Nr. 17

KCTOS: Wissen, Kreativität und Transformationen von Gesellschaften

Univ.Prof.Dr. Peter Horn, Präsident des INST
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Die Wissensgesellschaften und ihre Ungleichheiten (am Beispiel Afrikas)

Oder: Das Nichtwissen des Wissens in der Wissensgesellschaft

 

Am 1. Januar 1816 starb eine junge Südafrikanerin, Saartjie Baartman, in Frankreich an den Folgen eines Lungenleidens. Ihr Geburtsname ist ebenso unbekannt wie das genaue Geburtsdatum. Sie gehörte zum Ureinwohner-Volk der Khoisan im südlichen Afrika. Die Wissenschaft bemächtigte sich ihres Körpers. Der berühmte Cuvier, der große Stifter der vergleichenden Anatomie,(1) seziert den Leichnam; aus Gehirn und Schamlippen fertigte er Präparate in Alkohol, der Gipsabdruck ihres Körpers wurde naturgetreu koloriert. Es ging damals das Gerücht um, „die inneren Schamlippen der Khoisan-Frauen seien ungewöhnlich ausgeprägt. Das Phänomen existiert freilich nur in der Phantasie europäischer Männer so.“(2) Forscher vermaßen ihre Knochen. In einem Lehrbuch von 1821 steht ihr Schädel in einer Entwicklungsreihe vom Wolf zum Menschen irgendwo in der Mitte.(3) Cuvier war es auch, der die erste systematische Einteilung des Menschengeschlechts in [3] Rassen machte.(4) Bis 1974 wurden das Skelett und der staubige, verblichene Gipsabguss im Pariser Musée de l'Homme gezeigt. Dann wanderten die Exponate ins Magazin.(5)

Wie auch in Europa Anatomie und Chirurgie bis ins frühe 14. Jahrhundert die Menschenwürde zu beleidigen schienen, und die Anatomie sich mit Demonstrationen an Tierkadavern zufrieden geben musste,(6) verletzt heute noch die Sektion menschlicher Leichen und z.B. auch die Organtransplantation das traditionelle religiöse Gefühl vieler Afrikaner. Im Mai 2002 endlich überführt man die sterblichen Überreste der "Hottentotten-Venus" nach Südafrika und gibt ihr ein Staatsbegräbnis in ihrem Geburtsort.

Hier wird deutlich, in welche Richtung die wissenschaftliche Neugier geht, die eine Wissenschaft begründet, die bestimmte medizinisch brauchbare Kenntnisse über den Körperbau des Menschen und der Tiere festzustellen suchte.(7) Kein afrikanischer Anatom hat Sarah Baartmann seziert, und daraus neue Erkenntnisse gewonnen.

Andererseits ist das Verbot, menschliche Körperteile zu benutzen, auch in Afrika nicht absolut, es wurden und werden auch heute noch in Afrika menschliche Körperteile für magische Rituale benutzt. So stahl eine Putzfrau kürzlich eine menschlich Plazenta aus einem Krankenhaus. Frauen werden ermordet und Teile ihres Körpers abgehackt. Gerade in letzter Zeit wurde die südafrikanische Öffentlichkeit durch solche Berichte aufgeschreckt, und die Frage wurde aufgeworfen, wie verbreitet der Diebstahl menschlicher Körperteile ist, oft von Menschen, die noch am Leben sind. Vor allem in KwaZulu-Natal scheinen solche Muti-Morde immer häufiger vorzukommen, aber es gibt Berichte über Ähnliches auch aus anderen Teilen des Landes. Jakobus Jonker, der früher eine Polizeieinheit leitete, die sich spezifisch mit dem „Okkulten“ beschäftigte, behauptete, die Muti-Morde hätten stark zugenommen, und der Handel in diesen Muti-Medizinen sei ein florierendes Geschäft. Er wies daraufhin, dass die am meisten gesuchten Körperteile die Genitalien junger Mädchen seien, aus denen ein angeblich kräftige Fruchtbarkeitsmedizin hergestellt wurde. Frauen, die verzweifelt versuchen schwanger zu werden, kaufen diese „Medizin“. Aber alle Körperteile sind wertvoll und bringen oft große Summen Geld ein. Vor allem auch der Kopf, denn die Zauberdoktoren glaubten, damit könnte man viele Krankheiten heilen.(8)

