TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Juni 2010

Sektion 7.4.

Kommunikation von Innovationen! Innovation von Kommunikation? | Communication of Innovation! Innovation of Communication?
Sektionsleiter | Section Chair: Klaus M. Bernsau (Wiesbaden)

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Sektionsbericht 7.4.

Kommunikation von Innovationen! Innovation von Kommunikation?

Klaus M. Bernsau (Wiesbaden) [BIO]

Email: dr_bernsau@yahoo.de

 

In der Sektion sollten zwei Themenbereiche zusammengeführt werden. Zum einen die Frage, wie kommuniziere ich das Neue als spezifisch noch nie Dagewesenes (somit noch nicht Referenzierbares)? Wie sind Kommunikationsverhältnisse anzulegen, damit Neues entsteht und/oder verstanden wird? Auf der anderen Seite sollte den Innovationen in der Kommunikation selbst, in den menschlichen Kommunikationsfähigkeiten, aber auch in den Kommunikationstechnologien nachgegangen werden.

Das somit weit gesteckte Themenfeld eröffnete René John, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hohenheim/Deutschland und bei ISInova e.V., dem Berliner Institut für Sozialinnovationen. Unter dem Titel Innovations-Brause. Vom Werden und vom Machen diskutierte er das Wechselverhältnis von Innovation und Tradition am Beispiel des Kultgetränks Bionade. Dabei machte er im Rückgriff auf Schumpeters Innovationsbegriff deutlich, dass Innovation, anders als heute im alltäglichen Diskurs unterstellt, weder ein primär technologischer Prozess ist, noch als Prädikat zum Zeitpunkt des Entstehens der Neuerung quasi a priori vergeben werden kann. Innovation ergibt sich erst ex post in der sozialen Durchsetzung. So war die Innovation Bionade technologisch zum Zeitpunkt ihres Erfolges, ihrer Wahrnehmung als Innovation schon über 10 Jahre alt. Das Bemühen vieler Unternehmen sich innovativ darzustellen, stellt, so die Schlussfolgerung von R. John, gar nicht primär auf die Schaffung von Neuerungen ab, sondern vielmehr auf die Begründung einer Tradition eines Unternehmens mit einer mächtigen Innovationsgeschichte.

An diese Einführung in das Wesen der Innovation knüpfte Klaus M. Bernsau mit seiner Untersuchung der E-Mail als Prototyp einer Kommunikationsinnovation? an. Herr Bernsau ist Inhaber einer Kommunikationsberatung in Wiesbaden und Lehrbeauftragter an der Universität Duisburg Essen (Deutschland). Auch bei der E-Mail konnte das Phänomen der verzögerten Durchsetzung einer vorhandenen Technologie als Innovation beobachtet werden. Dabei wird an der E-Mail deutlich, dass sich keineswegs immer die beste technische Lösung für ein Problem als Innovation durchsetzt. Als Durchsetzungstreiber wurden neben ökonomischer Macht vor allem die vermeintliche Überschaubarkeit der Innovation durch eine eingängige Innovationsmetapher, hier die des elektronischen Briefes, identifiziert. K. Bernsau kritisierte die mangelnde theoretische Reflektion der E-Mail als eine mögliche Ursache für die immer deutlicher zu Tage tretenden Mängel der Kommunikationstechnologie E-Mail, Mängel wie Spam-Flut, Arbeitsbe- statt -entlastung sowie unzureichende Integration in organisatorische Abläufe. Abschließend hob er die Gefahr hervor, dass schon die nächsten neuen Kommunikationstechnologien vor der Tür stehen, die nur zu (sozial) nachhaltigen Innovationen werden, wenn sie theoretisch reflektiert und gesellschaftlich diskutiert werden.

