TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. März 2010

Sektion 1.13. Die Bedeutung des Mittelalters für Europa
Sektionsleiterin | Section Chair: Dina Salama (Universität Kairo)

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Richard Wagners  Ring des Nibelungen als Abenteuerbuch

Sekundäre Mittelalter-Rezeption für Jugendliche

Wolfgang Biesterfeld (Universität Köln) [BIO]

Email: biesterfeldw@aol.com

 

Als Richard Wagner 1843 im nordböhmischen Teplitz zur Brunnenkur weilt, trägt er neben der obligaten Mineralwasserflasche auch stets ein Buch mit sich herum: Jacob Grimms Deutsche Mythologie. Dieses später mehrfach umgearbeitete und neu aufgelegte Werk(1) eröffnet ihm die Welt der germanischen Götter- und Heldensagen. Die Eindrücke, die er beim Lesen empfängt, beschreibt er in seiner Autobiographie so:

Aus den dürftigsten Bruchstücken einer untergegangenen Welt, von welcher fast gar keine plastisch erkennbaren Denkmale übrigblieben, fand ich hier einen wirren Bau ausgeführt, der auf den ersten Anblick durchaus nur einem rauhen, von ärmlichem Gestrüpp durchflochtenen Geklüfte glich. Nach keiner Seite hin etwas Fertiges, nur irgendwie einer architektonischen Linie Gleichendes antreffend, fühlte ich mich oft versucht, die trostlose Mühe, hieraus mir etwas aufzubauen, aufzugeben.(2)

Deutlich wird in dieser Äußerung, als wie fremd zunächst, wie vielfältig und heterogen sich die Gestalten und Stoffe der germanischen Überlieferung dem in der Mitte des 19. Jahrhunderts Lebenden darbieten. Wagners anfängliche Verwirrung wandelt sich aber bald in Faszination und in das Gefühl der Verwandtschaft mit dem Vergangenen. Er fährt fort:

Und doch war ich durch wunderbaren Zauber festgebannt: die dürftigste Überlieferung sprach urheimatlich zu mir, und bald war mein ganzes Empfindungswesen von Vorstellungen eingenommen, welche sich immer deutlicher in mir zur Ahnung des Wiedergewinnes eines längst verlorenen und stets wieder gesuchten Bewußtseins gestalteten. Vor meiner Seele baute sich bald eine Welt von Gestalten auf, welche sich wiederum so unerwartet plastisch und urverwandt kenntlich zeigten, daß ich, als ich sie deutlich vor mir sah und ihre Sprache in mir hörte, endlich nicht begreifen konnte, woher gerade diese fast greifbare Vertrautheit und Sicherheit ihres Gebarens kam. Ich kann den Erfolg hiervon auf meine innere Seelenstimmung nicht anders als mit einer vollständigen Neugeburt bezeichnen, und wie wir an den Kindern die berauschende Freude am jugendlich ersten, neuen, blitzschnellen Erkennen mit Rührung bewundern, so strahlte mein eigener Blick vom Entzücken über ein ähnliches, wie durch Wunder mir ankommendes Erkennen einer Welt, in welcher ich bisher nur ahnungsvoll blind wie das Kind im Mutterschoße mich gefühlt hatte.(3)

Intuition und Emotion lassen den Dichterkomponisten einen in sich plötzlich stimmig werdenden Kosmos erfahren. Hier liegt der Ursprung des monumentalen Ring des Nibelungen, mit dem Wagner nun ein Vierteljahrhundert lang, von 1848 bis 1874, als Text und Komposition zu schaffen haben wird. Es dauert seine Zeit, bis die einzelnen Teile des Werks in eine sukzessive Ordnung gebracht sind(4), die Mühen des Komponisten mit dem Text, den er immer auch als von der Musik unabhängiges Kunstwerk(5)  gesehen hat, dürfen nicht unterschätzt werden.

Noch mehr lässt sich aus diesem umfangreichen Zitat gewinnen. Zum einen erlangen wir die interessante Bestätigung dessen, dass das Bruchstückhafte und Wirre, das Wagner im Bereich der germanischen Mythologie insgesamt vorfindet, gerade auf den Sagenkreis um die Nibelungen speziell zutrifft, aus dem er seine Libretti für den Ring gestaltet. Es ist ja nicht in erster Linie das ca. 1200 im Donauraum entstandene und in sich halbwegs geschlossene Nibelungenlied, dessen er sich bedient, sondern die nordische Überlieferung vor allem der Lieder-Edda und der Völsungasaga.(6)  Der Eindruck des Unplastischen und Unfertigen kann sich sehr wohl einstellen, wenn man versucht, die verschiedenen Überlieferungen des Nibelungen-Stoffs zu einer abgerundeten Handlung zusammenzufassen. Ohne Friedrich de la Motte-Fouqué mit der Dramen-Trilogie Der Held des Nordens (1808-10) oder den heute vergessenen Ernst Benjamin Raupach mit dem Stück Der Nibelungen-Hort (1828)  unterdrücken zu wollen(7), steht doch außer Frage, dass Wagner der Autor des 19. Jahrhunderts ist, der die überzeugendste Fabel aus dem Vorliegenden zusammenfasste.

Zum anderen fällt auf und beunruhigt zunächst, wie stark sich hier ein Deutscher schon vor langer Zeit mit der germanischen Vergangenheit identifiziert, in ihr seine „Urheimat“ findet. Unvermeidlich kommt uns in den Sinn, in welchem Ausmaß der Nationalsozialismus Wagner für sich vereinnahmt hatte. Es bedarf erst einer Besinnung darauf, wie sehr Wagner von der Tradition der Romantik geprägt ist, jener Bewegung, die sich auch die Erschließung der germanischen und nationalen Literatur zum Ziel gesetzt hatte und eine Disziplin wie die Germanistik ins Leben rief, um seine Begeisterung neutraler einzuschätzen. Und, das ist noch wichtiger: Niemals dürfen wir seine republikanischen Aktivitäten im Umkreis des Revolutionsjahrs 1848 vergessen, die ihn zum steckbrieflich Gesuchten machten, der erst 1862 in seiner Heimat Sachsen Amnestie erlangte. Seine persönlichen Überzeugungen haben sich auch in den späteren Jahren des größten Ruhms nicht verflüchtigt. Wenn 1876 in Bayreuth die gesamte Ring-Tetralogie aufgeführt wird, ist der demokratische Aspekt seines Konzepts vom Gesamtkunstwerk immer noch gültig. Der Ring selbst darf keineswegs als präfaschistisches Narkotikum eingeordnet werden. Er spricht letztlich die Sprache der Revolution, lässt einen Helden, der freier als die Götter ist, gegen die Unterdrückung durch das Gold, also das Geld, kämpfen.

 

Wagners Quellen und Grundlinien einer Interpretation des Ring

Vergegenwärtigen wir uns zunächst in aller Kürze die Unterschiede in Figuren und Fabel des Nibelungenlieds, der nordischen Überlieferung und Wagners.