Gegen dieses einheimische, magische Wissen setzt sich aber auch in Afrika mehr und mehr ein anderes Wissen durch, das sich z.B. von Anatomen wie Cuvier herleitet, ein Wissen, ohne das weder Kliniken noch Hospitäler in Afrika denkbar wären. Vor allem im 19. Jahrhundert hat sich die beherrschende Stellung Europas und Amerikas über die Ökonomien und die Völker, aber auch über das Wissen von der Welt befestigt. Die kommerziellen Zentren in London, Boston und Frankreich lebten von den billigen Rohmaterialien, von der Sklaverei und den schlechtbezahlten Bauern der Welt.(9) Andererseits: europäische Eroberungen und Kolonisierungen haben komplexes und spezialisiertes Wissen in immer neue Regionen der Welt verbreitet. Im Jahre 1830 konnte man die Werke der schottischen und französischen Philosophen in öffentlichen Bibliotheken von Madras, Penang und Sydney finden, wo der Begriff des Öffentlichen, der Bibliothek und des Buchs zum Teil völlig neu waren.(10)

Aber es geht nicht nur darum, sich das Wissen Europas anzueignen. Seit der Kolonialzeit ist eine der Herausforderungen des afrikanischen Erziehungswesens die Produktion afrikanischer Intellektueller, die nun ihrerseits Afrika erforschen, aber auch Europa und den Rest der Welt unter die Lupe nehmen. Die südafrikanische Erziehungsministerin Naledi Pandor sagte vor kurzem: “Allzu lange sind wir von anderen studiert worden”. Afrika muss Forscher heranbilden, die die Repräsentation Afrikas in der Forschungsliteratur selbst in die Hand nehmen und ein neues Wissen von Afrika und der Welt entwickeln. Im November 2004 sagte sie: „Transformation für Akademiker heißt erkennen und anerkennen, dass wir in Afrika sind und afrikanische Innovationen finden müssen, und Lösungen, die für Afrika relevant sind.“ (11)

Allerdings hinkt Afrika im Rennen um die globale Wissenschaft und Technologie noch deutlich hinterher. Obwohl Afrika südlich der Sahara etwa 2,3% der Weltproduktion beiträgt, ist es nur für 0,4% der globalen Ausgaben für Forschung und Entwicklung verantwortlich. Afrika hat 13,4% der Weltbevölkerung, aber nur 1,1% der Forscher der Welt. In Afrika kommen auf 10 000 Einwohner durchschnittlich ein Wissenschaftler oder Ingenieur, während es in den industrialisierten Ländern zwischen 20 und 50 sind – und die Spanne wächst ständig. Dabei sind diese Wissensarbeiter für die Entwicklung Afrikas ganz wesentlich. Nach Schätzungen der UNESCO sind beinahe 92% der ländlichen Bevölkerung und 48% der städtischen ohne moderne Energiedienste. Seit Jahren werden von den Planern schon die Vorteile der Solarenergie angepriesen, aber dennoch sind hier keine wirklichen Fortschritte zu bemerken.(12)

Die Konferenz der Vereinten Nationen über Handel und Entwicklung (Unctad) von 2007 berichtete über die 50 am wenigsten entwickelten und ärmsten Länder der Welt, von denen ein Drittel in Afrika sind, sie würden auch weiterhin nicht in der Lage sein das durchgehaltene Wachstum zu erreichen, das notwendig wäre, um die Armut signifikant zu reduzieren; es sei denn ihre einheimischen Produzenten würden die Wissenschaft, Technologie und Innovation erwerben, die es ihnen erlaubten, den Anschluss an die restliche Welt zu finden. In ihren Bericht warnten sie, dass die 767 Millionen Menschen, die in diesen am wenigsten entwickelten und ärmsten Länder der Welt wohnten, noch weiter marginalisiert würden, wenn dieses Wissen der Wissenschaft, Technologie und Innovation nicht erworben würde. Gegenwärtig scheint das Muster eine ökonomische Befreiung ohne Forschung und globale Integration ohne Innovation zu sein.(13)

"Innovation" führt, so sagt man, zu neuartigen Waren und Dienstleistungen, die nicht nur einen Fortschritt im Labor markieren, sondern auch auf dem Markt erfolgreich sind. Leider hat der Begriff "Innovation" in den vergangenen Jahren eine starke Abnutzung erfahren. Zu viele Funktionäre und Politiker haben die Vokabel willig und in unzähligen Sonntagsreden, Broschüren und Pressemeldungen missbraucht, die Forderung nach Innovation breit getreten und so weit inflationiert, dass das Schlagwort nur noch dazu taugt, dem gutgläubigen Steuerzahler wieder ein paar Milliarden aus der Tasche zu ziehen, die dann in vorgebliche Strukturförderungsmaßnahmen versenkt werden sollen, die dann viel zu oft wirkungslos verpuffen.(14)

