|
<<< Ausnahmezustände in der Literatur aus wissensgeschichtlicher Perspektive
Das Notorietätskonzept im frühneuzeitlichen Recht
Andreea Badea (Universität Bayreuth) [BIO]
Email: a_badea@web.de
ABSTRACT:
Im Laufe des Sommers 1545 verlangte der römisch-deutsche Kaiser Karl V. von Papst Paul III. die Gewährung einer Vollmacht, die es ihm ermöglicht hätte, den Kölner Kurfürsten Hermann von Wied wegen notorischer Häresie und Rebellion festzunehmen und an seiner Stelle seinen Koadjutor als Administrator des Stifts einzusetzen. Ein solches Vorgehen war in der Rechtspraxis des Reiches bis dahin unbekannt. Zwar war durch den §3 des Ewigen Landfriedens von 1495 die Verhängung der Reichsacht ipso facto, also durch die Tat selbst, im Falle von Landfriedensbruch bekannt. Dennoch war dafür die Befolgung eines gewissen Rechtswegs vorgesehen: Der Friedbrecher musste vorgeladen werden, hatte das Recht auf eine Anhörung und anschließend wurde mittels einer so genannten Sententia Declaratoria das Achturteil verkündet. Dieses trat zwar rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Friedbruches ein, dennoch konnte auf dem Rechtsweg nicht verzichtet werden.
Durch die päpstliche Vollmacht hingegen wäre es möglich gewesen, das Rechtskonzept der Notorietät anzuwenden. Dadurch wäre ein schnelles und effizientes Vorgehen, gegen das sich der Betroffene nicht hätte wehren können, gesichert gewesen. Die Kanonistik kannte nämlich den notorischen Tatbestand, der im Extremfall die verfahrenslose Bestrafung nach seiner Feststellung ermöglichte. Die Wahl der Strafe hing dabei von dem jeweiligen Exekutor ab. Zwar missglückte der kaiserliche Versuch, Hermann von Wied im Sommer 1545 festzunehmen, Karl V. bediente sich aber ein halbes Jahr später bei der Verhängung der Acht über Hermann von Wied des Notorietätskonzepts. Nur kurze Zeit danach ächtete er Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen, die Häupter des Schmalkaldischen Bundes, wegen notorischer Rebellion und schuf sich so eine rechtliche Grundlage für einen militärischen Schlag gegen die Bundesgenossen. Bedeutend erschien die Anwendung dieses Rechtskonzepts, weil es einerseits den Kaiser von allen Rechtsnormen des Reiches entband, andererseits die jeweils verurteilten Personen ihrer sämtlichen Rechte beraubte und Art und Ausmaß der Strafe von faktischen und politischen Parametern abhängig machte.
In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts wurde das Notorietätskonzept in die Reichstagsabschiede aufgenommen und fand somit Eingang in die Rechtspraxis des Reiches.
Das vorliegende Referat wird sich einerseits mit den Rahmenbedingungen, die zur Anwendung des Notorietätskonzepts führten, beschäftigen. Andererseits soll überprüft werden, ob und inwiefern diese Möglichkeit des Ausschlusses einer Person aus dem Rechtsgefüge des Reiches in der weiteren Gesetzgebung, sprich in den Reichstagsabschieden, Anwendung fand.
|