Das Nibelungenlied nennt für den Burgundenhof in Worms Königin Ute – ihr Mann Dankrat lebt nicht mehr -  und ihre Kinder Kriemhild, Gunther, Gernot, Giselher, sowie die mit ihnen nicht verwandten Helden Hagen und Volker, aus fernen Landen Brünhild und später Etzel. Siegfrieds Eltern in Xanten heißen Sigmund und Sigelind. Einen Handlungsverlauf brauche ich nicht zu geben. Die nordische Überlieferung nennt in der Völsungasaga, die einzelne Lieder der älteren Edda voraussetzt und zitiert, als Sigurds Eltern Sigmund und Hjördis. Sigmund, der Sohn von Völsung und Hljod, hat in einer vorangegangenen Beziehung mit seiner Schwester Signy den Sinfjötli gezeugt, der später vergiftet wird. Signy nimmt sich das Leben im Feuer, Sigmund wird im Kampf getötet, nachdem Odins Schwert, das er seinerzeit als Einziger aus dem Baumstamm zu ziehen vermochte,  am Speer Odins zerbrochen ist. Sigurd schmiedet das Schwert neu, tötet den Drachen Fafnir und gewinnt den Hort. Sein Erzieher Regin hat zuvor die Geschichte des Horts erzählt, in die die Götter Odin, Loki und Hönir verwickelt sind. Sie leisten Genugtuung für den Mord an Otter – Tier und Mensch zugleich – mit dem Gold, das sie dem Zwerg Andvari, der auch in Fischgestalt, als Hecht, lebt, wegnehmen. Zum Hort gehört auch der Ring, den der Zwerg verflucht. Fafnir tötet um des Rings willen seinen Vater Hreidmar, der Ring geht mit dem Hort an Sigurd. Hier hat Wagner sein Requisit gefunden, das hundert Jahre später dann von Tolkien noch extensiver genutzt wird, und bereits hier stammt der Ring aus dem Wasser. Seine wechselnden Besitzer: Andvari, Fafnir, Sigurd, Brynhild, Sigurd, Gudrun.  Sigurd kommt an den Hof der Gjukungen: König Gjuki (der keine Rolle spielt), Königin Grimhild, Ihre Tochter Gudrun, ihre drei Söhne Gunnar, Högni und Gutthorm. Sigurd, der wegen seiner früheren Beziehung zu Brynhild einen Vergessenstrank bekommen hat, heiratet Gudrun. Er hilft dann Gunnar, Brynhild zu gewinnen, die Starke, Walkürenhafte, die er schon kennt und liebte. Nach dem Streit der Königinnen Gudrun und Brynhild muss Sigurd sterben, er wird von Gutthorm im Schlaf erstochen. Brynhild bringt  sich daraufhin eine tödliche Wunde mit dem Schwert und legt sich zu Sigurd auf den Scheiterhaufen. Gudrun geht fort und heiratet unfroh König Atli, der Brynhilds Bruder ist. Er lädt Gudruns Sippe ein, um an den Hort, Gudruns Erbe, zu kommen. Atli stirbt durch Gudrun, die sich zu ihrer Sippe bekennt, die anderen sterben im Feuer. Gudrun heiratet unfroh König Jonakr, sie sehnt sich nach dem Tod, bittet Sigurd, sie zur Hel zu holen.

Wagner, der für den überwiegenden Teil seiner Opern Stoffe des europäischen Mittelalters heranzog(8), hat für seinen Ring, mit dem Vorspiel Das Rheingold (UA 1869) und den Teilen  Die Walküre (UA 1870), Siegfried (UA 1876) und Götterdämmerung (UA 1876),  das Nibelungenlied fast gar nicht, die nordische Überlieferung ausgiebig genutzt. Er erweitert den Kreis der Handelnden und ändert bzw. präzisiert die überkommene Fabel. Verbunden mit einer zum Teil inkonsequenten Namengebung (Wotan statt Odin, Gunther statt Gunnar, Siegfried statt Sigurd, Hagen statt Högni) übernimmt er weitgehend Personen und Handlungsablauf der Völsungasaga, vor allem entspricht bei ihm Gutrune der Kriemhild des Nibelungenlieds, Grimmhilde, die allerdings nicht als Person auftritt, ist ihre Mutter. Wagner fügt aber folgende Figuren hinzu: aus der germanischen Sagenwelt  Donner (Donar, Thor), Froh (Freyr), Freya (kombiniert mit Idun), Fricka (Frigg), Loge (Loki), Mime, Alberich (nimmt Andvaris Stelle ein) und die drei Nornen, oder gibt ihnen andere Funktionen: Fasolt als zweiter Riese, Erda (Jörd) als Mutter der Nornen und Walküren, Wotans Töchter, also auch Brünnhildes. Und er erfindet die drei Rheintöchter Wellgunde, Woglinde und Floßhilde. Entscheidende Eingriffe in die Überlieferung betreffen die Genealogie. Siegfried ist direkter Sohn der Geschwister Siegmund und Sieglinde, die durch ihren Vater Wälse = Wotan göttlichen Ursprung haben – „Wälsungenblut“. Alberich ist der Vater Hagens, die Mutter ist Grimmhilde, Hagen ist damit Halbbruder Gutrunes und Gunthers. In einem anderen skandinavischen Text, der Thidrekssaga, wird aber gesagt, dass Hagen der Sohn eines Alben sei (Kap. 150 f. in der Übersetzung von Friedrich von der Hagen).  Alberich und Hagen sind so als böses Prinzip von Anfang an die Gegner der Götter und Siegfrieds, Wotans Geschöpf. Und Wagner erzählt ausführlich die Geschichte des Requisits, das dem Werk den Namen gibt, des Rings, der vor dem Schwert das wichtigstes Dingsymbol fungiert: Alberich stiehlt den Rheintöchtern das Rheingold und schmiedet daraus den Ring, der unendliche Macht verleiht um den Preis, nicht lieben zu können. Gold und Ring nehmen ihm die Götter Wotan und Loge ab, die damit Freya auslösen, die Göttin ewiger Jugend, die von den Riesen Fafner und Fasolt als Lohn für den Bau Walhalls behalten worden war. Fafner erschlägt Fasolt um des Rings willen und zieht sich in seine Höhle zurück, um zum Drachen zu mutieren. Siegfried, der ihn tötet, gewinnt ihn, gibt ihn nach ihrer Liebesbegegnung an Brünnhilde. Er nimmt ihn ihr wieder, wenn er sie in Gunthers Auftrag  entführt, und erfährt von den Rheintöchtern den Fluch, der auf ihm ruht (Götterdämmerung III,1).   An Siegfrieds Leiche ersticht Hagen Gunther, um den Ring zu bekommen, Brünnhilde nimmt ihn und nimmt ihn mit auf den Scheiterhaufen. Der Rhein tritt über die Ufer, die Rheintöchter holen sich den Ring, Hagen ertrinkt, der Ring ist wieder dort, woher er kam, während Walhall und die Götter im Feuer vergehen.

Handlung und Plan der Wagnerschen Tetralogie sind, in aller Knappheit: Der oberste der Götter, Wotan, kämpft um die Bewahrung seiner Macht und scheitert dabei von Mal zu Mal, bis er sein und der Götter Ende herbeisehnt. In einer fatalen Dialektik, die ihn, Hüter der Verträge, deren Symbol der Speer ist, dazu zwingt, ständig Verträge zu brechen, als göttliches Vorbild für die Menschen mit sehr menschlichen Schwächen behaftet, vor allem der  ehelichen Untreue, will einen Helden schaffen, der seine Ziele verwirklicht. Ungewollt zeugt er zunächst Zwillinge. Aber Siegmund und Sieglinde müssen sterben, ebenso ihr Sohn Siegfried, der freieste aller Menschen und ohne Furcht. Und Brünnhilde, seine Lieblingstochter, macht er zum unglücklichsten Wesen unter Göttern und Menschen. Der Ring, der die Geschicke der Welt bzw. der drei Welten für eine Zeitspanne bestimmt hat, kam aus dem Wasser und wird vom Wasser wieder genommen.  Der Kampf zwischen Göttern und Wesen der Tiefe, zwischen Licht und Finsternis, ist nicht entschieden worden, sondern erfährt durch den Weltenbrand, die Götterdämmerung, ein vorläufiges Ende mit der Chance eines Neubeginns – die sich mehr in der Musik als in Worten andeutet.(9) Wagner hat, jetzt zitiere ich ihn noch einmal, aus „den dürftigsten Bruchstücken einer untergegangenen Welt, von welcher fast gar keine plastisch erkennbaren Denkmale übrigblieben“, ein Weltendrama geschaffen, nicht unverwandt Goethes  Faust, in dem es „mit bedächtiger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle“ geht.

Es gibt traditionell mehrere Deutungsansätze zu diesem Weltendrama.(10) Einige Reminiszenzen zu zweien von ihnen.

