Der Beitrag des Intellektuellen in Soyfers Werk zur Geburt der neuen Welt
am Beispiel von Soyfers Werk "Vineta"
Eine Studie zur FÓ§rderung des Dialoges
zwischen der östlichen und der westlichen Kultur
Rania Elwardy (Ain Shams Universität, Kairo) [BIO]
Dieser Aufsatz setzt sich das Ziel, den Beitrag des Intellektuellen in Soyfers Werk zur Geburt der neuen Welt zu untersuchen. In diesem Zusammenhang wird Soyfers Werk "Vineta" analysiert. Dass ich "Vineta" ausgewählt habe, liegt an dessen Bedeutung, über die Peter Langmann schreibt:
"Dieses Stück wurde wiederholt als das reifste unter den Dramen Soyfers bezeichnet, als Satire, die sich zu groβer Dichtung erhebt"(1).
An einer anderen Stelle hebt Langmann hervor:
"Dass es Soyfer aber nicht nur darum ging, einer erstarrten Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, sondern auch darum, mit der Konstruktion einer Horror-Vision vor den Gefahren der Zukunft zu warnen [...]"(2).
Eine analytische Betrachtung dieser beiden Aussagen veranlasst mich, nach dem Beitrag des Intellektuellen in einer düsteren Realität zu fragen. Die Auseinandersetzung mit dem literarischen Werk "Vineta", in dem der Intellektuelle eine zentrale Stellung einnimmt, ermöglicht es, sich dieser Frage zu nähern. Letzten Endes – wie noch zu zeigen sein wird – rettet dieser Intellektuelle die Gesellschaft vom Untergang und trägt gleichzeitig dazu bei, dass diese Gesellschaft wieder aufgebaut wird.
Die Relevanz der in diesem Aufsatz behandelten Thematik wird evident, wenn in Betracht gezogen wird, dass Soyfers Werk zur Zeit(3) des Hitlerschen Aufstiegs und seiner Diktatur geschrieben wurde – in einer Zeit einer scharfen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politische Krise, die in Teilen der Krise in Ägypten nach der Revolution von 2011 ähnelt.(4) Diese Óhnlichkeit gibt Anlass zur Diskussion darüber, ob auch der Intellektuelle in Ógypten einen effektiven Beitrag zur Geburt einer neuen Welt leisten kann. Die Antwort auf diese Frage bleibt jedoch offen. Dieser Aufsatz gibt nur einen Anlass zur Diskussion darüber. Dies dient letzten Endes der FÓ§rderung des Dialoges zwischen der östlichen und der westlichen Kultur.
1. Begriffsbestimmung des Intellektuellen
Bevor auf den Beitrag des Intellektuellen in Soyfers Werk eingegangen wird, ist es von Relevanz, den Begriff des Intellektuellen zu definieren.
Die Untersuchung des Begriffes des Intellektuellen zeigt einerseits, dass dieser Begriff in einigen Wörterbüchern(5) fehlt. Das verweist darauf, dass diese Wörterbücher nur eingeschränkt die sprachliche Realität wahrnehmen. Soweit der Begriff berücksichtigt wird, gibt es keine einheitliche Begriffsbestimmung durch die Wissenschaftler(6).
Die Beschäftigung mit den philosophischen und psychologischen WÓ§rterbüchern macht deutlich, dass der Begriff des Intellektuellen in diesen WÓ§rterbüchern nicht aufscheint und dass es stattdessen andere Begriffe gibt, die in engem Zusammenhang mit dem Begriff des Intellektuellen stehen – nämlich die des Intellekt, des Intellektualismus, der intellektuellen Anschauung und der Intelligenz. Einen mÓ§glichen Grund für das Fehlen dieses Begriffes in den philosophischen und psychologischen WÓ§rterbüchern findet man in Wikipedia(7). Dort gebraucht man den Begriff der Intelligenz im Zusammenhang mit dem Intellektuellen, der entsprechend Wikipedia sich definiert einerseits als ein Mensch, "der wissenschaftlich, künstlerisch, religiös, literarisch oder journalistisch tätig ist [...]"(8). Dass man in Wikipedia den Begriff des Intellektuellen im Kontext der Intelligenz bestimmt, gibt mir einen Hinweis darauf, dass man dies in den philosophischen und psychologischen WÓ§rterbüchern auch so machen hätte kÓ§nnen Die Überprüfung dieser Behauptung in den philosophischen und psychologischen WÓ§rterbüchern zeigt, dass diese These nicht ganz, aber zum großen Teil richtig ist. Während Dorsch mit dem Begriff der Intelligenz nur "[...] die mit dem Verstand verbundenen geistigen Fähigkeiten in ihrer potentiellen und dynamischen Bedeutung."(9) bezeichnet, gebrauchen sowohl Goorgi Schischcaff(10) als auch Alois Halder(11) den Begriff der Intelligenz einerseits zur Bezeichnung einer geistigen Fähigkeit, sich in ungewohnten Situationen schnell zurechtzufinden und andererseits zur Bezeichnung einer geistig führenden Schicht eines Volkes, die seit dem Zeitalter des Humanismus als bürgerliche Intelligenz besteht und die davor in den Händen der Geistlichkeit lag.
