Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 14. Nr. | Dezember 2002 |
Gertrude
Durusoy (Izmir)
[BIO]
Als erstes soll bemerkt werden, dass in diesem Workshop eigentlich jeder der Begriffe der Überschrift Sprachen, "Übersetzungen", Wissensprozesse ein Workshop für sich bilden könnte. Ich möchte daher versuchen, anhand von konkreten Beispielen aus dem Bereich der literarischen Übersetzung , zu zeigen, dass einerseits die Kultur implizit in jedem dieser drei Begriffe liegt und andererseits dass wiederum ein jeder dieser drei Begriffe selbst kein selbständiges Ganzes bildet, sondern sich in einem permanenten Prozess befindet, der Kultur ist und schafft.
Im Referat konzentrieren wir uns jedoch auf den Prozess des Übersetzens und zwar am Beispiel der Lyrik, weil gerade auf diesem Gebiet die Herausforderung die größte und die spannendste ist. Auch wenn ein Sonnet in jeder Sprache von der Form her ein Sonnet bleibt, ist in jeder Sprache seine Poesie eine andere. Schon in der Muttersprache muss der Lyriker aus den Wörtern des Alltags oder der Bildung eine neue Ebene schaffen, die das Poetische bildet. Dabei geschieht durch die Kreativität bei den verschiedenen Autoren eine doppelte "Übersetzung" innerhalb der Muttersprache selbst: zuerst auf der Ebene der Verbalisation der Gedanken, d.h. der linguistischen Formgebung des erfundenen bzw. erlebten Inhalts eines Gedichtes und dann durch den Übergang von der allgemein verwendeten Sprache zur künstlerischen Sprache. Dabei erleben einige Autoren eine tiefgreifende Einschränkung durch die Sprache; Paul Celan erfasst diesen Zustand mit dem Begriff "Sprachgitter", der auch zum Titel eines seiner Lyrikbände wurde.
Der Übersetzungsprozess von einer Sprache in die andere kann auch als der Treffpunkt der verschiedenen Zeiten betrachtet werden, bzw. als die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, denn die Vorlage des Originaltextes ist in den meisten Fällen ein abgeschlossener Prozess, auch wenn es sich um zeitgenössische Lyrik handelt. Der Akt des Übersetzens verleiht ihm eine Gleichzeitigkeit, die bei der Herausgabe der Gedichte in der fremden Sprache weiter vorhanden ist; denken wir an die heutigen türkischen Leser, die der Sprachbarriere wegen zum ersten Mal Georg Trakl oder Paul Celan in ihrer Muttersprache lesen oder umgekehrt an schwedische Leser z.B., die Nazým Hikmet entdecken. Dadurch ist das Über-Setzen von Literatur wortwörtlich ein Herüber-Setzen in der Zeit und nicht nur von Kultur zu Kultur und noch weniger nur als ein Prozess, der von einer Sprache in die andere übergeht. In diesem Zusammenhang stimme ich dem Schweizer Komparatisten Hans-Jost Frey zu, wenn er betont, dass das Original nicht "als feststehendes Maß verfügbar" sei und treffend folgende Feststellung macht: "Das Übersetzt werden lässt dann das Original nicht unberührt, sondern wirkt an der Konstituierung seines Sinns mit. Die Übersetzung betrifft, wie jede Lektüre und Deutung, das Original als Moment seiner Geschichte, in deren Verlauf sich in ihm durch die Veränderung des Kontextes immer neue Bedeutungsschichten erschließen. So gesehen ist die Übersetzungsbeziehung nicht mehr hierarchisch, weil an keinem festen Punkt mehr zu verankern, sondern sie wird zur schwebenden Konstellation, in der Original und Übersetzung sich gegenseitig bestimmen."