Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 13. Nr. September 2005

Kulturkonflikt in USA: Österreichische ExilantInnen 1933-45

Helmut F. Pfanner (Nashville, Tennessee)
[BIO]

 

Die zwei Seiten des Lebens im Exil sind weithin in die Erfahrungen heutiger Menschen eingedrungen. Jährlich häufen sich mündliche wie schriftliche Zeugnisse die den Problemkreis, wie schwer der Verlust von Heimat das tägliche Leben belastet, behandeln. Gleichzeitig mehrt sich die Liste bedeutender literarischer Werke, die von ExilantInnen geschrieben wurden, darunter solche von Vergil, Dante, Hugo, Heine, Brecht, Thomas Mann, Solschenizyn und Salman Rushdie. Wie verhält es sich in dieser Hinsicht mit den zahlreichen österreichischen AutorInnen, die von 1938 (manche schon von 1933) bis 1945 infolge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft des 'Dritten Reiches' entweder freiwillig oder gezwungenermaßen das 'Brot der Fremde' aßen? Während der letzten Jahre sind eine Menge Einzeluntersuchungen und auch Sammelwerke erschienen, die auf diese Frage eingingen, wobei neben der Grundforschung(1) auch der hermeneutischen Untersuchung(2) ausgiebig Platz eingeräumt wurde. Hin und wieder geht die Forschung auch der Frage nach, wie sich die ExilantInnen in der Kultur ihres Gastlandes zurecht fanden, wobei ich hier auf meine eigene Arbeit Bezug nehme, in der ich mich u.a. mit dem Verlauf des deutschen und österreichischen Exils in den Vereinigten Staaten auseinandersetzte. Da mein Buch u.d.T. Exile in New York vor zwanzig Jahren nur auf Englisch erschienen ist,(3) nutze ich heute diese Gelegenheit, einige der darin enthaltenen Gedanken in deutscher Sprache, jedoch inhaltlich durch neue Erkenntnisse ergänzt, vorzutragen.

Oft machten die österreichischen Flüchtlinge der dreißiger Jahre ihre erste Bekanntschaft mit der Verschiedenheit in der Mentalität der amerikanischen Menschen bereits bevor sie in New York an Land gingen. Da sie es nicht gewohnt waren, mit Staatsbeamten zu scherzen, waren sie darüber erstaunt, wie die Zöllner, die bei ihrer Ankunft im Hafen von New York ihre Papiere noch an Bord des Schiffes prüften, auf ihre in Europa angenommene Ängstlichkeit und Unterwürfigkeit reagierten und auch versuchten, sie aufzumuntern, ja gelegentlich sogar die Bedingungen eines Visums verbesserten oder ihnen eine finanzielle Einstiegshilfe zukommen ließen.(4) Ähnlich positiv mutete es den Neuankömmlingen später an, als sie feststellten wie Polizeibeamte und Menschen hinter Schaltern in Regierungsstellen ihnen in mancher Hinsicht behilflich waren, anstatt sie wie früher in Europa anzuschreien und wegen lächerlicher Vergehen festzunehmen. Andererseits fanden sich Flüchtlinge, die kurz zuvor der Verfolgung durch die Gestapo entkommen waren, in neue Bedrängnis versetzt, wenn sie wegen unzureichender Papiere oder des Verdachts der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei auf Ellis Island festgehalten wurden und ihnen schlimmstenfalls sogar die Einreise in die Vereinigten Staaten verweigert wurde.

