Trans | Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften | 15. Nr. | November 2003 | |
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Herbert Arlt (Wien) [BIO]
In der Präambel der UNESCO wird auf die Bedeutung der Vorstellungsbildung für Krieg und Frieden - für das Trennende und Verbindende in der Welt - hingewiesen. Die UNESCO selbst ist Ausdruck eines Versuches, für das Verbindende der Kulturen einzutreten - bei aller Betonung der Bedeutung der Vielfalt und der Kreativität der Diversität. Zur Vorstellungsbildung trägt die UNESCO mit vielfältigen Resolutionen, Konventionen, Programmen bei.
Ansätze zur Theorie des Verbindenden der Kulturen zu entwickeln, steht daher in der Tradition dieser Vorstellungsbildung, wenngleich mit dem Wort Theorie auch etwas betont wird, das eine Eigenart dieser Vorstellungsbildung ist: es ist ein (kultur)wissenschaftlicher Ansatz. Daher möchte ich auch zunächst mit einer Definition beginnen: unter Kultur wird in diesem Beitrag all das verstanden, das der Mensch bei der Umwandlung der Welt an sich in eine Welt für uns hervorbringt.
Diese Definition ist eine sehr breite Definition und schließt alles ein, das produktiv ist. Diese Definition schließt aber ein Kulturverständnis aus, das unter Kultur ein Synonym für Macht versteht, alle Destruktionen der Natur (die schlussendlich auch in eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Menschen münden) und alle Verletzungen von Menschrechten. Diese Definition ist also keine weite Definition in dem Sinne, dass sie Beliebiges als Kultur definiert, sondern sie betont ein Kulturverständnis, das Tätigkeiten, Arbeiten als konstituierende Elemente ansieht, die sich auch historisch konstituiert haben.
Dieser Annäherungsversuch wird gestützt durch die menschliche Praxis, seine eigene Geschichte darzustellen. Sehen wir uns die (National-)Museen dieser Welt an. Wenn sie in die Vergangenheit zurückgehen, sind Werkzeuge, Gefäße, Schmuck, aber auch Jagdwaffen eine Gemeinsamkeit in allen Ländern.
In der jüngeren Vergangenheit spielen die Sprachen für die Kulturen eine entscheidende Rolle. Mit der Sprache beginnen neue Möglichkeiten der Transformierung von Wissen. Und in den Sprachen sind es die Kulturbegriffe, die diese Transformationen in einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen charakterisieren. Diese Kulturbegriffe heben stets etwas spezifisches hervor: in Europa ist es der Landbau, in arabischen Ländern die Stadt, im Süden Afrikas sind es die Beziehungen zwischen den Menschen untereinander (eine Vorstellungsbildung, die zum Beispiel auch im Kaukasus eine Rolle spielt).
Grob formuliert können die Tätigkeiten, die Kultur hervorbringen, in folgende Bereiche eingeteilt werden: einen tradierenden, eine reproduzierenden und einen kreativen Bereich. Und Kulturbegriffe schließen meist eine Selektion mit ein - je nach dem Interesse, das mit einem Begriff (Konzept) betont werden soll. Geschichtlich gesehen wird daher Kultur nicht an sich konstituiert (nicht in der "neutralen" Form meiner Definition), sondern sie schließt Bedingungen ein (wobei die natürlichen Verhältnisse sehr unterschiedlich sein können). Und es gibt keine Kausalität im Umgang mit natürlichen Bedingungen (zum Beispiel Landwirtschaft in den Bergen), aber auch nicht im Umgang mit Kultur (zum Beispiel der Schrift). Kultur ist in diesem Sinne Sozialität, Kommunikation, Reproduktion auf der Basis von Wissen, Kreierung von Wissen in historischen und heutigen Ausprägungen.
Eine zentrale Stellung nimmt in diesem Prozess daher die Tradierung ein. Erst mit Bildern, Numerik, Schrift beginnt sich der Reichtum zu entfalten, die Vielfalt zu entwickeln. Doch nicht nur die Schrift an sich ist wichtig. Der Reichtum der Gesellschaften entsteht erst auf breiterer Basis, wenn es möglich wird, dass mehr und mehr Menschen die Schrift auch nutzen können. Denn für die Reproduktion ist die Voraussetzung, dass auf Wissen auch von möglichst vielen zugegriffen werden kann.