(1) Außerdem verweist Frey auf eine wichtige Dimension der Übersetzung hin, indem er sagt: "Indem in der Gleichzeitigkeit von Original und Übersetzung die reziproke Beziehung beider sich herstellt, wird die Übersetzungssituation für das Verständnis beider Texte relevant. Die Übersetzung erscheint im Kontext des Originals und das Original im Kontext der Übersetzung. Wird die Übersetzung kontextbezogen, vom Original her, gelesen, so ist das, was sie sagt, nicht meht nur auf den inneren Zusammenhang des Textes der Übersetzung zu beziehen, sondern dieser als ganzer ist auf das Original bezogen, dessen Übersetzung er ist."(2) Damit haben wir einen Einblick in die Komplexität des Übersetzungsaktes gewonnen; wir dürfen aber nicht aus dem Auge verlieren, dass dieser Prozess gleichzeitig ein Wissensprozess und ein Kulturprozess ist. Der Wissensprozess entwickelt sich, indem der Übersetzer der Lyrik aus einer anderen Kultur erst eine Vorarbeit zur Kenntnis der letzteren leistet. Dies nimmt viele Disziplinen in Anspruch - und zwar Kenntnis des geschichtlichen Rahmens, während dessen das Gedicht entstanden ist und dies gilt nicht nur für Lorca oder Celan; Kenntnis der sozialen Verhältnisse, in denen der Autor gelebt und gehandelt hat und dies gilt nicht nur für Lamartine, Puschkin oder Rafael Alberti; Kenntnis der biographischen Erlebnisse und dies stimmt nicht nur bei Paul Fleming oder Rimbaud; Kenntnis der poetischen Sprache der anderen Kultur und genauer gesagt Kenntnis der Anwendung poetischer Elemente durch den Autor selbst - Marina Zwetajeva "komponiert" ihre Lyrik nicht wie Yevtuschenko oder Paul Valéry. Wie ersichtlich bildet der Wissensprozess eine gründliche Phase innerhalb der Ausarbeitung einer literarischen Übersetzung. Nachdem der Übersetzer den fremden Text tiefgreifend zur Kenntnis genommen hat, wird er sich in die nächste Phase seiner Arbeit begeben und zwar in diejenige des kulturellen Transfers , aber nicht wie in der Prosa, wo das auch gültig ist, sondern in der Meisterung seiner eigenen Sprache (sei es die Muttersprache oder eine angelernte), um den kulturellen und psychischen Inhalt durch eine Form wiederzugeben, die dem Original entspricht.
Indem wir hier spezifisch den Prozess der Übertragung eines Gedichtes aus der Originalsprache in eine 'fremde Sprache' betrachten wollen, wenden wir uns um so mehr dem Gebiet der kulturbedingten Fiktionen bzw. Erlebnissen der Poesie zu. Nicht nur der Inhalt der Gedichte zeugt noch deutlicher als die Prosa von der kulturellen Färbung einer jeden Ethnie, sondern auch die Stilfiguren und besonders die Metaphern bilden ihrerseits durch ihre Originalität die Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis, der sie rezipieren wird, weil sie ihm entspringen. In beiden Situationen ist der Prozess des Übersetzens ein schwieriger; er soll einer doppelten Aufgabe gerecht werden und zwar dem Original treu bleiben und dem neuen fremden Publikum die 'andere' Kultur vermitteln. Giovanni Pontiero, Universität Manchester, äußert seine Auffassung der literarischen Übersetzung wie folgt: "As the Argentinian writer Jorge Luis Borges told one of his most earnest translators: 'Don't translate what I've written but what I wanted to say', the literary translator must learn to interpret and be creative in his own right. At the same time, he must respect the original in word and spirit."(3) Genau da liegt die Hauptproblematik des Prozesses: die Wiedergabe "in word and spirit"!
