Vor einigen Jahrzehnten schien es noch, als sei das Thema Religion abgetan. Doch die Religion, oder eigentlich das Religiöse ist jetzt unter den heutigen sozialen und intellektuellen Bedingungen, gekennzeichnet durch Globalisierung und neue Medien, liberale Kultur und Weltbürgertum äußerst aktuell. Diverse Philosophen von unterschiedlichen Denkschulen (Jacques Derrida, Hilary Putman, Jürgen Habermas, Gianni Vattimo) setz(t)en sich mit dem Phänomen der Rückkehr eines aus dem Kanon der Philosophie verdrängten Denktopos auseinander. Neue Impulse in der Debatte um die Neuzuwendung zum Religiösen sind vor allem Jacques Derrida zu verdanken, der die Antwort auf die Frage lieferte, was heißt es heute, 'in den Grenzen der bloßen Vernunft' Religion (nach der Religionskritik) zu denken. Anders als man vermuten könnte, geht es bei der Neuthematisierung der Religion bei Derrida keineswegs um die Neubelebung individueller und kollektiver Religiosität, sondern um eine nicht-identische Wiederkehr schwer abweisbarer Fragen, eine partielle Adaptierung des Religiösen - ohne Schematismen, ohne Dogmen, ohne Religion. Den Charakter der neu konstatierten Wiederkehr des Religiösen (den Charakter eines Zugehörigseinsohnezugehören) gibt zutreffend Derridas Wendung 'a messianicity without messianism' ('Messianisches ohne Messianismus') wieder. Die nicht-identische Wiederholung des Religiösen, konzipiert als die Dekonstruktion aller traditioneller Dogmatismen ist die notwendige Voraussetzung für eine Erneuerung des Diskurses mit und über Gott. Nach Derrida ist die religiöse Rede nur noch plausibel , wenn sie sich gleichzeitig als Bekenntis zu und als Distanzierung von der religiösen Tradition formiert, jenseits einer Opposition von Affirmation und Negation, von Theismus und Atheismus.
Die erneute religiöse Debatte in der Philosophie eröffnet zweifellos einen neuen Zugang zu Paul Celans Gedichten. Derridas Philosophie, die oft irrtümlicherweise mit den Denkbewegungen der Negativen Theologie verglichen wurde, eignet sich in besonderer Weise zu einem Einstieg in eine erneute Analyse um die religiöse Textur von Paul Celan. Untersucht man Celans Gedichte aus der Perspektive der Philosophie von Derrida, so sieht man, dass Celans religiöse Rede sich sowohl von positiv bestimmten, als auch von negativen Theologumena distanziert. Der Diskurs mit Gott geschieht bei Celan über einen Umweg, jenseits 'conservatio' und 'negatio'. Jede Zuwendung zu Gott bei Celan, jedes Hinzeigen auf das Absolute ist zugleich eine Abwendung von der klassischen Theodizee. Seine Gedichte, ein Ausdruck einer (post)religiösen Dichtung, sind ein Argument gegen jede voreilige Kanonisierung untraditioneller Aussagen über Gott als die sogenannte negative Theologie. |