Wirkliche Innovation wird allerdings nicht einfach sein. Sie setzt ein hoch entwickeltes Schulsystem und leistungsfähige Universitäten voraus. Die Erziehungsminister der südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC)(15) trafen sich im Juli 2007 in Lesotho um die Fortschritte im Erziehungswesen zu besprechen. Es zeigte sich, dass der Fortschritt im Grundschulwesen befriedigend ist, die Entwicklung auf der Sekundarstufe dagegen noch weitere Aufmerksamkeit erfordert. Allerdings sind immer noch 9.6 Millionen Südafrikaner funktional illiterat.(16) Selbst von 1000 Schülern in der elften Klasse, die sechs oder sieben Fächern mit Auszeichnung bestanden hatten und sich um Stipendien beworben hatten, waren nur 86% der Englischsprachigen, 81% der Afrikaanssprachigen und 24% der Sprecher einer Afrikasprache akademisch wirklich auf der Stufe der elften Klasse. Der Unterricht in einer anderen Sprache als der Muttersprache und der niedrige Standard an manchen Schulen vor allem auf dem flachen Lande und in den „townships“ wurden dafür verantwortlich gemacht. Noch schlechter steht es um die Fähigkeit mit Zahlen umzugehen. Die Schüler der elften Klasse wurden auf der Ebene des 9. Schuljahrs geprüft, und nur 55% (73%) der Englischsprachigen, 59% (90%) der Afrikaanssprachigen, und 14% (30%) der Sprecher einer Afrikasprache bestanden den Test. (In Klammern die Zahlen des Vorjahrs). Man kann sich vorstellen, wie die mittelmäßigen und schwachen Schüler abschneiden würden.(17)

Noch schwieriger ist die Situation in vielen anderen afrikanischen Staaten. Gerade in den Zeiten der „Wissensgesellschaft“ haben solche Schwächen der Infrastruktur, des Erziehungswesens und der Forschungstätigkeit äußerst gravierende Folgen für die Lebensqualität der Bevölkerung.

Ein neuerer UNESCO-Bericht über die Erziehung ist der Auffassung, Afrika südlich der Sahara brauche wenigstens 1.6 Millionen mehr Lehrer, wenn es zumindest das Ziel der allgemeinen Grundschulerziehung vor 2015 erreichen will. Mehr Kinder besuchen heute die Schule als noch vor Jahren, aber die Qualität der Erziehung lässt weitgehend noch zu wünschen übrig. Neunzehn Staaten in Afrika südlich der Sahara sind im Augenblick noch weit davon entfernt ihre Ziele für eine Erziehung für alle vor 2015 zu erreichen. Die Hälfte der 77 Millionen Kinder in der Welt, die nicht in einer Schule sind, kommen aus diese Region, und diejenigen, die in einer Schule sind, finden es immer schwieriger bis zu einem Abschluss in der Schule zu bleiben.(18)

Was aber die Wissensgesellschaft angeht: noch gravierender ist die Situation in den weiterführenden Schulen und Universitäten. Während die westliche Welt, die Weltbank und die IMF Programme zur Förderung der Grundschulen in Afrika unterstützte, wurde wenig zur Förderung der Universitäten getan.

Als das World Economic Forum im Juni 2007 in Kapstadt tagte, war deutlich zu sehen, dass Afrika zwar im Durchschnitt eine Wachstumsrate von 6% hatte, aber trotzdem immer weiter zurückfiel. Die Analyse hat gezeigt, dass die Konkurrenzfähigkeit der meisten Länder in Afrika gemessen an allen Indikatoren immer noch hinter dem Rest der Welt, und sogar hinter anderen Entwicklungsregionen, zurückbleibt. Lebensstandard, Gesundheitsvorsorge, Kindersterblichkeit – das Leben der Bürger in vielen afrikanischen Staaten wird nicht sichtbar besser. Mo Ibrahim behauptete sogar, dass der Lebensstandard in Afrika seit dem Ende des Kolonialismus ständig gesunken sei, was Präsident Thabo Mbeki zu dem Ausbruch veranlasste, ob er denn meine, das Leben im Kolonialismus sei besser gewesen. Worauf Ibrahim konterte: Ist es akzeptabel, dass der Lebensstandard im dekolonisierten Afrika bergab geht?(19)