In den meisten Fällen, d.h. heißt, wenn sie nicht wie etwa Max Reinhardt und Stefan Zweig zur kulturellen Elite der österreichischen ExilantInnen gehörten, deren Namen in Amerika bereits vor ihrer Ankunft bekannt waren, hatten die Flüchtlinge während der ersten Periode ihres Lebens in den USA einen gesellschaftlichen und beruflichen Abstieg in Kauf zu nehmen. Dabei registrierten sie es wohl positiv, wenn in Amerika Titel und akademische Zeugnisse weniger als praktisch verwertbare Erfahrungen geschätzt wurden; aber es schmerzte sie eben doch, ohne die Verwertung ihrer intellektuellen Fähigkeiten das tägliche Brot verdienen zu müssen, und wenn sie, die im Durchschnitt keinerlei körperliche Arbeit gewohnt waren, sich mit Gelegenheitsarbeiten zu begnügen hatten. Manche Ehemänner und Familienväter waren sogar auf die tatkräftige Unterstützung ihrer Ehegattinnen angewiesen, nicht nur weil es diesen leichter fiel, in dem ohnehin - zumindest bis zu Amerikas Eintritt in den Zweiten Weltkrieg Ende 1941 - von der Großen Wirtschaftskrise stark betroffenen Land als gering bezahlte Hausgehilfinnen angestellt zu werden, sondern auch weil es den Frauen infolge ihrer gewöhnlich damals in Europa noch weit zurückliegenden akademischen Ausbildung des weiblichen Geschlechts psychologisch besser gelang, die europäischen Dünkel physischer Arbeit gegenüber zu überwinden.

Inwieweit die damals in Europa sicher noch weit verbreitete Voreingenommenheit gegenüber körperlicher Arbeit und soziale Erniedrigung das Exilerlebnis der Flüchtlinge mitbestimmte, zeigt sich an dem literarischen Motiv des zu einem Dackel gewordenen Bernhardinerhundes, dem man in mehreren Werken der ExilantInnen begegnet: So behauptet der Dackel in Amerika, er sei vor seiner Flucht in Wien ein Bernhardiner gewesen, dem man jeden Tag Kaiserschmarren und Wiener Schnitzel vorgesetzt habe.(5) In Friedrich Heydenaus autobiographischem Roman Auf und ab erhält der Protagonist nach einer gesellschaftlichen Veranstaltung von einem anderen Gast die Einladung, in dessen Auto nach Hause gefahren zu werden; doch er lehnt das Angebot ab, weil er sich schämt, seine billige Unterkunft in einem Armenviertel New Yorks bekannt zu geben.(6) Friedrich Torberg hat die Satire auf diese Art sozialer Minderwertigkeitskomplex auf die Spitze getrieben in einer Anekdote, worin ein früher in Wien das bessere Leben gewohnter Mensch in einem Park einem Landsmann begegnet, den er fragt, ob er ihm einen "Dollar" leihen könne, was der andere ablehnt. Daraufhin bittet der erste den zweiten darum, ihm doch wenigstens eine "Zigarette" zu geben, was dieser wiederum nicht vermag. Letztlich fleht der erste den zweiten an: "Dann trag mich doch ein wenig."(7) Was in diesen literarischen Motiven und Anekdoten sich noch humorvoll anhört, konnte allerdings zu Arroganz werden, nämlich dann, wenn die ExilantInnen ihren sozialen Abstieg dadurch zu kompensieren versuchten, indem sie, was auch vorkam, sich über ihre amerikanischen Gastgeber überheblich äußerten und deren angeblichen Mangel an kultureller Tradition bedauerten.

Natürlich gab es auch genügend ExilantInnen, welche die Lebensgewohnheiten der durchschnittlichen Amerikaner von einer positiven Warte aus beurteilten. Geschätzt haben sie es vor allem, wenn die Menschen ihrer neuen Umgebung weniger der Vergangenheit anhingen, als dies bei ihren früheren Mitbürgern in Europa der Fall war. Das Leben in der Gegenwart, so schien es den ExilantInnen wenigstens, bedeutete den Amerikanern mehr als eine jahrhundertealte Geschichte, wobei sie auch an das Goethe-Wort gedacht haben mögen: "Amerika, du hast es besser."(8) Andererseits beobachteten die ExilantInnen bei ihren amerikanischen Gastgebern auch eine innere Ruhelosigkeit und das Verlangen nach ständig Neuem, das sich negativ auf menschliche Beziehungen und auf die künstlerische Kreativität auswirkte. Besonders im Verhältnis der Geschlechter untereinander, in dem der amerikanische Mann in den Augen vieler Flüchtlinge den Kürzeren gezogen habe, sahen letztere eine Fehlentwicklung; und was das Ästhetische anlangt, so konnten sie beim Anblick der kühn emporstrebenden und einen neuen architektonischen Maßstab setzenden Gebäude in den amerikanischen Städten nicht gegen die im gleichen Blick eingefangenen ungepflegten Plätze abgrenzen.(9)

