TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr. März 2010

Sektion 1.2. Der Kaukasus und Europa / Caucasus and Europe
SektionsleiterInnen | Section Chairs: Mzia Galdavadze (Tbilissi), Tornike Potskhishvili (Wien), Vilayet Hajiyev (Universität Baku) und Azat Yeghiazaryan (Jerewan)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Zeit zum Schaffen und Zeit zum Verschaffen
Das Beispiel Georgien

Tengiz Khachapuridze (Tbilissi) [BIO]

Email: tthb2001@yahoo.com

 

Ende 90er und Anfang des neuen Jahrhunderts – nie zuvor wurde so viel und so oft von der Notwendigkeit des Dialogs der Kulturen gesprochen und  aus allen  Anlässen wiederholt, dass die Welt durch Dialog der Kulturen, Annäherung der Kulturen, Kulturenharmonie, gegenseitige Kulturbereicherung usw. verbessert, vermenschlicht oder sogar gerettet werden kann. Klingt echt schön und hoffnungserweckend, denn der allgemeine politisch-wirtschaftliche Hintergrund in der ganzen Welt und die alltägliche Realität lassen die absehbare Zukunft recht trüb aussehen. Also, vielleicht wirklich eine sehr gute Chance zur Weltverbesserung oder Weltrettung? Ja, eine echt schwierige Frage. Eine eindeutige und allumfassende Antwort wäre wohl kaum möglich, weil gewisse Prozesse, die einem auf den ersten Blick ähnlich oder sogar gleich erscheinen können, in verschiedenen Ländern unterschiedlich verlaufen. In den postsowjetischen Reformländern ist die Entwicklung bzw. der Verlauf von einigen dieser Prozesse in mehreren Aspekten ähnlich und das Beispiel Georgien spiegelt allgemeine Tendenzen in diesen Ländern wider, obwohl dort auch einige Abweichungen von diesen Tendenzen zu beobachten sind. Das Land hat von 1991 bis 1993 zwei Kriege überstanden und die harten Folgen und Rückschläge dieser Kriege sind in verschiedenen Formen immer noch spürbar.

Ja, die neue Zeit ist angebrochen, In der neuen Zeit wird logischerweise unsere neue / junge Generation leben und es ist für sie lebenswichtig, wie sie mit den völlig neuen Realien klarkommt, die von dieser neuen Zeit in unser Land mitgebracht werden. Es sind viele neue, bisher kaum bekannte oder für unsere traditionellen geistig–moralischen und kulturellen Werte völlig fremde Realien, die für die durch zwei Kriege und drastische politische, wirtschaftliche und soziale Änderungen desorientierte georgische Gesellschaft sehr schwer zu verstehen bzw. zu verkraften sind – dafür ist diese Gesellschaft von ihrer Natur her ziemlich konservativ und der zunehmende Verfall von vielen jahrhundertealten traditionellen kulturellen, geistigen und moralischen Werten wird von vielen Menschen als sehr schmerzhaft empfunden. Aber, wie gesagt, die neue Zeit (meinetwegen auch das neue Zeitalter) ist schon da und man ist mit ihr konfrontiert. Man muss mit ihr leben, weitergehen, einfach Schritt halten. Und viele machen das, bewusst oder auch unbewusst. Meistens sind es die jungen Leute (und das ist ja auch völlig logisch – wer denn sonst?), aber auch die Anderen, die man als jung nur schwer oder im besten Fall nur bildlich bezeichnen kann.

Wie bereits erwähnt, verlaufen diese und andere Prozesse in verschiedenen Ländern unterschiedlich und einer der Hauptgründe dafür liegt m.E.  in unserer jüngsten Geschichte.

Der Fall der Berliner Mauer löste sehr schnell eine unumkehrbare Kettenreaktion namens Zerfall des Ostblocks aus. Der mürrisch-hermetische eiserne Vorhang, der uns jahrzehntelang von der restlichen Welt trennte, war verschwunden und dahinter konnten wir endlich mal die bisher fremde und völlig unbekannte Welt mit Staunen, Bewunderung und sogar mit etwas Ehrfurcht und gemischten Gefühlen erhaschen. Ja, erhaschen, nur kurz erblicken und nicht länger anschauen oder gar betrachten – jede Minute in dem Paradies auf der Erden war für uns verdammt teuer: Die reizend raschelnden Papierstücke, die wir bis vor kurzem naiv noch Geld nannten, wollten die Bewohner, besonders aber die Inhaber der prall gefüllten Läden des irdischen Edens nicht haben. In wenigen Fällen nur als Souvenir – bitte schön! Unser Geld war im neuen Eden völlig wertlos – auch die Banken wollten damit nichts zu tun haben. Anstatt des eisernen Vorhangs war nun eine unsichtbare aber ganz real spürbare Trennwand entstanden - namens finanzielle Unverträglichkeit. Jetzt waren wir die Fische im Aquarium – wir durften und konnten die Außenwelt sehen, waren aber von ihr durch das dicke Aquariumsglas getrennt. Die kurze Euphorie war sehr schnell verflogen und am Ende mussten wir enttäuscht und entrüstet feststellen, dass nicht nur unsere Geldscheine, sonder auch wir selbst sehr schnell in den Augen von vielen der vorgenannten Eden-Bürger praktisch wertlos und uninteressant geworden waren. Und ein exotisches Souvenir wollte ich nicht sein. Die Anderen bestimmt auch nicht. Jeder musste etwas tun, etwas Neues, um sich in der neuen Welt, vor allem aber in seinem eigenen Land neu zu finden und zu behaupten. Von Eden war keine Rede mehr. Zuerst musste man einfach überleben. Egal wie. An eine Hilfe seitens des im Handumdrehen zu einem Demokratenland gewordenen Staates war nicht zu denken – die Machthaber, ebenfalls im Handumdrehen zu Großdemokraten geworden, waren dauernd nur damit beschäftigt möglichst schnell tiefdemokratisch denken zu lernen und baten uns und den Westen ab und zu verlegen um noch etwas Geduld und Verständnis.