Drucker hat daraufhin gewiesen, dass die Entwicklungen zur Wissensgesellschaft die Gesellschaftsstruktur, die Gemeinschaften, die Regierungen, die Ökonomie und die Politik von Grund auf verändern werden. Wo heute noch Landwirtschaft und Mineralressourcen das ökonomische Zentrum vieler afrikanischer Gesellschaften bilden, werden die Wissensarbeiter in Zukunft das Bild der Gesellschaften bestimmen – auch wenn sie keineswegs eine Mehrheit sind und sein werden.(20) Es ist deutlich, dass das wesentliche und wirkliche Investment in der Wissensgesellschaft nicht in Maschinen und Werkzeugen sein wird, sondern im Wissen des Wissensarbeiters. Denn ohne dieses Wissen sind gerade die höchst entwickelten Maschinen unproduktiv.(21)

Aus vielen Gründen wandern viele Wissensarbeiter, die in Afrika ausgebildet wurden, und oft in Europa oder Amerika weiterstudierten, aus Afrika ab. Südafrika z.B. hat ein bedeutendes Defizit an ausgebildeten Handwerkern, Technikern, Krankenpflegern, Ärzten, Ingenieuren und Wissenschaftlern. Die Veränderungen in der Struktur der Wirtschaft verlangen nun aber weniger unqualifizierte und angelernte Arbeiter und mehr hoch- und höchstqualifizierte Wissensarbeiter. Obwohl Bergwerksarbeiter in Südafrika immer noch gefragt sind, hat dieser Bereich ebenso wie der landwirtschaftliche Bereich in den letzten Jahrzehnten Hunderttausende von Arbeitsplätzen verloren. Automatisierte Produktionsmethoden haben auch in anderen Industrien Arbeitsplätze vernichtet.

Gegenwärtigen Schätzungen zufolge verlassen rund 20.000 gutausgebildete professionelle Arbeiter jedes Jahr den Kontinent. Auf diese Weise verliert Afrika gerade die Ärzte, Krankenschwestern, Lehrer und Ingenieure, die es bräuchte, um den Zyklus der Armut und Unterentwicklung zu durchbrechen. Nach Angaben der Weltbank übersteigt die Rate der gutausgebildeten Migration 50%, zum Beispiel in Cape Verde, Gambia, den Seychellen, Mauritius und Sierra Leone.

Konflikte, Armut, tödliche Krankheiten verhinderten, dass Afrika mit reicheren Ländern um Wissensarbeiter konkurrieren könnte, die bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und politische Stabilität versprechen können. Migration ist natürlich kein neues Phänomen, aber die Beschleunigung der Emigration seit der Ära der Unabhängigkeit in den sechziger Jahren kam Afrika teuer zu stehen. Talente in fast allen Bereichen sind von der Migration betroffen – vom Fussballspieler aus der Elfenbeinküste, der von einem reichen europäischen Klub abgeworben wird bis hin zu Piloten aus Kenya, die heute für ausländische Fluglinien fliegen. Am schlimmsten betroffen ist aber der Gesundheitssektor.(22) Experten haben gezeigt, dass dieser Abfluss von Talenten nicht nur Afrikas ökonomisches Wachstum verzögert hat, sondern oft auch die Möglichkeiten für eine politische Transformation behinderte. Repressive Regimes verfolgten und vertrieben politische Dissidenten und Intellektuelle, die noch am ehestens Veränderungen hätten bewirken können. Dieses Defizit an Denkern und Intellektuellen verzögerte Afrikas Fortschritt in Richtung auf bessere Regierungen, mehr Demokratie und mehr Menschenrechte. Soumana Sako, der Sekretär der African Capacity Building Foundation in Harare, sagte: "Die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen sind auf die lange Sicht größer. Wie kann es zu einer einheimischen Reform kommen, wenn die Intellektuellen, die an der Spitze der Veränderungen sein sollten, das Land verlassen.