Bei der Prosa bezweifelt es keiner, aber bei der Lyrik sind die Meinungen geteilt; es wird behauptet, dass wenn man den Inhalt wiedergibt, man die Form vernachlässigt oder umgekehrt. Eigentlich kann man nicht so schematisch verfahren noch verallgemeinern. Deshalb soll an dieser Stelle noch sehr kurz die Frage der Übersetzbarkeit von Lyrik angesprochen, aber nicht gelöst werden. Nach Eugène Guillevic geht bei der Übertragung von Lyrik immer etwas verloren: "Traduire la poésie: [...]. A mon sens, il s'agit par la traduction de permettre au lecteur et à l'auditeur du poème traduit de recevoir le plus possible de ce que peut recevoir le lecteur du texte original. Il s'agit donc d'essayer de donner de celui-ci un équivalent ou de s'approcher le plus possible de l'équivalent. Et certes, on l'a assez dit, il est impossible de faire passer dans une autre langue l'intégralité du poème. Dans tous les cas, quelque chose se perd: ce qui est lié, ce qui est inhérent à la langue originale."(4) Das was verloren geht, sei das Spezifische, das Inhärente der Originalsprache. In diesem Zusammenhang soll die Bemerkung von Peter Newmark, der wir uns anschließen, angeführt werden: "Because poetry uniquely uses all the resources of language, it has often been considered untranslatable, yet the translation of poetry is almost as old and as flourishing as poetry itself."(5) Um zu prüfen, inwiefern Guillevic und noch radikalere Kritiker recht haben, muss man - wenn es sie gibt - mehrere Übersetzungen eines und desselben Gedichts in dieselbe Sprache vergleichen. Das wäre natürlich ein Thema für ein ganzes Referat in einem engeren Kontext!
Es entstehen merkwürdige Feststellungen, wie z.B. dass Autoren, die sich theoretisch zur Übersetzung geäußert haben, dann bei der Praxis das Empfohlene selbst nicht befolgen. Betrachten wir Goethe und seine pertinente Aussage zum Übersetzungsprozess: "Es gibt zwei Übersetzungsmaximen: die eine verlangt, dass der Autor einer fremden Nation zu uns herübergebracht werde, dergestalt, dass wir ihn als den unsrigen ansehen können; die andere hingegen macht an uns die Forderung, dass wir uns zu dem Fremden hinüber begeben und uns in seine Zustände, seine Sprechweise, seine Eigenheiten finden sollen. [...] Es gibt dreierlei Arten Übersetzungen. Die erste macht uns in unserm eigenen Sinne mit dem Auslande bekannt; eine schlicht prosaische ist hier die beste. [...] Eine zweite Epoche folgt hierauf, wo man sich in die Zustände des Auslandes zwar zu versetzen, aber nur fremden Sinn sich anzueignen und mit eigenem Sinne wieder darzustellen bemüht ist. [...] Weil man aber weder im Vollkommenen noch Unvollkommenen lange verharren kann, sondern eine Umwandlung nach der andern immerhin erfolgen muss, so erlebten wir den dritten Zeitraum, welcher der höchste und letzte zu nennen ist, derjenige nämlich, wo man die Übersetzung dem Original identisch machen möchte, so dass eins nicht anstatt des andern sondern an der Stelle des andern gelten soll."(6) Am deutlichsten ist die Diskrepanz im Falle seiner Wiedergabe der Chöre aus Racines Stück Athalie(7), die wir an anderer Stelle besprochen haben, wo aber Goethe deutlich sein als zweite "Art" beschriebenes Verfahren anwendet und nicht die von ihm empfohlene "dritte" befolgt.
Sehr oft haben berühmte Lyriker selbst auch literarische bzw. poetische Übersetzungen durchgeführt; man denke hier besonders an Paul Celan u.a., der ins Deutsche Shakespeares Sonnette, Mandelstamm oder Chlebnikow sowie viele französische Lyriker übertrug, wobei die eigene Auffassung des Schriftstellers die Wiedergabe des Originals meistens stark geprägt hat wie in seiner berühmten Übertragung von Guillaume Apollinaires Les Colchiques als Die Herbstzeitlosen(8).
