Trans Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2. Nr. November 1997

Kulturwissenschaften und Europa

Herbert Arlt (Wien)
[BIO]

Bereits in der Vergangenheit hat es vielfältige Ansätze gegeben, von im Grunde wissenschaftsfremden Strukturen des 19. Jahrhunderts an Universitäten und Akademien Abstand zu nehmen. Ein Teil alternativer Versuche - zum Teil ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert - ist nurmehr wenigen bekannt, ein Teil jüngerer Versuche wie in Bielefeld und Frankfurt/Oder wird auf dieser Konferenz vorgestellt. Und einige VertreterInnen erfolgreicher Institutionen und Initiativen (z.B. aus Izmir, Perth, Rousse, Lviv, Wien usw.) werden über ihre Konzepte und Erfahrungen auf dieser Konferenz berichten.

Bei allen Initiativen, die bisher darauf abzielten, in ihren Strukturen Veränderungen herbeizuführen bzw. neue Strukturen aufzubauen, war sehr bald Widerstand zu spüren, weil derartige Veränderungen in einem komplexen Zusammenhang stattfinden und unterschiedlichste Interessenssphären berühren. Gerade deshalb versucht das "Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse" (INST) mit dieser Konferenz, über Grenzen von Disziplinen, gesellschaftlichen Einrichtungen und Strömungen sowie Ländern hinaus einen Dialog zu entwickeln und ein gemeinsames Forum zu schaffen. Mit neuen Orientierungen, Kommunikations- und Informationsstrukturen, Veranstaltungen, Projekten usw. soll erreicht werden, daß gegenwärtige Prozesse mit kulturwissenschaftlichen Studien adäquat begleitet werden können.

Als wenig hilfreich haben sich im heutigen Veränderungsprozeß aber jene Versuche erwiesen, die sich auf alte (nationale, nationalistische, hierarchische) Strukturen zurückzuziehen. Nicht wenige davon geben vor, daß ihre bisherige Tätigkeit an Universitäten und Akademien rein von wissenschaftlichen (und nicht auch von politischen Aspekten) bestimmt gewesen sei. Die Legitimation für die künftige Tätigkeit versuchen sie aus der (unaufgearbeiteten) Vergangenheit unter "Abfeierung" von Jubiläen zu beziehen. Aber es sind gerade die gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen, die Veränderungen der politischen Rahmenvorgaben, die nun einen Teil der Krise dieser ("geisteswissenschaftlichen") Institutionen ausmachen. Hier ist insbesonders die Veränderung der Funktionen der Universitäten und Akdemien anzuführen, für die nun nicht mehr gilt, daß sie ein wesentliches Element im ideologischen System-Kampf, bei der Aufrechterhaltung von Fiktionen ("Nationalkultur") sind, weil diese Auseinandersetzungen der Geschichte angehören. Und auch dies hat zu einer wesentlichen Abwertung und herabgesetzter Finanzierungsbereitschaft derartiger Institutionen beigetragen (vor allem auch im Rahmen der europäischen Prozesse, wo die Nationalstaaten zugunsten gemeinsamer Projekte zurücktreten, wenngleich nicht verschwinden).

Dazu kommt weiters, daß die Berufsfelder, die Anforderungen an wissenschaftliche Studien, die Instrumentarien, die Arbeitsweisen, die Kommunikationsmittel, die Kontakte u.a. sich grundlegend geändert haben. Soweit nur Modifikationen durchgeführt wurden (neue Unterrichtselemente, Einsatz moderner Technologie usw.), verblieb die Grundproblematik einer mangelnden gesellschaftlichen Legitimation der "Geisteswissenschaften" als wissenschaftlicher Richtung.

Mein Versuch, mit diesem Plenarreferat auf diese komplexen Felder des Wissenschaftsprozesses einzugehen, hat zur Folge, daß ich die einzelnen Punkte, die mir wesentlich erscheinen, nur in Thesen abhandeln kann. Aber ich möchte darauf verweisen, daß die Plenarreferate als grundsätzliche Einleitungsreferate gedacht sind, denen die Arbeiten in den Sektionen folgen sollen. Am Ende der Konferenz sollen dann die Ergebnisse gebündelt werden, sodaß einleitende, schlagwortartige Ausführungen im Laufe der Konferenz sicherlich mit vielen Details und Widerspruchsfeldern konfrontiert werden, sodaß eine Konkretisierung unserer Konzepte gemeinsame Vorhaben ermöglicht wird. Und soweit es Informationen zu einzelnen Projekten des INST betrifft, sind via der Homepage des INST jederzeit aktuelle Informationen zu beziehen, aber auch interaktive Rückmeldungen möglich.

1. These

Die Entstehung moderner Literatur- und Sprachwissenschaften ist unmittelbar mit dem Vormärz bzw. dem Revolutionsjahr 1848 verbunden. Zwar umfaßt die Periode von modernen Sprachen im wesentlichen die Zeit vom 16. bis 19. Jahrhundert und Auseinandersetzungen gab es zum Beispiel auch im Zusammenhang mit den sprachreformatorischen Bemühungen von Josef II. 1848 wurde aber zum ersten Mal in militärischen und staatspolitischen Zusammenhängen deutlich, daß Kulturpolitik künftig ein wesentlicher Machtfaktor in Europa sein würde. Das deutlichste Signal kam im Jahre 1871, als kulturpolitische Bemühungen zur Vereinigung Deutschlands militärisch finalisiert wurden. Zuvor schon hatte es eine Reihe von Gegenbewegungen in Europa gegeben, die - in Abgrenzung von den "Germanisten" - durch die Entdeckung eigener Sprachen, Grammatik, Mythen, Märchen, Sagen usw. versuchten, staatspolitischen Bestrebungen ihrer Länder eine kulturwissenschaftliche Untermauerung zu geben. Politische Legitimationen wurden von Marx bis Treitschke mit der "Kultur" von "Völkern", Ländern, Staaten verbunden.