Vieles, was den österreichischen Neuankömmlingen in ihren Begegnungen mit AmerikanerInnen einen Kulturkonflikt und schlimmstenfalls auch Kulturschock verursachte, fällt einfach in den Bereich tradierter Gewohnheiten. Wenn der bekannte Opernintendant Rudolf Bing bei seinem ersten Besuch in Amerika seine Schuhe am Morgen ungeputzt vor seinem Hotelzimmer vorfand, so wie er sie am Vorabend dort hingestellt hatte, so wusste er noch nicht, dass die damals in Europa noch verbreitete Sitte des Schuhe-Putzens durch das Hotelpersonal in Amerika nicht üblich war.(10) Bei manchen ExilantInnen war es auch nur eine Frage der Zeit, bis sie merkten, dass sie rein äußerlich auffielen, weil man es ihren Kleidern, z. B. weiten statt eng anliegenden Hosen, ansah, dass sie Flüchtlinge waren. Und während das amerikanische Frühstück mit Speck und Eiern den meisten zusagte, fanden sie es unappetitlich, wenn sie es auf Grund des günstigen Preises in einem so genannten drugstore einnehmen mussten in engster Nachbarschaft zu Toilettenpapier, Abführmitteln und Einlaufspritzen. Über das amerikanische Essen haben sich viele beklagt, wobei man nicht übersehen sollte, dass sich diese Klage weniger auf Privathaushalte bezog, in denen zu verkehren die Flüchtlinge ohnehin wenig Gelegenheit hatten, als auf organisierte Mahlzeiten in Schulen und Kirchen, in denen Eintopf und Salat bis heute den Standard darstellen. Dass dabei, wie es damals noch in vielen amerikanischen Restaurants der Brauch war, kaum alkoholische Getränke zur Verfügung standen, fanden die Neuankömmlinge ebenfalls sehr befremdlich. Dasselbe gilt für das amerikanische Brot, auf das der Aphorismus von Raoul Auernheimer damals noch voll zutraf: "Das bitterste in Amerika ist das süße Brot."(11)

Inzwischen haben sich manche dieser Dinge geändert, vor allem in Orten mit einer Konzentration von Nachkriegseinwanderern. Was sich allerdings bis in die Gegenwart herein gehalten hat, ist die billige Bauweise von kleinen Privathäusern und Mietwohnanlagen, wie überhaupt die Unterschiede im Lebensstandard der Amerikaner kaum irgendwo deutlicher sichtbar werden als in der Spanne der Bauweise von den an europäische Paläste erinnernden Luxusvillen der Reichen zu den eher wie Vogelhäuschen anmutenden Hütten der Armen. So bedauerten es auch die ExilantInnen häufig, dass die Trennwände in ihren billigen Wohnungen und Hotels so dünn waren, dass sie ständig vom Lärm der Nachbarn belästigt wurden, die ohnedies, wie manche feststellten, anscheinend nicht zu leben vermochten, ohne dass das Radio - heute ist es das Fernsehen - ihren Alltag überflutete.

