In dieser Sektion soll die historische Entwicklung des Theaters in seinem Verhältnis zum Fest dargestellt werden. Die Verbindung von Fest und Theater, die das antike griechische Theaterwesen begründet und es im 5. Jahrhundert v. Chr. zur höchsten Entfaltung gebracht hatte, ist auch in der Folgezeit nicht gänzlich verloren gegangen. Im christlichen Mittelalter nahmen die geistlichen Spiele ihren Ursprung aus der Liturgie der Osterfeier und entwickelten sich bald zu einem wesentlichen Bestandteil der städtischen Festkultur. Bei seiner ambivalenten Beobachtung des Römischen Karnevals stellte Goethe wiederholt fest, dass jeder Festtag mit einem nächtlichen Theaterbesuch abgeschlossen wurde. In dem seit der Renaissance zunehmend institutionalisierten Theater sah Rousseau dann eine Gefahr für die Menschheit und im Fest dagegen ihre Rettung: Das Fest war für ihn ein Sinnbild der Möglichkeit einer Wiederaneignung des Ursprungs. Nietzsche hoffte auf eine Wiedergeburt des festlichen Theaters, wie es bei den antiken Dichtern erreicht worden war. Aus der Theatergeschichte des letzten Jahrhunderts ist Antonin Artaud hervorzuheben, der das Theater zugunsten des Festes gar aufzuheben trachtete: In Einbeziehung des Publikums als feiernde Gemeinschaft sollte das Theater zum Volksfest verwandelt werden. Ein faszinierendes Vorbild für seine neue Theaterkonzeption hat er im balinesischen Theater entdeckt, das sich im Gegensatz zur vehementen Textlastigkeit des europäischen Theaters durch feierlich stilisierte und ritualisierte Darstellung in Gestik, Musik, Tanz, Masken und Kostümen kennzeichnet. Gerade hier öffnet sich ein weiterer Ansatzpunkt unserer Sektionsarbeit: Die Beziehung zwischen Fest und Theater soll an Beispielen sowohl aus der westlichen Theatergeschichte als auch aus östlichen Kulturen dargestellt werden, und zwar im Hinblick darauf, ob und inwieweit diese Beispiele als Innovationen und/oder Reproduktionen der im Zuge der Zivilisation vergessenen bzw. deformierten Ursprünge zu begreifen sind.