Die Organisation der Fächer (Trennungen in "Germanistik", "Anglistik" usw.) erfolgte also weniger aufgrund wissenschaftlicher Notwendigkeit, sondern die Struktur der Universitäten und Akademie, so wie wir sie heute im wesentlichen vorfinden, ist vielmehr ein Produkt staatspolitischer Bestrebungen aus dem 19. Jahrhundert, wenngleich methodologische Diskussionen und Projekt unterschiedlichster Art die Herausbildung dieser Strukturen begleiteten. Ansätze zu Alternativen zeichnen sich aber bereits in solchen Begriffsbildungen wie "Romanistik", "Slawistik" usw. ab. Und es dürfte kein Zufall sein, daß der "Romanist" Hugo Schuchardt, der lange Zeit an der Universität in Graz wirkte, bereits im 19. Jahrhundert die These von der Sprache als einem Gegenstand verfocht. Ansätze zur Transdisziplinarität lassen sich aber im 19. Jahrhundert auch in Prag, Krakau, Czernowitz finden, wie insgesamt in der Habsburgermonarchie nationale neben transkulturellen Strömungen existierten.

Diese staatspolitischen Bestrebungen fanden spätestens ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Ergänzungen in einer sich institutionalisierenden Außenkulturpolitik, in der zum Beispiel Frankreich und dann auch Deutschland ihre wirtschaftlichen, politischen, militärischen Bestrebungen mit kulturellen Veranstaltungen begleiteten. Und gerade auf kulturellem Gebiet hat auch die damalige Sowjetunion eine große Ausstrahlung gehabt, deren Höhepunkt in westlichen Medien mit "Sputnik-Schock" beschlagwortet wurde. Dieser Kulturkampf spielte bis Ende der 80er Jahre eine große Rolle und große Summen wurden investiert, um nicht hinter dem Gegner in Bildung, den Künsten, Wissenschaften usw. zurückzubleiben.

Heute herrscht auf dem kulturellen Sektor eine gewisse Ratlosigkeit, sofern es um Sprachen, Literaturen usw. geht. Die Bestrebungen reichen von außenpolitischen Bestrebungen in alten Strukturen (in Europa aber unter neuen Bedingungen, die Nationalstaaten in ihrer politischen Handlungsfähigkeit eingeschränken) bis zu neuen Bestrebungen, deren interessantestes Dokument "Our Creative Diversity" von der UNESCO ist. Insbesondere die neuen Bestrebungen haben aber in der Wissenschaftsorganisationsform, in der Organisationsform der Informationssysteme (Archive, Bibliotheken usw.) noch keine Entsprechung gefunden, wenngleich es vielfältige Einzelbemühungen gibt.

2. These

Im Zusammenhang mit neuen Medien (insbesonders: Internet) wird heute oft der Begriff "Informationsflut" verwendet. Es wird so getan, als sei durch die breitere Verwendung von Internet eine völlig neue Situation entstanden. Tatsächlich aber war es bereits am Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr möglich, eine Gesamtbibliographie der Bibliographien zu erarbeiten. Die damaligen Probleme sich zu orientieren, hat Robert Musil im Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" im Abschnitt "General Stumm dringt in die Staatsbibliothek ein und sammelt Erfahrungen über Bibliothekare, Bibliotheksdiener und geistige Ordnung" treffend dargestellt: "'Ich habe mir also', erzählte der General, 'einen Eintrittschein in unsere weltberühmte Hofbibliothek besorgen lassen und bin unter Führung eines Bibliothekars, der sich mir liebenswürdigerweise zur Verfügung stellte, als ich ihm sagte, wer ich bin, in die feindlichen Linien eingedrungen. Wir sind den kolossalen Bücherschatz abgeschritten, und ich kann sagen, es hat mich weiter nicht erschüttert, diese Bücherreihen sind nicht schlimmer als eine Garnisonsparade. Nur habe ich nach einer Weile anfangen müssen, im Kopf zu rechnen, und das hatte ein unerwartetes Ergebnis. Siehst du, ich hatte mir vorher gedacht, wenn ich jeden Tag da ein Buch lese, so müßte das zwar sehr anstrengend sein, aber irgendwann müßte ich damit zu Ende kommen und dürfte dann eine gewisse Position im Geistesleben beanspruchen, selbst wenn ich ein oder das andere auslasse. Aber was glaubst du, antwortete mir der Bibliothekar, wie unser Spaziergang kein Ende nimmt und ich ihn frage, wieviel Bände denn diese verrückte Bibliothek enthält? Dreieinhalb Millionen Bände, antwortete er!! ... ich habe es im Ministerium noch einmal mit Bleistift und Papier nachgerechnet: Zehntausend Jahre würde ich auf diese Weise gebraucht haben, um mich mit meinem Vorsatz durchzusetzen!(459/60). Der Bibliothekar jedoch hat kein einziges Buch gelesen: "'Wer sich auf den Inhalt einläßt, ist als Bibliothekar verloren!', hat er mich belehrt. 'Er wird niemals einen Überblick gewinnen!' "(462)

Die neuen Quantitäten und Differenzierungen der Informationen haben zur Verfestigung der Arbeitsteilung beigetragen. Angesichts der heutigen Quanitäten ist es auch unerheblich, ob ein Wissenschafter sich auch in seinem Bereich besser orientieren kann als der General Stumm oder ob es Bibliothekare gibt, die zum Beispiel wichtige Abhandlungen über historische und andere Fragen geschrieben haben. Vom einzelnen allein ist nicht mehr sehr viel zu erwarten, weshalb in verschiedensten Bereichen sich auch Großforschungszentren herausgebildet haben. Im Gegensatz dazu besteht innerhalb der "Geisteswissenschaften" weithin eine Arbeitsteilung, die immer noch weitgehend hierarchisiert ist und deren Relevanz mehr auf diesen Strukturen, Zugängsmöglichkeiten zu Fonds usw., denn auf der wissenschaftlichen Aussagefähigkeit beruht. Bereits solche Verlage wie "Peter Lang", die eine breitere Publikationsmöglichkeit eröffneten, haben die Kritik jener auf sich gezogen, die unter dem Stichwort "Qualität" die wissenschaftliche Kommunikation gerne eingeschränkt gesehen hätten.

