ABSTRACT:
"Trotzdem war Don Juan von dem Paar am Ende enttäuscht. Es kam gar zu sehr wie vorgesehen. [...] Bis zum letzten Augenblick hatte Don Juan darauf gewartet, daß sich doch noch mit den beiden etwas ereigne, das dem Lauf der Dinge widerspräche" (Handke 2004, S.36-37). Aus dem Lauf der Dinge auszubrechen, das ist die Hoffnung, welcher der Protagonist Don Juan in Handkes Roman sich hingibt, als er ein Paar beim Liebesakt nach letztlich eingespielten Regeln beobachtet. Der Weg, den Don Juan selbst zum Ausbruch aus diesen Regeln beschreitet, mutet auf den ersten Blick paradox an, denn es ist selbst der Weg der Iteration.
Kommt es bei Don Juans Schilderung der sieben Liebesabenteuer seiner letzten Woche von Episode zu Episode zu einer Zurücknahme des Erzählens, zu einem allmählichen Verstummen, weil die Grundsituation sich immer wiederholt, so ist doch diese Verkürzung nicht von "Überdruß" getragen, sondern erfolgt vielmehr "zunehmend begeistert" (Handke 2004, S.130). Dabei ist gerade das Sich-Wiederholende selbst zunehmend nicht mehr verbalisierbar und wandelt sich in eine mystische Erfahrung. Ort und Zeit werden so unscharf, dass am Ende nur noch die "Gegenwartsform" (Handke 2004, S.131) dem nunc stans (vgl. Stiegler 1998. S. 244-258, hier S. 247) seiner Erfahrung angemessen ist. So wird schließlich in Don Juans Erzählung das fortwährende Wiederholen zum Unwiederholbaren des Augenblicks hin transzendiert. Dies zeigt sich auch darin, dass das "Zeitproblem" (Handke 2004, S.145) Don Juans genau dann auftaucht, wenn sich die Situation des Liebesaktes nicht mehr wiederholt, wenn sie nicht mehr den "Rückgang" in die Vergangenheit durch deren Vergegenwärtigung "blockiert" (Lobsien 1995. S. 177). Das Zählen tritt dann an die Stelle erzählender und erzählter Wiederholung (Handke 2004, S. 145-147).
Dabei wird das von Eckhart Lobsien entworfene Paradox der Wiederholung - "Iterabilität" setzt zwar Identität voraus, lässt diese aber gleichzeitig scheitern und führt damit zu einer "Aufhebung von Selbigkeit" (Lobsien 1995, S. 175) - in Don Juans Erzählung nicht nur implizit deutlich, sondern er ist sich dieses Paradoxons bewusst und anerkennt gerade deshalb, dass Wiederholung nicht Reproduktion, sondern Variation ist: Die "Varianten" empfindet er darum gerade als die "Würze" (Handke 2004, S. 94), sie führen zu einem je eigenen "Aufleuchten" in den Augen des Protagonisten ( Handke 2004, S. 96).
Während das Phänomen und die Poetik der Wiederholung in Handkes früheren Romanen gelegentlich bereits in der Forschung thematisiert worden sind (vgl. Bonn 1994, S.55; Schmitz-Emans 1993, S. 255-287), spiegelt sich im "Don Juan"-Roman das diachrone Scheitern der Wiederholung im synchronen Scheitern der sexuellen Vereinigung auf der Figurenebene und macht damit die Iteration noch vielschichtiger. Gerade Don Juans "Einverständnis mit dem Verfehlen" der völligen Vereinigung zweier Menschen (Handke 2004, S. 81) provoziert die diachrone, aber variierende Wiederholung und wird für ihn damit zugleich ins Positive gewendet. Die mit ihm sexuell interagierenden Frauen aber fordern die Wiederholung in der gleichen personellen Konstellation und weigern sich damit letztlich, zu akzeptieren, was Don Juan mit Lobsien anerkennt: Dass es Iteration als vollständige Reproduktion von Identität nicht gibt. Lobsiens Theorie der Wiederholung soll also, wie hier angedeutet, für Handkes letztjährigen Roman fruchtbar gemacht werden. In einem weiteren Schritt wäre dann nach den Implikationen dieser Beobachtung für die intertextuelle Wiederholung zu fragen, die sich in den beiden entscheidenden Referenzen des Textes - dem Don Juan Molières und vor allem Mozarts/Da Pontes (Handke 2004, S. 157) und, wie zu zeigen wäre, auch Nizamis "Sieben Prinzessinnen" manifestiert. |