ABSTRACT:
Um 1650 erhielt der General der Gesellschaft Jesu in Rom eine Anfrage von zwei gut ausgebil-deten österreichischen Mitgliedern des Ordens, die nach China entsandt werden wollten. Am 16. Februar 1656 erreichte die "Instructio pro P[atre] Bernardo Diest[e]l et P[atre] Ioanne Grueber, missis in Orientem" die beiden in ihrem Grazer Kloster. Diese Anweisungen waren präzise und detailliert: Die Patres sollten in Isfahan Station machen, an der dortigen Jesuitenmission Persisch, Arabisch sowie eine tatarische Sprache studieren und Erkundungen über die verschiedenen Landwege nach China einholen. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie in Isfahan um Weihnachten 1656 erfahren würden, dass ihnen der Landweg durch Zentralasien wegen Unruhen versperrt war und dass sie über Hormus auf einem (englischen) Schiff nach Surat, Bombay und Macau und von dort schließlich am 2. August 1659 nach Peking reisen müssten.
Nach dem Tode Pater Diestels verbrachte Grueber noch zwei Jahre in Peking als Hofmathematiker, ehe er zusammen mit einem neuen Begleiter, Pater d’Orville, seinem Auftrag entsprechend im April 1661 zumindest auf der Rückreise die Suche nach einem Landweg nach Europa aufnehmen konnte. Am 10. Oktober 1661 kamen sie mit einer Karawane in Lhasa an. Dank der Schutzbriefe des neuen Mandschu-Kaisers durften sie einen Monat lang Leben und Gebräuche in der Hauptstadt beobachten. Grueber führte astronomische Messungen durch, skizzierte den Dalai Lama von einer öffentlichen Darstellung, da er ihn als Nicht-Buddhist nicht zu Augen bekommen konnte und fertigte Zeichnungen des noch im Bau befindlichen Potala an (die fast 200 Jahre lang die einzigen Abbildungen des Palastes des Dalai Lama blieben). Da man immer nach Spuren des legendären "Prester John" suchte, der sich mit seinen Gläubigen in diese Bergwelt zurückgezogen haben sollte, stellte Grueber hinsichtlich der religiösen Sitten und Gebräuche überraschend viele Parallelen zu den Zeremonien der katholischen Kirche fest, obwohl einiges daran ihm wiederum als Teufelswerk vorkam. Nach seiner Rückkehr beschrieb Grueber die Übereinstimmungen in einem Brief an einen Mitbruder wie folgt:
"Ich sage nur so viel: Dort [im Königreich von Barontala, Gruebers Name für Tibet] eifert der Teufel so sehr der Katholischen Kirche nach, dass die Menschen die Römische Kirche so stark in allen grundlegenden Angelegenheiten nachahmen, obwohl kein Europäer oder Christ je dort gewesen war:
Sie feiern die Heilige Messe mit Brot und Wein.
Sie spenden die letzte Ölung.
Sie segnen Ehen.
Sie beten für die Kranken.
Sie veranstalten Prozessionen.
Sie verehren Reliquien.
Sie haben Mönchs- und Nonnenklöster.
Sie singen im Chor gemäß der Gebräuche unserer Gläubigen.
Sie fasten mehrere Male im Jahr.
Sie wählen Bischöfe.
Sie zeigen große Opferbereitschaft und sind sehr diszipliniert.
Sie senden barfüßige Missionare in größter Armut durch die Tatarische Wüste bis nach China."
So überraschend diese angeblichen Ähnlichkeiten auch klingen mögen, so waren viele den Jesuitenoberen in Rom 1625 schon von Antonio de Andrade berichtet worden, ein Jahr nach der Errichtung der ersten Missionsstation auf tibetischem Boden in Tsaparang am südwestlichen Rande des Landes. Auf diesem Posten, den die Jesuiten etwas mehr als ein Jahrzehnt unterhielten, hatten sie Gelegenheit, mit buddhistischen Lamas in Kontakt zu kommen. Und fast 100 Jahre später wurden die Beobachtungen Andrades und Gruebers von dem lange Jahre in Tibet weilenden Jesuiten Ippolito Desideri sowie den ersten Missionaren bestätigt, die sich permanent in Lhasa niederließen, nämlich von Mitgliedern des Kapuzinerordens, dem die Christianisierung Tibets 1704 aufgetragen worden war. Sie errichteten zwischen 1708 und 1711 in Lhasa eine erste Missionsstation und kehrten besser ausgerüstet 1716 zurück, um die Mission mit Unter-brechungen fast drei Jahrzehnte zu betreiben.
So sehr Grueber auch versuchte, den tibetischen Lamaismus zutiefst vom Frühchristen-tum beeinflusst zu deuten, kam er doch zu seinen eigenen Schlussfolgerungen, nachdem er von einigen der anderen Gebräuche gehört hatte, die sich um den Dalai Lama rankten: Trotz vieler äußerlicher Parallelen ("Sie küssen seine [des Dalai Lamas] Füße in unglaublicher Ehrfurcht, als ob er der Papst wäre," berichtete er und war entsetzt über Manifestationen von "Teufels-verehrung," wie er es letztlich bezeichnete:
"Der Große Lama ist so geehrt und allgemein geachtet, dass jeder, der sich (durch reiche Gaben oder Bestechung der Lamas) etwas Kot oder Urin des Großen Lama verschaffen kann, diesen in einem Amulett um den Hals trägt und sich deshalb sehr glücklich schätzt. Schändlich in der Tat: Sie mischen diesen Urin und Kot sogar in ihre Speisen und glauben, so gegen alle Arten von Krankheiten gefeit zu sein."
In diesem Referat soll der Versuch unternommen werden, Kulturkontakte aus der Warte erkundigungsfreudiger Europäer zu beleuchten, die willentlich Vergleiche mit Sitten und Gebräuchen der größten Religion ihres Kontinents ziehen, um entweder eine "Akkommodation" zwischen ihrer und der fremden Welt zu erreichen, wie es die Jesuiten letztlich in China anstrebten, oder aber diese fremde Welt als bestenfalls faszinierend ähnlich, aber doch nicht auf der angeblich so integren Ebene ihres eigenen Erfahrungsbereichs zu sehen - und somit letztlich abzulehnen bzw. höchstens als "missionierungswürdig" zu erachten.