Als sehr befremdend registrierten die ExilantInnen auch die Einstellung der Amerikaner zum Tod, oder besser gesagt dessen ostentative Verdrängung aus dem täglichen Leben. Ja sogar bei der Leichenschau werde, konstatierten einige, den Toten noch der Anschein des Lebens versetzt, indem man die Leichen in einbalsamiertem Zustand zur Schau stelle und sich für die Todesanzeigen in den Zeitungen Bilder aus der Jugendzeit der Verstorbenen bediene. Dieser Brauch veranlasste Auernheimer zu der Aussage: "Amerika ist das Land der fröhlichen Toten. Kaum ist hier einer im Flugzeug-Absturz zu Kohle verbrannt, so sieht man ihn im Morgenblatt mit einem strahlenden Lächeln aus seiner Asche wieder auferstehen. Der Amerikaner ist ein geborene Vogel Phoenix. [...] Der Tod ist hier ein Tabu; der Amerikaner nimmt ihn nur in Form des Überlebens zur Kenntnis.(12)

Beobachtungen dieser Art reflektieren die allgemeine und bis heute anhaltende Verherrlichung des Jungseins in der amerikanischen Gesellschaft. Thematisch nicht unweit davon entfernt ist die große Bedeutung, die der Sport, vor allem wenn es sich um die Zuschauersportarten Baseball, Football, Basketball und Eishockey handelt, im amerikanischen Alltag einnimmt. Den meisten ExilantInnen aus Österreich entbehrten dafür jegliches Verständnis, oder es hat in ihren Werken keinerlei Spuren hinterlassen.

Obwohl die Menschen im amerikanischen Exil vieles zu bemängeln hatten, rechneten sie es ihrem Gastland hoch an, dass es ihnen die Freiheit gab, so zu leben, wie sie es, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umständen entsprechend, zu tun vermochten. Dass es den meisten von ihnen, die früher ihr Einkommen durch Schreiben bestritten hatten, nicht möglich war, auch in USA davon zu leben, mussten sie bald einsehen; und sie haben es auch richtigerweise als die Folge ihres Vertriebenseins in ein Land mit freier Wirtschaft und mit ganz anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen erkannt. Dementsprechend ironisch lesen sich ihre literarischen Darstellungen von ExillantInnen, die immer wieder entgegen allen besseren Erfahrungen versuchen, in den amerikanischen Literaturbetrieb einzusteigen. Inzwischen schon öfter zitiert worden ist jene Kurzgeschichte von Alfred Polgar mit dem Titel Sein letzter Irrturm. Der Protagonist schreibt einen Text immer wieder neu, weil er einen Verleger befriedigen will, der sein Manuskript mit immer neuen Beanstandungen seiner Kulturverstöße zurückweist, bis der Autor im Verlagsbüro aus dem Fenster springt. Dieser Sprung stellt sich als sein "letzter Irrtum" heraus, weil der Raum, aus dem der Mann springt, sich in einem oberen Stockwerk eines New Yorker Wolkenkratzers befindet.(13)

Bedeutend weniger verfremdet und geradezu pathetisch lauten die aus ähnlichen Erfahrungen gemachten Bemerkungen von Oskar Jellinek in einem Brief vom 25. Dez. 1940:

Was mich betrifft, stehe ich nicht bloß dem fürchterlichen Mangel, in deutscher Sprache zu wirken (in der allein ich Wirkung üben und persönliche Wirksamkeit entfalten kann), gegenüber - sondern einem überhaupt ganz anders akzentuierten Geistesleben. Es ist an sich sehr rege und wohl in seiner Art bedeutsam, aber: selbst wenn ich in diesem Zusammensturz meiner Welt überhaupt zu einem Werk gelangen könnte, es übersetzt und veröffentlicht werden sollte - meine Musik stieße auf fremde Ohren, eine andere Hörenswelt. Sie hören hier auf einer anderen Skala, ihr innerer Rhythmus ist wesensverschieden von dem meines Tonfalles, meiner Tonlage, meiner Tonlandschaft. Mein zur Gestaltung etwa reifer Erlebnisstoff trifft auf keinen korrespondierenden Seelenboden. Ehe ich aber zu einem hier betonten Erleben, das sich in Gestalten umsetzt, gelange, können Jahre vergehen.(14)

In seiner Klage über die Unmöglichkeit, den Erwartungen amerikanischer Leser in kultureller Hinsicht gerecht zu werden, berührte Jellinek noch ein weiteres Problem, das er mit vielen anderen ExilantInnen teilte, nämlich das des Verwurzeltseins in einer anderen Sprache.

