Innovationen und Reproduktionen in Kulturen und Gesellschaften (IRICS) Wien, 9. bis 11. Dezember 2005

 
<< Theater und Fest - Ursprünge und Innovationen in Ost und West

Das koreanische Maskenspiel und das Fest Danoje in bezug auf die antiken Dionysien

Han-Soon Yim (Seoul)

 

ABSTRACT:

In Korea ist kein frühzeitliches Theaterwesen tradiert, das sich so weit verselbständigt hätte wie das japanische No und Kabuki bzw. die Pekinger Oper und das Yüan-Drama des mittelalterlichen China. Aus der Zeit vor der erst Ende des neunzehnten Jahrhunderts begonnenen Modernisierung des Landes vermisst man sowohl nennenswerte öffentliche Schauspielräume als auch schriftlich festgelegte Spielvorlagen, die der chinesischen oder japanischen Theatertradition auch nur annährend gleichkämen. Die Gründe dafür ließen sich wohl nicht auf einen Volksgeist zurückführen, der etwa dem schauspielerischen Vergnügen abstinent gewesen wäre, sondern vielmehr auf die geopolitische Lage der koreanischen Halbinsel, wo die Menschen Jahrtausende lang ihre ganze Kraft verzehren mussten oder, mit Brechts Worten, nur "in kleinster Größe" die völkermörderischen Stürme überwinden konnten: Sie hatten sich seit alters her gegen das mächtige "Land der Mitte" China und in der Neuzeit seit Ende des fünfzehnten Jahrhunderts auch noch gegen das imperialistische Inselland Japan wehren, um ihre Identität zu bewahren.

Die Hauptströmung der theatralischen Tradition Koreas sieht man im Allgemeinen in dem volkstümlichen 'Maskenspiel’, dem Taltschum genannten Maskentanz, der dem Namen entsprechend aus verschiedenartigen Tänzen mit Rezitativen und dialogischen Einlagen besteht und, seit dem siebzehnten Jahrhundert von der höfisch-königlichen Unterhaltungsrepertoire ausgeschlossen, nur noch im Freien meistens von bäuerlichen Spielern und in einigen Orten auch von beruflichen Spieltruppen aufgeführt wurde. Die mündlich überlieferten Spielvorlagen sind zum ersten Mal in den dreißiger Jahren, noch systematischer und intensiver dann in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von vielen Volkskundlern und Literaturwissenschaftlern gesammelt und schriftlich festgehalten worden. Bei aller Primitivität oder gerade wegen der bewahrten Ursprünglichkeit verbergen sich in dieser Spieltradition interessante ästhetische und kulturalistische Momente, deren Parallelität vor allem zur griechischen Antike recht frappierend ist: Wie das antike Theater untrennbar in die dionysischen Feste eingebettet war, wurde das koreanische Maskenspiel in der Regel auf dem frühsommerlichen, in der östlichen Küstenstadt Kangnung z. B. sich über einen Monat lang hinziehenden Fest Danoje aufgeführt. Das Theaterspiel bildet den Höhepunkt des Festes, das seinerseits als ein Welttheater im weitesten Sinne zu kennzeichnen ist.

In beiden Festen sind nicht nur die religiösen und politischen Implikationen vergleichbar. Auch ihre jahreszeitlichen Bezüge legen nahe, dass Ritus und Fest unter anderem aus dem Bedürfnis der Menschen entstanden sind, sich in und mit der Natur zurechtzukommen: Ihre Kraft und Gewalt waren zu bewältigen entweder durch Bekämpfung, Beschwichtigung oder Ausnutzung. Von dem festlichen Rahmen getrennt betrachtet, erscheint das koreanische Maskenspiel formal wie inhaltlich, wie es auch in der Forschung gelegentlich behauptet wird, als verwandt mit der italienischen Commedia dell’Arte. Die soziale und historisch-anthropologische Bedeutung der beiden Theaterformen kann aber erst in bezug auf ihr festliches Umfeld, vor allem auf die Bachtinsche "Lachkultur des Karnevals" angemessen aufgefasst werden. In dem Kult des Dionysos war eine komos genannte Prozession enthalten, in der die "Universalität der komischen Hemmunglosigkeit" herrschte. In Übereinstimmung mit Kerényi sehen wir hier ein typisches Zeichen des antiken Glaubens an zoë, das unzerstörbare Leben, der auch für das koreanische Danoje charakteristisch ist. Eine weitere essenzielle Triebkraft des Festes und festlichen Theaters wäre im Spieltrieb des Menschen zu suchen: Im koreanischen Maskenspiel, das an vielen Stellen das Fest sowie die festliche Stimmung selbst thematisiert, triumphiert der homo ludens über alle psychischen und sozialen Schranken. Dies ist offenbar eine Universalität, die die alten karnevalesken Feste der Völker im Ost und West verbindet und der auch bei deren heute insbesondere kommunalpolitisch aktueller Reproduktion und Innovation eine zentrale, unverzichtbare Rolle zuerkannt werden muss.

Innovations and Reproductions in Cultures and Societies
(IRICS) Vienna, 9 - 11 december 2005

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