Weiters ist evident, dass die Geschichte der Menschheit nicht aus Wiederholungen besteht. Vielmehr prägen die Erfindungen, die Kreativität die kulturellen Prozesse. Amartya Sen hat gezeigt, dass diese Prozesse aber ebenfalls in einer Wechselwirkung zur Öffentlichkeit stehen - einer Öffentlichkeit, für deren Zugang Bildung, einer Öffentlichkeit, für deren Breitenwirksamkeit Demokratie notwendig ist.
Kultur ist also in ihrer Konstituierung etwas Verbindendes. Sprache, Schrift, Reproduktion, Kreativität stellen keine Probleme zwischen den Menschen dar (nicht einmal mangelnde Verständnismöglichkeit). Erst die Verteilung, der Zugang zum Wissen, die Instrumentalisierung von Kultur im Dienste einer Machtpolitik scheinen aus ihr ein ständiges Konfliktpotential zu machen. Es ist daher völlig abwegig, etwa von einem Kampf der Kulturen zu sprechen. Das meiste, über das zum Beispiel Huntington schreibt, sind Mächte, Machtkonstellation, militärische Optionen. Mit kulturellen Prozessen hat dies oft fast nichts zu tun.
Diese Missinterpretation von Kultur als Machtpolitik hat sich gerade in den letzten Jahren auch in den transnationalen Prozessen als kontraproduktiv erwiesen. Anstatt neue Ansätze auf breiter Basis zu entwickeln, wurden hauptsächlich Prinzipien der Reproduktion in Forschung, Wissenschaft und Bildung eingeführt, die Kontrolle und personelle Steuerungen ermöglichen und durch Kategorisierungen geprägt sind. Darin zeigt sich eine tiefe Unsicherheit jener, die in dieser Weise agieren. Die Probleme, die allerorten entstanden sind, sind evident. Das Gegenkonzept ist Ermöglichung von Kreativität und Offenheit gegenüber kulturellen Prozessen.
Im Sinne dieses theoretischen Ansatzes scheint mir die Konferenz "Das Verbindende der Kulturen" einen neuen Beitrag zum Verbindenden der Kulturen leisten zu können, in dem Sie das Gemeinsame unter den Bedingungen der wünschenswerten Vielfalt (auch unter Einschluss der Interessensgegensätze) deutlich machen kann. Im Sinne des theoretischen Ansatzes wurde diese Konferenz öffentlich vorbereitet. Es wurde versucht, unterschiedliche Positionen einzubeziehen, deren Nützlichkeit für die Entwicklung von Wissen zu betonen.
Wichtig erscheint mir auch die Offenheit des Dialoges, so wie es hier mit dieser Konferenz praktiziert wird. Auch bei Vorbereitungskonferenzen zum 7. Rahmenprogramm der EU wird dies nun praktiziert - dass nicht nur Menschen vom Fach unter sich beraten, sondern Politik, Künste, unterschiedliche Bevölkerungskreise einbezogen werden. Durch Verbreitung der Ergebnisse dieser Konferenz via Internet, weitere virtuelle Einbeziehungen, Präsentationen des Konferenz-Buches, Medienberichte, des Filmes "Das Verbindende der Kulturen" kann sie versuchen, eine bescheidene Öffentlichkeit in den heutigen internationalen und transnationalen Prozessen zu schaffen. Und es soll versucht werden, auch eigene Tradierungsformen zu entwickeln. In diesem Sinne hoffe ich auf produktive Präsentationen und Diskussionen in den Sektionen und auf spannende Berichte am letzten Konferenztag im Abschlussplenum und auf Ihre Beiträge für TRANS 15 und das Buch. Zu den Publikationen und dem Follow up wie immer alle Detailinformationen auf den Internet-Seiten. (Nicht umsonst soll der Titel für die nächste Konferenz vom 9. bis 11. Dezember 2005 lauten: Innovationen und Reproduktionen in Kulturen und Gesellschaften.)
© Herbert Arlt (Wien)
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For quotation purposes:
Herbert Arlt (Wien): Zur Theorie des Verbindenden der Kulturen.
In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften.
No. 15/2003.
WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/plenum/arlt15DE.htm