Ein „medizinisches Karussel“, in dem Ärzte und Krankenschwestern in reichere Länder abwandern, ist die Hauptursache der zum Teil völlig verwahrlosten Gesundheitsinfrastrukturen in armen Ländern, wie die medizinische Zeitschrift Lancet sagt. Ärzte und Krankenschwestern sind die wesentlichste Stütze jedes Gesundheitssystems. In Ländern, die sowieso bereits viel zu wenig Ärzte haben, hat der Verlust jedes einzelnen ernste Folgen für die Gesundheit aller Bürger. Das Problem ist in ganz Afrika südlich der Sahara dringend, wo 24 aus 28 Ländern nur eine medizinische Fakultät haben, und 11 gar keine. Jeder afrikanische Arzt und jede Krankenschwester, die auswandern bedeutet einen Verlust von $184 000 für Afrika. Die finanziellen Kosten für Südafrika, das 600 Graduierte an Neuseeland verloren hat, ist schätzungsweise $37 Millionen.(23)

Migration ist einerseits für die Gesellschaft ihrer Herkunft schädlich, wenn der Arbeitsmarkt da seiner am meisten produktiven und qualifizierten Mitglieder beraubt wird ("brain drain"). Andereseits haben viele Migranten ihr Können im Ausland entwickelt und verbessert und könnten zu einem "brain gain" beitragen, indem sie ihr Wissen und Können, ihre Fähigkeiten und ihre Technologie wieder in die Länder ihrer Herkunft übertragen. Dazu kommen Gelder, die sie nach Hause schicken und die da benutzt werden können, um Entwicklungen in Gang zu bringen.(24)

In vielen Ländern ist die Wissenschaftspolitik längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit, meint Abdoulaye Janneh, der Sekretär der UN Ökonomischen Kommission für Afrika (ECA) in Addis Ababa. Die Qualität der Ausbildung in den Wissenschaften und Ingenieurswesen nimmt auch ab, zum Teil, weil das Geld fehlt und es keine Laboratorien und Technologiezentren gibt, die auf der Höhe der Zeit sind. Nach Aussagen der UNESCO könnten relativ kleine zusätzliche Investitionen in Ländern wie Südafrika, Elfenbeinküste, Kenia und Zimbabwe, die bereits eine Wissenschafts- und Technologiebasis haben, Fazilitäten von Weltklasse herstellen, die die Region als Ganze entwickeln könnten.(25)

Interviews mit vielen Managern in Südafrika haben ergeben, dass das Fehlen gut ausgebildeter Wissensarbeiter eines der schwierigsten Probleme für die wirtschaftliche Entwicklung ist (Centre for Development and Enterprise – CDE). Ann Bernstein vom CDE meint: "Wenn man das volle Ausmaß der Krise begreifen will, muss man verstehen, dass Erziehung und Ausbildung in Südafrika massive Probleme haben. Und das wird auch noch mindestens eine Generation lang so bleiben. Die Frage ist: was machen wir inzwischen?” Es stellte sich übrigens heraus, dass formelle technische Qualifikationen nicht die einzigen Fertigkeiten waren, die fehlten. Die meisten Firmen meinten, dass der größte Mangel im Bereich der Erfahrung, Urteilsfähigkeit, und der sozialen Fähigkeiten liege.(26)

Andererseits ist der Mangel an gutausgebildeten Arbeitern inzwischen ein weltweites Problem, und auch Europa fehlen viele Fertigkeiten, die für die Wissensgesellschaft erforderlich sind. Z.B. fehlen jetzt schon 60.000 Techniker im Bereich der Netzwerktechnologie, und diese Zahl wird sich noch auf etwa 500 000 im Jahre 2008 erhöhen.(27)

Die Wissensgesellschaft wird, so meint Drucker, wahrscheinlich noch aggressivere Konkurrenzverhältnisse in den Nationen und zwischen den Nationen schaffen. Wissen ist universell zugänglich, meint er, da gibt es keine Ausrede für mangelnde Leistung. Es wird keine armen Länder mehr geben, nur noch ignorante. (Drucker Knowledge Work and Knowledge Society) Offener und schneller Zugang zu Information und Wissen, und die Fähigkeit Wissen zu interpretieren und zu absorbieren, und Wissen in gut durchdachte Entscheidungen umzusetzen werden bestimmen, ob eine Gesellschaft ein höhere Lebensqualität erreichen kann. (KnowNet Initiative) In Südafrika, aber auch in anderen afrikanischen Staaten wird diese Konkurrenz um hochqualifizierte Wissensarbeiter besonders scharf werden, denn gerade die Bestausgebildetsten aus dieser Gruppe werden nach Übersee abgeworben. Dazu kommt in Südafrika der Nachdruck der Regierung auf eine schnelle Transformation, durch die vor allem weiße Arbeiter durch schwarze ersetzt werden sollen. Einerseits entsteht dadurch eine noch schärfere Konkurrenz um hochqualifizierte schwarze Wissensarbeiter, andererseits weichen viele Weiße inzwischen in andere, vor allem englischsprachige Länder aus. Gleichzeitig ist das Erziehungswesen nicht in der Lage, hochqualifizierte Wissensarbeiter in der benötigten Anzahl und Qualität zu liefern. Obwohl die Firmen nun selbst beträchtliche Aufwendungen machen, die Ausbildung ihrer Arbeiter zu fördern, sind die Schwierigkeiten wegen der Versäumnisse der Apartheid­vergangenheit aber auch der ungleichen Entwicklungen der Gegenwart nur mit großem Aufwand einigermaßen zu bewältigen. (I-Net Bridge 20/06/2007) Bernstein schlussfolgert: Wenn die leitenden Kräfte in Politik und Ökonomie nicht klare Strategien entwickeln, wie sie alle vorhanden Fähigkeiten im Lande selbst und den globalen Märkten zu rekrutieren, behalten und gebrauchen, wird die südafrikansiche Ökonomie Schaden leiden und sich nicht so entwickeln, wie sie das könnte. (I-Net Bridge 20/06/2007)

