"' [...]"(1) - Der Beginn des Johannes-Evangeliums stellt die gesamte Offenbarung des Alten und Neuen Bundes wieder und wie zum ersten Mal in das alles überstrahlende Licht des Schöpfungsmorgens: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.(2) Mit nur wenigen Worten spannt der Evangelist den kühnen Bogen an den Anfang der Überlieferung aller göttlichen Offenbarung, das erste Buch des Pentateuchs. In seinem Logos-Hymnos entwickelt Johannes eine Formel, die in einem engen Reigen ausgewählter Worte das ganze Heilsgeschehen fasst: In die durch die Sünde entstandene Unordnung der Welt tritt zum Heil der Menschen die göttliche Ordnung selbst ein, das Wort, und dieses Wort ist gleichzeitig eine göttliche und menschliche Person. Keine abstrakte Größe ist diese Ordnung, dieses Wort, sondern es ist "Fleisch geworden". Damit ist auch die besondere Qualität des göttlichen Wortes vor allem Menschenwort bezeichnet. Sie ist immer zu bedenken, wenn von "Gottes Wort" und von "Heiliger Schrift" im christlichen Zusammenhang die Rede ist.
Das Wort Gottes ist primär nicht die Heilige Schrift, sondern Jesus Christus in seiner Vorbereitung im Alten Bund, seinem Wirken unter den Menschen, seiner Erwählung der Zwölf und anderer Jünger, seinem Sterben und Auferstehen, seiner Aussendung der Jünger in die Welt und Spendung des Geistes, seiner Einheit von sterblicher und unsterblicher, persönlicher und kirchlicher Existenz.(3)
Hans Urs von Balthasar mahnt hier an, was immer verloren zu gehen droht: Die Erinnerung daran, dass das Wort Gottes als Person eine Gesamtgestalt besitzt, nicht nur "Textgestalt", sondern die menschliche Gestalt des lebendigen Gegenübers. Es ist Grundbedingung der Freiheit, die man dem lebendigen Gegenüber schuldet, über sein Wesen und seine Gestalt nicht zu verfügen. Auch über Wesen und Gestalt des göttlichen Wortes verfügen wir nicht, zumindest nicht ohne ihm Gewalt anzutun. Das Wort "heilig", zusammengesetzt aus und hergeleitet von altnordisch helga [zueignen] und isländisch helga sēr [als sein Eigentum erweisen] wurde von angelsächsischen Glaubensboten als probate Übersetzung des lateinischen "sanctus" verwendet, denn auch das Wortfeld dieses lateinischen Begriffes besitzt die Bedeutung der Gottgehörigkeit des Heiligen.(4) Wer sich an die heilige Schrift, an die Liturgie, an den Corpus der heiligen Zeichen heranwagt, muss erst den Eigentümer um Erlaubnis fragen. Denn das Heilige eignet uns nicht, es ist uns vielmehr anvertraut. Die Schöpfung des Wortes, die Kirche und ihr Schatz an heiligen Zeichen, ist in gleicher Weise unserer Verantwortung übergeben wie auch die Schöpfung der Natur dem Menschen übergeben ist. Die Postmoderne, die eine die Moderne wie eine Schlangenhaut abstreifende Theologie nun über sich selbst ausgerufen hat, nennt dieses Anklopfen beim Schöpfer "kniende Theologie"(5). Weniger postmodern könnte man sagen, dass eine solche Theologie endlich ihr Gegenüber wiedergefunden hat.
Ausgehend von der Offenbarung des Evangeliums, dass Jesus Christus das Wort, das Schöpferwort des Vaters, ist, muss nun gefragt und unterschieden werden:
- Was ist heilig? Wer ist heilig? Wie ist Schrift heilig?
- Was ist der Unterschied von Schrift und Wort und wo berührt sich das, was, sich trennend, ineinander stürzt?
- Wie verhält sich der Mensch zur heiligen Schrift?
Je nachdem, wie die Antworten auf diese - bewusst aus dem Blickpunkt der spirituellen Theologie gestellten - Fragen ausfallen, wird man besser bedenken können, ob das Wort in seiner Gestalt unverletzt bleibt, wenn der Mensch anfängt, es für die eigenen Worte in Anspruch zu nehmen.
(1) Johannes 1,1. In: Novum Testamentum Graece. Hrsg. E. Nestle und K. Aland. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 261979, S. 247.
(2) Johannes 1,1. In: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift.Stuttgart: Katholische Bibelanstalt 1980, S. 1182.
(3) Hans Urs von Balthasar: Katholisch. Aspekte des Mysteriums. Einsiedeln: Johannes Verlag 31993, S. 65.
(4) Günter Lanczkowski: Heiligkeit. 1. Religionsgeschichtlich.Theologische Realenzyklopädie. Hrsg. Günter Müller. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1985, Bd. XIV., S. 695 ff.
(5) vgl. etwa Klaus Berger: Jesus. München: Pattloch 2004, S. 18. Berger spricht an dieser Stelle nicht dezidiert von "kniender Theologie", aber der Begriff wurde in der breiten Diskussion, die das jüngst erschienene Buch angeregt hatte, in Anlehnung an diesen Text zur Charakterisierung des Zugangs der Postmoderne zur Exegese verwandt.