In der bei uns sehr lange dauernden so genannten Übergangsphase ging es in Georgien nur ums Überleben. Zwei Kriege nacheinander und dann eine furchtbar lange Nachkriegszeit voll von galoppierender Kriminalität und Straßenbandenschlachten, Hungernot und chronischen Stromausfällen, bitterkalten endlosen Wintern ohne Heizung in den Häusern und leeren Unterrichtsräumen in den Schulen und Unis, leeren Kindergärten und zum Platzen überfüllten, ohne jeglichen Fahrplan, fahrenden U-Bahnzügen, voll von zynischen und endlosen nichtssagenden Versprechungen der Machthaber, die ihre Kinder noch vor oder gleich nach dem Krieg in den Westen geschickt hatten… Im jahrelangen Kampfe ums Überleben haben wir die Zeit einfach vergessen oder nur wenig nicht beachtet und nun sind wir – die mittlere und ältere Generationen – im Prinzip eine Art der Dinosaurier, die die verheerende Eiszeit aus irgendwelchen unfassbaren Gründen überstanden haben und jetzt wieder weiterleben wollen, wobei sich in der neuen Welt kein Plätzchen mehr für uns finden lässt. Eine Art neue Generation " Perdu", was denn sonst?

Wir (damals immer noch ziemlich jung) mussten unsere Kinder irgendwie retten und jetzt, nachdem wir das mühevoll hinter uns gebracht haben, sind wir auf einmal zu alt und unsere Kinder mittlerweile zu groß. Und plötzlich sehen wir, dass unsere Kinder eigentlich keine Kinder mehr im wahrsten Sinne des Wortes sind, sondern erwachsene junge Leute mit gewissen Ambitionen. Aber wegen unserer genetischen typisch georgischen maximalistischen Natur sind diese Ambitionen manchmal einfach enorm groß und können vielleicht nur mit Ambitionen des jungen und eitlen Napoleon verglichen werden. Leider sind die kühnen Ambitionen dieser jungen Leuten in meisten Fällen völlig grundlos, weil das, was sie während der besagten Jahren in den Schulen oder Hochschulen bekommen haben, nur sehr bedingt und mit großem Vorbehalt als Bildung genannt werden kann. Auf der anderen Seite ist es völlig selbstverständlich, dass gerade diese Leute morgen oder spätestens übermorgen das Antlitz unserer Gesellschaft repräsentieren werden. Die wenigen Ausnahmen können kaum was ändern und es ist zu befürchten, dass aus den vorgenannten Gründen auch nach uns eine weitere Generation "Perdu" kommen kann – ohne richtige Bildung / Ausbildung hat die junge Generation heute nirgends eine Chance. Die neue Regierung gibt sich Mühe eine Bildungsreform im Land durchzuführen, aber das erwünschte Ergebnis ist noch weit und die junge Generation ist aus diesen und anderen Gründen mit großen Problemen konfrontiert.

So sieht also der allgemeine Hintergrund aus. Im Moment ziemlich bedrückend und trostlos. Aber das Leben geht weiter und sogar ein solcher Hintergrund kann das natürliche und ewige Streben nach dem Neuen nicht bremsen.

In der Kunstsphäre zeigt sich das ganz klar. Der am Anfang dieses Beitrags erwähnte Dialog der Kulturen hat stattgefunden und sorgt nunmehr für andauernde heftige Diskussionen. Auf den ersten Blick eigentlich nichts Neues – der ewige Kampf zwischen Neu und Alt. In allen Lebenssphären und in verschiedenen Formen.

Auch heute geht es ums Überleben, der Unterschied ist aber, dass jetzt in Georgien auch die Kinder von gestern überleben wollen bzw. müssen und nicht nur wir, die Älteren. Ein weiterer Unterschied – diese gestrigen Kinder wollen nicht nur einfach überleben (wie wir in unserem verzweifelten Kampf), sondern sich auch behaupten. Und zwar möglichst schnell. Es ist auch nichts Besonderes dabei – so ist es sicherlich überall. Aber, wie gesagt, die Ausdrucksformen sind unterschiedlich.  