Ihrerseits war Marguerite Yourcenar, die seit der Gründung der Académie Française im 17.Jht als erste Frau zu ihrem Mitglied wurde, nicht nur Schriftstellerin, sondern auch eine angesehene Übersetzerin aus dem Griechischen und dem Englischen. Als sie aber Konstantin Kavafis ins Französische übersetzte, wählte sie bewusst die Prosa zur Wiedergabe seiner Lyrik, d.h. dass für Marguerite Yourcenar Kavafis' semantische Aussage entscheidend war und nicht die sprachliche Form dieser Aussage.(9) Nach Goethes Aufstellung könnte man von der ersten "Art" sprechen, die aber bei Yourcenar absichtlich in einer lyrischen Prosa verfasst wurde. Nach meiner Kenntnis gibt es noch keine bessere Übertragung Kavafis' ins Französische. Diese Autorin hat aber in ihrer französischen Übersetzung der "Negro Spirituals" die poetische Form bis in Dialektausdrücke getreu wiedergegeben. Der entstandene Rhythmus des Gedichtes ist eine echte Spiegelung der Spirituals(10).
Was bei der Übertragung eines Gedichtes übersetzbar bzw. unübersetzbar ist, haben wir mit Mirbatýr Husanov am Beispiel von Andrej Wosnessenskij bei der türkischen Herausgabe eines Bandes von ausgewählten Gedichten dieses Autors untersucht(11). Das Auffälligste waren die Alliterationen wie im Gedicht "Goya", wo Woznessenskij mit dem Laut "g" zu spielen scheint, obwohl er damit Begriffe verwemdet, die zu Goyas Gemälden sehr gut passen: Trauer, Hunger, Jahre, Stimme, nackt/leer , Nägel, die aber in keiner anderen Sprache alle mit "g" beginnen. Semantisch hätte das Gedicht gar nichts mit Woznessenskij zu tun, falls man Wörter, die wie Goya mit "g" beginnen einsetzen würde . Das würde soviel wie Mord am Gedicht bedeuten! In diesem Gedicht benutzt der Autor außerdem die ganze Aussagekraft des im Russischen nicht vorhandenen Präsens von "sein", d.h. dass die Identifizierung von Ich - Goya, Ich - Trauer/ gore, Ich - Stimme/golos, Ich - Hunger/golod., Ich - Hals/gorlo durch die Knappheit des Ausdrucks viel kräftiger wirkt als im Französischen, Englischen oder Türkischen.
Der Übergang von einer Sprache in eine andere ist in der Forschung lange als ein rein linguistischer Akt betrachtet worden. Sowohl Susan Bassnett (Universität Warwick) wie auch André Lefevere (Universität Louvain) haben in den 90er Jahren die Rolle der Kultur in der Übersetzung erkannt. Beide geben ihre Stellungnahme diesbezüglich wie folgt bekannt: "Now, the questions have changed. The object of study has been redefined; what is studied is the text embedded in its network of both source and target cultural signs and in this way Translation Studies has been able both to utilise the linguistic approach and to move on beyond it."(12) Und Susan Bassnett wird noch deutlicher , indem sie sagt: "We called this shift of emphasis 'the cultural turn' in translation studies, and suggested that a study of the processes of translation combined with the praxis of translation could offer a way of understanding how complex manipulative textual processes take place; [...] For a translation always takes place in a continuum, never in a void, and there are all kinds of textual and extra-textual constraints upon the translator."(13) Relevant ist hier, dass das Übersetzen als Prozess aufgefasst und nicht mehr als ein rein linguistisches Verfahren betrachtet wird und dass darauf aufmerksam gemacht worden ist, dass der Text nicht alles ist, dass die außertextuellen Elemente die Arbeit des Übersetzers mitbestimmen. Ich fasse das eben als die kulturellen Konnotationen auf, die nie explizit im literarischen Text vorkommen, da dieser für Muttersprachler geschrieben wurde, die aber ein guter Übersetzer unbedingt rezipieren und wiedergeben sollte und müsste.
