Enzyklopädie vielsprachiger Kulturwissenschaften

Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse

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Gertrude Durusoy (Izmir) [BIO]

Dreisprachige kulturwissenschaftliche Termini im Vergleich

 

Im Program unserer Tagung sind die Beiträge der ersten Sitzung, insbesondere diejenigen von Gertrud Gréciano (Strasbourg) und Herbert Eisele (Paris), als grundlegend aufzufassen. In beiden Fällen wurde wissenschaftlich und sehr gründlich nicht nur auf die Definierbarkeit oder die Definition der Begriff eingegangen, sondern es wurde auch gezeigt, welche Konsequenzen mit dem Gebrauch gewisser Begriffe erzielt werden können.

Dadurch kann ich mich nun sehr kurz mit einer Infragestellung der Enzyklopädie-Begriffe des Instituts in verschiedenen Sprachen befassen und zwar gestützt auf die Texte der Online Research Cooperation (ORC) und der virtuellen Ausstellung "Kulturwissenschaften und Europa", die jeweils in drei (Deutsch, Englisch, Französisch) bzw. zwei Sprachen (Deutsch, Englisch) vorkommen. Es handelt sich um einige Bemerkungen zum empirischen Umgang und Einsatz von einigen der Begriffe, die in der geplanten Enzyklopädie vielsprachiger Kulturwissenschaften geläufig sind.

Vor der Konferenz im Palais de l'UNESCO in Paris, im September 1999, als es hieß, die Plenarvorträge und die Beiträge der Sektionsleiter in die drei geläufigsten Sprachen des Instituts für die ORC zu übersetzen, begann die Schwierigkeit schon mit der dreisprachigen Benennung der Konferenz: Internationale Kulturwissenschaften - International Cultural Studies - Etudes Culturelles Internationales. Die Aufgabenstellung bestand darin, sicher zu gehen, daß die Teilnehmer sich unter den Begriffen in der jeweiligen Sprache eine und dieselbe Realität vorstellen können sollten. Geht man vom Deutschen aus, könnte man im Französischen die Sciences Huamaines darunter verstehen und die angelsächsische Welt kann ohne weiteres die Vorgabe als cultural studies auffassen.

So wie in der dreisprachigen Fassung des Institutsnamens im Französischen eine Disparität auftaucht, indem die Literaturprozesse zu litterature et civilisation werden und im Englischen cultural studies hinzugekommen sind, könnte man den Eindruck bekommen, daß es sich jeweils um verschiedene Schwerpunkte handelt. Hier möchte ich bewußt nicht in die viel diskutierte Divergenz der Begriffe culture und civilisation im Französischen eingehen. Ich bin aber überzeugt, daß dies besonders in der Diskussion zu diesem präzisen Fall einen entscheidenden Beitrag leisten wird, da im Saal die Mehrheit der beteiligten Übersetzer (Eisele, Greciano, Durusoy, Thorpe) anwesend sind.

Wenn man diesen Titel und diejenigen der übertragenen Referate genau betrachtet, kann man feststellen, daß bei einer Übersetzung ins Französische aus dem Deutschen meistens Sciences culturelles für Kulturwissenschaften verwendet wird, während bei einer Übersetzung aus dem Englischen häufig Etudes culturelles gebraucht wird. Will man dem im INST ursprünglich deutsch verwendeten Termin Kulturwissenschaften treu bleiben, muß man die Etudes auf das Niveau der Sciences erheben. Dazu müßten wir Stellung nehmen.

Außerdem bin ich der Meinung, dass uns die hispanische bzw spanische und slawische Dimensionen fehlen. Wie fassen, schon rein sprachlich, zB. die Lateinamerikaner die Cultural Studies auf? Handelt es sich um Estudios oder um Sciencias? Oder um einen ganz anderen Begriff? Da sollten wir einen Dialog anknüpfen. Und wie sieht es mit dem Begriff Kulturwissenschaften in Mittel- und Osteuropa aus? Gerade mit der Perspektive auf eine "Enzyklopädie vielsprachiger Kulturwissenschaften" scheint mir dieser Aspekt wichtig. Im Rahmen dieser Arbeitsgruppe werden wir zudem die Chance haben, die arabische und die türkische Färbung der Begriffe Kultur und Zivilisation näher kennenzulernen.