Internet stellt in diesem Zusammenhang daher nur insofern eine neue Qualität dar, als es in bezug auf Kosten, Internationalität, Zugänglichkeit diese Demokratisierung der wissenschaftlichen Kommunikation auf eine neue Stufe hebt und zudem noch größere Informationsquantitäten zugänglich macht. Versuche, auch dieses Medium kameralistischen Strukturen des 19. Jahrhunderts zu unterwerfen, gab es ebenfalls immer wieder.

Als INST sehen wir das Internet in der ersten Phase (bis Ende 1998) zunächst als Möglichkeit international relativ sicher und rasch zu kommunizieren. Anstatt teuerer Rundschreiben 2, 3 mal im Jahr können nun laufend via Homepage oder per Email-Rundschreiben neueste Informationen bezogen werden. Da die Kosten für eine INST-Aussendung Internet:Post im Verhältnis 1:8000 steht, ist nicht nur die Geschwindigkeit, der umfassendere Informationsaustausch wesentlich, sondern auch der Kostenfaktor.

In einer zweiten Phase (1999-2008) sollen Datenbanken zur Verfügung gestellt werden. In diesem Zusammenhang ist aber zu betonen, daß es nicht darum gehen kann, daß das INST jene Aufgaben übernehmen soll, die (auch von der Geldzuwendung her) den Archiven, Bibliotheken, Literaturhäusern usw. obliegen. Das, was aber beispielhaft erreicht werden kann, ist in dieser Phase, mit ausgewählten Projekten solche Strukturen anzuregen, die den Bedürfnissen der Forschung entsprechen. Und tatsächlich zeigen auch etliche Entwicklungen in der Gegenwart, daß sich auf diesem Gebiet sehr viel tut. Breite Foren für KulturwissenschafterInnen und BibliothekarInnen, ArchiverInnen könnten die Effizienz enorm steigern und Fehlentwicklungen, wie sie in den letzten Jahren zu beobachten waren, könnten zumindestens teilweise vermieden werden.

Um die Nutzung der Datenbanken auf eine neue Ebene zu heben, wird es auch notwendig sein, neue Suchstrategien zu entwickeln. Hier ist der Vorschlag des INST, eine Suchmaschine zu verwenden, die nicht die Nachteile jener Projekte aufweist, die eine Vereinheitlichung an erste Stelle setzen und dann erst mit der Datensammlung beginnen. Aber wir wollen auch keine Suchmaschine installieren, die nur ungezieltes Suchen erlaubt, sodaß bei Abfragen große Datenquantitäten übermittelt werden, die oft zum allergrößten Teil nicht brauchbar sind.

Die Suchmaschine des INST sollte daher folgende Merkmale aufweisen:

- Integration bestehender Datenbanken weltweit

- Abfrage in verschiedensten Sprachen

- Erfassung von Tiefenstrukturen beim Abfragen (also nicht nur Auflistung von Homepages).

Beim Aufbau der internationalen Kommunikationsstruktur mittels Internet-Seminaren und anderem wurden die Zielstellungen bereits herausgearbeitet (s. auch meinen Beitrag in der O-Nummer von TRANS). Erstmals praktisch angewandt werden soll eine derartige Suchmaschine im Zusammenhang mit der Ausstellung "Kulturwissenschaften und Europa", die im November 1998 in Brüssel stattfinden soll.

Zur Errichtung eines INST-Datenverbundes, der auch mit Dokumentationen zu Theater, Film, Fotos usw. vernetzt werden soll, sind aber noch etliche Zwischenschritte nötig. Technisch ist vieles bereits durchaus machbar, doch sollte gerade im Zusammenhang mit dem INST und auch den europäischen Prozesse, den Internationalisierungen berücksichtigt werden, daß nicht durch Verwendung von Technologien, die noch nicht sehr verbreitet sind, Hemmschwellen geschaffen werden. Ich nenne in diesem Zusammenhang FRAMES, die von den alten Standard-Varianten von Windows95 nicht geöffnet werden können. Erst up-dates des Internet-Explorers (die zwar technisch leicht durchgeführt werden können und auch derzeit kostenlos sind) ermöglichen Abfragen. Kein Problem stellt dies für den neuen Internet-Explorer dar. In diesem Zusammenhang sollte aber nicht übersehen werden, daß wir mitten in einem Prozeß stecken, in dem sich eine Vielzahl von KulturwissenschafterInnen diesem neuen Medium erst annähert. Und gerade diese sind wenig bereit, sich mit technischen Fragen zu beschäftigen, weil sie das Medium als Mittel zum Zweck sehen. Nicht zu Unrecht bestehen sie darauf, daß das Medium nicht zum Mittelpunkt ihrer Arbeit werden darf, indem ständig zeitaufwendige Operationen notwendig sind, um überhaupt kommunizieren zu können. Im Mittelpunkt sollte auch hier die Forschung stehen und es ist erfreulich, daß nach anfänglicher Skepsis sich die meisten Mitglieder nun dieses Mediums bedienen.

