Zwischen verschiedenen Stadtbildern und Identitätsräumen bewegt sich der Text mit dem Titel "Fünf Städte" von Ahmet Hamdi Tanpýnar, einem der bedeutendsten Autoren der sogenannten modernen türkischen Literatur, das heißt die nach westlicher Erzählform und -weise produzierte Literatur ab Ende des 19. Jahrhunderts.
In diesen Stadtbeschreibungen - es handelt sich um die Städte Ankara, Erzurum, Konya, Bursa und Istanbul - richtet sich das Auge des erzählenden Beobachters auf die Lebensweise, den Alltag, die Stimmen und Klänge, die Architektur, auf historische Orte und Ereignisse, und beschreibt zugleich seine Wahrnehmungen und Empfindungen, die dabei ausgelöst werden. Was den Blick leitet, ist der mit dem Verwestlichungsprozess eingeführte Kulturwandel und die darin gipfelnde Identitätsfrage. So wandert der Erzähler nicht nur durch die Städte, sondern gleichzeitig in die Vergangenheit, die stets präsent, aber schon längst verlorengegangen ist. An der Schnittstelle zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, östlicher und westlicher Kultur, Eigenem und Fremdem, Innen und Außen bewegt sich das Ich. Hier ist es die Wahrnehmung dieses Verlusts einerseits, und die empfundene Schwermut und Sehnsucht nach dem Verlorengegangenen andererseits, welche die inneren und äußeren Bilder, die Räume nicht nur entstehen lassen, sondern diese gleichzeitig prägen. Am Leitfaden dieser Bilder und Räume entstehen hier melancholische Subjektpositionen, die gekoppelt sind an Landschaften und sich ständig in einem Re/Produktionsprozess befinden, so dass sie keine festen Konturen haben und nicht gleich bzw. nicht identisch werden können mit sich selbst, wie ihr Entstehungsort, der durch die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeiten gekennzeichnet ist.
Was geschieht innerhalb des Entstehungsprozesses solcher Subjektpositionen zwischen dem Ich und der Stadt? Wie werden Bilder und Räume erzeugt? Handelt es sich bei der Re/Produktion von Identitätsformen an Zwischenorten um schlichte Wiederholung oder entsteht doch etwas anderes? Diese Fragestellungen, die anhand von Ahmet Hamdi Tanpinars Text ausgearbeitet werden sollen, bilden das Ziel dieses Referats. Da hier die Frage nach der Konstituierung der Subjektpositionen in Tanpinars Text im Vordergrund steht, soll der Bezug zwischen theoretischen Modellen innerhalb des postkolonialen Diskurses und der Lektüre eher als anschließende Diskussionsfrage gehandhabt werden.