Allerdings darf man “Information” nicht mit “Wissen” verwechseln. Neil Postman sagte in einer Rede vor der German Informatics Society: Information ist heute eine Ware, die an niemanden im Besonderen gerichtet ist, und von jeder Nützlichkeit ab­sieht. Information überschwemmt uns, wir ertrinken in Informationen, wir haben keine Kontrolle über sie, und wir wissen meistens nicht, was wir mit ihr anfangen sollen. Das Problem ist: wir haben keine kohärente Vorstellung mehr davon, wer wir sind und was unsere Welt ist, wir wissen also nicht, welche Information relevant ist und welche mit unserem Leben nichts zu tun hat. Auf diese Weise entsteht der falsche Eindruck, vor allem auch in den ärmeren Ländern der dritten Welt, wo es in erster Linie um die Verbesserung der Lebensbedingungen geht, dass wir unsere ganze Energie darauf verschwenden müssen, Maschinen zu produzieren, die uns mit noch mehr Informationen überschwemmen, und Ingenieure und Techniker auszubilden, die diese Maschinen entwickeln und bedienen können. Dabei wird völlig übersehen, dass ohne die kulturellen und interpretativen Wissenschaften, ohne einen Filter, der den Unsinn vom Sinn trennt, „Informationen“ weniger als wertlos sind. „Informationen“ können uns keine Antwort auf die fundamentalen Fragen geben, wie wir unser Leben humaner und sinnvoller gestalten können.(28)

Viele afrikanische Länder haben in letzter Zeit starke Wachstumstendenzen gezeigt; einige von ihnen investieren nun massiv in die Erziehung und Technologie, zum Beispiel Nigeria. Im Jahre 2003 hat es einen Satelliten entwickelt der die Umwelt überwacht. Im Jahr darauf bat die nigerianische Regierung die Unesco um Hilfe bei der Anayse der Wissenschaftspolitik und den Ausgaben in diesem Bereich und bei der Beurteilung der Curricula und der Kapazitäten der 75 Froschungsinstitute, 55 Universitäten und 44 Polytechnikons. Im Jahre 2006 investierte das Land $5 Billionen in einen Fonds für wissenschaftliche und technologische Entwicklung. Das Geld kam im wesentlich aus Einnahmen aus dem Ölexport. Ägypten und Südafrika haben ähnliche Erfolge. Südafrika zum Beispiel hat $3,1 Billionen in Forschungen im Bereich der Aeronautik, der Nuklearforschung, Chemie, Metallurgie und Landwirtschaft investiert, während Ägypten sich hauptsächlich auf Chemie und Ingenieurswissenschaften spezialisiert.(29)

Im Gegensatz zu entwickelten Wissensgesellschaften gibt es in Afrika immer noch die scharfe Trennung von Lohngeldern, die fast alle in die Konsumption gehen, und dem Kapital. Die neue Situation, dass Arbeiter (auch Wissensarbeiter) einerseits von ihrem Gehalt oder Lohn abhängig sind, und im Gegensatz zum Kapital stehen, anderer­seits kollektiv durch ihre Pensionsgelder und andere Ersparnisse die wirklichen Kapitalisten sind, zeigt sich in Afrika (außer in Südafrika) noch kaum. Der Pensionsfond besteht einerseits aus zurückgehaltenem Gehalt und ist daher „Gehalt“, gleichzeitig ist er aber in der Wissensgesellschaft mehr und mehr die hauptsächliche Quelle des Kapitals.(30) Auch dadurch entstehen ganz neue gesellschaftliche Strukturen. In Südafrika ist z.B. einer der größten Investoren an der Börse in Johannesburg die Public Investment Corporation, die vor allem die Pensionsgelder aller Staatsbeamten und aller assoziierten Institutionen (Schulen, Universitäten, Parastatals) verwaltet. So ergibt sich z.B. die Situation, dass die Gewerkschaften als Aktionäre der Betriebe auftreten, gegen die sie ihre Arbeiter in den Streik führen.