In einer dritten Phase soll Internet-Technologie auch für neue, komplexe Darstellungen von Großprozessen verwendet werden. Wichtig wird daher sein, bereits in den ersten beiden Phasen die Zielvorstellung nicht aus den Augen zu verlieren, diese mit Diskursen zu begleiten, die auf neue Darstellungen abzielen. Denn die eigentliche Aufgabe der Kulturwissenschaften kann nicht der Aufbau von Kommunikationsstrukturen bzw. Datensammlungen sein, sondern vielmehr die Auswertung, die Interpretation der Daten sowie auf diese gestützte Darstellungen. Doch ohne entsprechende Fundierungen verbleiben Darstellungen beim derzeitigen Essayismus der Übergangsphase. Mit TRANS und anderem in kleiner Form werden bis Ende 2008 auch sicherlich etliche Erfahrungen gesammelt werden können, die für die neuen Darstellungsform ab 2009 nützlich sein werden.

3. These

Ohne Selbstreflexion (gemeinhin Wissenschaftsgeschichte genannt) wird aber nicht deutlich werden, worauf die Veränderungsmöglichkeiten in Wissenschaftsstrukturen und Wissenschaftskommunikation beruhen und welche Folgen sie haben könnten. Bisherige Parameter wie Forschungskoeffizient, Quantitäten von Publikationen, Alter von Institutionen, Titel, Größe von Bauten, Quantitäten von MitarbeiterInnen sagen wenig über tatsächliche Forschungsprozesse aus, sondern vielmehr über Macht und Zugänglichkeit zur Macht. Diese Äußerlichkeiten sind auch dem Alltagsverständnis leichter zugänglich als wissenschaftliche Erkenntnisse, selbst wenn ihre Darstellungen nicht mit Fachtermini gespickt sind.

Die bisherige Wissenschaftsgeschichtsschreibung in Europa hatte aufgrund der Quellenlage, der politischen Rahmenbedingungen, der Methodologie für diesen Prozeß wenig anzubieten, um Wissenschaft als Wissenschaft darzustellen. Die bloße Wiedergabe von Strukturen (ohne Einbeziehung von Alternativen), die unausgesprochene Prämisse, daß kleinere Studien bereits das Allgemeine verständlich machen, grober Essayismus haben diese Richtung wenig wirksam werden lassen.

Auch hier gibt es Ausnahmen. Ich hebe in diesem Zusammenhang die Arbeiten der Wissenschafter um Eduard Goldstücker hervor, die mit ihren wissenschaftlichen Studien in den 60er Jahren wesentlich zu einem Umdenken in der CSSR beigetragen haben. Mit dem Einsatz des Militärs wurde dieser Prozeß unterbrochen. Dennoch hatten gerade diese wissenschaftlichen Aktivitäten eine breite Öffentlichkeitswirksamkeit. Sie gingen nicht verloren, sondern wurden in den 90er Jahren wiederum unter neuen Bedingungen aufgegriffen. Das scheint auch für jene Versuche der 60er bis 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zu gelten, deren Aufarbeitung für künftige Bestrebungen nützlich sein dürfte.

4. These

Die gesellschaftlichen Anforderungen, die an die Wissenschaften heute explizit oder implizit gestellt werden, betreffen vor allem komplexe Vorgänge. Gerade die Wissenschaften hätten die Möglichkeit, Reduktionismus, Populismus mit Fakten und wissenschaftlichen Darstellungen zu begegnen. Dafür ist aber nicht nur die bisherige Form der Datensammlung ein Hindernis, sondern insbesonders auch die Form der Arbeitsteilung. Diese war in der Vergangenheit ein wichtiges Mittel, um trotz der großen Datenmengen wissenschaftlich seröse Studien zu machen. Ich nennen als Beispiel die Sammlung von SpezialistInnen-Beiträge von Victor Zmegac zur Geschichte der deutschen Literatur.

Aber gerade bei dieser Summierung von SpezialistInnen-Beiträgen verblieb auch immer die Kritik, daß sie eine Summierung von Analysen, aber keine Analyse komplexer Vorgänge sei. Und es wird nicht genügen, nur eine Veränderung der Datenstrukturen, der Datenzugänglichkeiten herbeizuführen. Vielmehr muß grundsätzlich über Wissenschaftsorganisationsstrukturen nachgedacht werden. Eine bloße Summierung von (bilateralen) Kommissionen bzw. von deren Erkenntnissen, wie sie von der Akademie der Wissenschaften (Wien) zu europäischen Prozessen geplant scheint, würde wiederum die bereits kritisierten, unzulänglichen alten Strukturen reproduzieren.

Wesentlich produktiver erscheinen in diesem Zusammenhang die verschiedenen Annäherungen durch Interpretationen von Umberto Eco. Diese könnten, wenn sie modellhaft auf eine breite Forschungskooperation übertragen würden, sehr produktiv sein, denn sie schließt sowohl den geopraphischen Reduktionsmus einer Figur wie Höhnel (Raoul Schrott, Finis Terrae) aus als auch eine Ablehnung der Daten und Fakten schlechthin.

Das INST hat deshalb für seine Projekte die Form der Wissenschaftsassoziation entwickelt, die es ermöglicht, gemeinsame Projekte zu entwickeln, sie nach Maßgabe der unterschiedlichen Möglichkeiten zu realisieren sowie die gemeinsamen Vorhaben dezentral zu finanzieren. Ein Beispiel dafür ist auch diese Konferenz in Innsbruck, für die etwa ein Achtel der Mittel durch das INST aufgebracht wurde, aber sieben Achtel aus anderen Mitteln stammen.