Ein anderer und - historisch gesehen - neu geprägter Begriff ist die Culture of Peace. Ich benutze ihn bewusst auf Englisch, weil in den deutschen Texten des INST keine Friedenskultur vorkommt und weil die UNESCO im Französischen Cultivons la Paix verwendet. Hier bemerken wir, daß das Französische durch den Einsatz des Imperativs eine Dynamik vermittelt, die in den beiden anderen Sprachen nicht vorhanden ist. Es ist wichtig, in diesem Falle auf die semantische Vielschichtigkeit des Begriffs hinzuweisen, denn es handelt sich tatsächlich nicht um eine reine Auffassung, um den Tatbestand einer Kultur des Friedens, sondern um eine kulturelle Praxis, die die Keime des Friedens zum Aufblühen bringt.

Im INST wird seit Jahren in den verschiedenen Konferenzen betont, wie groß die Rolle des "Verbindenden der Kulturen" ist; in diesem Zusammenhang möchte ich auf Herbert Arlts Referat von 1999 in Paris "Kulturwissenschaften und 'Culture of Peace'" hinweisen. Meines Erachtens zeugt dieser Begriff von einer der fundamentalen Stellungnahmen des INST und seiner Tätigkeit in der Zukunft. Wir könnten darüber diskutieren, ob ein deutsches Äquivalent wirklich nicht einzusetzen ist. Das Englische dominiert in vielen internationalen Bereichen und die UNESCO hat das Französische und Englische geprägt und beide Ausdrücke decken dieselbe Realität ab, und zwar die Tatsache, daß der Friede keine Vorgabe als solche darstellt, sondern daß die aktive Teilnahme eines jeden Menschen diese Realität herstellen könnet. Im Türkischen gibt es den berühmten Spruch Atatürks "Yurtta Sulh,Cihanda Sulh", der "Friede im Lande, Friede auf der Welt" bedeutet und auf die Dimension bzw. die Interaktion der Bemühungen hinweist.

In der Vergangenheit hat man immer von Sprachkenntnissen gesprochen und von der Rolle der Sprachen in der Verständigung auf internationaler Ebene. Unsere Zeit hat gelehrt, daß Sprachkenntnisse ohne Kulturkenntnisse zu großen Misverständnissen führen können; dadurch ist die "Culture of Peace" als Aufbauen des Friedens, als Pflege des Friedens (wie bei einer Pflanze, im Sinne des französischen cultivons) als Nebenwirkung der Kulturwissenschaften anzusehen. Jede Kultur ist auf Dauerhaftigkeit ausgerichtet, deshalb sind auch alle kulturellen Produktionen, ob bewußt oder unbewußt, einerseits Zeichen der eigenen Zeitspanne und Wunsch, diese Zeitspanne zu überleben. Dieser wesentliche Charakterzug des Kunstwerks ist, ob bewußt oder unbewußt, auf eine Friedenszeit ausgerichtet, die das Zeitlose, das Ewige gewähren würde. Sprachlich braucht man auch in diesem Falle einen Konsensus im Rahmen der Vielsprachigkeit des Begriffs, damit sich Inhalt und Wortlaut von Sprache zu Sprache decken.

Auf einige Begriffe der Enzyklopädie wird hier in Kusadasi in extenso eingegangen, deshalb werde ich mich nicht mit der dreisprachigen Fassung von Begriffen wie Virtualität, Zivilgesellschaft oder Polylog auseinandersetzen in der Hoffnung, daß die Referenten auch auf ihren dreisprachigen Aspekt eingehen werden. Ausserdem scheinen mir andere Begriffe wie Forschung - Research- Recherche, Kunst Art Arts, Information Information- Information, Realität Reality Realité in den drei erwähnten Sprache eine gute semantische Entsprechung zu genießen, so daß aus der Vergleichsperspektive nicht viel zu ihrem Einsatz zu sagen ist, da er unproblematisch ist. Auch bei dem Begriff Transnationalität, der zwar später in den Diskurs gebracht wurde, sehe ich in den drei Sprachen keine große Divergenzen. Ich schlage vor, daß einer konkreten Diskussion hier mehr Zeit eingeräumt werden soll, als meinen Aussagen. Deshalb breche ich mit den Ansätzen ab und erwarte einen aktiven Polylog zum Thema.

 

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