Innovationen und Reproduktionen in Kulturen und Gesellschaften (IRICS) Wien, 9. bis 11. Dezember 2005

 
<< Heilige vs. unheilige Schrift

Der Messias in der Strafkolonie. Gesetz und Sprache in Giorgio Agambens Kafka-Lektüren

Vivian Liska (Universität Antwerpen)

 
ABSTRACT:

In der jüdisch-christlichen Tradition steht messianisches Denken im Zeichen der Vorstellung einer kommenden Suspension des Gesetzes, die mit einer Aufhebung der Zeichenstruktur der Sprache einhergeht. Gesetz wie Sprache beruhen, Giorgio Agamben zufolge, auf einer wirklichkeitsfeindlichen Norm, die das Gesetz von der konkreten Wirklichkeit menschlicher Lebensformen trennt und in der Sprache einen Bedeutungsüberschuss des Signifikanten gegenüber der Denotierung bedingt. Agamben zufolge liegt die messianische "Aufgabe" in der befreienden Desaktivierung der Gesetzesnorm und der Ausrichtung auf eine damit zusammenhängende "Entsemantisierung" der Sprache. Diese soll einstmals nicht länger auf eine extratextuelle Wirklichkeit verweisen, sondern sich in bedeutungslose Elemente auflösen und einem neuen, "freien Gebrauch" zugänglich gemacht werden.

Im expliziten Widerspruch zum "Messianismus ohne Messias" Derridas bestimmt Agambens Lektüre von Paulus' Römerbrief den messianischen Telos im Sinne einer Sprache, die nicht mehr in einen ewigen Aufschub des Bedeutens eingespannt ist, sondern "den Überschuss der Signifikation in jedem Signifikaten gleichzeitig erfüllt und bis zur "Auslöschung der Sprachen" desaktiviert. Der Rest, der nach der Durchkreuzung dieses Überschusses bleibt, ist ein Bedeutungsloses und Unsagbares, das dem Menschen seine Potentialität zurückerstattet. Undeutlich bleibt dabei allerdings die Unterscheidung von mündlichem und schriftlichem Gesetz, von verkörperter Stimme und Schrift, die vor allem in der Differenz zwischen jüdischem und christlichem "Messianismus" von Bedeutung ist. Wie vor ihm Scholem, Benjamin, Adorno und Derrida, illustriert Agamben seine messianische Theorie anhand einschlägiger Neu-Lektüren einiger Schlüsselerzählungen Kafkas. Eine Analyse seiner Lektüre von Kafkas "In der Strafkolonie", in der es explizit um die Zerstörung einer Schriftmaschine geht, soll Agambens Auffassung des Messianischen im Vergleich mit seinen Vorgängern und im Hinblick auf die ausbleibende Unterscheidung zwischen Schrift und Sprache situieren und hinterfragen.

Innovations and Reproductions in Cultures and Societies
(IRICS) Vienna, 9 - 11 december 2005

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