Back to: Gabriele Pfeiffer: Theatrical Performance
in the World Wide Web.
In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften.
Nr.9/2000f.
AUSSCHNITT aus einem Chat-Protokoll
mit Christoph Schlingensief
entnommen: Der Standard, http://www.derstandard.at [Zugriff:
16/12/2000]
14.12.2000
15:02 MEZ
"Das
war der Chat mit Schlingensief"
Ch. Schlingensief
- die zeit ist gut - die zeit
ist schlecht - die zeit ist genau wie wir sagt herbert marcuse
und ich schließe mich dieser meinung an. willkommen im
indischen programmierdschungel. dies ist meine erste teilnahme
an einem chat.
kalind
- sind sie nie online?
Ch. Schlingensief
- doch - sehr oft. ich habe
sogar einen nackenschaden und auf dem linken auge -1 dioptrie
rainheart
- und, aufgeregt?
Ch. Schlingensief
- ja - naßgeschwitzt.
mein körper läuft auf hochtouren. von frankfurt hier
hin geflogen - immense turbulenzen, drei haben gekotzt.
[...]
AllesTheater
- Was hat es mit Ihren neuesten
politischen Bestrebungen auf sich?
Ch. Schlingensief
- gut, daß diese frage
vom theater kommt.... die meisten verarbeiten den größten
teil ihrer zeit um zu leben, und das bißchen, das ihnen
von freiheit bleibt ängstigt sie so, daß sie alle
mittel aufsuchen, um das leben loszuwerden.
[...]
liebchen_0
- Schlingensief und die polemik:
Ein Mittel zum Zweck?
Ch. Schlingensief
- von wem?
[...]
spaghetti99
- Was halten Sie von "Journalisten",
die Online-RedakteurInnen als "Online-Lulus" bezeichnen?
Ch. Schlingensief
- was sind online-lulus?
Eliza Wiener
- Warum eigentlich ein Buch
zu dieser Container-Aktion?
Ch. Schlingensief
- weil man damit viel geld
verdienen kann und jeder nachlesen kann, daß haider am
ende ist und schüssel ein verräter.
[...]
sommer7
- Was haben Sie wirklich verdient
mit dieser Container-Aktion?
Ch. Schlingensief
- viele österreichische
steuergelder - 34.000 dm, eigentlich 40.000 aber bondy´hat
mir 6.000 abgezogen, weil sie sich neue möbel kaufen wollten.
die festwochen schwimmen im geld glaube ich.....
- Nickerchen
- Haben Sie einen Termin bei
Marboe? Werden Sie sich umarmen?
Ch. Schlingensief
- ja er hat mich gerade am
flughafen abgeholt und wir wollen uns nach der veranstaltung
heute abend nicht nur umarmen, sondern auch streicheln, ein kuss
sollte auch drinnen sein.
Nickerchen
- Eigentlich sollten Sie ja
Jörg Haider ganz fest in den Arm nehmen. Würden Sie
das tun?
Ch. Schlingensief
- ja, selbstverständlich
würde ich haider umarmen, obwohl das leben zur qual wird
ist der tod nicht jedesmal erlösung.
Emmanuel Goldstein
- können sie das 'gefühl'
beschreiben, wenn man zwischen zwei welten steht?
Ch. Schlingensief
- es ist eine innere zerrissenheit,
die man als äußerst produktiv beschreiben kann. man
fühlt sich sicher, doch die innere paranoia behauptet das
gegenteil.
china
- Harald Schmidt arbeitet bewusst
mit Zynismen. Auch einige Ihrer Aktionen in U3000 wirken nicht
ganz unzynisch. Wo sehen Sie den Unterschied?
Ch. Schlingensief
- ich glaube nach der aera
des zynismus nun einen zeit des pathos anbrechen wird, wichtig
dabei ist, ich meine ein persönliches ich-bezogenes pathos
und kein haider'sches massenbetrugs-pathos.
schaca
- Wie entstand die Idee zur
Container Aktion, abgesehen davon dass sie Big Brother Fan sind?