Die Wissensgesellschaft eröffnet eine Perspektive, die auf den Willen und die Befähigung der Menschen zu Selbstbestimmung setzt – ganz im Gegensatz zum technizistischen Begriff der Informationsgesellschaft. Nicht Rechnerleistungen und Miniaturisierung werden die Qualität der künftigen gesellschaftlichen Entwicklung bestimmen. Entscheidend wird die Auswahl des Nützlichen und die Fähigkeit zum Aushalten von Ambivalenzen und Unsicherheiten sein, die Gestaltung des Zugangs zu Wissen und der fehlerfreundliche Umgang mit dem Nichtwissen. Wissen wird zur Schlüsselressource, Bildung zur Bedingung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.(31)

 

Literatur:
  • Bayly, C. A. 2004. The Birth of the Modern World 1780–1914. Global Connections and Comparisons. Oxford: Blackwell
  • Cuvier, Baron G. 1827. Essay on the Theory of the Earth (Fifth edition., translated from the last French edition with numerous additions by the author and translator) with geological illustrations by Professor Jameson. London: William Blackwood.
  • [Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 41841 (vgl. Hegel-W Bd. 9, S. 501)]
  • Drucker, Peter F. 1994. Knowledge Work and Knowledge Society. The Social Transformations of this Century. The 1994 Edwin L. Godkin Lecture. Harvard University s John F. Kennedy School of Government. May 4, 1994 [http://ksgwww.harvard.edu/]
  • Jacks, Mzwandile 2007. Skills shortage lifts labour costs and price pressures. Business Report, June 15 [http://www.busrep.co.za/index.php?fSectionId=566&fArticleId=3884728]
  • Postman, Neil 2007. Excerpt in: Street Dogs: Welcome to the machine. (Pireupireum, Michel 2007). Business Day. Posted to the web on: 15 June 2007
  • Tuomi, Ilkka 2007. Economic productivity in the Knowledge Society: A critical review of productivity theory and the impacts of ICT. First Monday [http://www.firstmonday.org/]
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Anmerkungen:

1 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1979 (Theorie-Werkausgabe). Bd. 9, S. 501

2 Oltmer, Thorsten. Die Hottentotten-Venus. SPIEGEL special Geschichte: Afrika – Das umkämpfte Paradies. 22. Mai 2007

3 In Theory of the Earth schreibt Cuvier: “The Negroes, the most degraded race among men, whose forms approach the nearest to the brutes, and whose intellect has not yet arrived at the institution of regular governments, or at any thing having the least appearance of systematic knowledge, have preserved no sort of annals or traditions. They cannot, therefore, afford us any informatin on the subject of our present researches, though all their characters clearly shew us that they have escaped from the great catastrophe, at another point than the Caucasian and Altaic races, from which they had perhaps been separated for a long time previous to the occurrence of that catastrophe.” Cuvier, Baron G. 1827. Essay on the Theory of the Earth (Fifth edition., translated from the last French edition with numerous additions by the author and translator) with geological illustrations by Professor Jameson. London: William Blackwood. S. 183 “Whites were associated with mental dullness, and blacks with uncontrolled passions.” by the Chinese. Bayly, C. A. 2004. The Birth of the Modern World 1780–14. Global Connections and Comparisons. Oxford: Blackwell, S. 47

4 Friedrich Kirchner: Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe, von Carl Michaëlis, neubearbeitet. Leipzig 1907.[Heidelberg 1886]. S. 47

5 Oltmer, Thorsten 2007. Die Hottentotten-Venus. SPIEGEL special Geschichte: Afrika – Das umkämpfte Paradies. 22. Mai 2007

6 in Salerno wurde eine anonyme denkwürdige »Anatomie des Schweines« geschrieben. (Arno Borst: Religiöse und geistige Bewegungen im Hochmittelalter. Propyläen-Weltgeschichte, Ullstein Verlag. Bd. 5, S. 517