Dass der oben erwähnte Dialog der Kulturen nicht nur notwendig sondern heutzutage auch unumgänglich ist, weiß wohl jeder. Fraglich ist nur, wer mit wem redet und wie man miteinander spricht. Zu beachten wäre, dass dabei nach ein paar üblichen freundlichen Begrüßungsphrasen aus dem Dialog kein Monolog wird, wobei der „Kleinere“ ab und zu bescheiden bis ehrfürchtig nur „ja“ (meistens) und „nein“ (sehr selten) einwerfen darf. Auch bei der ebenfalls erwähnten Annäherung müsste man wohl beachten, dass allein der Schatten des „Größeren“ den ganzen kulturellen Schatz des jeweiligen „Kleineren“ nicht völlig verdunkelt und diesen am Ende mit „Verschlucken“ bedroht. Sollte dies doch passieren, verschwindet die feierlich angekündigte Kulturenharmonie schon automatisch. Wo liegen und wie sind die erforderlichen Feinheiten ausgeprägt , die die „Großen“ zu beachten und die „Kleineren“ zu befürchten haben? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es sicherlich nicht – in jedem konkreten Fall sind sie unterschiedlich und müssen von den jeweiligen Parteien selbst gefunden werden.

Ja, der Dialog zwischen den Kulturen hat stattgefunden, aber in unserem Fall bis heute im Prinzip leider nur mit einer Kultur – mit einer viel jüngeren aber bestens finanzierten Kultur. Richtiger gesagt: im Grunde genommen, nur mit dem billigeren Teil dieser neuen Kultur, denn diese hat auch einen anderen sehr seriösen Teil und ist, trotz ihrer Jugend, in jeder Hinsicht sehr wertvoll. 

Und wie reagiert die Gesellschaft auf das erste Ergebnis des Dialogs mit dem billigeren Teil  dieser bestens finanzierten Kultur?

Natürlich unterschiedlich. Das ist aber eine völlig normale Erscheinung. Nicht normal ist nur der erbitterte Kampf zwischen den entgegen gesetzten Gesellschaftsgruppen und die Formen dieses Kampfes, weil  durch die Folgen dieser heftigen Auseinandersetzungen vor allem die junge Generation betroffen und desorientiert wird.

Doch die heutige Situation bzw.  diese heftige Konfrontation ist nicht nur das Ergebnis der neuen Zeit. Sie kann u.a. darauf zurückgeführt werden, dass in Georgien – wie in allen ehemaligen Sowjetrepubliken – 70 Jahre lang nur eine einzige offiziell erlaubte, ideologisierte und von den Machthabern streng kontrollierte Kunstform - der sog. sozialistische Realismus - existierte. Alles Andere wurde als fremd bis feindlich und für das Sowjetvolk unakzeptabel gebrandmarkt. Die Kunstentwicklung in der restlichen Welt blieb für die überwiegende Mehrheit des Volkes wegen des hermetischen „eisernen Vorhanges“ praktisch unbekannt. Bekannt bzw. erlaubt waren bei uns entweder nur Klassiker oder hauptsächlich nur diejenige von den zeitgenössischen ausländischen Künstlern, die in ihren Ländern als Gesellschaftskritiker galten oder einfach derart genial waren, dass ihre Namen sogar uns erreichen konnten.  

Ja, viele Jahrzehnte lang war bei uns die Zeitbewegung kaum zu merken. Bemerkbar war sie vielleicht doch an den rot markierten Daten im Kalender, die uns ab und zu an irgendeinen Parteitag der einzigen und allmächtigen Partei oder an andere ebenfalls kommunistische Fest- und Feiertage  erinnerten.

Das totalitäre System hatte – wie in allen Lebenssphären – seine Günstlinge natürlich auch in der Kunst und Literatur. Und diese Menschen – sogar wirklich talentvolle unter ihnen – waren ihren Befehlshabern bzw. deren politisch-ideologischen Richtlinien treu und kritisierten in ihren Werken aus jedem Anlass und bei jeder Gelegenheit unermüdlich die westliche Gesellschaft, Kunst und Lebensweise, wofür sie von den Machthabern reichlich belohnt wurden und alle möglichen Privilegien genossen. Die Einen machten das wirklich aus Überzeugung aber es waren auch sehr viele, die aus karrieristischen, finanziellen oder vielleicht auch irgendwelchen anderen Gründen gegen ihr eigenes Gewissen vorgehen und janusköpfig handeln bzw. schaffen mussten oder auch wollten. Selbstverständlich gab es Künstler, die trotz des enormen Drucks und der offenen Verfolgungen seitens des staatlichen Systems echte Kunstwerke schufen und ihren eigenen menschlichen und künstlerischen Prinzipien treu geblieben waren. Aber das war sehr schwierig und kam zu jenen Zeiten praktisch einem Heldentum gleich. Leider gab es nur wenig von solchen Künstlern und daher war während der sieben Jahrzehnte überwiegend eine ideologisierte  (Pseudo-) Kunst bzw. (Pseudo-) Kultur entstanden, die im Laufe der besagten Periode leider recht tiefe Wurzeln schlagen konnte – nicht zuletzt oder vielleicht auch überwiegend durch den engagierten Einsatz der vorgenannten Doppelmoralträger.

Ja, so war es  damals. In der Epoche des aufgezwungenen Stillstandes, wo wir von der natürlichen Phase der dialektischen Gesellschaftsentwicklung siebzig Jahre lang abgeschnitten waren. Doch das Regime war in seinem Wesen derart naturwidrig (es wollte ja die Zeit nur nach seinem eigenen Willen laufen lassen), dass es irgendwann unbedingt verschwinden musste und am Ende ist das auch passiert. Aber nichts verschwindet spurlos. Es gibt immer noch viel von oben genannten Wurzeln, die im Bewusstsein von vielen Menschen immer noch tief sitzen. Die immer wieder spürbaren Rückschläge dieser Wurzeln sorgen zum größten Teil für die oben erwähnte Konfrontation.

