|
Unfreiwillige Politisierung der Literatur –
Rechtsverstoß als Erfolgsstrategie im politischen Feld, oder: Rabener und Gellert als Opfer eines sächsisch-patriotischen VerlegersJohannes Birgfeld (University of Oxford) [BIO]
Email: johannes.birgfeld@mod-langs.ox.ac.uk oder j.birgfeld@mx.uni-saarland.de
ABSTRACT:
Im Frühjahr 1761 erscheinen in rascher Folge und an verschiedenen Druckorten insgesamt sieben an Freunde gerichtete Briefe von Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769) und Gottlieb Wilhelm Rabener (1717–1771) in verschiedenen Zusammenstellungen und unter variierenden Titeln im Druck. Gellert war nicht um seine Erlaubnis gefragt worden und lehnte den Druck vehement ab. Rabeners Anteil an der Drucklegung ist hingegen weniger klar: Gellert unterstellte seinem langjährigen Freund gegenüber Dritten eine ‚unbegreifliche Unvorsichtigkeit’ und war über ihn so erzürnt, daß er den Kontakt zu dem bis dahin sehr geschätzten Kollegen ohne Begründung nach dem Erscheinen der Briefe abbrach.
Man hat in der Forschung bisher den Grund für die Publikation der Briefe „in der Prominenz der Verfasser“ vermutet (u.a. Vellusig, 2006). Die Lage aber ist komplizierter: Während Gellert die Drucklegung der Briefe als Beugung seiner Rechte am eigenen Text wahrnahm, fürchten die Verleger offenbar Sanktionen von staatlicher Seite aufgrund des heiklen, politischen Inhalts der publizierten Schreiben: Um ihre Identität und den Druckort zu verschleiern greifen sie auf das seit den 1660er Jahren in Europa für solche Gelegenheiten wohlerprobte fingierte Imprint „Cöln, Peter Marteau“ zurück, das auch von Friedrich II. für Schriften im Propagandakrieg mit seinen Kriegsgegnern genutzt wurde und dem kundigen Leser sofort die Brisanz des Textes signalisierte.
Alle Briefe sind während der Jahre 1757 bis 1761, also während des Siebenjährigen Krieges und während der Phase der von den Sachsen als äußerst demütigend empfundenen preußischen Besatzung des Landes entstanden. In ihnen berichten Gellert und Rabener von befremdlichen Begegnungen mit wilden preußischen Husaren und der Vernichtung sämtlichen Besitzes und aller Manuskripte Rabeners während der Bombardierung Dresdens. Beide haben mit Gerüchten zu kämpfen, mit den preußischen Besatzern zu eng in Kontakt zu geraten, und beide ermuntern einander, sich auch dem preußischen Königshaus gegenüber sowohl als unbeugsame sächsische als auch deutsche Patrioten zu zeigen – bis schließlich Gellerts Audienz bei Friedrich massive Vorwürfe Rabeners auslöst, ihn und Sachsen verraten zu haben. Ein Bericht Gellerts über die Audienz schließt die Sammlung ab und demonstriert nicht weniger als beachtlichen Mut Gellerts, gegenüber Friedrich nachhaltig die deutsche Literatur zu verteidigen und den König recht direkt als Kriegstreiber zu deklarieren. Da die Briefe ein Porträt der Erniedrigungen sind, die die Sachsen unter den Preußen erlitten, und vom Ringen zweier prominenter Sachsen um sächsische Selbstachtung, um sächsischen Widerstand und gegen die als Selbstverrat empfundene Kollaboration zeugen, wird die Brisanz der Veröffentlichung schnell erkennbar, vor allem da sie die von Gellert definierten Grenzen der Funktion eines idealen Briefwechsels zur Konsensschaffung durch „Ausklammerung konfliktträchtiger Themen“ (Arto-Haumacher, 1995) überschreiten.
Der Druck der Briefe wurde im Jahr 1761 zu einem Skandal innerhalb der literarischen Republik. Hielt Gellert Rabener Unvorsichtigkeit, Vertrauensbruch und die Gefährdung beider Personen vor, so wurde Rabener für die im Angesicht der Zerstörung seines Besitzes gezeigte stoische Haltung gerügt. Auch außerliterarisch handelte es sich um eine Schrift jenseits der Grenzen der Legitimität, die in Preußen und in Sachsen, wo sie bald in Leipzig und Dresden in weiteren Auflagen erschien, eine preußen-feindliche Stimmung förderte.
Der Verkauferfolg der „Briefe“ demonstriert dabei, daß für das Verständnis dieses Falls weniger ‚Rechtsverstöße als Erfolgsstrategie im literarischen Feld’ relevant ist. Statt dessen erweist sich der Verstoß gegen die Kommunikationsregeln innerhalb der literarischen Republik als Erfolgsstrategie im politischen Feld. Dabei politisieren nicht die Autoren die Öffentlichkeit, sondern ein Verleger bricht das Recht, um nur privat eingestandene Haltungen öffentlich zu machen und so gegen den Willen der Autoren eine Politisierung der Öffentlichkeit und der literarischen Republik zu befördern.
|