Es mag heute atavistisch anmuten, wenn man erfährt, dass vor zwei Generationen Menschen in Europa aufwuchsen und einen intellektuellen Beruf ausübten, ohne etwas Englisch zu sprechen. Tatsache ist jedoch, dass bis nach dem Zweiten Weltkrieg das Studium der englischen Sprache in Mitteleuropa noch weit hinter der lebenden Sprache Französisch und selbst hinter der toten Sprache Lateinisch zurücklag. Infolgedessen sind viele ExilantInnen der dreißiger und vierziger Jahre ohne die Grundkenntnisse der englischen Sprache in Amerika angekommen. Dementsprechend enthalten ihre Berichte viele Beispiele sprachlicher Probleme und, was den Gebrauchswert von Englisch als Literatur- und Berufssprache anbelangt, mehr oder weniger erfolgloser, wenn auch hartnäckiger Versuche, die Sprache ihres Gastlandes zu erwerben. Diese Situation spiegeln deutlich diese Verse von Ernst Lothar wider: "Magister gar, Doktoren/ Lernen das ABC./ Matura ist verloren,/ die Reife wächst aus Weh."(15) Sogar den Verlust von nicht sprachabhängigen Jobs hatten die ExilantInnen infolge ihrer ungenügenden Englischkenntnisse zu beklagen, wie man dies in den Memoiren von Richard Berczeller nachlesen kann, der vorübergehend als Zusteller für ein Lebensmittelgeschäft arbeitete, bevor er seine Kenntnisse als Arzt neu verwerten konnte.(16)

Am überzeugendsten wurde das Sprachproblem von Autoren zum Ausdruck gebracht, deren Englisch sich ohnehin auf relativ hohem Niveau befand, die es aber dennoch vorzogen, sich so weit wie möglich im Umgang mit Amerikanern ihrer Muttersprache Deutsch zu bedienen. Den Grund hierfür findet man bei Ferenc Molnar, wenn er behauptet, er habe oft aus sprachlichem Mangel seine Weltanschauung mitten in einem Satz ändern müssen. Ähnlich bekannte Friedrich Torberg, dass ein Erwachsener, der eine Sprache nicht wie ein Kind durch Nachahmung lernt und deshalb Hemmungen im Ausdruck hat, lieber das sagt, was er sagen kann als das, was er sagen will.(17) Mit Humor brachte der österreichische Exilkabarettist Jimmy Berg in New York das gleiche Problem zum Ausdruck, wenn er deklamierte: "I am in a hell of a fix, weil i deutsch und English vermix."(18) Das von Fritz Kortner in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Journalistin Dorothy Thompson geschriebene Drama "Another Sun" thematisiert dieses Problem, weil es einen Exilanten in den Mittelpunkt stellt, der eine Stelle als Schauspieler in einem Broadwaystück sucht. Dabei folgt er dem Rate eines amerikanischen Freundes, er solle seinen Sprachmangel damit verbergen, dass er allen Äußerungen des ihn interviewenden Direktors mit den folgenden Worten begegnete : "Marvellous!", "Magnificent!" und "Overwhelming!". Der Kandidat fällt schnell durch die Prüfung, als er diese Floskeln anbringt auf die Bemerkungen des Direktors: "It's tough for foreingers in New York" und "Business is bad - we've got a recession in New York."(19)