5. These

Die derzeitige Ratlosigkeit der Politik in bezug auf die Bedeutung, Funktion usw. der Kulturwissenschaften fordert geradezu dazu heraus, daß diese selbstbewußt neue Vorschläge entwickelt. Das wird in diesem Zusammenhang aber nur möglich sein, wenn sie sich gesellschaftlich positionieren, die Bedeutung ihrer Fragestellungen verdeutlichen kann. In diesem Zusammenhang möchte ich den Begriff "Epoche der Gewalt" einführen. Darunter verstehe ich jene Zeit vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, in der innere Konflikte, aber auch Internationalisierungen von Gewalt begleitet waren. Seit dem 19. Jahrhundert waren die Träger für solche Gewaltakte Nationalstaaten. In der jetzigen Phase kommt es mehr und mehr zu Zusammenschlüssen von Nationalstaaten, wobei wiederum verschiedene Optionen offen stehen. Die eine Variante ist die, daß diese Zusammenschlüsse nur neue Formen von Machtzusammenballungen sein werden, um Gegner wirtschaftlich, politisch und militärisch zu dominieren. Eine weitere Variante wäre, daß gerade die bisherigen Erfahrungen dazu führen, zu anderen Strukturen zu gelangen, die die Austragung von Konflikten über Argumente, Phantasie usw. ermöglichen. Auch hier ist das Dokument "Our Creative Diversity" sehr hilfreich und weist in eine andere Richtung, als die Bemühungen um sogenannte "Sicherheitssysteme".

In diesem Zusammenhang sollte man sich vor Augen halten, daß diese Form der Gewaltpolitik nicht nur Millionen Menschen das Leben gekostet hat, sondern auch das Niveau der Alltagskultur abgesenkt worden ist. Bereits 1492 hat die Reconquista nicht nur eine Vielzahl von Toten und Verwundeten zu verantworten, Gebäude und Infrastruktur zerstört, sondern auch Wissen um Medizin, Ackerbau, Handelsbeziehungen. Eine Tatsache, die von Autoren wie Grillparzer ("Jüdin von Toledo"), Heine, Soyfer und anderen bis in die Gegenwart hinein immer wieder reflektiert wurde, aber für die Machtpolitik belanglos war. Die Triumphe und Niederlagen der Macht prägen noch heute die Schulgeschichtsbücher, nicht aber die Lebensverhältnisse der Menschen.

Ein Beispiel für die Entkulturalisierung war auch die Conquista, die militärische Eroberung von Amerika und anderen Kontinenten. Sie brachte die Plünderung der Kulturen, Tod und Zerstörung (auch der natürlichen Ressourcen) mit sich.

Die späteren Kriege prägten ebenfalls Machtverhältnisse, doch entscheidende Wendungen in der Lebensweise kamen zum Beispiel durch die Einfuhr der Kartoffel nach Europa. Bedeutend für das Leben der Menschen waren Entdeckungen durch die Medizin und andere Wissenschaften, die wesentlich früher möglich gewesen wären, wenn nicht Machtpoltik nach innen (und damit einhergehende Verhinderungen von Wissen aus ideologischen Gründen) diese Erkenntnisse verhindert hätte.

Die Kulturwissenschaft kann in diesem Zusammenhang durch historische Betrachtungen, Analysen der Gegenwart, aber auch durch Darstellungen von Potentialitäten entscheidend dazu beitragen, daß künftige Entwicklungen anders verlaufen werden, daß Europa, daß die internationalen Beziehungen aus der Epoche der Gewalt heraustreten und eine neue Epoche beginnt: die Epoche der friedlichen Diversity (die die Austragung von Interessenskonflikten ohne militärische Mittel keineswegs aus-, sondern einschließt).

6. These

Durch neue Arbeitserfordernissen, die auch unmittelbar mit Internationalisierungen verbunden sind, werden neue Formen der Vorbereitung auf diese Arbeiten, neue Arbeitsstrukturen benötigt. Als Anforderungen sind sind in diesem Zusammenhang insbesonders zu nennen:

- Selbsttägkeit

- Kommunikationsfähigkeit

- Kooperationsfähigkeit

- Demokratiebewußtsein

- gesellschaftliches Orientierungsvermögen

- Denken in internationalen Zusammenhängen

- historisches Bewußtsein (auch in bezug auf die Alltagskulturen).

Diesen Anforderungen widersprechen die alten Formen des Drills, der von der industriellen Produktion, dem Militär auf die Universitäten und Schulen übertragen wurde. Obwohl in der Gegenwart immer wieder von der grundsätzlichen gesellschaftlichen Bedeutung der Universitäten als Keimzellen auch für künftige Entwicklungen gesprochen wird, sind in den Diskussionen zur Veränderung der Universitäten sehr oft Positionen zu finden, die auf Bewahrung der Hierarchien, Machtpositionen zielen, die nach wie vor von Eliten ausgehen, von (in der Konsequenz) sozialer Auswahl usw.

Ebenso haben internationale Beziehungen oft nur einen repräsentativen Charakter. Sie bestehen auf dem Papier und werden nicht in dem Sinn mit Leben erfüllt, daß Probleme und Möglichkeiten einer bi- oder multilateralen Beziehung ihr Gegenstand sind. Diese lassen sich nicht durch die Verschweigung oder gar Glorifizierung alter Strukturen erreichen (selbst während der Herrschaft des Nationalsozialismus war Universitätspolitik nicht auf einen Nationalstaat beschränkt waren, sondern mit seinen spezifischen Mitteln suchte diese Diktatur Kooperationen und Bündnispartner im Ausland).

Hier müßten mit Blick auf die neuen Anforderungen für Kommunikation in sich zusammenschließenden Systemen, für die Wandlung der Funktion der Kunst, für Massenkommunikation, für neue Berufsfelder usw. neue Konzepte entwickelt werden.

Wissenschaftliche Kompetenz zeigt sich weiters in der gesellschaftlichen Bewährung nicht dadurch, daß Universitäten hohe Prozentsätze von Arbeitslosen unter ihren Abgänger verzeichnen. Vielmehr ist dies ein Indikator dafür, daß sie entweder an gesellschaftlichen Bedürfnissen vorbei ausbilden oder sich zuwenig in gesellschaftliche Prozesse einbringen oder man sie zuwenig in diese Prozesse einbringen läßt. Neue Konzepte, aber auch neue Möglichkeiten, die entsprechend finanziert werden, sind daher gefragt, die moderne Voraussetzungen für Unterricht schaffen - aber auch moderne Unterrichtsformen, die bisher nur partiell Eingang in Universitäten gefunden haben.