Der Übergang vom Alten zum Neuen ist bekanntlich in allen Bereichen schwierig, verläuft zickzackartig und in manchen Fällen auch schmerzhaft und unberechenbar. Der besagte Dialog, der von den Einen begeistert begrüßt, geführt und ausgebaut wird, findet bei den Anderen nur Misstrauen, Ablehnung oder Widerstand. Es gibt natürlich eine andere, mehr oder weniger ausgeglichene Meinung in der Gesellschaft, aber die Stimme derjenigen, die diese Meinung vertreten, verliert sich im überlauten Kampf der vorgenannten Gegenparteien. Wenn die Einen die Globalisierung und folglich die neuen Realien in allen Sphären bedingungslos begrüßen und unterstützen (Argumente: Annäherung der Nationen durch Kulturaustausch, mehr Möglichkeiten zur Völkerverständigung, gemeinsamer Schutz vor Terrorismus, internationalem organisiertem Verbrechen und Naturkatastrophen sowie engere Zusammenarbeit in wissenschaftlich-technischen, medizinischen, wirtschaftlichen Bereichen, gemeinsamer Kampf gegen Hungernot usw.), bedeutet die heranrückende Globalisierung für die Anderen nahezu den Untergang der nationalen Kulturen, die Zersetzung der Moral und der christlichen Tugenden, das Verschwinden der wahren Kunst und was die Kulturenannäherung angeht, so warnen sie vor dem neuen Babelturm und fast unumgänglichen Weltuntergang. Sie sehen den Grund dafür vor allem darin, dass ihrer Meinung nach die Rolle der Kirche im Westen zurückgegangen oder gar zurückgedrängt sei. Im Rausch des unheimlich großen technischen Fortschrittes und im Streben nach maximalem Komfort entferne sich unsere Konsumgesellschaft von dem für sie einst organischem und traditionellen christlichen Glauben und somit von vielen geistigen und seelischen Werten, die jahrhunderte lang zum Schaffen von alledem beigetragen haben, was die christliche Welt während ihrer zweitausend Jahre langen Geschichte im Bereich der materiellen und geistigen Kultur erreicht hat. Sie kritisieren auf das schärfste manche christliche Kirchen im Westen, die, wie sie entschieden unterstreichen, mit dem Christentum nichts mehr zu tun haben, indem diese z.B. homosexuelle Ehen akzeptieren, begrüßen und sogar fördern. Und die Berufung dabei auf die Menschenrechte und Toleranz sei einfach gotteslästerliches Argument – man denke bloß an die Bibel, und zwar an Sodom und Gomorra!  Ebenfalls falsch sei die sehr merkwürdig interpretierte Demokratie und Toleranz, während der militante Fundamentalismus neben uns sein Unwesen treibt. Dabei führen sie unzählige grausame Beispiele aus dem Weltalltag an und weisen auch darauf hin, dass radikale fundamentalistische Organisationen in vielen oder praktisch allen westlichen (und nicht nur in westlichen Ländern) völlig legal funktionieren und der Staat darauf nur mit einem vagen Argument reagiert – Menschenrechte und Meinungsfreiheit. Und jede Explosion in U-Bahnzügen oder großen Handelszentren erwidern sie mit Krokodiltränen und verspäteten polizeilichen Aktionen. In der georgischen Presse gab es einige kritische und alarmierende Artikel über die ebenfalls völlig legale Tätigkeit von solchen Organisationen in unserem Lande. Es ging dabei um eine Organisation, die sogar in ihrem Herkunftsland (!) bereits  verboten ist. Die Reaktion der Behörde ist ähnlich und das Argument völlig gleich. In gleicher Kerbe schlagen einige NGOs. Der Grund – die direkte oder undirekte finanzielle Abhängigkeit von den vorgenannten oder mit diesen kooperierenden ähnlichen Organisationen, so die besagten Gegenstimmen.

Es ist völlig selbstverständlich, dass die Gegenparteien in ihrem Kampf nach Verbündeten unter den Jugendlichen suchen und gerade hier beginnt das oben genannte Problem: die Jugend, Kunst und Gesellschaft in heutigem Georgien.

Also, was bietet die gegenwärtige georgische Wirklichkeit der jungen Generation?

Da gibt es leider nicht viele Möglichkeiten.

Studium? Ja, vor allen Dingen muss es doch ein Studium sein, aber für die Meisten ist es zu teuer und auch ohne besondere Aussichten – mit Rücksicht auf die unheimlich große Arbeitslosigkeit im Land hat man praktisch keine Beschäftigungsmöglichkeit nach dem Studiumsabschluss. Auf der anderen Seite – ohne Studium überhaupt keine Chance.

Handwerkliche Ausbildung? Erst im äußersten Notfall und nur sehr ungern – gilt bei uns nach wie vor als zweitrangig und wird meistens schief angesehen, übrigens – nicht besonders gute Verdienstmöglichkeiten.

Armee oder Polizei?  Kommt auch erst im Notfall infrage – ist aus verschiedenen Gründen bei vielen Jugendlichen immer noch oder nach wie vor nicht sonderlich attraktiv.