Wie oben in Bezug auf Torberg vermerkt, stellt das Erlernen einer neuen Sprache auch ein Generationsproblem dar. Während erwachsene ExilantInnen sich stundenlang damit abmühten, die korrekte Aussprache des englischen "th" zu erlernen,(20) haben junge und sich noch in der körperlichen Entwicklung befindende Menschen einen viel schnelleren Zugang zur englischen Sprache gefunden. So kam es, dass sich ExilantInnen und nicht ihre Kinder in Abendsprachkurse begaben und dazu der Begleitung ihrer Kinder bedurften, genauso wie es auch die Kinder waren, die den Eltern beim Einkaufen und im Umgang mit Behörden Übersetzungsdienste leisteten. Nur wenigen ExilantInnen gelang es, sich im Exil der englischen Sprache als ein Medium des literarischen Ausdrucks zu betätigen, in Amerika waren das vor allem Joseph Wechsberg und Hertha Pauli (wohl mit Hilfe ihres Mannes, des Übersetzers E. B. Ashton) und in England vor allem Robert Neumann. In vielen Fällen war es erst die zweite Generation der Kinder, die, auch wenn diese noch in Europa geboren waren, sich in der englischen Sprache literarisch schneller durchsetzen konnten, darunter der aus Wien stammende und heute in New York lebende Schriftsteller Felix Morton.

Zuletzt noch ein Wort zur Beurteilung der allgemeinen Gesellschaftsstruktur und des politischen Systems der Vereinigten Staaten durch die ExilantInnen. Da das Land in dieser Hinsicht gerade heute weltweit großer Kritik ausgesetzt ist, erinnert man sich daran, dass auch die deutschsprachigen ExilantInnen, die dem totalitären System der Nazis entflohen waren, ihr Gastland hin und wieder kritisch beurteilten. Sie griffen vor allem die kapitalistischen Praktiken der Arbeitgeber an und kritisierten die weit verbreiteten wirtschaftlichen Konkurrenzgepflogenheiten, wie sie oft ohne Rücksicht auf menschliche Verluste das Denken und das Handeln der Industriebosse bestimmten. Das Fazit dieser Situation enthält der Roman Das Große Halleluja des aus Prag stammenden Altösterreichers Johannes Urzidil, worin es heißt:

... dies ist in vielem noch ein wildes Land, voll von Gefahren. Unter dem weiten Schirm der Verfassung und Rechtsordnung brodelt noch immer ein Dschungel mit unheimlichen Raubtierkämpfen. Wenn Sie sich vorsichtig am Rande halten, wird Ihnen zwar nichts zustoßen, aber Sie werden auch nichts erreichen. Wenn Sie aber am Spiel teilnehmen, dann haben Sie nicht bloß mit legitimen Verlusten, sondern auch mit Falschspielern zu rechnen und müssen bedenken, dass selbst unter dem Schutz der allerbesten Rechtsordnung [...] das Rechthaben mit dem Rechtbehalten keineswegs immer identisch ist.(21)

Dem Protagonisten von Urzidils Roman gelingt es schließlich, über den aus seiner europäischen Herkunft erklärbaren Verlust im Getriebe des amerikanischen Wirtschaftssystems hinwegzukommen, aber er beklagt auch die dabei von ihm eingegangenen moralischen Kompromisse. Der gleiche Autor hat in einer Reihe von Kurzgeschichten die negativen Folgen der amerikanischen Erfolgssucht dargestellt;(22) er untersuchte mit viel psychologischer Einfühlungskraft deren Begleiterscheinungen im Verhältnis der Menschen untereinander einschließlich des, wie er deutlich erkennen lässt, von ihm als negativ beurteilten Erziehungssystems. Andere Autoren, wie z. B. Ernst Waldinger in mehreren seiner Gedichte, haben auf subtile Weise auf den Verlust der Menschenwürde in den sichtbaren Ausprägungen der kapitalistischen Gesellschaft hingewiesen.(23)

