkern und deren Wissen, das durchdrungen ist vom angeborenen Respekt für Mutter Erde, muss dabei besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Sozialwissenschaften spielen ebenfalls eine besonders bedeutende Rolle, da sie geophysikalische Aspekte, Sozialwissenschaften und Forschung miteinander verbinden.

Die UNESCO hat am Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) teilgenommen. Während des zweiphasigen WSIS (Genf 2003, Tunis 2005) ist sie für das Konzept der „Wissensgesellschaft“ eingetreten und hat betont, dass der Begriff der Informationsgesellschaft allein – mit ihrer impliziten Betonung von Technologie, Infrastruktur und Erschließung – die Komplexität und das gesamte Potential der Informations- und Kommunikationsrevolution der menschlichen Entwicklung nicht erfasst, gerade in Bezug auf die entscheidende Bedeutung der Konzentration auf „Inhalt“ und „Nutzen“ der sich entwickelnden globalen Kommunikationsnetzwerke, die so eng mit Kreativität verbunden ist. UNESCO’s Konzept einer Wissensgesellschaft ist auf vier grundlegenden Prinzipien aufgebaut: freie Meinungsäußerung, universaler Zugang zu Information und Wissen, Respekt vor kultureller Vielfalt und qualitativ hochwertige Erziehung für alle (Education for All/EFA).

Der UNESCO Weltbericht von 2005 „In Richtung einer Wissensgesellschaft“ half, die digitale Differenz im Rahmen einer wesentlich weiter gefassten Wissensdifferenz zu kontextualisieren. Der Bericht versuchte, die Grundlagen zu hinterfragen und zu definieren, auf denen Wissensgesellschaften global aufgebaut werden könnten, und die Entwicklung für alle vorantreiben könnten.

WSIS formulierte Ziele und schlug neue Ansätze vor, um das Potential von Information und Kommunikation für die Entwicklung auf allen Ebenen nutzbar zu machen. Der WSIS Prozess mobilisierte viele neue Beteiligte und Netzwerke mit dem gemeinsamen Ziel, menschenzentrierte, für alle offene und an Entwicklung orientierte Wissensgesellschaften zu gestalten. Der Aufbau von Wissensgesellschaften durch Information und Kommunikation auf Länderebene ist als besonderer Schwerpunkt in der neuen mittelfristigen Strategie UNESCO’s für die Jahre 2008 bis 2013 verankert.

Im Implementierungsprozess des Genfer WSIS Aktionsplans wurden der UNESCO bestimmte Führungsrollen zugeteilt, zum Beispiel in der Umsetzung von konkreten Planaktivitäten im Rahmen der hauseigenen Programme, die die Operationalisierung des Konzeptes der Wissensgesellschaft zum Ziel haben, oder in der Förderung einer kohärenten Implementierung der sechs Aktionslinien des Planes, die multidisziplinäre Fähigkeiten verlangen (Zugang zu Informationen und Wissen, e-learing, e-Wissenschaft, Medien, kulturelle Vielfalt und Identität, linguistische Vielfalt und lokale Inhalte sowie ethische Dimensionen einer Informationsgesellschaft). Die Organisation will zu unterschiedlichen Nachfolge- und Implementierungsmechanismen beitragen, darunter die Kommission der Vereinten Nationen für Wissenschaft, Technologie und Entwicklung (CSTD), das Internet Regierungsforum (IGF), die Globale Allianz für ICTs für Entwicklung (GAID) und die Gruppe der Organisationen des VN-Systems zur Informationsgesellschaft (UNGIS), deren Vorsitz die UNESCO seit Juli 2007 inne hat. Die UNESCO wird weiterhin für die unterschiedlichen Beteiligten eintreten – auch auf regionalem und auf Länder-Niveau – um so den Aufbau von Wissensgesellschaften auf allen Ebenen zu fördern und Information und Kommunikationen für die Entwicklung zu nutzen.

Diese globalen Richtlinien müssen auf Länderebene effizient umgesetzt werden. Dort müssen die Projekte vor der Umsetzung mit den nationalen Prioritäten abgestimmt werden und die Verantwortung für die Projekte muss beim jeweiligen Land liegen. Als Orientierungshilfe für die Implementierung der WSIS Ergebnisse dient die Agenda von Tunis für Informationsgesellschaften, in der Regierungen ermutigt werden „unter Beteiligung aller Interessensparteien und unter Berücksichtigung der Wichtigkeit einer förderlichen Umgebung nationale Implementierungsmechanismen zu entwickeln.“

Wissen ist eine Quelle gegenseitiger Bereicherung, eine Quelle des effektiven Dialogs zwischen Kulturen und Zivilisationen – und ein Katalysator für Frieden und eine der Voraussetzungen für friedvolles und tolerantes Verhalten.

In diesem Sinne wünsche ich der internationalen Konferenz zu „Wissen, Kreativität und Transformationen von Gesellschaften“ viel Erfolg.


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