7 Ernst Haeckel: Gemeinverständliche Werke. Herausgegeben von Heinrich Schmidt-Jena, Leipzig und Berlin: Alfred Kröner, Carl Henschel, o. J. GW Bd. 3, S. 31f: „Diejenige hochentwickelte Disziplin, die wir heute vergleichende Anatomie nennen, wurde erst im Jahre 1803 geboren, als der große französische Zoologe George Cuvier (aus Mömpelgard im Elsaß stammend) seine grundlegenden »Leçons sur l'Anatomie comparée« herausgab und darin zum erstenmal bestimmte Gesetze über den Körperbau des Menschen und der Tiere festzustellen suchte.“

8 Muti killings on the rise in KZN. The Star 31 October 2007, 12:06

9 “A large part of humanity had been converted into long-term losers in the scramble for resources and dignity.” (Bayly, The Birth of the Modern World: 119)

10 Bayly, The Birth of the Modern World: 119

11 http://www.sabcnews.com/south_africa/education/0,2172,91354,00.html (Sapa)

12 Gumisai Mutume, Africa seeks to boost home grown high tech. Mail&Guardian Online. 01 November 2007 11:59

13 Thabang Mokopanele, UN report urges poor countries to open economies..Business Day online. 20 July 2007

14 Michael O. R. Kröher, Wie Deutschland im globalen Wettstreit siegen kann. Spiegel Online 07. April 2007

15 The SADC Protocol on Education and Training is part of the African Renaissance and all SADC governments have committed themselves to it. Mamphono Khaketla, the chairperson of SADC ministers of education, says enrolment for basic primary education averages between 71% and 85% for the SADC countries. "We are not at the same level of development, there are some countries which are fairly advanced, for example Mauritius and South Africa, but there are other countries especially those that come from a conflict situation who have to catch up." The meeting in Maseru is to prepare for the third conference of ministers of education of the African Union (AU) which was held in Johannesburg in August. http://www.sabcnews.com/africa/southern_africa/0,2172,153234, 00.html

16 Sue Blaine, New R6bn plan to teach millions to read. BusinessDay 21 August 2007. http://www.businessday.co.za/articles/national.aspx?ID=BD4A544234: Naledi Pandor gab zu: “SA had had little success with post-democracy adult literacy programmes — despite the government making the eradication of illiteracy a priority since 1994.”

17 Ongeleerde SA. Rapport 18/08/2007 http://www.news24.com/Rapport/Hoofartikels/0,,752-800_2167043,00.html

18 SABC July 20, 2007, 19:30

19 Brendan Boyle, Heavyweights clash over African growth. The Times. Jun 17, 2007) http://www.sundaytimes.co.za/PrintEdition/BusinessTimes/Article.aspx?id=493494. 17.06.2007

20 Drucker, Peter F. 1994. Knowledge Work and Knowledge Society. The Social Transformations of this Century. The 1994 Edwin L. Godkin Lecture. Harvard University. John F. Kennedy School of Government. May 4, 1994 [http://ksgwww.harvard.edu/]

21 Drucker Knowledge Work and Knowledge Society

22 Brain drain hits Africa. news24.com 24/04/2006 09:47  - (SA) 

23 Rich countries draining SA news24.com 27/05/2005 08:49

24 Olukayode Azooluwa Afolabi, Department of Psychology, Ambrose Alli University, Ekpoma, Edo State, Nigeria. & Moses Shaka Agbonkhese, World Police Group, U.S.A.: Migration and Development in Africa : A psychological Analysis.

25 Gumisai Mutume, Africa seeks to boost home grown high tech. Mail&Guardian Online. 01 November 2007 11:59

26 I-Net Bridge 20/06/2007, vgl auch Business and Democracy: Cohabitation or Contradiction? von Ann Bernstein und Peter L. Berger von Continuum International Publishing Group – Pinter (Taschenbuch – Juni 2000); The Role of Business in Democratic Transitions and Economic Development von Ann Bernstein und Peter L. Berger von Continuum International Publishing Group - Pinter

27 Jacks, Mzwandile 2007. Skills shortage lifts labour costs and price pressures. Business Report, June 15 [http://www.busrep.co.za/index.php?fSectionId=566&fArticleId=3884728]

28 Street Dogs: Welcome to the machine. Michel Pireupireum@bdfm.co.za Businessday: 02 February 2007 [http://www.businessday.co.za/PrintFriendly.aspx?ID=BD4A374253]

29 Gumisai Mutume, Africa seeks to boost home grown high tech. Mail&Guardian Online. 01 November 2007 11:59 Reprinted from UN Africa Renewal

30 Drucker Knowledge Work and Knowledge Society

31 Heinrich Böll Gesellschaft: http://www.wissensgesellschaft.org/


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