Wiederum in den 90 Jahren schlägt auch Jean-René Ladmiral (Universität Paris X) eine ähnliche Richtung ein., indem er von einer Herausforderung spricht, "le défi d'avoir à traduire la culture"(14), wobei das eigentliche Ziel der Übersetzung nicht verschoben werden darf: "Surtout, l'objet de la traduction, ce n'est pas l'étrangeté culturelle et linguistique d'un texte-source, mais sa singularité en tant qu'oeuvre. Quoi qu'il en soit de sa spécificité culturelle, l'enjeu d'un texte littéraire n'est pas culturel mais littéraire; [...]. Du texte-source, il faudra réussir à faire une oeuvre-cible; car la traduction littéraire relève d'une esthétique littéraire de la traduction."(15) Hiermit scheint Ladmiral zum Teil in Widerspruch zu dem vorher Gesagten zu treten, er will aber in dieser Aussage nur betonen, dass ein literarisches Werk in der Zielsprache wiederum zum entsprechenden literarischen Werk werden soll; insofern handelt es sich nicht um einen Widerspruch, sondern um die Betonung eines nicht immer genügend betrachteten Aspekts der Übersetzung und zwar um ihre "literarische Ästhetik"; dies trifft in unserem Fall der Übersetzung von Lyrik besonders zu.
Unter den vielen Gedichten, die ich mit dem türkischen Lyriker Ahmet Necdet zusammen übersetzt habe, möchte ich nun zwei Beispiele anführen und unsere Version der Texte besprechen. Ich führe den vollständigen Text hier an, denn alle von uns kennen die Texte nicht auswendig. An erster Stelle ein Gedicht von Georg Trakl(16):
An den Knaben Elis
Elis, wenn die Amsel im schwarzen Wald ruft,
Dieses ist dein Untergang,
Deine Lippen trinken die Kühle des blauen Felsenquells.Lass, wenn deine Stirne leise blutet
Uralte Legenden
Und dunkle Deutung des Vogelflugs.Du aber gehst mit weichen Schritten in die Nacht,
Die voll purpurner Trauben hängt
Und du regst die Arme schöner im Blau.Ein Dornenbusch tönt,
Wo deine mondenen Augen sind.
O, wie lange bist, Elis, du verstorben.Dein Leib ist eine Hyazinthe,
In die ein Mönch die wächserne Finger taucht.
Eine schwarze Höhle ist unser Schweigen,Daraus bisweilen ein sanftes Tier tritt
Und langsam die schweren Lider senkt.
Auf deine Schläfen tropft schwarzer Tau,Das letzte Gold verfallener Sterne.
Und nun seine türkische Entsprechung(17):
Zum Vergleich die französische Version Guillevcs(18) desselben Gedichts:
Au Jeune Elis
Elis, quand dans la profonde forêt le merle appelle,
C'est que tu sombres.
Tes lèvres boivent la fraîcheur de l'eau bleue des roches.Laisse, quand saigne ton front,
Les très vieilles legendes
Et le sens obscur du vol de l'oiseau.Toi cependant tu vas à pas doux dans la nuit
Tendue de grappes empourprées
Et tes bras dans le bleu ont des gestes plus beaux.Tinte un buisson d'épines
Où sont tes yeux de lune.
Comme il y a longtemps, Elis, que tu es mort.Ton corps est devenu jacinthe,
Un moine y plonge ses doigts de cire.
Notre silence est un trou noirD'où sort de temps en temps une bête très douce
Qui laisse lourdement retomber ses paupières.
Sur tes tempes tombe une rosée noire,Le dernier or d'étoiles abîmées.
