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Tsi iz Yidish hefker?
Manuela Becker (Sängerin, Leiterin des ensemble beryozkele) [BIO]
Email: tunklgold@web.de
ABSTRACT:
„Yidish iz hefker“ – Jiddish ist eine Niemandssprache. So nannte Itzik Manger in den 1920er Jahren seinen Selbstverlag. Was wollte er mit diesem Namen ausdrücken? Und warum wählte er, der wie viele jiddisch Schreibende mehrsprachig war, Jiddisch als Sprache seiner Dichtung? Die jüdischen Intellektuellen Osteuropas konnten wählen zwischen den Sprachen ihrer Gastländer, von denen sie oft mehr als eine beherrschten, sowie Hebräisch und Jiddisch. Und kaum ein Schriftsteller traf seine Wahl zufällig und unbegründet.
Die moderne jiddische Literatur war von Beginn an begleitet von heftigen Debatten um diese Frage: Warum Jiddisch?
Diese Frage war eng verbunden mit weitreichenden sozio-ökonomischen und geistigen Veränderungen, die ganz Europa und Amerika erfassten, welche das Judentum vor gänzlich neue Identitätsfragen stellte.
Weder Vorbehalte von innen und außen gegen das Jiddische überhaupt und besonders als Literatur- und Kunstsprache, noch die Frage nach dem Leser, der Leserin (jüdisch/jiddischkundig oder nicht) konnten der reichen Entfaltung der jiddischen Kultur Abbruch tun.
Erst die Shoa veränderte die Situation.
Heute, mehrere Jahrzehnte nach diesem Ereignis, hat sich in unerwarteter Weise ein großes Interesse an Jiddischer Kultur entwickelt: Jiddische Werke werden in verschiedene Sprachen übersetzt. Klezmer und Jiddische Lieder haben Konjunktur, nicht so sehr in Osteuropa und Israel (dort auch), wie in Westeuropa und Amerika. Mit der wachsenden Popularität dieser Musikrichtung wird zugleich die Frage, was Klezmer überhaupt sei, ja was eigentlich „jüdische Musik“ sei und ob es sie gibt, heftig diskutiert.
Es ist eine Fülle von musiktheoretischen, folkloristischen und linguistischen Forschungen auf diesem Gebiet entstanden.
Ein neuartiges Phänomen ist das rege Interesse für jiddische Kultur bei einem nichtjüdischen Publikum und die starke Beteiligung nichtjüdischer Künstler und Wissenschaftler.
Die dahinter stehenden Motive werden - sicher mit einer gewissen Berechtigung - mit der Shoa in Zusammenhang gebracht, ganz besonders wenn es sich um Deutsche handelt, die sich mit jiddischer Kultur auseinandersetzen.
So sehen beispielsweise Künstler ohne jüdischen Hintergrund, die sich mit jiddischer Kultur und Musik befassen, ihre Arbeit oft stärker durch psychologische, denn durch künstlerische Kriterien beurteilt.
Wie zu Zeiten Mangers und doch in ganz neuer Weise wirft die Beschäftigung mit Jiddisch Fragen der Identität auf und diesen Fragen muss sich ein Künstler stellen.
Und besonders dieser Frage: „Tsi iz Yidish hefker?“
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