Die Geschichte der besonderen Symbolik der Farbe Blau reicht bis in
die Anfänge der Weltkulturen zurück. Die Konjunktion von Blau
und Transzendenz in der Tradition der religiösen europäischen
Malerei erscheint bereits in der Spätantike. Die Karriere des Farbwortes
in der neueren deutschsprachigen Literatur beginnt um 1800 und ist dort
vor allem mit dem Namen Novalis, aber auch Goethe und Schiller verknüpft.
Es wird Gegenstand ästhetischer Reflexion wie Medium der „Potenzierung“.
Im 20. Jahrhundert gewinnt der Gebrauch des Farbwortes in der Lyrik
eine eigene textkonstituierende Dynamik, wodurch es - nach dem "Tod
Gottes" - zum multiplen Zeichen wie Anzeichen purer Grenzphänomene
wird. Diese Funktion erhält Blau aber nicht durch einen ihm anhängenden
semantischen Wert - eher figuriert es als semantische Kategorie, unter
der etwas fraglich wird -, sondern primär aufgrund der Verwendung
im dichterischen Feld. Dies führt zum Begriff der Topographie,
der hier besagen soll, dass alles, was ist, nicht von seiner Gegebenheits-
und Zugangsweise, mithin seiner Örtlichkeit zu trennen ist. Die
Frage nach der Topographie des Farbwortes Blau im modernen Gedicht fragt
daher nach der spezifischen Situierung im Textzusammenhang. Verbunden
mit der jeweiligen topographischen Verwendung wiederum ist die Realisierung
von Ordnungszusammenhängen wie deren Überschreitung. Dem Farbwert
Blau eignete dann die Funktion einer Schwelle, Grenze oder Passage.
So gesehen wäre das Augenmerk darauf zu richten, inwieweit sich
an den unterschiedlichen Verwendungen des Farbwortes Blau kulturgeschichtlich
bedeutsame Phänomene wie das Verhältnis von Natur und Kultur,
von Sinnlichem und Nichtsinnlichem, Eigenem und Fremdem, überhaupt
von Ordnungen und deren Überschreitung verdichten. Untersucht werden
soll, wie sich in - auch nicht deutschsprachiger - moderner Dichtung
ein solcher durch das Farbwort Blau in Gang gesetzter Grenzverkehr der
Überschreitung im Einzelnen zu gestalten vermag und welche Ordnungszusammenhänge
dabei jeweils der Fraglichkeit überantwortet werden. Es sollen
somit Ansätze einer kulturübergreifenden Topographie des Farbwortes
Blau erkundet werden.