Vergleicht man die französische und die türkische Version mit dem deutschen Original, fällt sofort auf, dass das Nichtvorhandensein von Relativpronomina im Türkischen eine Lösung erfordert, die das Poetische Trakls wiedergibt, diese "Relation" bzw. direkte Verbindung des erweiterten Begriffs wie z.B. bei Nacht in der 3.Strophe. Die Nacht erfährt im Gedicht eine besondere und typische expressionistische Beschreibung, die ihr bei Trakl eigen ist. Guillevic hat eine Apposition und wir, im Türkischen, das Wort Nacht noch einmal verwendet. Trakls Bild des Todes ist eine sanfte Annäherung an diese Realität und es schien uns sehr wichtig, gerade bei der Wortwahl diesem Aspekt treu zu bleiben. Im ganzen Gedicht kommt das Brutale des Todes zur Sprache, jedoch durch Adjektiva oder Adverbien gemildert; die Stirn blutet 'leise', Elis geht 'mit weichen Schritten' in das absolute Dunkel des Todes durch die Nacht ausgedrückt; seine Leiche wird äußerst lyrisch definiert 'Dein Leib ist eine Hyazinthe', sogar die Finger des Mönchs sind 'wächsern'. Obwohl in jeder Strophe der Tod charakterisiert wird, steht bei Trakl nur in der 4.Strophe 'verstorben'. Das Gewaltige des Todes wird in Trakls eigener Vision durch wunderbare Metaphern angedeutet: 'Deine Lippen trinken die Kühle des blauen Felsenquells'. Sowohl im Französischen als auch im Türkischen war es meines Erachtens möglich, diese Metaphern hinüberzutragen in die andere Kultur und Trakls Vision zu reflektieren. Jede Einzelheit wollen wir in den fremden Sprachen hier nicht besprechen, dazu wäre eine Gruppenarbeit mit den jeweiligen Sprachkenntnissen angebracht.
Von Paul Celan habe ich unter vielen folgendes Gedicht gewählt(19):
TENEBRAE
Nah sind wir, Herr,
nahe und greifbar.Gegriffen schon, Herr,
ineinander verkrallt, als wär
der Leib eines jeden von uns
dein Leib, Herr.Bete, Herr,
bete zu uns,
wir sind nah.Windschief gingen wir hin,
gingen wir hin, uns zu bücken,
nach Mulde und Maar.Zur Tränke gingen wir, Herr.
Es war Blut, es war,
was du vergossen, Herr.Es glänzte.
Es warf uns dein Bild in die Augen, Herr.
Augen und Mund stehn so offen und leer, Herr.
Wir haben getrunken, Herr.
Das Blut und das Bild, das im Blut war, Herr.
Bete, Herr.
Wir sind nah.
Unsere türkische Version(20) lautet:
Dieses gewaltige Gedicht Celans wirkt , glaube ich, nicht nur im Türkischen, sondern auch im Original befremdend. Denn in jeder Religion ist es üblich, dass sich der Mensch im Gebet Gott zuwendet. Celan aber schreibt: 'Bete, Herr ,/ bete zu uns'. Und das Blut in der Anrede an Gott impliziert Kenntnisse, die im allgemeinen türkischen Kulturgut auf religiöser Ebene nicht bekannt sind. Mit Ahmet Necdet haben wir beschlossen, das Gedicht in seiner sprachlichen Gewalt zu übersetzen, ohne irgend welche sei es auch die geringste Interpretation anzudeuten. Die Leser, die die westliche Kultur gut kennen, werden die Celanschen Anspielungen verstehen, die anderen können aber nicht (auch mit keiner Fußnote) durch eine Erklärung in dieses komplexe Gedankenerbe eingeführt werden. Es steht jedem fremden Leser frei, sich mehr über Celan und seine innere Welt zu informieren; das ist nicht die Rolle des Übersetzers.
Abschließend möchte ich bemerken, dass hier nur ein Einblick in die Komplexität der Übersetzungsprozesse gegeben worden ist und zwar als Impuls für die Arbeit im Workshop. In der Übertragung von Lyrik und von Literatur überhaupt bildet die kulturelle Dimension einen ganz wichtigen Bestandteil des Prozesses, deshalb ist meiner Meinung nach jede gute Übersetzung nicht als Ergebnis von einer besonderen Sprachfertigkeit (die als conditio sine qua non vorhanden sein muss), sondern als ein echter doppeldimensionaler Kulturakt anzusehen.