Eine historische, soziologische und politische Interpretation, die Wagners Werk als Widerspiegelung von Verhältnissen des 19. Jahrhunderts sieht, kann ohne große Umwege von Wagners eigener Position als Revolutionär ausgehen. Sein Jahrhundert ist das des Kommunistischen Manifests und der großen sozialen Bewegungen. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Requisit des Rings als Symbol des Kapitals sehen, das seinem Ursprung zurückgegeben wird, während die Gesellschaft sich auflöst und eine neue sich formen kann. Das Schwert lässt sich als die Revolution deuten. Sie scheitert beim ersten Anlauf: Siegmunds Schwert zerbricht am Speer der bürgerlichen Vertragswelt. Siegfrieds neu geschmiedetes Schwert zerschlägt diesen Speer, aber ein anderer Speer wird ihn töten. Der zweite Anlauf ist nur vorläufig gelungen.(11)

Ein anderer Zugang geschieht über Mythos und Psychoanalyse. Es liegt nahe, über das handlungsmächtige Inzestmotiv – Siegfried als Geschwisterkind – den Bogen zu Ödipus und der klassischen Antike zu schlagen, zumal Wagner selbst in seinem theoretischen Hauptwerk Oper und Drama von 1852 ausführlich darauf eingeht.(12) Auch andere Beziehungen im Ring erinnern an erotische Konstellationen, die später durch Sigmund Freud als Muster etabliert worden sind, so das Verhältnis Wotans zu seiner Tochter Brünnhilde oder Siegfrieds zu Brünnhilde, in der er zuerst die Mutter wiedergefunden zu haben glaubt (Siegfried III,3). Siegfried hat noch mehr mit Ödipus gemein: das Aufwachsen bei einem Pflegevater, das Überwinden des Drachen/der Sphinx, die unschuldige Schuld. Ebenso ist es bei Brünnhilde und Antigone, Ödipus´ Tochter: Liebe als Grundempfindung, Wissen um die Zusammenhänge, Freitod. Wagners Analyse des Ödipus-Mythos schließt mit den Worten: „Heilige Antigone! Dich rufe ich nun an! Laß Deine Fahne wehen, daß wir unter ihr vernichten und erlösen!--.“(13)  Dies ist auch die Funktion Brünhildes, die ein Reich der Liebe für die Zukunft des Menschen ersehnt. Überhaupt lässt sich sagen, dass Wagner dem griechischen Mythos sehr nahe steht.(14)  Er hätte der germanischen Stoffe nicht unbedingt bedurft, wählte sie aber wegen der Liebe der Romantiker zur nordischen Vergangenheit und ihrem damit verbundenen Kult der Nation. Das Inzestproblem und sein persönliches Verhältnis zu Brünhilde diskutiert Wotan mit seiner Gattin Fricka sehr deutlich (Walküre II,1). Er verteidigt die verbotene Verbindung Siegmund-Sieglinde als „was von selbst sich fügt, / sei zuvor auch noch nie es geschehn“ und seinen Plan mit Siegfried: „…was noch nie sich traf, / danach trachtet mein Sinn.“  Und, Sigmund Freud gar überschreitend, sagt Wagner in der genannten Schrift: „Das Unbewußte der menschlichen Natur in der Gesellschaft zum Bewußtsein bringen“ – er bezieht sich auf die „Notwendigkeit der freien Selbstbestimmung des Individuums“ – heißt nichts Anderes als „den Staat vernichten.“(15)

 

Rezeption für junge Adressaten

So weit zwei Linien der Interpretation eines gewaltigen Werks. Lassen sich dessen Aussagen und  Wirkabsichten überhaupt an jüngere Adressaten vermitteln? Sicher nicht leicht. Lässt sich wenigstens die Wagnersche Kompilation der Nibelungen-Stoffe vom Handlungsablauf und –umfang her an diese Gruppe weitergeben? Ja, es geht. Und vor der Darstellung  direkter Beispiele darf daran erinnert werden, dass mehrfach versucht worden ist, die germanischen oder deutschen Götter- und Heldensagen zusammenfassend zu erzählen, wenn sich dafür auch kein Gustav Schwab gefunden hat.(16)  Und auch darauf ist  hinzuweisen: Während die Nachdichtungen des mittelalterlichen Nibelungenlieds für Kinder und Jugendliche gern die Abenteuer des jungen Siegfried aufnehmen, die dort gar nicht stehen,  vor allem mit dem Drachen, der auf verschiedene Weise getötet wird(17), verwenden neuere Abenteuerromane bereits bewusst die vollständige nordische Überlieferung. Von ihnen seien zwei genannt, fast gleichzeitig erschienen, die für Jugendliche und Erwachsene gedacht sind: Stephan Grundy (geb. 1967) mit Rhinegold (1994, deutsch Rheingold, bereits 1992!) und Diana L. Paxson  (geb. 1943) mit Wodan´s Children (1993, 1995, 1996, deutsch Die Töchter der Nibelungen, C. 1997, 2000). Beide kommen Wagner damit schon recht nahe. Grundy, der nicht von ungefähr sein Buch Wagner und Tolkien als Anregern widmet und dem wir auch einen Hagen-Roman Attila´s Treasure (1996, deutsch Wodans Fluch, 1996) verdanken, lässt Regin seinem Lehrling Sigfrid die Geschichte des Rings berichten und erzählt dann, hauptsächlich der Völsungasaga  folgend, bis zum Untergang der Gibichungen, den Gudrun überlebt. Paxson, Fantasy-Autorin, Freundin und Mitarbeiterin von Marion Zimmer Bradley (1930  - 1999),  verfährt ähnlich. Sie beginnt und endet mit dem Ring. Beide Erzähler lassen Gudrun den Ring dem Rhein zurückgeben, beide sind vom schamanistischen Aspekt der germanischen Religion, vor allem Sigmunds „wölfischer“ Vergangenheit, fasziniert.

Dass man  Wagners Ring literatur- und musikwissenschaftlich abgesichert und gleichzeitig spannend nacherzählen kann, freilich für ein erwachsenes gebildetes Publikum, hat der Altgermanist und Wagner-Forscher Peter Wapnewski mit seinem Buch Der Ring des Nibelungen. Richard Wagners Weltendrama gezeigt(18) – eine meiner wenigen Literaturhinweise. Über keine Wagner-Oper ist mehr und mehr Redundantes, sich Reproduzierendes geschrieben worden als über den Ring! Aber: Es gibt den Ring für Jugendliche, für Kinder, als Opernführer für Kinder und sogar als Comic.

In der Reihe Der Holzwurm der Oper erzählt erschien 2006 bei der Deutschen Grammophon eine Aufbereitung des Rings für Kinder  von Stefan Siegert auf vier CDs nebst einem – offensichtlich für Erwachsene bestimmten – Booklet.(19)  In dieser Serie pflegen sich der Holzwurm als Alteingesessener des Hauses und Frau de la Motte über das jeweilige Werk zu unterhalten und klingende Beispiele vorzuführen. Das gelingt in diesem Fall, wo natürlich stark gekürzt werden muss, überraschend gut. Beispielsweise ist der Beginn der Walküre mit der Musik, die Siegmunds Flucht darstellt, eingängig und leicht verständlich und wird effektvoll eingesetzt.  Durchgehend ist so das Element des Abenteuers am besten geeignet, Aufmerksamkeit zu erregen und wach zu halten. Wie geht der Vermittler des Inhalts – diese Frage wird sich bei Bearbeitungen immer stellen – mit dem Thema des Inzests um? Überraschend banal. Zitat Holzwurm:  „Beide drehen sich im Taumel der Liebe […]. Obwohl  das für Bruder und Schwester ja eigentlich tabu ist.“ Antwort Frau de la Motte: „Und feiern Hochzeit, dass die Heide wackelt.“ Bitte kein Missverständnis: Diese Aufbereitung ist nicht ohne Anspruch. So werden historische Hintergründe korrekt erhellt und auch musikalische Phänomene analysiert, z. B. der Es-Dur-Akkord im Orchestervorspiel zu  Rheingold. Ein kleiner Schatten auf dem Lob: die falsche Aussprache von Namen gegen die germanische Stammsilben-Betonung, z. B. Walküre und Nibelungen auf der zweiten Silbe. Wagner, Wapnewski und Wotan drehen sich im Grab um!