Während man in Wikipedia mit dem Begriff des Intellektuellen einen bestimmten Typus von gesellschaftlichem Akteur bezeichnet, gebraucht Karl Mannheim den Begriff als Bezeichnung für die soziale Schichte, die sich vom normativen Denken ihrer Umgebung lÓ§st, die ungebunden, kritisch und sensibel ist, pluralistische Anschauungen vertritt und positiv auf soziale Gegebenheiten einwirkt.(12)
Dies verweist auf die Nicht-Übereinstimmung unter den Wissenschaftlern darüber, ob man mit dem Begriff des Intellektuellen eine bestimmte soziale Schicht bzw. (Berufs-) Gruppe oder einen bestimmten Typus von gesellschaftlichem Akteur bezeichnet. Diese Nicht-Übereinstimmung unter den Wissenschaftlern bezüglich der Begriffsbestimmung erkärt Daniel Morat in seinem Aufsatz "Intellektuelle und Intellektuellengeschichte" (2011).(13)
Die Nicht-Übereinstimmung unter den Wissenschaftlern konzentriert sich nicht nur auf die Begriffesbestimmung des Intellektuellen. Diese schliesst aber die Rolle des Intellektuellen ein. In Wikipedia wird die Rolle des Intellektuellen in den öffentlichen Auseinandersetzungen betont, in denen der Intellektuelle kritisch oder affirmativ Position bezieht.(14) Eine analytische Betrachtung der Rolle des Intellektuellen in Wikipedia zeigt, dass diese Rolle in erster Linie eine geistige Rolle ist, die der Intellektuelle ausgerüstet mit seinen geistigen Fähigkeiten spielt. Eine Hervorhebung der Erkenntnistheorie und des damit verbundenen Rationalismus wird ebenso dieser Rolle zugeschrieben. Georg Jäger beschreibt zum Beispiel die Funktion des Intellektuellen wie folgt:
"[...] Der Intellektuelle stellt Fragen wie: Was ist gut? Was ist bÓ§se? Was sollen wir tun? Er verfügt über ein sozial-teleologisches Wissen, es orientiert und reguliert das Verhalten der Gesellschaftsmitglieder entlang kultureller Normen und Werte und legt die gesellschaftlichen Zwecke und Zielsetzungen fest. Mit Hilfe dieses Wissens stellt der Intellektuelle die aktuellen Ereignisse und Erfahrungen in den Horizont übergreifender Ordnungen."(15)
Das vorangegangene Zitat von Georg Jäger lenkt die Aufmerksamkeit auf die gesellschaftliche und moralische Rolle des Intellektuellen. Georg Jäger macht den Intellektuellen zum Wissenshalter und zum Wissensverwalter einer Gesellschaft. Überdies läβt er ihn als Träger von Gesellschaftsentwürfen erscheinen. Bei ihm – wie aus dem Zitat und dem gesamten Aufsatz zu erschliessen ist – verteidigt der Intellektuelle die ewigen und universellen Werte wie Gerechtigkeit, Wahrheit und Vernunft. Diese Funktion des Intellektuellen wird – wie er selbst hervorhebt – immer in den klassischen Schriften betont.
Während Georg Jäger bei der Determinierung der Rolle des Intellektuellen auf die moralische und gesellschaftliche Rolle eingeht, konzentriert sich Antonio Gramsci bei seinem Beitrag zur Rolle des Intellektuellen auf die gesellschaftliche Rolle des Intellektuellen. Für Gramsci stellen die Intellektuellen nicht nur Redner oder reine Wissenschaftler dar, sondern auch Leiter und Organisatoren der gesellschaftlichen Prozesse, die Einfluss auf herrschende gesellschaftliche Verhältnisse ausüben und daher eine bestimmte gesellschaftliche Hegemonie produzieren und über staatliche und ideologische Apparate wie Bildung, Medien, Parteien usw. sichern.(16)
Aus alledem lässt sich der Schluss ziehen, dass es keine Übereinstimmung unter den Wissenschaftlern bezüglich der Begriffsbestimmung des Intellektuellen und bezüglich der Rolle des Intellektuellen gibt. Bei meiner Definition für den Intellektuellen stütze ich mich auf Antonio Gramsci, der in seinem Beitrag über den Intellektuellen hervorhebt, dass alle Menschen Intellektuelle seien und daher intellektuelle und rationale Talente besitzen und dass nur wenige in der Gesellschaft die Funktion von Intellektuellen einnehmen und ausüben kÓ§nnen. Diese Funktion sieht Gramsci in dem Einfluss, den die Intellektuellen auf die herrschenden gesellschaftlichen Verhälltnisse ausüben. An dieser Stelle ist der Hinweis wichtig, dass Gramsci zwischen den traditionellen und den organischen Intellektuellen unterscheidet. Nach Gramsci gehÓ§ren zu den traditionellen Intellektuellen der Schriftsteller, der Philosoph und der Künstler, die sich selber fälschlicherweise als eine Klasse ausserhalb der Gesellschaft sehen. Die organischen Intellektuellen – wie Gramsci fortsetzt – bringt jede Klasse aus ihren eigenen Reihen hervor. Diese beschreiben das gesellschaftliche Leben nicht nur mit wissenschaftlichen Regeln, vielmehr artikulieren sie durch die Sprache der Kultur die Gefühle und Erfahrungen, die die breite Masse nicht selber vermitteln kann.
Die Relevanz der Definition von Gramsci für den vorliegenden Aufsatz wird evident, wenn man in Betracht zieht, dass diese Definition zur Zeit von Mussolini(17) entsteht, dass zu jener Zeit eine Intellektuellenkrise(18) gibt und dass Gramsci bei seiner Definition für den Intellektuellen von der marxistischen Weltanschauung ausgeht. Die Frage bleibt jedoch offen, ob der marxistische Soyfer, der Hitlers Zeit(19) erlebt, von Gramscis Verständnis für den Intellektuellen beeinflusst wird oder ob er als Marxist dasselbe Verständnis für den Intellektuellen hat. Das, was die Antwort auf diese Frage erschwert, ist der Mangel an Primär- und Sekundärliteratur, die sich mit dieser Problematik bei Soyfer beschäftigt. Dieser Mangel veranlasst mich, mich bei der Antwort auf diese Frage auf die literarischen Werke von Soyfer konzentrieren, die diese Thematik behandeln. Zu diesen literarischen Werken gehÓ§rt beispielsweise Soyfers Werk "Der Lechner Edi schaut ins Paradies", in dem die Hauptfigur Edi, der entsprechend der Definition von Gramsci als Repräsentant für den organischen Intellektuellen bezeichnet werden kann, eine Rolle bei der Aufklärung der proletarischen Masse so spielt, dass die erstrebte industerielle Revolution realisiert wird, womit die zu jener Zeit dominante Hungersnot und die Armut bekämpft werden kann. Dies wird als wesentliche Voraussetzung zur Geburt der neuen Welt bei Soyfer verstanden.