Vielleicht Tourismus und seine Infrastruktur? Trotz wirklich großen Möglichkeiten leider immer noch nur schwach entwickelt und liegt ziemlich weit von den Weltstandarts. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Daher begrenzte Arbeitsplätze und wenige Aufstiegsmöglichkeiten in absehbarer Zukunft.

Oder vielleicht die Politik?

In der Politik ist die Konkurrenz sehr groß und alle Nischen schon lange nahezu für immer besetzt, weil selbst die führenden Politiker des Landes sehr jung sind und in absehbarer Zukunft keinen Rücktritt beabsichtigen. Also im besten Fall nur (wenn überhaupt) die Drittrollen für die Einsteiger. Aber mit Rücksicht auf die bereits erwähnten Ambitionen käme so was nicht infrage.

Also, was denn sonst?

Im Prinzip nur sehr wenige Gebiete, wie etwa NGO, Kunst /Literatur oder Sport.

Der Sport ist heute weltweit leider derart zum großen Business gemacht, dass in unserem Lande von Amateursport nicht die Rede sein kann und für Leistungssport gibt es keine ausreichenden Finanzmittel. Daher ziehen die meisten talentierten jungen Sportler ins Ausland und es ist kein Zufall, dass einige von ihnen unter den Flaggen anderer Länder Olympiamedaillen erkämpfen. Also, sehr begrenzte Möglichkeiten sogar für die wirklich Talentierten.

Und wie steht es mit NGOs? 

Die genaue Anzahl der NGOs in Georgien ist unbekannt. Laut verschiedenen Angaben müssen es über zweitausend (!) sein – für so ein kleines Land wie Georgien eine enorm hohe Zahl. Aber in der Tat existieren diese NGOs nur auf dem Papier und es funktionieren nur sehr wenige davon und die meisten von diesen sind in Wirklichkeit keine NGOs, sondern ein Gegenteil davon – sie kooperieren eng mit Regierung und eine von ihnen ist derart einflussreich (weil ihre ehemaligen Mitglieder in der Regierung und im Parlament Schlüsselpositionen besitzen), dass sie die Innen- und Außenpolitik des Landes kontrolliert. Die Parteien ergänzen sich ganz harmonisch und machen auch kein Hehl mehr daraus. Diese NGO kontrolliert mehrere große Zeitungen und TV-Sender. Eine andere NGO übt einen starken Einfluss auf das recht große Segment des Kulturgeschehens im Lande usw. Selbstverständlich sind solche NGOs nicht für jeden Jugendlichen offen und gelten als elitär. Solche NGOs haben sich mittlerweile hoch und ganz fest etabliert. Sie werden in der Regel von verschiedenen ausländischen Stiftungen und Institutionen finanziert, genießen ihre Macht und reagieren äußerst heftig auf jede Kritik oder ignorieren diese einfach – je nachdem, woher bzw. von wem diese Kritik kommt. Fazit – nicht für alle Sterblichen, sondern nur für die „Auserwählten“.

Es bleibt also praktisch nur die letzte Nische – Kunst und Literatur. Das Hauptthema des vorliegenden Artikels und eine sehr umstrittene Frage des heutigen georgischen Kulturlebens.

 

Kunstmacherei anstatt Kunstschaffen 

Noch nie war in unserem Land die Zeit zum Denken (lies – zum Schaffen) so knapp und der Raum zum Atmen so eng gewesen. Von Tag zu Tag verlieren diese Begriffe ihre alten Merkmale und gewinnen sofort Neue und es wird immer schwieriger diesen Prozess zu beobachten, als führe man in einem superschnellen Auto, wobei man die Bäume am Straßenrand nicht mehr auszumachen vermag und diese praktisch nur als eine endlose grüne (bunte, braune usw. – je nach der Jahreszeit) Mauer wahrnimmt. Was hinter den Bäumen (lies – hinter der Mauer) los ist, interessiert die Insassen nicht sonderlich. Das Hauptziel liegt irgendwo vorne hinter dem Horizont und man will schneller – ohne sich umzudrehen – dorthin gelangen. Schneller als die Anderen. Und warum?

So genau und eindeutig lässt sich diese Frage wohl nicht beantworten. Sicherlich gibt es Leute, die das wissen oder wenigstens es zu wissen glauben. Man kann aber vermuten, dass  wenigstens einer der Gründe doch klar zu sein scheint: wir haben in unserem kleinen Land während der Herrschaft des totalitären Regimes so viel Zeit verloren, dass wir nun einfach gezwungen sind Hals über Kopf hinter der längst vergangenen Zeit her zu laufen und sie aus aller Kraft irgendwie – egal wie – einzuholen versuchen.