Mit Premiere am 17. November 2007 ist im Winter 2007/2008 an der Wiener Staatsoper eine Bearbeitung unter dem Titel „Wagners Nibelungenring für Kinder“ herausgekommen. Das Libretto stammt von Matthias von Stegmann, die Musik „nach Richard Wagner“ von Hirofumi Misawa. Die Figuren sind - in der Reihenfolge des Programmhefts - auf Waldvöglein, Brünnhilde, Siegfried, Wotan, Fafner sowie drei Walküren und die drei Rheintöchter reduziert worden. Die Handlung wurde zu einer Mixtur aus Märchen und Fantasy, zu deren Happy End es gehört, dass Siegfried und Brünnhilde heiraten – ein Wagnis, wenn man bedenkt, dass in derselben Spielzeit am selben Ort eine vielbeachtete Inszenierung der Walküre  lief.  Freilich erscheint ein solches Wagnis geringer, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass sich sogar das Musical mehrfach an  der großen Tetralogie bedient  hat, zuletzt, ebenfalls im Winter 2007/2008,  in der Regie von Christian von Götz am Theater Bonn.   

Auch der Comic hat sich der Wagnerschen Kompilation angenommen. Das Mittelalter allgemein und noch frühere, nebulose heldische Zeiten, ebenso die klassische Antike(20), haben in der Geschichte dieses Zeichensystems, heute zunehmend auch in Fantasy-Spielen, eine gewisse Tradition. Man denke an Prince Valiant (deutsch Prinz Eisenherz)von Hal Foster (1937 ff.), eine dem keltischen Artus-Kreis zugesellte Erfindung, an The Mighty Thor von Stan Lee und Jack Kirby (1962 ff.) oder den deutschen Comic Sigurd von Hans-Rudi Wäscher als „Piccolo“-Hefte (1953 ff., zahlreiche Neudrucke). Dass die germanische Sagenwelt im Comic zum Leben erweckt wird, geschieht in Europa seltener. Unsere dänischen Nachbarn, ohne diesbezügliche Berührungsängste wie Deutsche und Österreicher,  haben die recht originelle Reihe Walhalla von Peter Madsen und Hans Rancke-Madsen herausgebracht (1979 ff., deutsch 1987 ff.), die von der eddischen Überlieferung ausgeht und liebenswerten Humor vermittelt, wenn z. B. Thor wie ein heutiger Angler immer wieder erzählt, wie er die Midgard-Schlange am Haken hatte, und keiner mehr zuhören möchte.(21)

Wagners Ring nun erschien doch tatsächlich in „Walt Disneys Lustigen Taschenbüchern“, in der deutschen Übersetzung als Der magische Ring.(22) Die Reihe, die, vergleichbar etwa der Fernsehserie Die Simpsons, immer wieder Klassiker im neuen Gewand – Travestie lautet der Terminus für das Verfahren – komisch präsentiert, verarbeitet den nordischen Nibelungenstoff  mit den Figuren aus Entenhausen. Was den jungen Rezipienten lediglich wie eine seltsame oder falsche Variante des Nibelungenlieds, aus dem Figuren oder Motive bekannt sein könnten, vorkommen wird, enthüllt sich den Kundigen als parodistische Adaption des Wagnerschen Librettos – vom Bau Walhalls durch die zwei Riesen FOLIE! bis zur Rückgabe des Rings an den Rhein. Aus dem Nibelungenlied sind lediglich der Wettkampf mit Brünhild  und die Figur eines kommentierenden Barden entlehnt, der sich Volker von Alzey nennt. Was die Parodie an den Vorlagen ändert, sind z. B. die Eigennamen: Aus Siegfried, von Donald Duck verkörpert, wird Siegnald, und der Goldgierigste der Entensippe wird, naheliegend, zu Dagowotan. Mächtige Aktionen werden bagatellisiert: Aus dem Wettkampf mit Brünhild wird ein Wettessen. Die Grausamkeiten werden reduziert: Nicht wird ein Riese erschlagen, sondern er spielt nicht mehr mit, weil er mit Grippe im Bett liegt. Und als im Gerangel des Finale der Ring in den Rhein fällt und von einem Hecht verschluckt wird, steht, letztes Bild, die Sippe komplett am Ufer, um den Fisch zu fangen. Hier wurde sogar über Wagner hinaus auf die Völsungasaga zurückgegriffen!

 

Die Bearbeitung von Sonny Kunst

Diese Informationen durften wir uns verschaffen, bevor wir uns einem Buch aus dem Jahre 1995 zuwenden: Sonny Kunst: Die Geschichte vom Ring des Nibelungen. Mit Illustrationen von Monika Laimgruber. Erzählt nach Richard Wagner „Der Ring des Nibelungen“.(23) Vor dem Aufschlagen nehmen wir  den Einband in Augenschein. Eine aquarellierte Zeichnung, in der die Farben Blau und Gold dominieren und sich stellenweise zu Türkis mischen, stellt uns auf der Vorderseite die drei Rheintöchter vor, die, von Fischen umgeben, über felsigem Abgrund schweben. Auf der Rückseite sehen wir den rotgewandeten Alberich kauern, den erbeuteten Goldklumpen, das Rheingold, mühsam haltend. Die Rheintöchter haben nicht das Verführerische des Opern-Librettos, sie wirken mit ihren blonden Löckchen und ihren Nixenschwänzen fast puppenhaft, und Alberich sieht nicht dämonisch aus, sondern eher ein bischen lächerlich: Wir haben es mit einem Kinderbuch zu tun. Sonny Kunst (geb. 1928 in Bremen) und Monika Laimgruber (geb. 1946 in Klagenfurt) haben es gewagt, den Ring des Nibelungen für Kinder (ab acht Jahren, so die Presseinformation des Verlags) nachzuerzählen und zu illustrieren.

Die Erzählerin übernimmt die Gliederung der Wagnerschen Tetralogie. Mit „Das Rheingold“, „Die Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ sind die Kapitel überschrieben. Die Aufzüge der Opern kehren als Unterkapitel mit neu formulierten Überschriften wieder; so wird aus Rheingold  2 „Wotan in Bedrängnis“, aus „Götterdämmerung“ III „Siegfrieds Tod und das Ende der Götter“. Sie hat die vier Libretti stark gekürzt. Wenn wir davon ausgehen dürfen, dass sie die praktischen Reclam-Ausgaben(24) benutzt hat, ergibt eine grobe Schätzung, dass von der Textmasse ein gutes Viertel übrig geblieben ist. Eine der stärksten Straffungen beispielsweise liegt vor, wenn die erste Begegnung Siegfrieds mit Brünnhilde, in der Oper eine volle Szene (Siegfried  III,3), in der Adaption auf eine dreiviertel Seite reduziert wird (S. 63). Es versteht sich, dass hauptsächlich an den ausgedehnten Gesangspassagen gestrichen wurde; sie sind natürlicher, knapper Rede gewichen. Die Bühnenanweisungen Wagners dagegen, aus denen ja hervorgeht, was eigentlich geschieht, sind fast vollständig, oft wörtlich, übernommen. Überhaupt gibt es so gut wie keine Abweichungen vom vorgegebenen Handlungsverlauf, dafür Auslassungen, Milderungen, zusätzliche Verständnishilfen.

So taucht zum Beispiel der Name der Erda gar nicht auf. Sie ist einmal nur eine „Stimme, die wie aus weiter Ferne in sein [Wotans] Inneres dringt“ (S. 25, entspricht Rheingold 4), und die Begegnung des Wanderers mit Erda (Siegfried III, 1) fehlt ganz. Erda war möglicherweise für die Erzählerin zu unpersönlich-schicksalhaft, vielleicht wollte sie obendrein die Überlastung der jungen Rezepienten durch zu viele Namen vermeiden. Letzteres ist ganz sicher bei den drei Rheintöchtern der Fall; denn welchen Sinn hätte es, Kinder mit den heute recht altmodischen Namen Woglinde, Wellgunde und Floßhilde zu belasten? Nicht erwähnt wird auch, dass Hagen Alberichs Sohn ist; er ist jetzt nur noch mit den Gibichungen „verwandt“ und „mit Alberich im Bunde“ (S. 67). Hier soll eine verwirrende Genealogie nicht vom ohnehin komplizierten Handlungsstrang ablenken. Auch die Nornen im Vorspiel zur Götterdämmerung fehlen, um das Personal übersichtlicher zu halten.