Katrin Bosnjak, Kommunikationswissenschaftlerin der Universität Duisburg-Essen in Deutschland, folgte mit ihren Überlegungen zu Keine Zeit für Nachhaltigkeit? Die ausgedehnte Gegenwart des Journalismus als Widersacher einer zukunftsorientierten Berichterstattung. Sie legte dabei sehr überzeugend dar, dass die Selektionsmechanismen des aktuellen Journalismus sich grundlegend einer Aufklärung und Bewusstseinsänderung im Sinne des Ideals der Nachhaltigkeit widersetzen. Der Zwang zur Reduzierung der Komplexität auf der einen Seite und die Konzentration ins Hier und Heute sind fundamental andere Kommunikationsprinzipien als sie die Nachhaltigkeitskommunikation verlangen würde. Hier geht es zwangsläufig um eine langfristige, in die Zukunft gerichtete Perspektive. Es müssen Unsicherheiten dargestellt werden und vielfältige Abhängigkeiten untersucht und Bewertungen diskutiert werden. K. Bosnjak erteilte der kampagnenartigen Verkürzung, z.B. auf die so genannte Klimakatastrophe, ebenso eine Absage wie der Personifizierung, sei es durch den Nobelpreisträger Al Gore oder das in Deutschland im Sommer 2007 höchst populäre Eisbär-Baby Knut. In der anschließenden Diskussion machte Frau Bosnjak deutlich, dass sie andere Vermittlungsformen – neben dem wissenschaftlichen Diskurs – für geeigneter und wirkungsvoller hält, z.B. die bildende und darstellende Kunst oder aus dem Bereich der Unterhaltungsmedien möglicherweise Serienformate, die es aber so noch nicht gibt.

Frau Rahilya Geybullayeva, Leiterin der Abteilung für Journalismus und Literatur der Baku Slavic University in Aserbaidschan, setzte den Reigen fort mit ihrem Beitrag From Convergence Culture to…Convergence Culture. Sie identifizierte anhand zahlreicher unterschiedlicher Medienbeispiele zwei sich gegenseitig stützende Konvergenzprozesse. Zum einen nähern sich verschiedene Kulturformen – oder Medien – immer stärker an und überlagern sich. R. Geybullayeva machte dies an einer interaktiven DVD mit heiligen Büchern deutlich, die ein neues, audio-visuell unterstütztes, vergleichendes Lesen möglich macht. Natürlich schafft auch gerade das Internet eine neue konvergente Medienkultur. Diese neuen Kulturformen (Medienformen) begünstigen, dass lange Zeit eher abgeschlossene Kulturen – soziale Gemeinschaften – nun die Möglichkeit haben, sich einander anzunähern und sich auszutauschen. Diese konvergenten Kulturen schaffen wiederum neuartige transregionale Kulturen. In der anschließenden Diskussion machte Frau Geybullayeva deutlich, dass sie die positiven Kräfte der doppelten kulturellen Konvergenz deutlich höher bewertet, als die sicherlich auch vorhandenen Risiken, wie z.B. den drohenden Identitätsverlust traditioneller Kulturen mit den damit verbundenen Ängsten - oder auch auf der individuellen Ebene den Kontakt z.B. von Jugendlichen mit unangemessenen oder unerwünschten Inhalten.

Den Faden nahm Mohammandreza Zadeh auf, der nun seine Forschungsergebnisse in der Sprachausbildung unter der Überschrift Interkulturelle Kompetenz als Quelle der Innovation im Fremdsprachenunterricht vortrug. M. Zadeh ist Deutschlehrer an der Universität Teheran im Iran und forscht zugleich an der Universität Frankfurt am Main, Deutschland. Er hat in einer empirischen Untersuchung die Wechselwirkung zwischen Auslandserfahrung und dem Lernverhalten bei iranischen Deutschschülern untersucht. M. Zadeh machte deutlich, dass es sich dabei keineswegs um einen einfachen direkt proportionalen Zusammenhang handelt. Vielmehr sieht er in seinen Ergebnissen die Theorie des mehrstufigen kulturellen Schocks bestätigt, der vollständig durchlaufen werden muss, um Verständnis für die andere Kultur zu erlangen. Im Fall der untersuchten iranischen Deutschschüler musste festgestellt werden, dass diese den kulturellen Schock größtenteils trotz Auslandsaufenthalten nicht vollständig durchlaufen haben, was sich im geringen Lernerfolg und in mangelnder Lernmotivation widerspiegelt. Dies trifft zusammen mit traditionellen lehrerzentrierten Vermittlungsformen. Beides ist letztlich den äußeren gesellschaftlichen und politischen Umständen geschuldet, die kommunikative Innovationen bei Lehrenden und Lernenden kaum zulassen, geschweige denn fördern.