Kein(e) exilierte(r) österreichische(r) Autor(in) der gegebenen Periode konnte anderseits umhin, die positive Seite des gewährten Asyls auf dem amerikanischen Kontinent anzuerkennen. Sie wussten, wenn ihnen die Flucht durch Europa und die nachfolgende Überfahrt über den Atlantik nicht geglückt wären, viele von ihnen in die Hände der Gestapo gefallen und in einem Vernichtungslager des 'Dritten Reiches' umgekommen wären. Dass ihre Rettung nur möglich war, weil sich die Vereinigten Staaten für sie einsetzten - ich verweise z. B. auf die diesbezügliche Tätigkeit des Emergency Rescue Committee in Marseille - im Wissen darum, dass Freiheit und Demokratie der Verteidigung wert waren, haben die Geretteten zu schützen verstanden und wohl auch nie vergessen. Obwohl manche von ihnen nach dem Krieg in ihre alte Heimat zurückkehrten, zogen es viele vor, ihr Leben im amerikanischen Exil bzw. als assimilierte und naturalisierte amerikanische Staatsbürger zu beenden. Doch auch die Mehrheit der letzteren haben ihre innere Bindung an ihr österreichisches Heimatland nicht gebrochen.

Wie ich eingangs erwähnte, konnte das Exil einen Menschen und somit auch eine/n Autor/in entweder brechen oder auf eine höhere Stufe seiner/ihrer menschlichen und beruflichen Entwicklung bringen. Wenn SchriftstellerInnen, die wie z. B. Ferdinand Bruckner, Oskar Jellinek, Roda Roda, oder Guido Zernatto in ihrer österreichischen Heimat - oft mit Aufenthalten in Deutschland - früher erfolgreich gewesen waren, in den USA beinahe zum Schweigen gezwungen wurden, so gehören sie der ersten Gruppe an; und wenn Autoren wie z. B. Ulrich Becher, Friedrich Berczeller, Hans Habe und Franz Werfel erst in Amerika einige ihrer weltweit bekanntesten Werke schrieben, so gehören sie in die zweite. Dass es dazwischen Platz gab für AutorInnen, die sowohl vor, als auch nach ihrem Gang ins Exil weiter produktiv arbeiteten, dafür zeugen vielleicht die meisten hier in Frage stehenden Flüchtlinge, darunter außer den bereits genannten: Hermann Grab, Alice Herdan-Zuckmayer, Hans Natonek, Lori Segal und Bertolt Viertel. Zweifellos litten die meisten AutorInnen, denen auf der Flucht vor den Nazis der Sprung über den Atlantik gelungen war, während ihres Aufenthalts in ihrem amerikanischen Gastland unter einem Kulturkonflikt, der gewöhnlich dialektisch verlief: Nach der ersten Euphorie des Gerettetseins und der Bewunderung für alles Neue folgte die baldige Ernüchterung mit einsetzender Kritik an allem Ungewohnten. Zuletzt und nicht unbedingt von jedem ehemaligen Flüchtling erreicht, kam die Dauerphase der mehr oder weniger gelungenen und somit gewöhnlich zwischen Positivem und Negativen schwankenden Assimilation des engagierten Beobachters. Für diese Phase bedarf es aber nicht unbedingt des vorausgegangenen Exils, sondern alle befinden sich in ihr, die entweder aus eigenem Willen in ein neues Land einwandern oder selbst zuhause ihrem Heimatland mit kritischer, d. h. konstruktiv positiver Gesinnung gegenüber stehen.

© Helmut F. Pfanner (Nashville, Tennessee)

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ANMERKUNGEN

(1) In diesem Zusammenhang ist vor allem das verdienstvolle Lexikon der österreichischen Exilliteratur von Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser zu nennen. Siglinde Bolbecher u. Konstantin Kaiser, Lexikon der österreichischen Exilliteratur. Wien u. München 2000.