Gemildert wird im Bereich der Sexualität.(25)  Vor allem der Inzest zwischen Siegmund und Sieglinde wird behutsam behandelt. Die Tatsache, dass beide Bruder und Schwester sind, ist deutlich, sieht sich aber märchenhaft sublimiert. Die Verheißung von Siegfrieds Geburt (Walküre II,3) fehlt ganz. Die Liebesbegegnung selbst, in der Oper ausführlich gestaltet und in Text und Musik berstend von Erotik, läuft in der Nacherzählung auf die knappe Passage hinaus:

Und plötzlich wissen beide, daß sie sich wiedergefunden haben: Bruder und Schwester, Siegmund und Sieglinde. „Ja, Siegmund bin ich, das Schwert dort wird es bezeugen! Ich sollte es finden in höchster Not. Das hat mir der Vater versprochen.“
Langsam geht Siegmund auf den Eschenstamm zu, tastet nach dem Griff, umklammert ihn fest und ruft: „Notung! Notung! So nenn ich dich, Schwert! Zeig her deine Schärfe, heraus mit dir!“
Das Schwert gibt nach, und mit einem gewaltigen Ruck kann Siegmund es aus dem Eschenstamm ziehen. Er bringt es Sieglinde. „Als Brautgabe“, sagt er. „Verlaß dieses Haus und komm mit mir! Wir werden glücklich sein miteinander. Notung, das Schwert, wird uns schützen.“ Voller Freude und Glück stürmen Siegmund und Sieglinde hinaus in die Frühlingsnacht. Sie laufen, solange ihre Füße sie tragen. Dann schlafen sie auf weichem Moos eng aneinandergeschmiegt ein. (S. 33)

Das ist eine mutige Reduktion des Vorbilds; denn die entsprechende Opernszene (Walküre I, 3), mit dem bekannten „Winterstürme wichen dem Wonnemond“, endet so:

(Er hat sie umfaßt, um sie mit sich fortzuziehen.)
Sieglinde (reißt sich in höchster Trunkenheit von ihm los und stellt sich ihm gegenüber).
                                        Bist du Siegmund,
                                        den ich hier sehe -
                                        Sieglinde bin ich,
                                        die dich ersehnt:
                                        Die eigne Schwester
                            gewannst du zu eins mit dem Schwert!
Siegmund.       Braut und Schwester
                                        bist du dem Bruder -
                                        so blühe denn, Wälsungenblut!
(Er zieht sie mit wütender Glut an sich, sie sinkt mit einem Schrei an seine Brust - der Vorhang fällt schnell.)
               

Auch an einer anderen Stelle wird, wie zu erwarten, nur angedeutet, und zwar mit wenig Unterschied zur Oper. Siegfried, um Brünnhilde für Gunther zu zähmen, überwältigt sie mit physischer Kraft, kündet dann aber an, dass er sein Schwert zwischen sich und Brünnhilde legen wird, bevor sie in die Kammer gehen (Götterdämmerung I,3). Die Nacherzählung formuliert:

Brünnhilde mag sich noch so sehr sträuben, der Eindringling entreißt ihr den Ring mit Gewalt. Ihr Schmerz und ihre Verzweiflung kümmern ihn nicht. Und morgen in aller Frühe, wenn die Dunkelheit gewichen ist, wird er dem Freund die Braut übergeben. (S. 73)

Besser kann man den brisanten, auch für erwachsene und gebildete Rezipienten komplizierten, Handlungsabschnitt kaum in Worte fassen.

Aggression und Gewalt, das sind häufig weitere Bereiche, in denen Adaptionen alter Stoffe für die Kinder- und Jugendliteratur verantwortungsvoll realisiert werden müssen. Aber hier ist zu diesem Zweck kein Kunstgriff vonnöten: Wenn Sympathieträger wie Siegmund und Siegfried sterben, geschieht dies durch das Eingreifen des Göttervaters beziehungsweise durch Hinterlist und wird mit wenigen schlichten Worten erzählt. Als Siegfried selbst den bösen Mime tötet (S. 57-59), wird dessen Tücke zuerst ausführlich demonstriert, nicht anders übrigens als in der Oper (Siegfried  II, 3). Auch der Untergang Walhalls am Ende des Buchs ist, wie bei Wagner, eher ein Schauspiel, das von den Menschen aus der Entfernung beobachtet wird, als eine Kulmination von Gewalt. Während aber die Oper mit dem Ende der Götter schließt (Götterdämmerung III,3) und beim Publikum die Kenntnis der germanischen Eschatologie und der Wagnerschen Leitmotiv-Technik für das Verständnis voraussetzt(26), spricht die neue Version wörtlich von Hoffnung und Neubeginn:

Die Menschen sind erschüttert. Sie stehen wie versteinert unter dem taghellen Nachthimmel. Erst gegen Morgen verblaßt der Feuerschein. Mit dem ersten Sonnenstrahl aber beginnt ein neuer Tag. (S. 85)

Mehrfach wird zugunsten eines besseren Verstehens geringfügig in die Vorlage eingegriffen, und mehrfach werden sachliche Erläuterungen gegeben. So ist, als Alberich zu Beginn des Buchs den Ring raubt, Loge „zufällig vorbeigekommen“ (S. 11); sein Bericht vor Wotan bezieht sich dadurch viel direkter auf den Vorgang und verbindet die Handlung an beiden Orten, Rheintiefen und Walhall, augenfälliger. Zusätzliche Informationen werden gegeben, wenn im heutigen Wortschatz ungebräuchliche Begriffe vorkommen. An folgender Stelle aus dem Walküre-Teil geschieht dies recht geschickt:

Sie hat die Brünne, den Brustpanzer, angelegt, auch Helm und Schild trägt sie. Mit ihren Schwestern hat sie die Aufgabe, auf dem Kampfplatz, der Walstatt, die tapfersten der gefallenen Krieger auszuwählen, zu küren, und sie nach Walhall zu bringen. (S. 34)

Solche Beobachtungen lenken uns, nach mehreren Textbeispielen, nun direkt auf den Aspekt des Stils der Erzählerin. Interessant ist bereits der Erzähleingang, und zwar unter dem Aspekt des Tempus:

Es war einmal ein Schatz, ein richtiger Goldschatz. Er ruhte auf dem Grund des Rheines, tief unten im Wasser, wo die Rheintöchter ihr Reich haben. Das sind Nixen, anmutige Wesen, die sich in den Fluten tummeln, sich necken, fröhlichen Schabernack treiben und flink wie die Fische zwischen den Felsen umherschwimmen. (S. 9)

Nach zwei im Präteritum gehaltenen Sätzen gestaltet sich der gesamte weitere Text im Präsens. Das ist für Texte der Heldensage heute recht ungewöhnlich. Das Präteritum macht kurz den Abstand zur vergangenen Zeit der abenteuerlichen Handlung deutlich und rückt diese durch das formelhafte „Es war einmal“ in die Nähe des Märchens. Das Präsens schickt die Rezipienten dann in die vergangene Welt, die Erzählerin überlässt sie aber nicht immer sich selbst, sondern mischt, wie oben gezeigt, manchmal begleitende Informationen ein. Sie genügt damit einer wichtigen Forderung unserer nur dünngesäten Sagendidaktik, nämlich durch „orientierende Textsignale oder externe Interpretationshilfen“ den Abstand zum Erzählten deutlich und sein Verstehen leichter zu machen.(27)

Die Sprache ist nicht einheitlich. Zum überwiegenden Teil wird eine getragene, manchmal feierliche Diktion verwandt, die der Vergangenheit des Erzählten auch angemessen erscheint. Innerhalb dieser Stilebene wird mehrfach der wirkungsvolle Wagnersche Stabreim übernommen. Wenn zum Beispiel Mime dem jungen Siegfried sagt, der Drache könne ihn „verschlingen mit Haut und Haar, mit einem Happ“ (S. 54), stammt selbst das wie für Kinder formulierte „Happ“ aus dem Libretto („Siegfried“ II, 2). Ein einziges Mal wird die Vorlage auch im Druck als gebundene Rede erkennbar, teils verändert und gerafft, teils aber wörtlich übernommen. Als Wotan und Loge Alberich den Ring abnehmen (Rheingold 4), benötigt der Zwerg für seinen Fluch 38 Zeilen. In der Adaption wird daraus:

Verflucht sei der Ring!
Tod dem, der ihn trägt!
Wer ihn hat,
den plage die Sorge!
Wer ihn nicht hat,
den plage der Neid!
Niemand bringe er Nutzen,
bis ich ihn wieder besitze.-
Behalt ihn nur und hüte ihn,
meinem Fluch entfliehst du nicht! (S. 23)

Geschickt wird hier das Libretto genutzt, um eine zum Kontext kontrastierende, stärker archaisierende Wirkung zu erzeugen. Den Stabreim setzt die Erzählerin auch selbständig ein, zum Beispiel in feierlichen Situationen: „Die Männer heben den toten Siegfried auf den Schild und tragen ihn in traurigem Zug zur Höhe hinauf“, heißt es S. 83, während Wagners Bühnenanweisung (Götterdämmerung III, 2), zumindest in dem entsprechenden Satz, nicht stabt.