7. These

Von der Literaturwissenschaft und anderen Disziplinen kennen wir Positionen, die besagen, daß es für kulturwissenschaftliche Studien keiner Daten, Akten usw. bedarf. Noch bis in die 80er Jahre war diese Auseinandersetzung um solche Positionen ideologisch überlagert. Doch mit den neuen Anforderungen ist die Frage zu stellen, ob solche Haltungen nicht obsolet sind. Ist nicht vielmehr die Datenerfassung die Voraussetzung dafür, daß die Relativität des eigenen Beitrages, die Eröffnung neuer Sichtweisen erkannt bzw. ermöglicht wird.

Ich nennen hier als Beispiel das Projekt "Österreichische Literaturgeschichte" und in diesem Zusammenhang folgende Aspekte:

7.1. Wie in einer Studie der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien) und der Nationalbibliothek in Prag anhand der ersten Weltbibliographie von Gesnerius festgestellt wurde, gibt es zumindestens seit dem 15. Jahrhundert eine Bibliographiegrenze zwischen Ost und West.

7.2. Zwar wurde bereits im 19. Jahrhundert festgestellt, daß die österreichische Literatur eine Literatur in zumindestens 12 Sprachen sei. Doch diese Positionen finden in heutigen Wissenschaftsgeschichten ebensowenig Berücksichtigung wie es Voraussetzungen für adäquate Datensammlungen gibt. Die Konzeption der Identität von Nationalstaaten durch Sprachen war hier ebenso hinderlich wie andere politische Prämissen. Tatsächlich aber sind Sprachen immer Mischsprachen, sind die Kunstprozesse grenzüberschreitend. Nur mit systematischer Kenntnisverweigerung der Daten und Fakten, die auch ihren Niederschlag in den Strukturen der Informationssysteme, der wissenschaftlichen Einrichtungen und der Universitäten wiederfinden, läßt sich die bisherige Fiktion aufrechterhalten, die trotz ihrer Fiktionalität aber durchaus geschichtsmächtig wurde.

Neue Ansätze dazu zeigen sich auch hier in verschiedensten Bereichen (Gabriel, Filmdatenverbund usw.). Hier wird sich das INST vor allem darum bemühen, Bedürfnisse der KulturwissenschafterInnen deutlich zu machen. Die Konferenz in Debrecen zum Thema "Kulturwissenschaften, Datenbanken, Europa" vom 29.9. bis 3.10.1998 könnte ein wichtiger Meilenstein in diesem Zusammenhang werden.

8. These

Im Zuge der Veränderungen kristallisiert sich auch mehr und mehr heraus, daß gerade diese neuen Vorhaben eine Selbstverwaltung der Wissenschaften und ihrer Geldmittel voraussetzen. Diese sollten insbesonders folgende Bereiche umfassen:

- Bestimmung der Gegenstände und des Unterrichts nach wissenschaftlichen Anforderungen

- Bestimmung der Nutzung der Erkenntnisse nach gesellschaftlichen Bedürfnissen, deren Art aber ebenso wissenschaftlich bestimmt werden sollte.

Im Sinne einer Zivilgesellschaft wird damit eine weitere Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Bereiche vorgeschlagen. Die Abkoppelung von staatlicher Instrumentalisierung, wie sie insbesonders seit 1848 erfolgte, hat für den Staat zum Beispiel den Vorteil, jene Erkenntnisse nutzen zu können, die nicht seinen propagandistischen Bedürfnissen entsprechen, sondern jenen Bedürfnissen, seriöse Grundlagen für eine zukunftsorientierte Politik geliefert zu bekommen. Eine Nutzung von wissenschaftlichen Einrichtungen und Universitäten als andere Formen von Propaganda-Einrichtungen sind in der Vergangenheit fehlgeschlagen. Dafür gibt es wirksamere Einrichtungen, denen im Interesse einer rationalen Diskussion, der Möglichkeit eines Interessenausgleichs auf faktologischer Grundlage gerade eine Stärkung dieses Sektors an die Seite gestellt werden sollte. Die Entrationalisierung, die Eindämmung der Gewalt durch Gewalt führt sonst zur Entkulturalisierung, zur Destruktion. Und wenn man schon mit Kosten argumentieren will, so stehen Folgekosten von Bürgerkriegen und Krieg in keinem Vergleich zu den derzeit gewünschten Ausgaben für die Kulturwissenschaft.

9. These

An dieser Stelle möchte ich nochmals auf das Verhältnis von Fiktion und Realität eingehen. Meine These ist: Sprache ist ein Gegenstand, Literatur ist ein Gegenstand. Anders gesagt: Trotz der derzeitig existierenden Arbeitsteilung behauptet niemand, daß de Sassure oder Chomsky ihre Theorien nur für die französische bzw. für die englische Sprache entwickelt haben. Das gilt auch für die Literatur und andere Künste, für Technologien, medizinische Erkenntnisse usw. Ich nenne für die Literatur zum Beispiel Wilhelm Scherer, der nationale eine Literaturgeschichte in vielfachen Auflagen herausgab, aber in seiner Ästhetik gerade dieses Prinzip der Gebundenheit von Kunstformen an Nationalstaaten in Frage gestellt hat. Oden, Kunstströmungen wie Commedia dell'arte oder Surrealismus mögen vielfältige Spezifika aufweisen, aber von der Struktur her gibt es Gemeinsamkeiten.