© Gertrude Durusoy (Izmir)
Inhalt / Table of Contents / Contenu: No.14
NOTES
(1) Hans-Jost Frey, Die Beziehung zwischen Übersetzung und Original als Text, in: Actes du Colloque sur la traduction littéraire, (Colloquium Helveticum Nr.3) Bern,1986. S.36.
(2) Ebd. S.38.
(3) Giovanni Pontiero, The Task of the Literary Translator, in: Çeviribilim ve Uygulamalarý. Ankara,1994. S.133.
(4) Eugène Guillevic, Traduire la poésie, in: Actes du Colloque sur la traduction littéraire, (Colloquium Helveticum), Bern, 1986, S.87.
(5) Peter Newmark, Approaches to Translation, Hertfordshire, 1993, S.185.
(6) Johann Wolfgang von Goethe, Zu brüderlichem Andenken Wielands und Noten und Abhandlungen zu bessern Verständnis des west-östlichen Divans. Zitiert in: H.J.Störig (Hrsg.) Das Problem des Übersetzens, Darmstadt, 1973. S.35/36.
(7) S. die Ausführungen im Aufsatz: Gertrude Durusoy, Inwiefern geht Kultur bei literarischen Übersetzungen verloren? in: Übersetzer-Workshop, Ankara, 1989. S.93-106. Siehe besonders die Seiten 96-98 was nur Athalie angeht.
(8) Siehe in diesem Zusammenhang: Gertrude Durusoy, Paul Celan en tant que traducteur, in: Uludað Üniversitesi Eðitim Fakülteleri Dergisi, Bursa,1988. Bd.3, Nr.1., S.74-84.
(9) Siehe Présentation critique de Constantin Cavafy, suivie d'une traduction intégrale des Poèmes par M.Yourcenar et C.Dimaras, Paris,1958.
(10) Marguerite Yourcenar, Fleuve profond, sombre riviere. Les "Negro Spirituals", commentaires et traductions, Paris, 1974.
(11) Gertrude Durusoy, Mirbatýr Husanov, Voznesenski Örneðinde Þiir Çevirisinin Sorunlarý, in: Çeviribilim ve Uygulamalarý. Ankara, 1994. S.15-36.
(12) Zitiert in: Susan Bassnett, The Translation Turn in Cultural Studies, in: Laurence Raw,Gülriz Büken,Günseli Sönmez Ýþçi (eds.) The History of Culture: The Culture of History, Ankara (The British Council),1998. S.9.
(13) Ebd. S.9.
(14) Jean-René Ladmiral, Aspects interculturels de la traduction, in:Hasan Anamur (éd.): Hommage à Hasan-Ali Yücel Anma Kitabý, Çeviri: Ekinler ve Zamanlar Kavþaðý, La traduction: Carrefour des cultures et des temps, Istanbul, 1997. S.123.
(15) Ebd. S.131.
(16) Georg Trakl, Werke Entwürfe Briefe , (Hrsg.) Hans-Georg Kemper und Frank Rainer Max. Stuttgart, 1986. S.16/17.
(17) Georg Trakl, Akþamlarý Kalbim, çev.Gertrude Durusoy/Ahmet Necdet. Istanbul, 1991. S.11.
(18) Eugène Guillevic, Traduire la poésie, in: Actes du Colloque sur la traduction littéraire, (Colloquium Helveticum), Bern, 1986, S.97.
(19) Paul Celan, Gedichte in zwei Bänden, Frankfurt/M. 1981. Bd.I, S.163.
(20) Paul Celan, Dil Kafesi, çev.Gertrude Durusoy/Ahmet Necdet. Istanbul, 1999. S.23. Bei dieser Veröffentlichung vom Band Sprachgitter und damit der zweiten Version des obigen Gedichtes haben wir den lateinischen Titel beibehalten. In der von uns 1983 herausgegeben Auswahl von Gedichten Celans, die mit der Überschrift Bademlerden Say Beni (Zähle mich zu den Mandeln) erschienen war, hatten wir 'Tenebrae' mit der türkischen Wiedergabe 'Kör Karanlýkta' übersetzt.