Innovationen und Reproduktionen in Kulturen und Gesellschaften (IRICS) Wien, 9. bis 11. Dezember 2005

 
<< Die Entdeckung der Welt in Literatur und Wirklichkeit | The Discovery of the World: Fiction and Reality

"Auf den richtigen Blickwinkel kommt es an" - über die Nichtübereinstimmung von Realität und Erzählung als Modell der romantechnischen Komposition in Brigitte Burmeisters Anders oder Vom Aufenthalt in der Fremde

Holly Liu (Mount Holyoke College, USA)

 

ABSTRACT:

Von dem Romantitel mag der Leser erwarten, daß der Roman von wirklichkeitsnahen Erlebnissen und Abenteuern an einem fremden Ort handelt. Tatsächlich wird der "Augenmensch" David Anders, der nur "Blickkontakte" mit dem Leben hat, auf ein Jahr von der Außendienststelle in der Provinz in die "Zentrale" in der Großstadt (Ost-Berlin) versetzt. Allerdings erweist sich seine Entdeckung der fremden Welt, die sich vor allem in seiner Phantasie abspielt, als reine "Bilderjagd", wobei er seine Vorstellungswelten als Realität zu erkennen gibt. Der Widerspruch zwischen der perspektivischen Sichtweise, der Wahrnehmung des Betrachters und der sich ständig verändernden Wirklichkeit ergibt sich aus der Subversion des Erzählens, die in der Romanstruktur geplant und durch den Romantitel signalisiert ist. Zum Abenteuer wird dem Leser hier nicht nur Anders’ visueller Spaziergang am Fenster, sondern auch die Sprache der Autorin selbst. Demzufolge bietet das erzählerische Anderssein des Anders-Romans, das die experimentierfreudige Schriftstellerin Brigitte Burmeister in Anlehnung an den französischen Nouveau Roman durch das Abbrechen des traditionellen Romanerzählens bzw. durch das "Beobachten von Veränderungen in monotonen Abläufen" erlangt hat, ein textuelles, sprachliches und strukturelles Labyrinth dar. Mein Referat geht auf den beliebten Begriff der Moderne von "Labyrinth" ein, der als "Strukturmitteilung" den Anders-Roman als "Phantasiegebäude" mitentwirft, zugleich destruiert und somit zur Nichtübereinstimmung von Realität und Erzählung beiträgt. Dadurch werden die Phantasiewelten als literarische Alternative zur Realität, als "ästhetisches Formspiel" hervorgehoben.

Vielen Dank!


Innovations and Reproductions in Cultures and Societies
(IRICS) Vienna, 9. - 11. december 2005

H O M E
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