Zu anderen literaischen Werken von Jura Soyfer, in denen Gramscis Gedanken über den organischen Intellektuellen zu finden ist, gehÓ§rt vor allem Soyfers Werk "Vineta". Die Hauptfigur des Stücks, Jonny, der entsprechend der Definition von Gramsci als Repräsentant für den organischen Intellektuellen bezeichnet werden kann, eine Rolle bei der Aufklärung der Menschen in der toten Stadt zu spielen versucht mit der Hoffnung, dass seine aufklärerische Rolle die tote Stadt vom Untergang rettet.
Das Ziel der folgenden Abschnitte besteht darin, die Funktion der Intellektuellen im literarischen Werk von Jura Soyfers "Vineta" ausgehend von einer Figurenkonstellationsanalyse des Werkes zu verstehen. Überdies wird der Versuch unternommen, einen Vergleich zwischen den in den WÓ§rterbüchern beschriebenen Definitionen für den Intellektuellen mit seinen verschiedenen Funktionen und dem in Soyfers Werk "Vineta" dargelegten Bild vom Intellektuellen mit seinen verschiedenen Funktionen so zu ziehen, dass klar wird, inwieweit das in Soyfers Werk dargelegte Bild vom Intellektuellen der in den WÓ§rterbüchern beschriebenen Definitionen für den Intellektuellen und darunter auch der von Gramsci nahe kommt.
2. Der Beitrag des Intellektuellen in Soyfers "Vineta" zur Geburt der neuen Welt
Dieser Abschnitt setzt sich das Ziel, den Beitrag des Intellektuellen in Soyfers Werk "Vineta" zu untersuchen. Dabei wird die Figurenkonstellationsmethode für die Textanalyse herangezogen. Diese Methode ermÓ§glicht mir, den Einfluss des Intellektuellen auf die anderen Figuren im Drama so zu untersuchen, dass der Beitrag des Intellektuellen zur Geburt der neuen Welt im Drama ersichtlich wird. Dies gilt als Zentralmotiv in Soyfers Werk.
Während die Figurenkonstellationsmethode zur Erläuterung des Beitrages des Intellektuellen in Soyfers Werk "Vineta" dient, gibt die textimmanente Analyse die Möglichkeit zur Herausnahme der Bedeutung des Intellektuellen aus dem literarischen Werk. Die Erläuterung der Bedeutung des Intellektuellen ausgehend von einer textimmanenten Analyse des Werkes ermÓ§glicht, einen Vergleich zwischen der Bedeutung des Intellektuellen in Soyfers Werk "Vineta" und den Bedeutungen dieses Begriffes in den unterschiedlichen Wörterbüchern und unter Webadressen zu ziehen. Dieser Vergleich macht deutlich, inwieweit die Bedeutung des Intellektuellen in Soyfers Werk "Vineta" den in den unterschiedlichen Wörterbüchern und unter Webadressen nahe kommt.
Eine systematische Betrachtung der Sekundärliteratur, die sich mit der Analyse von Soyfers Drama "Vineta" beschäftigt, macht klar, dass sich die Literaturwissenschaftler bei der Analyse dieses Werkes auf die Erhellung der Mühe der Hauptfigur zur Geburt der neuen Welt konzentrieren. Zu diesen Literaturwissenschaftlern gehÓ§ren vor allem Peter Langmann (1986)(20), Barbara Nowotny (2010)(21) und Christian Simon (2010)(22). Sowohl Peter Langmann als auch Barbara Nowotny gebrauchen die strukturalistische Forschungsmethode zur Darlegung der Entwicklung der Hauptfigur und seiner Mühe zur Geburt der neuen Welt. Während Peter Langmann und Barbara Nowotny bei der Analyse vom Drama die sturkturalistische Methode anwenden, fokussiert Christian Simon bei der Analyse des Werkes auf die Erhellung sowohl des Leitmotives der toten Stadt "Vineta" als auch der Mühe der Hauptfigur zur Wandlung des Zustandes der Stadt von einem toten in einen lebendigen Zustand. Die Analyse von Gerhard Schreit (1988) stützt sich auf die zeitgeschichtlichen Methode, die dem Verfasser ermÓ§glicht, den Bezug des literarischen Werkes zur Realität zu erhellen. Genauso wie Gerhard Schreit betont Julia Bruckner in ihrer Analyse (2012) die Botschaft, die Soyfer durch die Hauptfigur zu vermitteln versucht. Julia Bruckner betont in ihrer Analyse, dass Soyfers Botschaft sich in erster Linie an die Jugendlichen richtet. Betrachtet man diese Sekundärliteratur kritisch, so kommt man zum Ergebnis, dass die Sekundärliteratur nicht auf die Frage eingeht, ob die Hauptfigur dank ihrem Beitrag zur Geburt der neuen Welt als Intellektuelle bezeichnet werden kann. Überdies gebraucht die Sekundärliteratur bei der Analyse dieses Werkes nicht die Figurenkonstellationsanalyse, die meines Erachtens die MÓ§glichkeit gibt, den Einfluss sowohl des Intellektuellen im Drama als auch der Hauptfigur auf die anderen Figuren festzulegen, was die Determinierung ihres Beitrages zur Geburt der neuen Welt erleichtert. Diese Lücken zu schliessen, repräsentiert den Beitrag dieses Aufsatzes.
2.1. Der Beitrag des Stadtschreibers als ein negativer Typus vom Intellektuellen zur Geburt der neuen Welt
Eine textimmanente Analyse des literarischenen Werkes "Vineta" macht deutlich, dass mit dem Begriff des traditionellen Intellektuellen in diesem literarischen Werk die Figur des Stadtschreibers bezeichnet wird. Dieser – wie im folgenden Dialog zwischen Jonny und dem Stadtschreiber deutlich wird – denkt sehr viel, weiss sehr viel und handelt sehr wenig. Dass er wenig handelt, lässt ihn als einen toten Intellektuellen, einen Vineter erscheinen:
Jonny: Kurzum, du denkst sehr viel, du weiβt sehr viel und handelst sehr wenig.