Ch. Schlingensief
- ich hatte vor drei jahren
an der volksbühne in berlin im theaterraum ein hotel errichtet,
in dem der zuschauer acht tage lang wohnen konnte und dabei von
anderen zuschauern beobachtet werden konnte. außerdem habe
ich schon 93 in einem asyl-bewerberheim gedreht, auch das bestand
aus containern. wir sollten big brother nicht so hoch ansetzen.
[...]
odb
- Würden Sie sich als
einen Revolutionär bezeichnen?
Ch. Schlingensief
- nein
china
- Inwiefern kann Pathos subversiv
sein? Wollen Sie überhaupt subversiv sein?
Ch. Schlingensief
- pathos ist eine form von
selbstbeschmutzung. selbstbeschmutzung ist eine sucht, suchtverhalten
ist meist subversiv, weil es dem idealzustand entgegenarbeitet.
[...]
baf
- glauben sie, dass österreich
rechter ist als deutschland, abgesehen von den regierungen?
Ch. Schlingensief
- nein - ganz sicher nicht.
ich glaube auch nicht mehr an die trennung von rechts und links.
der feind sitzt in der neuen mitte, die sich als zentrum betrachtet
und daran scheitern wird.
sommer7
- Wie finanzierne Sie Ihre
Filme?
Ch. Schlingensief
- ich mache keine filme mehr,
weil ich kein geld dafür bekomme. meinen letzten film hat
mtv produziert - u3000. leider darf man, wenn man nicht selber
produziert auch nicht selber schneiden. schweinerei!
sommer7
- Ich bedaure sehr, dass Sie
keine Filme mehr produzieren
Ch. Schlingensief
- ich auch
ElBarto
- wer ist dann ihrer meinung
nach der "freund" ? eine dritte dimension neben links,
mitte, rechts gibt es ja wohl kaum ...
Ch. Schlingensief
- wer mich zum freund hat braucht
keine feinde mehr.
schaca
- hat die container aktion
die von ihnen gewünschte wirkung erziehlt, oder haben sie
zum größten teil blind zugeschlagen?
Ch. Schlingensief
- ich verstehe diese aktion
wie einen neubeginn. gerade deshalb weil inszenatorische vorgaben
frei interpretierbar waren. das ist das theater der zukunft.
baf
- die trennung von rechts und
links ist durchaus gegeben - sonst gäbe es keine polarisierung,
wie sie in österreich vor allem bei ihrem container-projekt
zu tage gekommen ist.
Ch. Schlingensief
- wir sollten uns nicht von
dieser trennungsstrategie der 60er-jahre blenden lassen. die
demonstranten haben ja eindrucksvoll bewiesen, daß das
runterreissen der fpö-flagge kein verschwinden der fpö
bedeutet. ich glaube widerstandsbewegungen lösen sich in
widerspruchsbewegung auf. bin ich rechts widerspreche ich mir,
bin ich links ebenfalls.
[...]
Nomade
- Haben Sie sich beim container
aus Angst doubeln lassen?
Ch. Schlingensief
- nein - ganz im gegenteil.
die stapo hatte uns empfohlen zwei schlingensief hinzustellen,
weil die attentäter dann größere zielchancen
hätten. äußerdem wäre der tod eines schlingensiefs
dann nur noch symbolisch gewesen und symbole sind scheiße.
oder was halten sie von eine symbolischen operation?
china
- wo liegt der inszenatorische
unterschied zwischen aktionen wie dem container, U 3000 un einem
film? Und: was interessiert Sie davon momentan am meisten?
Ch. Schlingensief
- ich kann da kaum unterscheiden.
als zukunftsmodell würde ich mir metergroße kameras
wünschen, kaum noch beweglich, und dann käme der schauspieler
zur kamera und nicht mehr die kamera zum schauspieler.
Tepp Ich
- ist das ubahn fahren nicht
ein abklatsch von taxifahren ?