Während der Übergangsphase war eine Zeit lang ein Vakuum entstanden – das Alte funktionierte nicht mehr und das Neue war noch nicht ganz da. In der Euphorie der ersten Jahre der erkämpften Freiheit mussten wir nach und nach mit Erstaunen entdecken, dass unsere Künstler und Literaten mit der jahrzehntelang ersehnten Freiheit eigentlich nicht so viel anfangen konnten und die Qualität ihrer Werke dank der neuen Zeit nicht drastisch gestiegen ist. Eher war (und ist) meistens das Gegenteil zu beobachten. Als wäre ein Damm gebrochen, strömte die Lava von Kitsch und Durchschnitt und füllte das bestehende Vakuum der Übergangsphase ganz schnell aus. Die Qualität war zwar erwünscht, aber nicht entscheidend. Hauptsache war nur das angesprochene Thema, worüber noch vor kurzem nicht mal flüstern konnte. Die nach Neuem, Unbekanntem oder früh Verbotenem durstende Gesellschaft schluckte ohne Unterschied alles, was die besagte Lava mitbrachte. Leider geht dieser Prozess immer wieder weiter und das von dieser Lava mitgebrachte sog. Kulturprodukt wird verkauft bzw. „konsumiert“, weil es billig ist. Viele unabhängige Studien in verschiedenen Ländern haben ergeben, dass die meisten Menschen  billige Sachen hauptsächlich nur deswegen kaufen, weil diese eben billig und nicht unbedingt brauchbar sind. Diese goldene Formel ist den emsigen Kunstmachern und deren „Vermittlern“ oder sog. Promotern  auch bekannt. Also – schnell und billig. Richtiger gesagt: schneller und billiger als die Anderen! Anders geht es ja auch nicht: die Konkurrenz ist enorm hart und gnadenlos. Echte Kunst braucht Talent, viel Arbeit und Zeit, aber die Lage drängt und jede Sekunde zählt. Daher die enorme Eile und in dieser Eile werden Gedichte und Romane geschrieben, Filme gedreht, Theaterstücke aufgeführt, Musik gemacht und Bilder gemalt – natürlich schnell, schneller, am schnellsten…. Der Grund  ist klar – man darf sich nicht verspäten. Eine Millisekunde oder ein Mikron sind öfters schon lange enorm wichtig oder entscheidend geworden – wie im Leistungssport – und letztendlich wie im Big-Business. Die Zeit zum Denken (also, zum Schaffen) ist sehr knapp geworden, aber es wird trotzdem geschaffen, und zwar, im Geiste der Zeit: sehr schnell. Bei der starken Konkurrenz auf dem Markt der billigen Waren hat nur derjenige bessere Chancen, der etwas noch Billigeres von gleicher oder etwas besserer Qualität anbietet.

Und worum handelt es sich in den besagten schnell gemachten Filmen, Romanen, Theaterstücken, Liedertexten, Bildern usw.?  

Überwiegend um Gewalt in unzähligen und widerlichsten Formen, Aggression, Mord, Blut, Zerstörung, Horror, Drogen, alle denkbaren und undenkbaren Perversionen bei den Homo- Bi- oder Transsexuellen usw. „Coole Typen“ auf der Leinwand, im Fernseher, in den Rap-Texten und natürlich in den Büchern. Und die Antwort auf die Frage: warum?  ist sonnenklar – die Ware ist sehr billig und lässt sich gut und schnell verkaufen. Besonders in einem so armen Lande wie Georgien und vor allem unter Jugendlichen.

In einem Lande, in dem die meisten Menschen jeden Groschen paar Mal umdrehen müssen bevor sie sich für den Kauf eines Buches (oder sogar einer Zeitschrift) entscheiden, ist die Rolle bzw. Bedeutung der Medien im Kulturleben enorm groß. Aber nicht nur im Kulturleben. Ihr Einfluss auf die immer noch im Formungsprozess befindliche Psyche der Kinder und Jugendlichen ist sehr stark. Die Folge: besonders beliebt unter den Jugendlichen unter 18 (sog .Teenager) sind gerade diese blutigen Filme und die sog. Rapsänger, deren Vokabular am obszönsten ist, Gewalt anpreist  und Drogen anhimmelt. Noch schlimmere Folgen: bedrohlich wachsende Drogenabhängigkeit und Kriminalität in der vorgenannten Altersgruppe, Gewalt und Drogen in den Schulen – allein 2007 gab es mehrere Mordfälle unter den Schülern. Als Tatwaffen wurden in der Regel Schusswaffen (!) verwendet. Es ist wirklich erstaunlich, aber manchmal gewinnt man den Eindruck, dass unsere Medien die Akzente vorsätzlich ändern und die Täter, „namhafte“ Kriminellen oder andere asozial agierende Personen fast wie Helden vorstellen. Und auf die empörten Einzelstimmen, die sich nur sehr selten und mit großen Anstrengungen bei den Medien durchsetzen, gibt es immer eine einzige Routineantwort seitens der letzteren: Bitte umschalten, falls Sie was Anderes sehen oder hören möchten! (Fernsehen und Radio). Kaufen Sie was Anderes, wenn Sie was Anderes lesen möchten! (die Presse). Dabei wissen sie natürlich, dass kaum jemand diesen weisen Rat befolgen wird. Der Hoffnungsgrund – praktisch keine Alternative. Daher diese Selbstsicherheit. Natürlich – wer sägt schon den Ast ab, auf dem man so schön gemütlich sitzt.

Und warum herrscht in der Kunst und vor allem in Medien diese Tendenz?