Neben getragener Diktion und teilweiser Übernahme der Vorlage stehen zahlreiche umgangssprachliche Formulierungen: „Verdammt, denkt Loge ...“ (S. 24); „Siegfried schlottert kein bißchen“ (S. 55); „Hagen [...] muß nur höllisch aufpassen“ (S. 79). Während eine solche Kontamination von Stilebenen in Hinsicht auf das intendierte Lesepublikum als wohlüberlegt und treffend bezeichnet werden darf, stören zwei Stilbrüche, die dieses Publikum freilich nicht bemerken kann: Den Anglizismus „einmal mehr“ (S. 47) sollten wir Journalisten und Politikern überlassen, das Adverb „umgehend“ (S. 74) der deutschen Bürokratie.

Die Frage des Stils berührt sich eng mit der Frage der Qualität der Illustrationen. Neben dem farbigen Einband, von dem schon die Rede war, hat Monika Laimgruber acht Schwarz-weiß-Bilder, ebenfalls aquarellierte Zeichnungen, geschaffen, je zwei für die vier Kapitel. Die Motive dieser Bilder sind Menschen, Tiere, Untiere, Zwerge, Walküren. Die Götter werden nicht dargestellt; es scheint, dass den Rezipienten eher das Nahe und Vertrautere angeboten werden soll. Die dargestellten Figuren haben einen Zug ins Kindliche, selbst der Drache (S. 56) erinnert entfernt an ein Kuscheltier. Pedanten könnten sachlich vielleicht bemäkeln, dass Siegfried kein germanisches Langschwert, sondern eher ein römisches Kurzschwert benutzt (S. 56), oder dass die Dächer von Walhall (S. 65) an klassische Tempel erinnern, aber das sollte niemanden, ganz sicher nicht die Kinder, beunruhigen: Es hat sich eine gute Zusammenarbeit zwischen Erzählerin und Illustratorin ergeben, die alte Vorlage wird durch das zusätzliche Medium des Bilds dem neuen Zweck noch besser angepasst.

Was bedeutet dieses Buch für Kinder ab acht Jahren? Das Nachwort, das aus einem Interview zwischen Hans Gärtner und Sonny Kunst besteht, lässt zumindest keinen Zweifel daran, dass es weniger zu Wagners Opern hinführen, sondern eher eine „alte Geschichte“ erzählen will, in der es um „Liebe und Haß, Macht und Besitz, Betrug und Verrat“ geht (S. 86). Was hier als „alte Geschichte“ bezeichnet wird, ist die in Produktion, Theorie und Didaktik der Kinder- und Jugendliteratur vernachlässigte germanische Götter- und Heldensage. Das Buch ist einer der wenigen gelungenen Versuche, diese Gattung nicht nur wiederzubeleben, sondern sie auch einem noch sehr jungen Adressatenkreis zugänglich zu machen. Es ist bemerkenswert, dass dabei Wagners Ring als Vorlage genommen wurde. Wagners Musik hat übrigens dazu beigetragen, dass das Buch überhaupt entstehen konnte. „Wenn ich nicht bei einer Ring-Aufführung im Zuschauerraum gesessen hätte, gebannt von der großartigen Musik und  gespannt auf das unerhörte Bühnengeschehen,“ sagt Sonny Kunst im Interview, „hätte ich die Geschichte niemals erzählen können.“ (S. 87) Wir dürfen also vermuten, dass Kinder durch den Text auch einen Weg zur Musik finden können. Ein Schritt in diese Richtung wurde bereits getan, denn im Jahre 2004 kam im Allegra Musikverlag Sonny Kunsts Buch als Hörbuch heraus, in das Wagners Komposition planvoll eingefügt wird.(28)

 

Die Bearbeitung von Rolf Stemmle

Der Verfasser einer Nacherzählung aus dem Jahre 2005 mit dem vorlagenidentischen Titel Der Ring des Nibelungen(29) ist Rolf Stemmle (geb. 1962). Der Autor, der Betriebswirtschaft studierte, Kriminalromane, Komödien fürs Theater und – knappere – Einführungen in andere Wagner-Opern schrieb, gestaltet auf 122 Seiten eine Version des Rings, deren Funktion vom Abenteuerbuch für Jugendliche bis zur Einführung in den Opernzyklus für literarisch, historisch und musikalisch weniger Vorgebildete reicht. Die Musik wird in seinem Buch, das den Untertitel Richard Wagners vielschichtige Tetralogie, eingängig erzählt trägt und laut Text auf dem Einband „einen gesellschaftspolitischen Krimi genießen“ lässt, nicht direkt thematisiert. Es gliedert sich, wie zu erwarten, in die vier Teile des Zyklus, die auch mit den Namen der Opern überschrieben werden, weiterhin in jeweils vier Kapitel. Das erste Rheingold-Kapitel ist zugleich eine im Präteritum erzählte Einführung in die Mythologie des Rings, wobei die Herkunft der Götter in aufklärerischer Manier durch die Erhöhung charismatischer Menschen der Vorzeit durch die Späteren begründet wird.(30)

Stemmles wesentliche Leistung besteht weniger – wie bei Sonny Kunst – im adressatenadäquaten Gebrauch der Sprache als vielmehr im Herstellen einer klaren Kausalität der Handlung, wobei der Vergleich mit dem Libretto dadurch erleichtert wird, dass am Rand des Fließtextes oft in Kursivsatz darauf hingewiesen wird, an welcher Stelle der Oper wir uns befinden. Es gelingt dem Autor immer wieder überzeugend, Fakten an den Stellen bereits zu nennen, wo sie als Grundlage zum Verständnis des Folgenden wichtig sind. Wagner nämlich erklärt manches erst in der Retrospektive, was wir uns als Information schon früher gewünscht hätten. Stemmle bessert solche Lücken aus, indem er mit selbständigen Formulierungen füllt oder indem er Teile des Librettos verschiebt, neu arrangiert. Dafür Beispiele. Dass Siegfried, der ja bei Wagner nicht in Drachenblut gebadet hat, unverwundbar wird, verdankt er Brünnhildes Segen bei ihrer ersten Begegnung. Dazu steht im Libretto (Götterdämmerung, Vorspiel) aber nur  unbestimmt: „Was Götter mich wiesen, / gab ich dir: / heiliger Runen / reichen Hort.“  Was die zauberkräftige Walküre wirklich getan und dass sie seinen Rücken ungeschützt ließ, erfahren wir erst viel später, als sie Siegfried vor seinem Tod an Hagen verrät (II,5).  Bei Stemmle nun heißt es gleich nach der ersten Begegnung: „Brünnhilde […] segnet den Körper Siegfrieds, damit er unverwundbar sei. Den Rücken spart sie aus; in der Überzeugung, dass Siegfried seinen Feinden niemals diese Seite zuwenden würde.“ (S. 92) Dass Hagen Alberichs leiblicher Sohn mit der Königinmutter ist, wird erst in Götterdämmerung II,1 deutlich, als er von Alberich mit „Hagen, mein Sohn“ angeredet wird. Es ist aber wichtig, nicht zu spät zu zeigen, dass die Gegenspieler Wotan und Alberich auch ihre Nachkommen, hier Siegfried und Hagen, gegen einander antreten lassen. Deshalb heißt es bei Stemmle schon relativ früh, im Kontext des Siegfried, während das Libretto nichts dazu sagt:  „Hagen, den Alberich mit Grimmhilde gezeugt hat, lebt inzwischen unter den Menschen. Er  ist bereit, dem Vater bei seinen Machtplänen behilflich zu sein.“ (S. 66)  Und bereits zu Walküre II,2, wo nur verlautet, dass Alberich sich mit Gold eine Frau als Mutter eines Sohns gekauft hat, verrät Stemmle, „eine Frau namens Grimmhilde“ sei dies gewesen. (S. 44)  Oder: Die Informiertheit der Figuren der höheren Ebene wird nicht einfach vorausgesetzt, sondern als Vorgang beschrieben. So beobachten Wotans Raben, die in der Oper wohl erwähnt werden (vor allem Götterdämmerung III,2), häufiger das Geschehen und bringen ihrem Herrn Kunde, z. B. über Siegfrieds erfolgreichen Kampf mit dem Drachen. (S. 77) Und manchmal scheint es notwendig, sich den großen Bogen der Handlung, der ja durch Wotans Pläne bestimmt wird, erneut zu vergegenwärtigen. Dies geschieht dann durch eingeschobene Reflexion, die im Libretto so nicht, etwa als Monolog, zu finden ist. Ein Beispiel dafür: Die Walküre schließt damit, dass Wotan seine geliebte Tochter Brünnhilde in den Schlaf küsst und die Waberlohe um sie entzündet, die nur ein Furchtloser zu durchschreiten vermag. Stemmle ergänzt hier folgendermaßen:

Er [Siegfried] wird handeln, ohne Wotans Gesetze zu achten, aber auch, ohne gegen sie zu verstoßen. Diese Konstellation soll Wotan die Möglichkeit geben, sehr viel verdeckter zu agieren, weshalb dieses Vorgehen risikoärmer scheint als sein voriges. […] Heldenhaft wäre der Held, aber im Grunde einfältig, und daher in Abhängigkeit von Wotans übergeordnetem Wissen. Den Niedergang seiner Gesellschaftsordnung, der mit dieser neuen Herrschaft einsetzen wird, und das Ende der Götterherrschaft will er zähneknirschend als unumgängliche Konsequenz hinnehmen, jetzt aber verbunden mit dem Ziel, letztlich selbst noch die Zügel in der Hand zu behalten. Diese Gedanken gehen Wotan durch den Kopf, während sein Herz traurig Abschied nimmt von seiner Tochter. Er hat sie an seinen neuen Helden verloren. (S. 56)

An einer wichtigen Stelle wagt sich Stemmle in seiner Bearbeitung interpretierend sehr weit vor: Anders als Sonny Kunst, für die ein „neuer Tag“ den Text beschließt, spricht er von einem offenen Ende in dem Sinne, dass mit dem – wohl nicht unerreichbar gewordenen -Ring eine „neue Jagd nach Macht und Geltung“ in Gang kommen könne. (S. 122) Dem aber widersprechen Brünnhildes beschwörende Worte, bevor sie den Brand in ihren Scheiterhaufen schleudert: „Das Feuer, das mich verbrennt, / rein´ge vom Fluche den Ring! / Ihr in der Flut / löset ihn auf, / und lauter bewahrt / das lichte Gold, / das euch zum Unheil geraubt.“  Warum sollen wir nicht glauben, dass der Wunsch dieser großartigen Frau in Erfüllung geht! 

Wie steht es bei Stemmle mit der Bewältigung problematischer Stellen der Oper, was das Alter der Adressaten angeht? Die Liebesvereinigung der Geschwister Siegmund und Sieglinde liest sich im Libretto hochdramatisch und strotzend von Erotik und Sexualität. Bei Stemmle lesen wir lediglich: „Braut und Schwester bist du dem Bruder – so blühe denn Wälsungenblut!, ruft Siegmund und nimmt seine Schwester zur Frau.“ (S. 38) Das ist weder geschickt noch ästhetisch anspruchsvoll, zeigt aber die Technik des Bearbeiters, Zeilen aus dem Libretto nahtlos zu integrieren – was er immer korrekt tut. Und wie steht es mit der Kultur der Spannung als des wichtigsten Elements des Abenteuers?  Wagner hat zwei aktionsreiche Szenen, die das Nibelungenlied ja nicht kennt bzw. nicht darstellt: den Kampf Siegmunds mit Hunding, Sieglindes ungeliebtem Mann (Walküre II,5), und Siegfrieds Kampf mit dem Drachen (Siegfried II,2). Nur so viel dazu: Stemmles Schilderungen, wie das ganze Buch im Präsens gehalten, also eigentlich einem spannungsfördernden Tempus, reißen nicht so mit wie allein Wagners Regieanweisungen, die heute ohne weiteres im Drehbuch eines guten Fantasy-Films stehen könnten.(31)

Dies berührt nun endgültig die Frage nach Stemmles Stil. Stemmle benutzt nicht nur punktuell, also möglicherweise mit verfremdender Wirkung, sondern durchgehend, also programmatisch, einen schnoddrigen Ton, gemischt aus Umgangssprache, Verwaltungsjargon und Vulgärsoziologie. Er drückt sich mehrfach sprachlich falsch aus und macht sogar grammatische Fehler. Beispiele für die durchgehende Diktion:  „Die Walküre ist eine gefühlvolle, junge Frau. Bislang hat sie mehr wie eine burschikose Soldatin gelebt denn als weibliches Wesen. Sie war von Wotan als Heldenbeschafferin vorgesehen – und nicht als liebende Frau.“ (S. 48)  Oder: „Siegfried verkommt endgültig zum verfügbaren, kritiklosen Kraftmeier.“ (S. 97)  Daran kann man sich vielleicht noch gewöhnen. Peinlich indes sind Entgleisungen wie diese: Wotan hat „seiner Festung wohlweislich den Namen >Walhall< gegeben – Saal für gefallene Krieger.“ (S. 29) Ich assoziiere leider „Heim für gefallene Mädchen.“ Oder: „Kurzatmig fasst Brünnhilde zusammen, was sich zugetragen hat.“ (S. 51)  Gemeint war statt „kurzatmig“ hoffentlich „atemlos.“ Oder, die Rheintöchter sind gemeint: „Um weiter an Siegfrieds Beharrlichkeit zu rütteln, tauchen sie plötzlich ab.“ (S. 111)  Oder, Siegfried ist gemeint: „Das Wälsungenkind war verfälscht worden. Üble Kräfte hatten ihn beeinflusst.“ (S. 116)  Dann, gottlob wenige, krasse Fehler. Es heißt nicht „[Sie] flechtet“ (S. 91), sondern, auch heute noch, „flicht.“  Und der Plural von „Schild“, der Waffe, mit der man sich schützt, lautet „Schilde“, nicht „Schilder.“ (S. 115)  Und die germanischen Schicksalsgöttinnen, die Nornen, heißen heute im Singular „Norne“, nicht „Norn“ wie bei Wagner und im Altnordischen.

Genug nun mit der Kritik an Fehlern in Ausdruck, Referenz, Grammatik und Lexik. Stemmles Stärke, die kausal stimmige sukzessiv erzählte Handlung, ist ja gewürdigt worden. Vergleichen wir jedoch mit der Leistung von Sonny Kunst, müssen wir dieser Autorin den Preis geben. Beide Bearbeitungen des Rings erzählen für junge bzw. nicht einschlägig vorgebildete Menschen von heute den Text eines Musikdramas des 19. Jahrhunderts neu. Dieses Musikdrama hat mittelalterliche und ältere Texte mit Stoffen bereits der Völkerwanderungszeit aus dem Bewusstsein der eigenen Epoche heraus verstanden und mit eigenen Wirkabsichten zusammengefügt. Beide Bearbeitungen erfüllen den Anspruch ihrer Adressaten auf Unterhaltung und Information. Die eine tut dies als Kinderliteratur in unaufdringlicher Schlichtheit, gestützt auf die plausible Rezeption und Kompilation durch das 19. Jahrhundert. Sie achtet das Alte und ganz Alte und lässt es wieder erstehen. Ihr gebührt mein großer Respekt. Die andere versucht als Jugend- und Allgemeinliteratur die erkannte Modernität des 19. Jahrhunderts durch Denkmuster unserer Zeit und eine als für heute angemessen eingeschätzte  modische Diktion verständlich zu machen. Beide erzählen intelligent und spannend, und beide können auf das Zusammenwirken  von Text und Musik und auf Wagners Gesamtkunstwerk vorbereiten. Wähnte Wagner solche Wirkung des Werks? Wohl kaum.