Ch. Schlingensief
- passen denn so viele in ein
taxi rein? und darf man sich dort mit farbe beschmieren und einem
fahrgast fünf möhren in den arsch stecken? was sagt
matthew barney dazu? wir sollten ihn fragen.
Nickerchen
- Wie empfinden Sie die Macht,
die Sie innehatten, während der Containeraktion? Die Macht
zu machen, die Macht der Aufmerksamkeit, ...?
Ch. Schlingensief
- diese macht, wenn überhaupt,
dann war sie angsterfüllt. wenn angst macht wäre, könnte
man viel verändern. leider funktioniert das nicht. aber
warum eigentlich nicht?
Eliza Wiener
- Wie steht's eigentlich mit
der inneren Verbundenheit mit der schizophrenen Natur der Österreicher?
Ch. Schlingensief
- sehr sehr gut, habe mittlerweile
eine österreichische freundin und diese schizophrenie ist
mehr als geil, romantisch und hoch politisch.
[...]
AllesTheater
- Gibt es neue Projekte mit
Bondy?
Ch. Schlingensief
- im nächsten jahr, wenn
bondy leiter der festwochen ist, arbeiten wir wieder zusammen.
schaca
- haben sie manchmal angst,
dass ein projekt von der öffentlichkeit allgemein verdammt
wird? oder sind sie trotz des scheinbaren chaos ein genialer
Planer?
Ch. Schlingensief
- meine projekte sind alle
ernstgemeint und da ich das weiß, fällt es mir nicht
so schwer, wenn leute anderer meinung sind. ganz im gegenteil,
so etwas spornt an und kann ziemlich extrem enden.
[...]
glorius
- hey schlingensief, mann,
du willst die gesellschaft verändern... wie sieht deine
neue gesellschaft aus?
Ch. Schlingensief
- hey dubi dubi
baf
- vor zwei jahren beim steirischen
herbst haben sie eine nachfolge-aktion angekündigt - wird
es die geben?
Ch. Schlingensief
- ich weiß gar nicht,
ob es den steirischen herbst überhaupt noch gibt..... bis
jetzt haben sie noch nicht angerufen.
[...]
glorius
- hey leute hört mal auf
mit diesen bla bla gesprächen - wir wollen von christoph
wissen: was ist schlecht in unserer gesellschaft? was wäre
besser? wo is die message des ch. S ?
Ch. Schlingensief
- lieber glorius: das problem
mit leuten aus deine generation ist, daß sie nichts mitgemacht
haben, keine drogen, keine politik, das hat dich so herzlos gemacht
(von diedrich diederichsen)
[...]
wiedersoeine
- Ich habe Sie das letzte Mal
in einer Zib3-Sendung gesehen, ganz schön irritiert haben
Sie da Ihre politischen Gegenüber - das war sehr erfrischend!
Ch. Schlingensief
- genau diesen teil finden
sie auch in unserem buch zur wien-aktion "ausländer
raus" bei suhrkamp. selten hat sich eine fpö-kulturbeauftragte
dermaßen peinlich benommen, daß man ihr vorgeschlagen
hat, den beruf zu wechseln. ich glaube sie hieß unterreiner.
was ist bloß aus ihr geworden?
schaca
- was sollte man in einem referat
über sie unbedingt erwähnen?
Ch. Schlingensief
- fortsetzung folgt.
[...]
Eliza Wiener
- Warum würden Sie ihr
Buch besonders empfehlen?
Ch. Schlingensief
- weil darin leute wie turnherr,
jelinek, seesslen, bierbichler schreiben. das ganze ist wie ein
pfadfinderbuch. so eine art handbuch der stadtguerillia.
sommer7
- Was planen Sie für heute
abend im Schauspielhaus?
Ch. Schlingensief
- ich werde lesen und singen,
tanzen und springen, etwas essen und trinken, predigen, schwitzen
und ruhen. vielleicht küsse ich bondy auch auf die stirn.
[...]
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