Stadtschreiber: Richtig, mein Freund! Auch ein toter Intellektueller bleibt, was er ist, nämlich ein Intellektueller."(23)
Aus dem vorangegangenen Zitat kann man die Bedeutung des Intellektuellen im Drama erschliessen. Dieser – wie im vorangegangenen Zitat deutlich wird – hat eine geistige Arbeitsfunktion in der Gesellschaft inne. Er hat die Stelle eines Stadtschreibers. Diese Position lässt ihn zu den Intellektuellen gehÓ§ren. Als Intellektueller – wie das vorangegangene Zitat deutlich macht – ist er durch sein DenkvermÓ§gen ausgezeichnet, das ihm dabei hilft, sehr viel zu wissen. Das von ihm durch das DenkvermÓ§gen erworbene Wissen lenkt aber nicht seine Handlungen. Dies lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass der traditionelle Intellektuelle im Drama keine effektive Rolle in der Textwelt spielt. Um diese These zu überprüfen, gebrauche ich die Figurenkonstellationsanalyse bei der Analys des Werkes. Diese Methode gibt mir die MÓ§glichkeit, die Rolle des Intellektuellen im Drama darzustellen.
Die Figurenkonstellationsanalyse des Werkes lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass der Intellektuelle im Drama im Gegensatz zur Hauptfigur keinen direkten Kontakt mit den meisten Figuren im Drama hat, dass er nur einen engen Kontakt mit den Vertretern des Grossbürgertumes hat, zu denen der frÓ§hliche Senator, seine Frau und seine Tochter Lili gehÓ§ren und dass er im allgemeinen eine destruktive Auswirkung auf die anderen Figuren in der Textwelt hat, was letzten Endes die Geburt der neuen Welt beeinträchtigt.
Der Intellektuelle im Drama hat einen indirekten Kontakt mit den meisten Figuren in der Textwelt, da er hinter einem Schalter an einem der Tortürme der toten Stadt sitzt.(24) Dies lässt den Stadtschreiber von der Hauptfigur unterscheiden, die sich darum bemüht, einen Kontakt mit allen Figuren in der Textwelt so aufzunehmen, dass er sie zum Nachdenken, Fühlen und zur Arbeit veranlasst, um sie vor der Entfremdung in der toten Stadt zu retten. In diesem Punkt unterscheidet sich die Hauptfigur von dem Stadtschreiber, der eine destruktive Auswirkung auf die anderen Figuren in der Textwelt hat, wodurch die Bemühungen der Hauptfigur zur Geburt einer neuen Welt beeinträchtigt werden. Diese destruktive Auswirkung der Vorgangsweise des Stadtschreibers manifestiert sich am deutlichsten im folgenden Dialog zwischen dem Stadtschreiber und Jonny:
Jonny: [...] Was treibst du jetzt?
Stadtschreiber: Ich hab begonnen, in meinen Muβestunden Philosophie zu treiben. Werde in wissenschaftlichen Kreisen als groβer Denker betrachtet.
Jonny: Oho! Sag einmal, Herr Professor, worüber kannst du nachdenken, wenn du nicht einmal über das Einfachste nachdenken darfst – über das Leben? Wennʼs geradezu deine Pflicht ist, das Wichtigste zu vergessen?
Stadtschreiber: Sehr logisch. Ich denke über das Vergessen nach. Eine Philosophenschule hat sich um mich geschart. Wir nennen uns den Vergessenskreis. Hier verehre ich dir mein Standardwerk: "Das Vergessen als Denkprinzip reifer Kulturvölker".(25)
Das vorangegangene Zitat lenkt die Aufmerksamkeit darauf, wie destruktiv sich der Stadtschreiber den anderen Figuren in der Textwelt gegenüber verhält. Im Gegensatz zur Hauptfigur, die die anderen Figuren in der Textwelt zum Nachdenken, zum Fühlen, zur Arbeit und im Allgemeinen zum Leben veranlassen will, bewegt der Stadtschreiber die Figuren in der Textwelt zum Vergessen, wodurch sie in die Entfremdung geraten. Überdies schätzt er das Vergessen als Denkprinzip so hoch, dass sich eine Philosophenschule um ihn bildet. Dies markiert seine destruktive Auswirkung auf die Denkweise der anderen Figuren in der Textwelt, wodurch unbedingt Jonnys Mühe zur Geburt der neuen Welt beeinträchtigt wird. Diese Erkenntnis veranlaßt Jonny dem Stadtschreiber das Folgende sagen:
Laβ aus, Schreiber! Du bist der Tod! Ich will leben! Leben! Leben! Laβ, Ich brauche Luft! Luft! Luft! Luft!(26)
Die vorangegangene erwähnte Óusserung macht deutlich, dass der Intellektuelle im Drama nicht nur – wie er sich selbst bezeichnet – ein toter Intellektueller, sondern dass er auch ein tödlich wirkender Intellektueller ist. Die tÓ§dliche Auswirkung des Intellektuellen im Drama manifestiert sich dadurch, dass er keinen Beitrag zur Geburt der neuen Welt leistet, dass er stattdessen eine effektive Rolle bei der Fortsetzung der alten Welt spielt, in der der Mensch sich entfremdet fühlt. Der Stadtschreiber behindert wegen seinem finanziellen Profit Jonnys Mühe zur Geburt der neuen Welt.
Nun stellt sich die Frage, ob der Stadtschreiber im Drama zu den Intellektuellen gehÓ§rt, da er als Intellektueller geistige Fähigkeiten hat, die ihm dabei helfen, so viel zu wissen. Diese Frage führt uns zu einer anderen Frage, nämlich ob der Stadtschreiber im Drama als Intellektueller klassifiziert werden kann, obwohl er eine destuktive Auswirkung in der Textwelt hat oder ob er wegen dieser destruktiven Rolle nur als ein negativer Typus eines Intellektuellen betrachtet werden soll. Die Antwort auf diese Fragen setzt die kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Definitionen des Intellektuellen in den WÓ§rterbüchern und Webadressen(27) voraus. Diese Untersuchung macht deutlich, dass die durch eine Figurenkonstellationsanalyse des Werkes herausgearbeitete Rolle des Intellektuellen den unterschiedlichen Rollen des Intellektuellen in den WÓ§rterbüchern und unter den Webadressen widersprechen, was meines Erachtens nicht die ZugehÓ§rigkeit des Stadtschreibers zu den Intellektuellen bestreiten lässt. Diese destruktive Rolle des Stadtschreibers lässt ihn nur als einen negativen Typus von Intellektuellen erscheinen. Diese destruktive Rolle des Stadtschreibers steht der aufbauenden Rolle von Jonny entgegen. Dies lässt uns darüber nachdenken, ob Jonny dank dieser Rolle als Intellektueller bezeichnet werden kann. Eine Antwort auf diese Frage bietet der folgende Abschnitt an.
