ABSTRACT:
Schillers RÄUBER haben vielfach demokratische Bewegungen, nationale wie soziale Prozesse begleitet. Die Aufführungsgeschichte gibt Beispiele genug. Mit der griechischen Erstaufführung des Stückes im Herbst 1983 war eine weitere Inszenierung in diesem Sinne wirksam. Das Werk aktuell auf Machtkonstellationen und -Praktiken der jüngsten griechischen Geschichte unter dem Obristenregime zu beziehen, lag verführerisch nahe und hätte sicher viele politische Emotionen befriedigt, wäre aber kurzsichtig und werkfremd gewesen: Schiller gibt der rebellierenden Jugend recht, warnt aber zugleich vor Anarchie. Die Räuber in der Widersprüchlichkeit berechtigten Aufbruchs und kriminellen Verhaltens, ihr Rütteln an das Tor des längst verbrecherisch gewordenen aristokratischen Herrschaftssystems als rebellisches, nicht aber revolutionäres Vorgehen zu zeigen, kam dem tatsächlichen aktuellen Beziehbarkeiten des Dramas näher und entsprach historischem Wissen. Der aktuelle Gebrauchswert der Vorgänge erschloß sich durch die Dramaturgie des Werkes nicht durch eine oktroyierte Umdeutung der Handlung und ihrer Figuren.
Im Prozeß genauer Textanalyse fanden sich verblüffende Strukturelemente Shakespeares, insbesondere seines RICHARD III. Sie wurden zum Schlüssel für ein spielerisches Verständnis und zum Ausgang einer neuen theatralischen Lesart des Textes: Hinter Franz von Moor, der "Ausgeburt der Hölle", ist Richard III. zu entdecken und damit das Vice aus dem altenglischen Volkstheater. Franz eine Spielfigut und kein charakterlicher Abgrund! Sieht man hinter Amalia die Lady Anne agieren, wird sie zu einer faszinierenden Theaterfigur (und nicht, wie so oft auf der Bühne demonstriert, eine wenig gelungene Figur, weil ja der junge Schiller kaum ein richtiges Verhältnis zu Frauen gehabt habe). Schiller verweist ständig auf solcherart "Kunstgriffe", die das System, aus dem die Figuren heraus agieren, infragestellen. In ihnen liegt die immanente Kritik an dem politisch-sozialen Status des damaligen Deutschland. Mein Vortrag wird sich auf diesen Zusammenhang und seine Wirksamkeit für die Rezeption des Stückes durch das Ensemble und das Publikum konzentrieren.
Schillers Ästhetik in einer konkreten Gegenwart "aufzuheben", war die eigentliche inszenatorische Herausforderung, das hieß, sie nicht durch ein "gegen den Strich bürsten" unterzubuttern, um "unsere Interessen" zu implantieren.
Die Inszenierung verweigerte sich so auch der Anfang der 80er Jahre in Mode gekommenen Sicht in die sogenannte psychische Tiefenstruktur von Schillers Figuren. Als die Aufführung 1984 parallel mit Wendts Hamburger RÄUBER zu den Schillertagen in Mannheim gastierte, hob sie sich deutlich von dieser entpolitisierten Deutung ab.