 


Anmerkungen

1 Jacob Grimm: Deutsche Mythologie. Göttingen 1835. Zuletzt: Wiesbaden 1992. 3 Bde. Nachdruck der 4. Auflage Berlin 1875-78.
2 Richard Wagner: Mein Leben 1813-1868. Vollständige, kommentierte Ausgabe. Hrsg. v. Martin Gregor-Dellin. München 1994, S. 273. Als knappste aktuelle Wagner-Biographie vgl. Martin Geck: Richard Wagner. Reinbek 2004. Zur Wagner-Rezeption der Prominenten vgl. Über Wagner. Von Musikern, Dichtern und Liebhabern. Eine Anthologie. Hg. v. Nike Wagner. Stuttgart 1995.
3 a.a.O.
4 Das ist in Weltliteratur und Medien nicht ungewöhnlich. Man denke an Coopers Lederstrumpf-Bände oder in neuerer Zeit an den Film-Zyklus Star Wars.
5 Zu Wagners literarischer Leistung vgl. u. a. Walter Scherz-Parey: Richard Wagners Dichtkunst. Eine literaturkritische Betrachtung. Graz  1998.
6 Wagner hat die betreffenden Quellen selbst genannt. Vgl. z. B. Peter Wapnewski: Der Ring des Nibelungen. Richard Wagners Weltendrama. München 5. Aufl. 2007, S. 37. Ein Verzeichnis aller germanischen Quellentexte, die irgendeinen Bezug zum Ring haben, findet sich in: Richard Wagner. Der Ring des Nibelungen. Nach seinem mythologischen, theologischen und philosophischen Gehalt Vers für Vers erklärt von Herbert Huber. Weinheim 1988, S. 329 – 335.
7 Vgl. dazu Wolf Gerhard Schmidt: Der ungenannte Quellentext. Zur Wirkung von Fouqués Held des Nordens auf Wagners Ring-Tetralogie. In: Athenäum 11, 2001, S. 159 – 191.
8 Vor allem für Tristan, Parsifal, Tannhäuser, Lohengrin. Zu Wagners Verhältnis zum Mittelalter vgl. z. B. Richard Wagner und sein Mittelalter. Hg. v. Ursula und Ulrich Müller. Anif/Salzburg 1989; Danielle Buschinger: Le Moyen Age de Richard Wagner. Amiens 2003.
9 Vgl. u. a. Herbert Huber, a.a.O., S. 308; Wapnewski, a.a.O., S. 308; Dieter Borchmeyer: Richard Wagner. Ahasvers Wandlungen. Frankfurt a. M. 2002, S. 306.
10 Vgl. stellvertretend für eine Unmenge von Literatur wenigstens: Richard Wagner – „Der Ring des Nibelungen“. Ansichten des Mythos. Hg. v. Udo Bermbach und Dieter Borchmeyer. Stuttgart u. Weimar 1995; „Alles ist nach seiner Art.“ Figuren in Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen.“ Hg. v. Udo Bermbach. Stuttgart u. Weimar 2001;  Nora Eckert: Der Ring des Nibelungen und seine Inszenierungen von 1876 bis 2001. Hamburg 2001.
11 Zur Bedeutung des Schwerts vgl. Lutz Köpnick: Nothungs Modernität. Wagners Ring und die Poesie der Macht im 19. Jahrhundert. München 1994.
12 Richard Wagner: Oper und Drama [1852]. Herausgegeben und kommentiert von Klaus Kropfinger. Stuttgart 2000, S. 187 – 202.
13 a.a.O., S. 199.
14 So bei Dieter Borchmeyer: Das Theater Richard Wagners. Idee – Dichtung – Wirkung. Stuttgart 1982, S. 230 – 253.
15 Wagner: Oper und Drama, a.a.O., S. 202.
16 Aus dem 20. Jahrhundert vgl. immerhin Günter Sachse: Deutsche Heldensagen. München 3. Aufl. 1994; Götter- und Heldensagen. Hg. v. R. W. Pinson. Bindlach 1995; Gerhard Aick: Deutsche Heldensagen. Wien 1997; Germanische Götter- und Heldensagen. Nach den Quellen neu erzählt von Reiner Tetzner. Stuttgart 1997.
17 Vgl. zu diesem Motiv Wolfgang Biesterfeld: Vom Dämon zum Kuscheltier. Metamorphosen des Drachen. In: Tausendundein Buch  2007, H. 2, S. 6 – 10.
18 Wapnewski, a.a.O. Das Buch erschien zuerst unter dem Titel „Weißt du, wie das wird…?“ München 1995.
29 Der Ring des Nibelungen für Kinder / Richard Wagner. Ein Opernführer von Stefan Siegert  mit Ilja Richter und Silke Dornow. [Berlin]: Universal 2006. 4 CDs und Beiheft in Doppelbox.
20 Vgl. Wolfgang J. Fuchs und Reinhold C. Reitberger: Comics. Anatomie eines Massenmediums. Reinbek 1973, Kap. IV „Superhelden“, S. 131 – 164.
21 Im dänischen Original: Walhalla. Bagsvaerd: A/S Interpresse 1979 ff., deutsch Reinbek, dann Hamburg: Carlsen 1987 ff. Verfilmt unter dem Titel Walhalla (DK 1986), Regie: Peter Madsen.
22 Walt Disney: Der magische Ring.  Übersetzung:  Alexandra Ardelt. Leinfelden-Echterdingen o. J. [1990] (Walt Disneys Lustiges Taschenbuch, 148). Das amerikanische Original lag mir nicht vor.
23 Sonny Kunst: Die Geschichte vom Ring des Nibelungen. Mit Illustrationen von Monika Laimgruber. Erzählt nach Richard Wagner „Der Ring des Nibelungen.“  Würzburg: Echter 1995. 88 S
24 RUB 5641-5644. Hrsg. v. Wilhelm Zentner. Stuttgart 1992-1994. Nach diesen Ausgaben zitiere ich ebenfalls.
25 Vielleicht ist in dieser Hinsicht die Wieland-Sage (mit der Vergewaltigung der Königstochter durch den Protagonisten) die größte Herausforderung für Bearbeitungen. Vgl. dazu Wolfgang Biesterfeld: Überlegungen zur germanischen Heldensage mit einem Blick auf Willi Fährmanns Wieland der Schmied. In: Umgang mit Kinderliteratur. Hubert Göbels zum 90. Geburtstag. Hg. v. Helmut Fischer. Essen 1995, S. 109– 129.
26 Die Völospá  („Der Seherin Gesicht“) der Lieder-Edda spricht von einer neuen Welt nach dem Untergang der alten. Zum musikalischen Aspekt vgl. Anm. 9.
27 Vgl. Manfred Klein: Nibelungen für Kinder? In: Werner Psaar und Manfred Klein: Sage und Sachbuch: Beziehung, Funktion, Informationswert, Didaktik. Paderborn etc. 1980, S. 195 - 202; hier: S. 196.
28 Herausgegeben von Manfred Ball. Badische Staatskapelle. Vorgelesen von Franziska Ball. 4 CDs.
29 Rolf Stemmle: Der Ring des Nibelungen. Richard Wagners vielschichtige Tetralogie eingängig erzählt. Würzburg: Königshausen & Neumann 205. 122 S. Stemmles Darstellungen zu anderen Wagner-Opern, jeweils drei in einem Band, erschienen im selben Verlag.
30 So wird bereits am Anfang von Snorri Sturlusons Heimskringla („Weltkreis“, entstanden 1220 – 1230) gedeutet, freilich aus christlicher Perspektive.
31 Vgl. Konrad Wörtmann: Wotan verspielt die Weltherrschaft. Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“  als geschlossenes Fantasy-System. In: Der Golem 1990. 1991, S. 99 – 111. Wer sich in germanischer Mythologie oder bei Wagner und zusätzlich in Fantasy auskennt, kann durch diese Verbindung nicht überrascht sein.

1.13. Die Bedeutung des Mittelalters für Europa

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INST

For quotation purposes:
Wolfgang Biesterfeld: Richard Wagners Ring des Nibelungen als Abenteuerbuch. Sekundäre Mittelalter-Rezeption für Jugendliche - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/1-13/1-13_biesterfeld17.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-03-01