Innovationen und Reproduktionen in Kulturen und Gesellschaften (IRICS) Wien, 9. bis 11. Dezember 2005

 
<< WIEDERHOLUNG ALS ERNEUERUNG: Innovationsstrategien der Wiederholung in der Gegenwartsliteratur

"Nehmet Wein und Liebe,/ Nehmet Lieb' und Wein": Zur Funktion der Wiederholung in Lyrik-Parodien

Rüdiger Singer (FU Berlin)

 

ABSTRACT:

Der Vortrag greift die Formulierung des Ausschreibungstextes von "der modernistischen Verabsolutierung der Innovation" und der "postmodernistischen Rehabilitierung der Widerholung" auf und thematisiert die Funktion der Wiederholung in Lyrik-Parodien vom Beginn der lyrischen Moderne bis zur Gegenwart. Dabei wird die 'modernistische' Position m. E. bereits mit dem Aufkommen der Genie-Ästhetik im 18. Jahrhundert greifbar. Meine Thesen sind:

1. Seit Beginn der Moderne denunzieren polemische Lyrik-Parodien ihre Vorlagen mit Vorliebe als

a) 'kindisch',
b) 'geistesgestört',
c) 'in maschineller Weise produziert', d. h. nach einem simplen Schema, rasch und 'uninspiriert'.

2. All diese (oft kombinierte auftretenden) Unterstellungen, besonders aber die dritte, lassen sich in einer Parodie besonders wirkungsvoll durch die Hypertrophierung des Strukturmerkmals Wiederholung suggerieren.

3. Eine solche Parodie kann – und zwar auch dann, wenn man ihrer Tendenz nicht zustimmt – Hinweise auf die Bedeutung der Wiederholung für die Lyrik eines Dichters oder einer Epoche geben. Dabei ist zu prüfen, ob in der betreffenden Lyrik die angeführten Tendenzen tatsächlich eine Rolle spielen, wenn auch unter positivem Vorzeichen, dass heißt, die parodierte Lyrik will 'kindlich' (a) oder 'irrational'('a-logisch', 'assoziativ' usw.) sein (b), mit Klischees spielen oder ein individualistisches Lyrik-Verständnis in Frage stellen (c).

4. Ob Parodien polemisch gemeint sind, ist oft nicht eindeutig festzustellen, insbesondere, da es "scheinkritische Parodien" gibt. "Artistische Parodien" (beide Begriffe von Alfred Liede) zeugen oft von einer Faszination durch die reproduzierten Verfahrensweisen, die für die Interpretation ebenfalls von Belang sein kann.

5. Erwin Rottermunds These, dass zu Beginn der Moderne (im engeren Sinn) die Parodie wesentliche Impulse zur Erneuerung der Lyrik gegeben habe, ist gerade auch in Bezug auf die Rolle der Wiederholung relevant. Bereits damals wird die 'Verabsolutierung der Innovation' spielerisch in Frage gestellt; in der 'Postmoderne' steht sie so weit in Frage, dass gezielt mit ihr gespielt werden kann.

Diese Thesen sollen an prägnanten Beispielen von Abraham Gotthelf Kästner bis Hans Magnus Enzensberger plausibel gemacht werden, wobei ich mich aus Zeitgründen auf den Aspekt c konzentriere und insbesondere Parodien auf Sonette/in Sonettform diskutiere.

Innovations and Reproductions in Cultures and Societies
(IRICS) Vienna, 9 - 11 december 2005

H O M E
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