Wenn es um die Anwendung von Methodologien geht, ist in der Praxis die Grenzüberschreitung also selbstverständlich. Wenn es aber um die Besetzung von Lehrstühlen, um Wissenschaftsstrukturen usw. geht, dann wird plötzlich fein säuberlich getrennt.

Geht man von den obigen Thesen aus, dann gibt es genügend Ansätze dafür, Veränderungen herbeizuführen. Aufgrund der Komplexität kann es sich dabei nicht nur um eine innerwissenschaftliche Angelegenheit handeln, aber die Kompetenz der Wissenschaften wird sich auch durch ihre Konzepte, ihre Dialogangebote an andere gesellschaftliche Gruppen erweisen.

10. These

Im Zusammenhang mit den Thesen 1-9 schlage ich die Verwendung von zwei Begriffen vor, die für neue Formen wissenschaftlichen Arbeitens meines Erachtens zentral sind:

10.1. Transkulturalität

Unter Transkulturalität verstehe ich Prozesse, die über Grenzen hinweg verschiedenen Kulturen gemeinsam sind. Im Unterschied von verschiedenen Bestimmungen des Begriffs Interkulturalität, der zum Teil aber auch im Sinne von Transkulturalität verwendet wird, gehe ich also nicht von abgeschlossenen "Regionalkulturen" oder abgeschlossenen "Nationalkulturen" aus, deren Gemeinsamkeit bloß in der Form der Rezeption der jeweils anderen Kultur bestehen. Kommunikationsformen wie Sprache, Literatur usw. sind allen gemeinsam.

10.2. Transdisziplinarität

Wenn Gegenstandserforschungen betrieben werden (Theater- und Opernaufführungen, Sprache in Österreich) wird es des Zusammenwirkens verschiedenster Disziplinen bedürfen bzw. muß im Sinne einer wissenschaftlichen Annäherung von Einzelpersonen bzw. von Arbeitsgruppen ein Instrumentarium verwendet werden, das transdisziplinär ist (sich also am Gegenstand orientiert und nicht an der gewachsenen Arbeitsteilung der Disziplinen orientiert). Die Aufsplitterung der Sammlungs-, Dokumentations- und Forschungsinteressen nach (politischen, disziplinären) Interessengruppen werden in diesem Falle den Prozessen nicht gerecht. Interdisziplinarität im Sinne bloßer Summierung von Disziplinen vermag nur die Aneinanderreihung von Einzelaspekten, nicht aber die Analyse komplexer Gegenstände bzw. Prozesse zu leisten.

Da die Präposition "Inter-" sowohl bei Interkulturalität als auch bei Interdisziplinarität geschlossene Identitäten suggeriert, zudem diese Begriffe auch häufig so definiert werden, würde die Verwendung der Präposition "Trans-" begriffliche Klarheit schaffen. Damit würde weiters die Abwendung von alten Methodologien, Wissenschaftsstrukturen, Kulturverständnissen bezeichnet werden.

11. These

Die Überlegungen zu neuen Formen der Wissenschaftskommunikation, der Wissenschaftsstrukturen, der Gegenstände, der Methodologien müssen auch unmittelbar im Zusammenhang mit Finanzierungsfragen gestellt werden. Denn durch die Änderung der Aufgabenfelder ändern sich auch die Begründungen, Möglichkeiten usw. von materieller Unterstützung. Und trotz hoher Motivation und weitgehender Selbstausbeutung wird es nicht möglich sein, eine Wende herbeizuführen, wenn die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz und die damit früher oder später einhergehende materielle Unterstützung fehlen. Ich versuche hier einige Aspekte stichwortartig zu umreißen:

11.1. Ein wesentlicher Bereich der Förderungsdiskussion hängt unmittelbar mit Diskussionen zu künftigen Funktionen des Staates zusammen. Geht man davon aus, daß Staaten (als reduzierte Nationalstaaten, als Suprastaaten mit Multistrukturen) nach wie vor die Funktion eines Ausgleichs haben, dann ist nicht einzusehen, daß immense Summen im "Sicherheitsbereich" ausgegeben werden, während gerade in den Bereichen, die militärische Konflikte verhüten können, weil sie rationale Voraussetzungen schaffen, um Interessensausgleiche herbeizuführen, Geld gespart wird. Setzen wir weiters voraus, daß es den Kulturwissenschaften gelingen wird, durch strukturelle Umwandlungen, einem neuen Einbringen in gesellschaftliche Diskussionen usw. ihre gesellschaftliche Legitimation zu verdeutlichen, dann ist nicht einzusehen, daß ihre Erkenntnisse nur für bestimmte soziale Schichten durch entsprechende Kostenverrechnungen genutzt werden würden. Vielmehr sollten die Voraussetzungen geschaffen werden, daß eine breite Nutzung in Ausbildung und Informationszugang gewährleistet wird. Gerade diese Prozesse dürfen sich nicht auf Eliten beschränken, sondern müssen alle gesellschaftliche Schichten umfassen, wenn eine Konfliktaustragung gelingen soll, die Gewalt bzw. den Einsatz von Militär ausschließen soll.