2.2. Der Beitrag von Jonny als positiver Typus von einem Intellektuellen zur Geburt der neuen Welt
Während sich der vorige Abschnitt mit dem Beitrag vom Stadtschreiber als einem negativen Typus von Intellektuellen zur Geburt der neuen Welt beschäftigt, befasst sich dieser Abschnitt mit der Rolle von Jonny als einem positiven Typus von einem Intellektuellen bei der Geburt der neuen Welt. Das, was mich dazu bewegt, diese Frage zu srellen, sind die Ergebnisse der Figurenkonstellationsanalyse des Werkes. Diese zeigt einerseits – wie im vorigen Abschnitt deutlich wird –, dass der Stadtschreiber durch seine destruktive Auswirkungen auf die anderen Figuren in der Textwelt die Geburt der neuen Welt behindert und andererseits – wie noch zu erklären ist –, dass Jonny einen effektiven Beitrag zur Geburt der neuen Welt leistet, obwohl er im Drama nicht als Intellektueller bezeichnet wird. Jonnys Beitrag zur Geburt der neuen Welt lässt mich nachdenken, ob er als Intellektuelle klassifiziert werden kann, obwohl er im Drama nicht als Intellektueller genannt wird. Auf diese Frage wird später eingegangen, nachdem Jonnys Beitrag zur Geburt der neuen Welt ausgehend von einer Figurenkonstellationsanalyse des Werkes erläutert wird. Die Erläuterung dieses Beitrages erÓ§ffnet den Weg zur Diskussion darüber, warum Jonny entsprechend den Definitionen in den WÓ§rterbüchern und unter den Webadressen als Intellektueller angesehen werden kann.
Bevor aber auf Jonnys Beitrag zur Geburt der neuen Welt eingegangen wird, ist es von Relevanz, die Tatsache zu erwähnen, dass Jonny im Drama nicht als Intellektueller, sondern als ein Taucher von vierundzwanzig Jahren im Stück aufscheint und dass er dank einer Ehe mit einer bürgerlichen Tochter ins Bürgertum aufsteigt, dass er seine Stellung im Bürgertum durch einen bürgerlichen Beruf festigt und dass er darüber hinaus ein Abgeordneter im Parlament wird.
Die Figurenkonstellationsanalyse des Werkes macht es deutlich, dass die Hauptfigur Jonny eine Ausnahme in der Textwelt repräsentiert, dass er sich viel Mühe zur Geburt der neuen Welt gibt, dass seine Mühe am Festhalten der Figuren an den Regeln der alten Welt scheitert und dass seine Mühe am Ende des Drames mit Erfolg so gekrÓ§nt wird, dass ein Hoffnungsschimmer für die MÓ§glichkeit der Geburt der neuen Welt trotz der Dunkelheit in der alten Welt entsteht.
Jonny tritt in der Textwelt als Ausnahme auf, da er denkt und fühlt und da er arbeiten will. Dies lässt ihn lebendig in der Textwelt erscheinen und rettet ihn ein wenig vom Dasein als Toter, der in der Textwelt dominiert. Jonny begnügt sich nicht, lebendig in der Textwelt zu sein, sondern er gibt sich Mühe, die Anderen in der Textwelt so lebendig zu machen, dass die neue Welt geboren wird. Eine Figurenkonstellationsanalyse des Werkes macht deutlich, dass Jonnys Mühe zur Geburt der neuen Welt bis zur Nähe des Ende des Dramas am Festhalten der Figuren an den Traditionen der alten Welt scheitert und dass das Ende des Dramas Beweise für den Erfolg dieser Mühe liefert: Die durch seinen Geist, sein Herz und seinen Willen zur Arbeit gekennzeichnete Hauptfigur Jonny gibt sich Mühe, die anderen Figuren in der Textwelt zum Nachdenken, zum Fühlen und zur Arbeit so zu veranlassen, dass sie sich von den Traditionen der toten Stadt und infolgedessen von ihrer Entfremdung befreien. Die Figuren im Drama halten aber an den Traditionen der toten Stadt fest. Entsprechend diesen Traditionen verhalten sie sich ordnungsgemäß, ohne an die Ordnung der toten Stadt zu denken, was sie zu Maschinen verwandelt. Überdies reagieren sie gefühlslos. Viele Stellen aus dem Drama markieren diese Starrheit der Figuren, was Jonny behindert, einen effektiven Beitrag zur Geburt der neuen Welt zu leisten. Die folgende Stelle aus dem Drama bietet uns einen Beweis an:
Wächter: Ich regle den Verkehr. Ordnungsgemäß
Jonny: Zweifellos. Was mich stört, ist nur, dass ich hier überhaupt keinen Verkehr sehe. (keine Antwort) He! Sie! Ich frage: Gibt es hier einen Verkehr?
Wächter: Ordnungsgemäß, nein!
Jonny: Und?
Wächter: Ich regle denselben.(28)
Jonny – wie im Zitat deutlich ist – bewegt den Wächter, an die Ordnung zu denken. Dieser beharrt auf der vorhandenen Ordnung, ohne daran zu denken, was ihn in eine Marionette verwandelt. Die Mühe von Jonny zur Befreiung des Wächters von der Entfremdung scheitert am Beharren des Wächteres an der vorhandenen Ordnung. Genauso wie der Wächter beharrt der Soldat auf der vorhandenen Ordnung der Stadt "Vineta", die auf dem Prinzip des Vergessenes basiert. Dieses Prinzip lässt den Soldaten vergessen, wer seine Feinde sind, mit denen er einen kriegerischen Kampf führt. Überdies weiß er nicht, wohin er zusammen mit den anderen Soldaten marschiert. Die Fragen, die Jonny an ihn stellt, veranlaßt ihn nicht, die gestellte Ordnung in Frage zu stellen.