Auch im letzten Vortrag der Sektion von Evangelos Kourdis ging es um kulturell motivierte Sprachinnovationen. Law and semiotics of translation behandelte die Auswirkungen der griechischen Vorschrift, dass fremdsprachlichen Markennamen stets eine griechische Übertragung beigegeben werden muss. E. Kourdis stellte dabei anhand von Firmenschildern und Schaufenstern verschiedene erlaubte und gelebte Verfahren vor. Neben der eigentlichen Übersetzung ist auch die Transliteration, d.h. die Übertragung der Markennamen Buchstabe für Buchstabe in griechische Schriftzeichen üblich. In zahlreichen Beispielen verdeutlichte E. Kourdis, dass die Händler dazu neigen, das Griechische lediglich als Zusatz, selten als Ersatz des fremdsprachlichen Namens zu nutzen. Herr Kourdis ging dann auf die semiotischen Effekte dieser staatlich erzwungenen Sprachinnovationen ein. Zum einen betonte er, dass sich viele Händler offensichtlich einen qualitativen, verkaufsfördernden Effekt von der fremdsprachlichen Konnotation versprechen, sogar wenn das Wort selbst nicht verstanden wird. Dies gilt noch stärker für das im Vergleich zum Englischen weniger verbreitete Französisch. Die bedeutungsleeren Transliterationen als Zusätze zu fremdsprachlichen Markennamen zeigen ebenso wie die häufig auftretenden Fehler in den von Griechen geschaffenen, fremdsprachlichen Markennamen die semiotischen Mängel der juristischen Vorschrift. Diese erreicht so weder ihre Ziele nach Schutz der Verbraucher und der griechischen Sprache hundertprozentig, noch fördert sie multilinguale Sprachkompetenz, die die wirkliche Innovation im Zeitalter der Globalisierung darstellen würde.

Was kann als gemeinsames Ergebnis zum Verhältnis von Kommunikation und Innovation festgehalten werden? Unbestritten besteht eine sehr enge Wechselwirkung. Kommunikation ist per se innovativ (evolutionär), wie uns Bernsau und Geybullayeva gezeigt haben. Innovation wiederum ist, wie John gezeigt hat, wider Erwarten sogar ein primär kommunikativer, d.h. sozialer, und kein technologischer Prozess. Aus den Beiträgen von Bernsau, Bosnjak, Kourdis und Zadeh folgt aber auch, dass Restriktionen und Mängel in der Kommunikation das positive Potential von Innovation und Veränderungen deutlich mindern. Kommunikative, semiotische Kraft wiederum fungiert als Motor von wirklichen, d.h. sozialen und geistigen Innovationen, wie Bosnjak, Geybullayeva und John dargestellt haben. Kommunikationstechnische Innovationen können Veränderungen positiv verstärken, z.B. auf dem Weg zur Wissensgesellschaft, aber nur bei entsprechender sozialer Kontrolle der Technik, wie Bernsau klar ausgeführt hat.

So hat auch diese Sektion mit einem eindrucksvollen Spektrum von Referenten und Vorträgen die These des Kongresses untermauert, dass Wissen und Kreativität (als zwei Seiten der semiotischen Medaille Kommunikation) den Transfer von Gesellschaften bestimmen, hoffentlich zum guten Ende der positiv erlebten Innovation.


7.4. Kommunikation von Innovationen! Innovation von Kommunikation? | Communication of Innovation! Innovation of Communication?

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For quotation purposes:
Klaus M. Bernsaur: Sektionsbericht 7.4.: Kommunikation von Innovationen! Innovation von Kommunikation? - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/7-4/7-4_sektionsbericht.htm

Webmeister: Gerald Mach     last change: 2010-06-06