(2) Sh. z. B. Jutta Ittner, Augenzeuge im Dienste der Wahrheit: Leben und literarisches Werk Martin Gumperts. Bielefeld 1998; Ulrich Weinzierl: Er war Zeuge: Alfred Polgar. Ein Leben zwischen Publizistik und Literatur. Wien 1978; Ulrich Weinzierl, Stefan Zweig: Exil und Suche nach dem Weltfrieden. Hrsg. Mark H. Gelber u. Klaus Zelewitz. Riverside, California 1995.

(3) Helmut F. Pfanner, Exile in New York: German and Austrian Writers after 1933. Detroit 1983.

(4) Z. B. berichtet Richard Berczeller, wie ihm der Beamte, der seine Papiere überprüfte, das Geld für ein Taxi vom Hafen zu seiner Absteige in New York geschenkt habe. In: Richard Berczeller, Displaced Doctor. New York 1964, S. 153.

(5) Eine ironische Wendung dieses Motivs findet sich in einem Gedicht des deutschen Exilanten Helmut Hirsch, wenn sein Gedicht "Die beiden Dackel" mit der Feststellung endet, der „größte Hundsfott aller Zeiten" komme ebenfalls aus dem Land der Wiener Schnitzel und des Kaiserschmarrens. In Helmut Hirsch, Amerika , du Morgenröte: Verse eines Flüchtlings (1932-1942). New York 1947, S. 36-37.

(6) Friedrich Heydenau, Auf und ab: Roman. Innsbruck 1953, S. 271.

(7) Friedrich Torberg, Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten. München 1975, S. 269.

(8) Das Zitat befindet sich im 9. Buch von Goethes Zahmen Xenien.

(9) Vgl. z. B. das Gedicht "New York, von einem Wolkenkratzer gesehen" in Ernst Waldinger, Die kühlen Bauernstuben: Gedichte. Wien 1946, S. 81-83.

(10) 5000 Nights at the Opera. London 1971, S. 2.

(11) Raoul Auernheimer, "Amerikanische Erlebnisse", zitiert aus dem Manuskript in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, S. 27.

(12) Raoul Auernheimer, "Wir und Amerika: Gedanken und Aphorismen", zitiert aus dem Manuskript in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, S. 1.

(13) "Ein letzter Irrtum", in Alfred Polgar, Andererseits: Erzählungen und Erwägungen. Amsterdam 1948, S. 93-96.

(14) Oskar Jellinek in einem Brief vom 25. Dezember 1940 an Valli und Heinz Shelness, Deutsches Literaturarchiv, Marbach a. N.

(15) Ernst Lothar, "Die neuen Bürger", Austro-American Tribune, 2, Nr. 11 (Juni 1944), S. 5.

(16) Richard Berczeller, Displaced Doctor, New York, 1964, S. 140.

(17) Tante Jolesch, S. 233-234, wo Torberg sich auch auf die zitierte Stelle von Ferenc von Molnar bezieht.

(18) Jimmy Berg, in einem Tonbandinterview mit der österreichischen Exilautorin und Herausgeberin Mimi Grossberg vom 11. April 1976 in New York.

(19) Fritz Kortner u. Dorothy Thompson, Another Sun: A Play, 2. Akt, 1. Szene, Manuskript im Fritz Kortner-Nachlass an der Akademie der Künste, Berlin, S. 17.

(20) Vgl. z. B. Richard Berczeller, Displaced Doctor, S. 123-124.

(21) Johannes Urzidil, Das Große Halleluja: Roman. München 1959, S. 348.

(22) Vgl. dazu den Band von Johannes Urzidil, Entführung und sieben andere Erzählungen. Zürich 1964.

(23) Vgl. z. B. das Gedicht "Mädchen in der Subway", in: Ernst Waldinger, Die kühlen Bauernstuben, op. cit., S. 88.


Helmut F. Pfanner (Nashville, Tennessee): Kulturkonflikt in USA: Österreichische ExilantInnen 1933-45. In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 13/2002.
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