Bei seiner Mühe zur Befreiung der Menschen in Vineta von der Entfremdung konzentriert sich Jonny nicht nur darauf, die Menschen der toten Stadt Vineta so zu veranlassen, dass sie sich ihres Geistes bedienen, sondern er gibt sich auch Mühe, das Herz der Menschen der toten Stadt so zu erwecken, dass sie innere Gefühle haben. Diese letzte Mühe wird aber auch zum Scheitern verurteilt. Der Dialog zwischen Jonny und seiner Frau liefert uns einen Beweis dafür. Jonny bemüht sich, seine Frau zu veranlassen, ihre Liebesgefühle ihm gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Er erklärt ihr, dass er mit ihr lebendig bleibt, um sie lebendig zu machen. Diese Lebendigkeit betrachtet die Frau als Unanständigkeit. Dies kann man auf die Erziehung der Frau zurückführen. Entsprechend dieser Erziehung soll die Frau nichts von der Liebe wissen. Sie soll Lilie bleiben, bis sie heiratet. Dann erfüllt sie nur die Aufgaben ihrem Mann gegenüber. Die Mühe von Jonny, seine Frau von ihrer Starrheit zu befreien, scheitert am Festhalten seiner Frau an der Ordnung der toten Stadt Vineta. Entsprechend dieser Ordnung hat sie auch die Gefühle vergessen, die eine Frau ihrem Mann gegenüber zu Ausdruck bringt, der in den Krieg zieht:
Frau: Aber Liebster! Lebendig sein ist doch so unanständig!
Jonny: Hm. Sag einmal, liebst du mich?
Frau: Gewiß doch ja, Liebster!
Jonny: Weißt du, was Liebe ist?
Frau: Gewiß doch nein, Liebster!
Jonny: Du weißt, dass ich morgen an die Front gehe. Bist du nicht traurig, daß ich in den Krieg muß?
Frau: Gewiß doch nein , im Gegenteil!(29)
Genauso wie Jonnys Frau vergisst der Gefangene entsprechend dem Prinzip der toten Stadt die menschlichen Gefühle. Zu diesen Gefühlen gehören die Liebe, der Haß und die Sehnsucht nach der Freiheit. Jonny gibt sich Mühe, diese menschlichen Gefühle bei ihr so zu erwecken, dass er lebendig bleibt. Diese Mühe scheitert aber an den Bürgern selbst, was Jonny die folgende Aussage zum Ausdruck bringen lässt:
Ich weiß nicht, warum ihr zugrunde ginget und niedersanket – so tief, daß selbst im elensten Gefangenen der letzte Funke erstickt ist.(30)
Die Menschen in der toten Stadt wollen weder denken noch fühlen. Überdies wollen sie nicht arbeiten. Dies repräsentiert ein weiteres Prinzip in der toten Stadt, das die Menschen in dieser Stadt auch entfremden lässt und das Jonny auch verletzt, was ihn als Ausnahme in der toten Stadt erscheinen lässt. Der folgende Dialog zwischen dem Bettler, der Bettlerin und Jonny macht dieses Prinzip deutlich:
Bettler: Darum weißt du nicht, dass in Vineta niemand arbeitet. Die Reichen brauchens nicht, die Armen könnens nicht. Kurzum: Die Landessitte.
Jonny: Scheußlich . Na, wir wollen hoffen –
Bettler: Ja, daß es gestern besser ist.
[...]
Jonny: […] Aber ich werde leben und arbeiten. [...]
Bettlerin: Er will leben –
Bettler: Und arbeiten –
Beide: In Vineta – (Schütteln den Kopf)(31)
Der vorige Dialog lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Prinzip in der toten Stadt. Entsprechend diesem Prinzip wollen weder die Reichen noch die Armen arbeiten. Dies gilt – wie die Bettlerin im folgenden Zitat Jonny erklärt – als Landessitte. Ausgehend davon sind der Bettler und die Bettlerin so hoffnungslos, dass sie innerlich davon überzeugt sind, dass Gestern besser ist. Jonny will aber auf die Hoffnung nicht verzichten. Er kämpft gegen dieses Prinzip, indem er den Entschluss fasst, dass er arbeiten und Geschäfte machen wird. Dass die Bettlerin und der Bettler ganz am Ende des Dialoges den Kopf schütteln, ist meines Erachtens ein Zeichen dafür, dass sie seinen Erfolg in der toten Stadt bezweifeln.
Jonny gibt sich Mühe, die Menschen in der toten Stadt von ihrer Entfremdung zu befreien, indem er ihren Geist und ihr Herz anspricht und indem er sie durch seine Arbeit zur Arbeit bewegt. Diese Mühe ist aber zum Scheitern verurteilt, da die Menschen an den Prinzipien dieser toten Stadt festhalten. Dies – wie im Drama sichtbar ist – repräsentiert den Hauptgrund für das Scheitern von Jonny, einen effektiven Beitrag zur Geburt der neuen Welt zu spielen.
Obwohl die Figurenkonstellationsanalyse das Scheitern der Mühe der Hauptfigur zur Geburt der neuen Welt zum Ergebnis hat, liefert das Ende vom Drama Beweise für den Erfolg dieser Mühe. Zu diesen Beweisen gehÓ§rt vor allem das Glockenläuten, das als Ergebnis von Jonnys Tat gilt. Dieses gibt einen Hinweis darauf, wie Jonnys Tat eine starke Auswirkung in Vineta hat. An dieser Stelle ist das folgende Zitat von Gerhard Schreit wichtig:
"Die Welt Vinetas bleibt gewissermaβen an den Kontrast zu Jonny, als ihrem Gegenbild, eng und unaufhebbar gebunden. Jonny ist es daher, der Vineta wieder aus dem Zeitlosen befreit, sowie er selbst den Alptraum des absurden Theaters nur träumt. Durch ihn wird der historische Charakter der menschlichen Entfremdung gerettet."(32)
Das vorig erwähnte Zitat von Gerhard Schreit lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass Jonnys Tat die Vineter zur Befreiung von der Entfremdung führt. In diesem Gesichtspunkt stimmt sich Gerhart Schreit mit Barbara Nowotny überein. Das folgende Zitat fasst die Meinung von Barbara Nowotny zusammen: "[...] Im Kampf überwindet er den Stadtschreiber, und damit auch den Tod. Als die Vineter vernehmen, dass sie alle tot sind, endet ihr Scheindasein [...]"(33) Obwohl ich nicht leugnen kann, dass Jonnys Tat starke Spuren in Vineta hinterlässt, kann man nicht behaupten, dass Jonnys Tat alle Vineter von der Entfremdung befreit. Diese Behauptung kann sich als Irrtum erweisen, wenn man das Ende vom Drama kritisch betrachtet. Diese kritische Betrachtung macht klar, dass direkt nach der Konfrontation der Vineter mit der Wahrheit nur die Sprechweise des Gefangenen sich verändert, was meines Erachtens einen Hinweis auf die MÓ§glichkeit der Geburt der neuen Welt trotz der Dominanz der Dunkelheit in der alten Welt gibt.
