ABSTRACT:
In den 1980er Jahren gab der österreichische Gegenwartsautor Klaus Hoffers (geb. 1942) es als "Traum [s]eines Schriftstellerlebens" an, "ein Buch [zu] schreiben, das nur aus fremden Sätzen besteht. Das heißt: wo [er] jeden einzelnen Baustein des Buches Wort für Wort aus anderen Büchern zusammengesetzt [hätte] und eine völlig neue Geschichte" ( Mitschnitt 1987, S. 33-35; hier S. 35) entstanden wäre. Zwar hat Hoffer von diesem Projekt eines ‚Zitaten-Romans‘ mittlerweile Abstand genommen, doch sein Roman Bei den Bieresch (1979/1983) zeugt dennoch - indem er intertextuelle Referenzen auf ungefähr fünfzig Autoren und etwa achtzig Texte enthält - sehr deutlich von diesem Vorhaben.
Eine solche literarische Praxis der Wiederholung kann leicht als unkritischer Umgang mit literarischen Traditionen erscheinen und läuft stets Gefahr, an einem künstlerischen Originalitätsanspruch gemessen als eklektizistisch eingestuft zu werden. In Zeiten der Postmoderne(n), in denen der Tod des Autors propagiert wird und der Leser in poststrukturalistischer Manier als Echokammer verstanden wird, die vom Hall und Rauschen fremder Texte erfüllt ist, (Barthes 1978, S. 81) treten jedoch gerade Autoren hervor, die sich sehr bewusst intertextueller Verfahren bedienen und dabei ihren individuellen Umgang mit den geliehenen Worten sogar autoreflexiv thematisieren.
Exemplarisch sollen im deutschsprachigen postmodernen Roman drei unterschiedliche Strategien des Umgangs mit Intertextualität behandelt werden, und zwar neben Klaus Hoffers Bieresch -Roman Die letzte Welt (1988) von Christoph Ransmayr und Das Parfum von Patrick Süskind (1985). Alle Romane weisen zahlreiche intertextuelle Referenzen auf, seien es fiktionale oder philosophische Prätexte, seien es Zitate, Paraphrasen oder Allusionen. Der Grad der Offenlegung und der Markiertheit der intertextuellen Strukturen variiert jedoch relativ stark.
In Süskinds Parfum bleiben Anspielungen auf Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas oder Friedrich Nietzsches Also sprach Zarathustra beispielsweise implizit, finden jedoch auf der inhaltlichen Ebene eine Entsprechung in der Parfümeurskunst des unschöpferischen Genies Grenouille, der für seine Duftkreationen Mädchen ermorden muss und sich in einer Apotheose selber von der Menge kannibalisieren lässt. Auf diese Weise findet die geistige Aneignung fremder Texte im Bild der Einverleibung eine kongeniale Umsetzung.
In Ransmayrs Letzter Welt, die zunehmend nach den Prinzipien der Ovid’schen Metamorphosen strukturiert ist, wird deren Autor Publius Ovidius Naso vergeblich gesucht, bis er - selbst metamorphosiert - im Vertextungszusammenhang aufgefunden wird, in dem tatsächlich keinem seine Gestalt bleibt.
Hoffers Roman Bei den Bieresch schließlich reflektiert seine intertextuelle Gemachtheit inhaltlich auf drei unterschiedlichen Ebenen: als ein unkontrollierbares Sprechen der Figuren mit fremden Stimmen, als Veredelungsstrategie im Bild der Aufpfropfung von Spalierobst und als identitätszersetzende Typhus-Erkrankung.
In einem Vortrag würde ich im Rekurs auf diese drei Romane versuchen, den in der Postmoderne proklamierten Tod des Autors und sein Verschwinden in der "endlosen Signifikantenkette "(Bürger 1988, S. 294-312; hier S. 295) und der " Namenlosigkeit des Gemurmels" (Foucault 1993, S.7-31; hier S.31) der Texte zu widerlegen und genau das Gegenteil aufzuzeigen - nämlich sehr bewusst agierende Autoren, die den Textraum kreativ selbstreflexiv erproben und implizit von verschiedenen Metaebenen aus hinterfragen. Auf diese Weise würde der poststrukturalistischen Auto(r)-Tötung in den universellen Verweisungssystemen der Texte eine bewusste und gleichermaßen produktive ‚Wiederbelebung‘ der Autoren aus den intertextuellen Wiederholungszwängen entgegengestellt.