"Kultur als Text - was heisst das?" - fragt die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick. Kultur gilt in der interpretativen Kulturantropologie nicht mehr nur als einheitliches Gesamtgefüge, das in der Summe von Normen, Übersetzungen, kollektiven Vorstellungen und Praktiken aufgeht. Kultur ist vielmehr eine Konstellation von Texten, die auch in Ritualen, Theater, gebärden, Festen usw. verkörpert sind.
Solche Ausdrucksformen sind höchst aufschlussreich, wenn es darum geht, das Netzwerk historischer, sozialer, geschlechtsspezifischer Beziehungen im Licht ihrer kulturellen Vertextung, Symbolisierung und Kodierung zu rekonstruieren. Ziel ist es, im Horizont der Metapher Kultur als Txt den Zugang zu den Selbstbeschreibungsdimensionen einer Gesellschaft zu gewinnen. Erst indem man auch Handlungen, Ereignisse und soziale Situationen als "Texte" betrachtet, werden sie für den kulturellen Prozess der Objektivierung von Bedeutungen erschlossen.
Doch die Bedeutung von Kultur als Text geht über den Kunstbegriff einer aufschlussreichen Metapher hinaus. Sie enthält ein Programm neuer kulturwissenschaftlicher Untersuchung und Analyse. Kultur als Text aufzufassen heißt, ein gemeinsames Feld abzustecken, das nur durch disziplinenübergreifende Fragestellungen zu bearbeiten ist. Kultur ist ein Bereich- der ähnlich wie ein Text- zu verschiedenen Lesarten aufruft.