Nun stellt sich die Frage danach, ob Jonny dank seinem Beitrag zur Geburt der neuen Welt als Intellektueller bezeichnet werden kann. Die Suche nach der Antwort auf diese Frage lässt mich den WÓ§rterbüchern zuwenden, die sich mit der Bedeutung des Intellektuellen befassen. Den Vergleich, den ich zwischen den verschiedenen Bedeutungen des Intellektuellen in den WÓ§rterbüchern(34) und Jonnys Charakteristika und Beitrag im Drama gezogen habe, macht deutlich, dass es eine grosse Óhnlichkeit zwischen den beiden Seiten gibt, was mich behaupten lässt, dass Jonny als Intellektueller bezeichnet werden kann, obwohl er im Drama nicht als Intellektueller genannt wird.
Entsprechend der Definition von Karl Mannheim für die Intelligenz kann Jonny als Repräsntant für diese soziale Schichte betrachtet werden, "die sich vom normativen Denken ihrer Umgebung lÓ§st, die ungebunden, kritisch und sensibel ist, pluralistische Anschauungen vertritt und positiv auf soziale Gegebenheiten einwirkt." Jonny lÓ§st sich vom normativen Denken seiner Umgebung, was ihn als Ausnahme in der toten Stadt erscheinen lässt, wo man weder denkt, noch fühlt noch arbeiten will. Der denkende, fühlende und arbeitsame Jonny betrachtet die Prinzipien, worauf die tote Stadt aufgebaut sind, so kritisch, dass er dagegen kämpft. Dieser Kampf vollzieht sich durch Dialoge, wo Jonny die Figuren der Textwelt zum Nachdenken, zum Fühlen und zur Arbeit veranlasst. Das Beharren der Figuren auf den Prinzipien der toten Welt lässt Jonny sie mit der Wahrheit konfrontieren. Dass die Glocken ganz am Ende des Dramas läuten, markiert meines Erachtens die positive Einwirkung der Hauptfigur auf die sozialen Gegebenheiten.
Darüber hinaus kann die Hauptfigur Jonny entsprechend der Definition von Georg Jäger für den Intellektuellen als Intellektueller angesehen werden. Die Hauptfigur Jonny in "Vineta" verteidigt die Werte wie den Geist, die Gefühle und die Arbeit. Er gibt sich Mühe, entsprechend diesen Werten das Verhalten der Stadtmitglieder Vinetas zu regulieren.
Überdies kann die Hauptfigur aus der Perspektive der Definition von Antonio Gramsci als Intellektueller betrachtet werden. Entsprechend dieser Definition verkÓ§rpert Jonny den organischen Intellektuellen, der kein Redner und kein reiner Wissenschaftler ist und der aber ein Organisator der gesellschaftlichen Prozesse ist, die Einfluss auf die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse üben. Entsprechend den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen denken die Vineter nicht. Überdies fühlen sie nicht. Zudem arbeiten sie nicht. Jonny als organischer Intellektueller kämpft gegen die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Vineta an, indem er Dialoge mit den Vinetern führt, indem er das gesellschaftliche Leben durch die Gefühle und Erfahrungen, die die breite Masse nicht selber vermitteln kann, artikuliert. Der folgende Dialog zwischen Jonny und dem Gefangenen lenkt die Aufmerksamkeit darauf, wie Jonny dem Gefangenen das Leben erklärt und wie er ihn dazu veranlasst, sich gegen die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen so zu verhalten, dass er seine durch die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse unterdrückte Menschlichkeit zurückgewinnt:
"[...] Weil sie ein unruhiges Herz mitgekriegt haben, müssen sie lieben und hassen, solange sie da sind, und sie werden alt und sterben. Und neue Menschen werden geboren zum Hassen, zum Lieben, zum Altwerden, zum Sterben – ohne Ende. Und dies alles hat keinen anderen Sinn als sich selbst. Aber das ist ein groβer Sinn, denn er heiβt: Leben. Verstehst du?
[...](35)
Das Ende des Dramas macht deutlich, dass Jonny einen starken Einfluss auf die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse ausübt und dass diese dank Jonnys Tat – seine Konfrontation der Vineter mit der Wahrheit – sich zu verändern beginnen. Die Veränderung der Sprechweise des Gefangenen markiert meines Erachtens den Anfang der Veränderung der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse, was einen Hoffnungsschimmer für die MÓ§glichkeit der Geburt der neuen Welt trotz der Dominanz der alten Welt gibt. An dieser Stelle ist der Hinweiss wichtig, dass die gesellschaftlichen Prozesse, die Jonny führt, die erstrebte gesellschaftliche Hegemonie nicht produzieren, da diese – wie im Drama sichtbar ist – nicht über staatliche und ideologische Apparate wie der Bildung, den Medien, den Parteien usw. sichern.
Eine analytische Betrachtung für das bereits Erwähnte lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass die WÓ§rterbücher sich darüber einig sind, dass der Beitrag des Intellektuellen in der positiven Einwirkung auf die sozialen Gegebenheiten besteht. Die ZugehÓ§rigkeit zu einer Berufesgruppe scheint nicht eine unbedingte Voraussetzung für die ZugehÓ§rigkeit zu den Intellektuellen.