Eine Standardantwort seitens der Medien mit gönnerhaftem Lächeln für die Ahnungslosen lautet: so ist es eben im zu weit fortgeschrittenen Westen und wir müssen also mitmachen. Außerdem: wo leben wir denn eigentlich? In einem brutalen, herzlosen unmenschlichen und unbarmherzigen Jahrhundert – also diese Adjektive so schnell wie möglich zu Substantiven und Verben machen und rein fotographisch darstellen. Egal wo: auf der Bühne, auf der Leinwand, im Buch oder auf dem Gemälde, in Musik oder im Tanz – Hauptsache, es muss im Geiste der vorgenannten Adjektiven dargestellt worden sein. Dabei verschweigen sie sorgfältig die Tatsache, dass im Westen nicht nur billigere Sachen auf dem Kunstmarkt angeboten werden und der Käufer im Westen die besagten billigen Sachen nicht mehr kaufen will. Der Westen hat so was schon lange hinter sich gebracht und verworfen. Nun müssen wir aber – nach der Logik der Vorkämpfer der dubiösen neuen Werte – das längst Verworfene wieder aufheben und es dankbar „konsumieren“. Ist doch alles billig! Je mehr und schneller – umso besser für die besagten Vorkämpfer. Für sie ist die Zeit wirklich Geld. Ihr letztes Argument (oder vielleicht auch das Hauptargument) lautet: Gott sei Dank, sind wir nun endlich mal eine freie Gesellschaft und haben im Lande das freie Marktwirtschaftsystem. Und weil dieses System ihre unerbittlichen Spielregeln hat, sollen sich alle danach richten. Alle ohne Ausnahme, heißt es. Also warum sollte die Kunst eine Ausnahme sein? Eiserne Logik. Auch die Kunst soll sich diesen gnadenlosen Regeln fügen. Die Kunst ist in ihren Händen nur die Handelsware. Der „Warenanbieter“ hat entschieden mehr Einflussmittel als die „Warenverbraucher“ und übersättigt den Markt mit Billigwaren. 

Infolgedessen ist es kein Wunder, dass viele junge Menschen, die sich beruflich für die Kunst entschieden haben, recht oft der Versuchung nicht widerstehen können und die befahrenen Wege gehen, die ihre älteren oder gleichaltrigen Kollegen bereits gebahnt haben. Aber sogar dieser gebahnte Weg ist für die Anfänger meistens gesperrt. Wie vielmals gesagt, ist die Konkurrenz ohnehin sehr groß und in einem kleinen Land mit beschränkten „Vermarktungsmöglichkeiten“ ist jede neue Konkurrenz unerwünscht und wird nur ungern geduldet. Diejenigen, die sich mittlerweile bei verschiedenen Verlagen, Zeitschriften, Fernsehsendern, Theatern, Ateliers, Musikstudios usw. fest etabliert haben, wollen keine Konkurrenz. Daher immer gleiche Gesichter auf den Bildschirmen, Bühnen und Leinwänden. Immer die gleiche Stimmen im Radio oder auf den Konzertbühnen. Immer die gleichen Namen in den Regalen der Buchhandlungen oder in den Literaturzeitungen usw. Nur wenige und wirklich sehr talentierte junge Künstler bekommen manchmal (nur schwierig) eine Chance sich der Öffentlichkeit zu präsentieren und können sich dann auch versuchen zu behaupten. Es gibt keine Zensur seitens des Staates, aber es entstand eine andere inoffizielle, so zu sagen korporative Zensur. Erst wenn man „dazugehört“ – ist die Tür offen. Deswegen wollen viele junge Künstler ins Ausland gehen und sich dort zu realisieren versuchen. Manche tun das auch mit mehr oder weniger Erfolg, manche bleiben im Lande. Vor allem die Schriftsteller und Lyriker – was z.B. ein Musiker oder Maler im Ausland ohne Sprachkenntnisse erreichen kann, ist bei einem Schriftsteller bzw. Lyriker unvorstellbar und ausgeschlossen. Es gibt daher ein an Nihilismus grenzender Pessimismus unter den jungen Künstlern, die schon am Anfang ihres Weges zur Erkenntnis kommen (müssen), dass man „ohne Beziehungen da oben oder bei Medien /Verlegern usw. keinen Schritt weiter machen kann.“

Auch der innere und schlecht verhüllte Kampf unter den Medien sorgt für die Verschärfung der oben erwähnten Konfrontation in der Gesellschaft. Fernsehen kämpft gegen Radio, und die beiden – gegen das Internet und alle zusammen (mit wenigen Ausnahmen) gegen die um Existenz kämpfenden ewigen und unvergänglichen seelischen, geistigen und kulturellen Werte der kleinen aber sehr alten Nation. Die Kräfte sind leider ungleich. Die Billigkunst bzw. Pseudokunst lässt sich durch die Medienhilfe in einem armen Land sehr schnell und gut verkaufen. Daher die logische Eile der Medien und Showbusinessbossen – morgen kann das Land vielleicht nicht mehr so arm sein und die attraktiv verpackte billige Importware muss also noch heute schnellstmöglich verkauft werden und dann… Dann sollen doch die Anderen teure (lies – wertvolle) Kunst im Westen kaufen und hier zu verkaufen versuchen. Aber nicht heute. Heute liegt die Kunst in unserem Hoheitsgebiet! Wir wollen unser Geld gleich heute. Und nach uns die Sintflut! Also, die immer noch vorhandene Zeit zum Verschaffen darf keinesfalls verloren gehen. Wer weiß, was morgen kommt…