11.2. An Universitäten in Australien, den USA und anderen Ländern besteht das Problem, daß Vertreter der Wirtschaftswissenschaften, Naturwissenschaften usw. die Struktur wesentlich bestimmen, weil sie diejenigen Disziplinen umfassen, die im wesentlichen Geld lukrieren können. Auch in diesem Falle ist eine soziale Ungleichheit gegeben, weil nur jene Erkenntnisse berücksichtigt werden, die auch von potenten Geldgebern finanziell abgegolten werden. Reduktionismus in der Wissenschaft ist die unweigerliche Folge. Destruktionen waren in der Folge zu beobachten bzw. sind zu befürchten. Das soll aber nicht heißen, daß nicht auch Sprach-, Literatur-, Theater-, Kommunikationswissenschaften usw. bestrebt sein sollten, nicht-staatliche bzw. nicht-kommunale Einkünfte zu erzielen. Tatsächlich zeigen verschiedenste Neugründungen von wissenschaftlichen Einrichtungen, daß Erkenntnisse durchaus auch in diesen Bereichen finanziell erfolgreich angeboten werden können. Eine ältere Form davon sind die Sprachausbildungen. Bereits im 19. Jahrhundert wurde aber auch ein Museum in Wien gegründet, um durch beispielhafte Ausstellungsstücke die Industrie anzuregen, ihre Produkte für die KonsumentInnen attraktiver zu machen. Übersehen wird auch meist, daß das, was unter Tourismus firmiert, ein Sektor ist, der weltweit Milliardenumsätze erzielt. Die Kulturwissenschaften sollten sich in diesen Sektor nicht nur einbringen, um Geld zu lukrieren, sondern auch, um diese Prozesse zu humanisieren. Daß dieser Bereich kulturwissenschaftliche Erkenntnisse dringendst benötigen würde, zeigen sowohl die UNO-Daten als auch die Daten zum Jahr 1997 in Österreich. Nach wie vor hat dieser Bereich durchaus nicht eine Organisationsstruktur, die der Völkerverständigung dient, sondern die Struktur ist vielmehr Ausdruck einseitiger Interessen. Die bloße Kritik im akademischen Bereich ohne praktische Versuche, Veränderungen auch praktisch herbeizuführen, haben sich bisher nicht als tragfähig erwiesen.

11.3. Wichtig ist auch, das Verständnis diverser gesellschaftlicher Organisationen für die Bedeutung der Kulturwissenschaften zu wecken. Es muß verständlich gemacht werden, daß eine einseitige Nutzung der Interessen auch dadurch zustande kommt, daß zum Beispiel die Industrie nicht wenige Gelder für Forschung ausgiebt, zum Beispiel die Gewerkschaften diesen Wissensfundus fast gar nicht oder überhaupt nicht nutzen. Dies gilt auch für eine Reihe von weiteren gesellschaftlichen Einrichtungen.

11.4. Zu bedauern ist auch, daß internationale Organisationen wie die EU oder die UNESCO nicht über entsprechende Geldmittel verfügen, um entsprechende Forschungen, Informationsstrukturen usw. zu ermöglichen. Es ist zu hoffen, daß mit dem sechsten Rahmenprogramm der EU bzw. auch in absehbarer Zeit in der UNESCO ein Umdenken einsetzt.

11.5. Im Zusammenhang mit der Veränderung des Einsatzes wissenschaftlicher Erkenntnisse schlägt das INST als Pilotprojekte vor:

11.5.1. Eine Konferenz zum Thema "Kulturwissenschaften, Kulturaustausch, Tourismus, Europa" am 4./5.7.1998 in Innsbruck und ein Programm mit dem Titel

11.5.2. Kulturseminare.

Während die Konferenz ein Forum für KulturwissenschafterInnen, Wirtschaftsleute, PolitikerInnen, Medienleute usw. sein soll, die eine Umorientierung vorschlägt und auch dauerhafter als Einrichtung zu Fragen des Kulturaustausches genutzt werden kann, sind die Kulturseminare dazu da, zunächst Interessierten aus deutschsprachigen Ländern die Kulturen der jeweiligen Länder - transdisziplinär von WissenschafterInnen dargestellt - vorzustellen.

Diese Projekten sollen dazu dienen

- transdisziplinäre Zusammenarbeit zu befördern

- Erkenntnisse der Kulturwissenschaften für verschiedene gesellschaftliche Bereiche nutzbar zu machen

- den "Tourismus" zu humanisieren

- Einkünfte für die PartnerInnen zu erzielen

- Arbeitsplätze in Österreich zu schaffen.

Ausblick

Unsere Konferenz in Innsbruck, die nicht einmal drei Jahre nach der Gründung des INST erfolgte, wird zeigen, ob sie ein geeignetes Forum ist, um Vorschläge zu entwicklen, die in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Öffentlichkeit usw. zumindestens Ansätze von Veränderungen bewirken könnten. Sie ist aber schon durch ihr Zustandekommen ein Ausdruck dafür, daß gerade bei nicht wenigen WissenschafterInnen das Bedürfnis besteht, sich auf neue Verhältnisse einzustellen. Und weil dies ein langer Weg sein wird, ist es wichtig, daß auch im Rahmen des INST neue Voraussetzungen für Wissenschaftskommunikationen, Wissenschaftsstrukturen, Wissenschaftsanwendungen geschaffen werden. Der Erfolg wird davon abhängen, welche Qualität unsere Beiträge haben werden, in welchem Ausmaß sich im Rahmen unserer Wissenschaftsassoziation Institutionen auch an den Folgeprojekten beteiligen werden. Für 1998 werden aber auch mehr Mittel für die Infrastruktur des INST notwendig sein, um jene Aufgaben wahrzunehmen, die auf uns zukommen.

Viele, die nach Innsbruck gekommen sind, haben schon in der Vergangenheit nicht wenige Opfer auf sich genommen, um an den Aktivitäten des INST zu partizipieren, um Ihre Erkenntnisse in Innsbruck präsentieren zu können. Auch dies ist ein Ausdruck für eine hohe Motivation, für Problembewußtsein, für Einsicht in die Notwendigkeit, daß gerade unter den neuen Bedingungen der Internationalisierung nur gemeinsam - über Grenzen hinweg - die Verhältnisse zum Besseren gewendet werden können. Ihnen allen herzlichsten Dank für die Bereitschaft zum Dialog, für die Zusammenarbeit sowie unseren Geldgebern und Partnern, ohne die diese Konferenz nicht stattfinden hätte können.

© Herbert Arlt (Wien)

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