Aus alledem lässt sich der Schluss ziehen, dass die Figurenkonstellationsmethode es deutlich macht, dass die Hauptfigur Jonny in Soyfers Drama "Vineta" einen effktiven Beitrag zur Geburt der neuen Welt leistet, indem er durch Dialoge die anderen Figuren in der Textwelt zum Nachdenken, zum Fühlen und zur Arbeit bewegt und indem er die anderen Figuren mit der Wahrheit der toten Stadt "Vineta" konfrontiert, was als Glockenläuten für die anderen Figuren in der Textwelt vor den Gefahren der Zukunft gilt. Jonnys Beitrag zur Geburt der neuen Welt lässt mich die These vertreten, dass Jonny als Intellektueller bezeichnet werden kann, obwohl er im Drama nicht als Intellektueller genannt wird. Das, was bei mir die Richtigkeit dieser These belegt, sind die Ergebnisse der Untersuchung zur Bedeutung des Intellektuellen in den unterschiedlichen WÓ§rterbüchern. Diese Untersuchung macht klar, dass Jonny entsprechend der Definition des Intellektuellen von Karl Mannheim, von Georg Jäger und von Antonio Gramsci als Intellektuelle bezeichnet werden kann.
2.3. Schlussfolgerung
Dieser Aufsatz stellt eine Frage nach dem Beitrag des Intellektuellen zur Geburt der neuen Welt in Soyfers Werk "Vineta". Das, was mich dazu veranlasst, diese Frage zu stellen und die Antwort darauf aus Soyfers Werk "Vineta" herauszunehmen, ist die folgende Aussage von Peter Langmann über das Werk:
"Dass es Soyfer aber nicht nur darum ging, einer erstarrten Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, sondern auch darum, mit der Konstruktion einer Horror-Vision vor den Gefahren der Zukunft zu warnen [...]"(36)
Diese Aussage lässt mich erkennen, wie aktuell dieses dramatische Werk für Ógypten ist, wenn man in Betracht zieht, dass Soyfers Werk zur Zeit Hitlers geschrieben wurde, in der eine scharfe wirtschaftliche, gesellschaftliche und politsche Krise dominierte und in der gleichzeitig die Rede über die Intellektuellenkrise ist. Diese Erkenntnis lässt mich überdies Bescheid wissen, wie relevant die Beschäftigung mit der Frage nach dem Beitrag des Intellektuellen in dieser düsteren Realität zur Geburt der neuen Welt ist und wie dieser Aufsatz den Dialog zwischen der Ó§stlichen und der westlichen Kultur so fÓ§rdert, dass man von der Geschichte der anderen Kulturen lernt und infolgedessen Gefahren für die Zukunft vermeidet. Die Erläuterung dieses Beitrages vollzieht sich durch eine Figurenkonstellationsanalyse des Werkes. Diese Forschungsmethode macht deutlich, dass der Stadtschreiber, der wegen seines Berufes und seiner damit verbundenen geistigen Fähigkeiten zu den Intellektuellen gehÓ§rt, keinen effektiven Beitrag zur Geburt der neuen Welt leistet und dass er stattdessen eine effektive Rolle für den Fortbestand der alten Welt spielt, in der der Mensch sich entfremdet fühlt. Dies lässt mich die These vertreten, dass dieser Intellektuelle den negativen Typus von einen Intellektuellen repräsentiert und dass dieser Intellektuellentypus einen der Gründe repräsentiert, die zur Verschlechterung des Bildes des Intellektuellen in der Zeit von Hitlers Regime führte, während der Soyfers Werk geschrieben wurde. Diese Forschungsmethode erklärt überdies, dass die Hauptfigur Jonny, der in der Textwelt nicht als Intellektuelle bezeichnet wird, einen effektiven Beitrag zur Geburt der neuen Welt leistet, indem er die anderen Figuren zum Nachdenken über die erlebte Realität, zum Fühlen und zur Arbeit veranlasst und indem er sie mit der düsteren Realität konfrontiert. Dies lässt mich behaupten, dass Jonny dank seinem Beitrag zur Geburt der neuen Welt als Intellektueller benannt werden kann. Das Überprüfen der Bedeutung des Intellektuellen in den WÓ§rterbüchern verstärkt bei mir die Richtigkeit dieser Behauptung. All diese Ergebnisse lassen mich die These vertreten, dass Soyfer in diesem dramatischen Werk durch die Figur des Stadtschreibers den Intellektuellentyp scharf kritisiert, der eine effektive Rolle bei der Fortdauer der alten Welt spielt, in der der Mensch sich entfremdet fühlt und dass er diesem negativen Intellektuellentypus einen positven Intellektuellentyp entgegenstellt, der einen effektiven Beritrag zur Geburt der neuen Welr leistet, was als Zentralmotiv in Soyfers Werk gilt. Dieser positive Intellektuellentypus ist nichts anderes als der sozialistiche Intellektuelle, der entsprechend der Definition von Gramsci als der organische Intellektuelle bezeichnet werden kann. Dieser – wie in Soyfers Werk "Vineta" sichtbar ist – spielt eine effektive Rolle bei der Befreiung der Menschen von der durch die kapitalistische Weltanschauung verursachte Entfremdung. Dieser – wie in Soyfers Werk "Der Lechner Edi schaut ins Paradies" ersichtlich ist – kann aber auch einen effektiven Beitrag zur Aufklärung der proletarischen Masse so leisten, dass die erstrebte industrielle Revolution dank der proletarischen Massen realisiert wird, wodurch die proletarische Masse vor der Hungersnot gerettet wird. Nun stellt sich die Frage, inwieweit es den Sozialisten zu Hitlers Zeit gelingt, die in Soyfers Werk dargelegten Träume zur neuen Welt in die Tat umzusetzen. Die Antwort auf diese Frage setzt aber eine interdisziplinäre Forschung voraus, wofür dieser Aufsatz stark plädiert. Dieses Forschungsprojekt gewinnt seine Bedeutung, wenn man in Betracht zieht, dass es Ähnlichkeiten gibt zwischen dem, was Europa bzw. Ó¦sterreich in den zwanziger Jahren und dem, was der Nahen Osten bzw. Ógypten erlebt, gibt.
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Webadressen
WÓ§rterbücher
Fussnoten:
Webmeister: Gerald Mach
last change 02.09.2015