Zum Glück gibt es in der letzten Zeit eine zwar immer noch schwache, aber langsam wachsende positive Bewegung in Richtung der Besserung wenigstens eines Teils der Probleme. Einige junge und talentierte Künstler haben sich trotz vieler Schwierigkeiten durchsetzen und sogar behaupten können. Immer mehr junge Leute bekommen die Chance zum Studium und zur beruflichen Weiterentwicklung im Ausland, aber es handelt sich dabei um einige wenige, wirklich sehr begabte Jugendliche. Für die überwiegende „normale“ Mehrheit bleiben die Probleme nach wie vor nur sehr schwer lösbar. In diesem Zusammenhang muss unbedingt betont werden, dass die oben geschilderte allgemeine Lage im Land oder dadurch entstandenen Jugendprobleme wenigstens zu einem gewissen Teil doch lösbar sind. Eine solche bzw. ähnliche Situation gab es in allen Reformländern. Viele von ihnen haben es bereits überwinden können und vor allem durch richtig konzipierte, sorgfältig ausgewogene, komplexe und zukunftsorientierte sozialpolitische und wirtschaftliche Maßnahmen. Es ist völlig klar, dass eine rein mechanische Übernahme dieser Maßnahmen für unser Land nur wenig von Vorteil sein kann, aber es erscheint mir sehr wichtig eine Zusammenarbeit gerade mit diesen Ländern auszubauen, denn diese Länder haben sowohl die oben erwähnte Konfrontation innerhalb der Gesellschaft nach der Wende, als auch die Jugendprobleme regeln, unter die Kontrolle bringen und lösen können. Deswegen wäre es vielleicht ratsamer neben der Zusammenarbeit mit dem Westen (was natürlich für unser Land einfach lebenswichtig ist) die Kooperation mit ost- und zentraleuropäischen Ländern zu aktivieren. Die Erfahrung der Letzteren wäre für Georgien, insbesondere für unsere Jugend ebenfalls sehr wichtig. Der Staat hat schon mit der Bildungsreform begonnen und die Erfahrung der vorgenannten Länder auf diesem Gebiet könnte für unser Land sehr nützlich sein. Der Staat muss immer mehr Finanzmittel für das Bildungssystem mobilisieren, damit die Bildung auch morgen nicht so teuer bleibt wie heute. Bei den gut gebildeten und zukunftsorientierten Jugendlichen hätten die dubiösen neuen „geistigen Werte“ sowie die Pseudokunst entschieden weniger Chancen. Ebenfalls wenige Chancen hätten auch diejenigen, die im Zusammenhang der Kulturenannäherung apokalyptische Bilder malen. Eine gute Bildung garantiert auch gute Fremdsprachenkenntnisse, was den Jugendlichen die Möglichkeit geben würde, direkte Kontakte mit anderen Kulturen herzustellen und nicht über die o.g. streitende Parteien. Dann würden sie sich von den Letzteren nicht mehr beeinflussen und desorientieren lassen, ihre Wahl selbst treffen, sowie echte und falsche Kulturwerte selbst unterscheiden und ihre eigenen neuen Wege gehen. Dann ist der Kulturendialog für unsere Jugendlichen völlig selbstverständlich und dann wissen sie auch, dass es im Westen nicht nur die Billigkunst sondern auch die echte Kunst gibt, die dort geschaffen, gepflegt und hochgeschätzt wird. Dann wird ebenfalls klar sein, dass sich die Kunst zwar mit all den oben mehrmals erwähnten schrecklichen Dingen befassen kann und muss, aber nicht so laienhaft oder vorsätzlich rein fotographisch und mit verstellten Akzenten, wo die  nur destruktiv wirkende offenbare Apologie der wilden oder teuflischen Instinkte im Menschen und deren pseudokünstlerische (oder vielleicht sogar auch echt künstlerische) Darstellung viele Gefahren in sich birgt. Jetzt aber sind und bleiben die Jugendlichen ohne gute Bildung und entsprechende geistige Entwicklung „Hauptkonsumenten“ der billigen Pseudokultur.  

Lernen, forschen, schaffen und dadurch positiv denken – bedeutet bekanntlich immer mehr Licht im Leben und wo mehr Licht ist, haben verschiedene Vorurteile, Intoleranz, falsche kulturelle Werte und grundlose Auseinandersetzungen kaum Chancen zu destruktiven Folgen.

Die verschärfte Konfrontation aufgrund der neuen Realien zwischen den am Anfang des vorliegenden Artikels geschilderten zwei Strömungen führt zur weiteren Desintegration der Gesellschaft, was für die Weiterentwicklung eines so kleinen Reformlands wie Georgien äußerst unerwünscht und gefährlich ist. Die junge Generation, ihre Selbstbehauptungs- und Selbstrealisierungsversuche sowie die neuen, unbekannten und fremden Formen in der Kunst werfen immer neue Fragen und Probleme auf. Der Staat und die Gesellschaft müssen imstande sein die Situation, in der sie sich befindet, entsprechend zu analysieren und zu meistern. Die Rolle der Gesellschaft ist dabei ebenso wichtig, wie die des Staates. Sie darf nicht einfach ein passiver Beobachter sein bzw. nur eine dekorative Funktion im Theater haben, in dem sie selbst die Hauptrolle spielt.


1.2. Der Kaukasus und Europa / Caucasus and Europe

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For quotation purposes:
Tengiz Khachapuridze: Zeit zum Schaffen und Zeit zum Verschaffen. Das Beispiel Georgien - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/1-2/1-2_khachapuridze17.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-03-10