Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

<<< N.T. – New Testament / Not Testified

 

Quellwörter
Kulturelle Reproduktion des Worts als kollektiver Transformationsprozess (AT)

Marietta Böning (Wien)

Email: marietta.boening@chello.at

 


 

ABSTRACT:

Neues Testament, Ente? Ich modifiziere, transformiere – eher ein Verlegenheitsgestus, denn ein provokanter; entweder zu simpel (zu banal, die Absage an einen Empirismus) oder zu physikalistisch/komplex scheint mir die Verfechtung eines radikalen Konstruktivismus/Relativismus in der Kulturwissenschaft – in „No Thing“, wenn man Ding als feste Einheit versteht oder, und darum geht es im gegebenen Kontext, Wörter als relativ fixierende Repräsentate von situativen Zusammenhängen, Situationen oder gar Dingen. Wir halten es ja mit den Effekten. Soweit der Gegenstand, wie im Rahmen des Symposiums, das Wort ist, auch noch das vermeintlich göttlich gesetzte, von dem alle wissen, dass Exemplare des Homo sapiens es setzten, die sich Apostel oder Prophet nannten oder von anderen irgendwann als solche bezeichnet wurden, erst recht. Mir ist es um Quellwörter zu tun, weniger um eine Dekonstruktion des Wortes `Quelle´, wie sie Derrida in Qual Quelle als Exempel für Ursprungslosigkeit (der Repräsentation) vor Augen führt oder eben um eine bestimmte Quelle wie das NT oder Quellcodes, deren Dekonstruktion wenig spannend wäre, insofern es sich um Algorithmen (Maschinensprachen) handelt, sondern mir geht es um das Verb `Quellen´ in Zusammenhang mit kollektiver Informationstransformation.

Da das NT ein historisch gewichtiges Beispiel für `Text´ ist und die Zeitungsente ein (singulär) wenig wichtiges, da nur tagesaktuelles Phänomen von nur geringer performativer Kraft, belasse ich es beim schielenden Blick auf die beiden Phänomene und rechtfertige ihn mit meinem kulturellen Background. Die christliche Kultur, auch der Gegenwart, ist mir fern, weil ich mein gesammeltes praktisches Wissen auf diesem Gebiet – und als Autorin ist es mir als Quelle wichtig – vor 15 Jahren veräußert habe gegen, auf institutionalisierte Weise, sein Dementi. Der Rattenschwanz der Erinnerung ist an einen viel näheren Ariadnefaden geknüpft, der mich in Soziologie und Poetik führt. Mit der Poetik orte ich Schnittstellen zum Thema bei Ferdinand Schmatz (das große babel,n und tokyo, echo oder wir bauen den schacht zu babel, weiter) oder zu Stéphane Mallamés Igitur. Schmatz transformiert das wohl hartnäckigste Paradigma für gesellschaftlich legitimierten „Fake“, biblische Inhalte, in eine andere Form (von experimenteller Dichtung) und befragt sie zugleich neu (worauf ich nicht groß eingehen möchte). Er transformiert und modifiziert den propositionalen Charakter der alten Heiligen Schrift, also den als Quelle nicht existenten Quellcode (im Falle NT: ein Schriftensammelsurium unklarer Kanonisierungen und Autoren-Referenzen, das als Testament des Jesus Christus an die Menschheit gesetzt wurde, wobei Gottes Sohn als Vater der Menschheit selbst ein kollektiv legitimierter Diskurseffekt ist) der Bibel mit der (je subjektiv möglichen) Folge der Transformation ihres kulturellen Gehalts (andere Performative entstehen, bei Schmatz poetische und poetologische). Seine „Umschrift“ führt anschaulich, vor allem explizit, das Überliefern vor Augen, oder das, was man Diffusion nennen kann und was ich hier als „perlokutionäre Nachahmung“ bezeichne.

Mit der Bezugnahme auf die soziologische These der kollektiven Produktion kulturgeschichtlicher Güter (um kein Missverständnis zu evozieren: damit will ich nicht einfach Dichtung als kollektive Autorenschaft dahin stellen) beabsichtige ich, von kommunikationstheoretischer Warte her von der Relevanz der Aspekte Bezeugung und Beglaubigung abzulenken, denn allein die „Relevanz-Vorspiegelung“ klingt mir nach einzeln abpackbaren, in ihrer Echtheit zu wahrenden Informationsbündeln. Damit stellt sich – im Kontext meines Referats – nebenbei die Frage, ob die Phänomene Zeitungsente und NT zusammen passen. Vor der epistemologischen und soziologischen Warte, um die es mir geht, wohl weniger. Die Bezeichnung `journalistische Ente´ unterstellt eine andere Ökonomie als das NT. Es handelt sich bei beiden um kollektiv akzeptierte Fehlermeldungen, aber mit unterschiedlichen pragmatischen Funktionen. Der überlieferte Glaube, die Mär, die Sage und das Gleichnis erfüllen mehr oder weniger gut die Versicherung des Menschen im Glauben oder transportieren diskursives Wissen über das Unbewusste, die Ente erfüllt entweder Sensationsgelüste durch Kolportagen oder ist eine unabsichtliche Falschmeldung, auf die ein Erratum folgt.

Kurz: ich beabsichtige, kulturelle Überlieferung kommunikationstheoretisch zu betrachten und als „kollektiv-perlokutionäre Akte“ zu beschreiben, als kollektive Güter, bei denen, in ihrer Funktion betrachtet, die Fragen nach Echtheit oder Bezeugtheit eine marginalere Rolle spielen. Das Verb `Quellen´ soll mir dabei als Über-Bau, Brücke von der Quelle zum diffundierten Begriff dienen, der Begriff `Effekt´ interessiert mich in seiner ökonomischen Dimension. Als Beispiele führe ich Ferdinand Schmatz´ „Babel-Bücher“ (wohl aber nur erwähnend, da sie hinreichend selbst-kommentierend sind), vor allem aber Stéphane Mallarmés Igitur an und schaffe also mit der Poesie den Bogen zum biblischen Gehalt – und mit Igitur verspreche ich einen Bezug zum NT und Jesus Christus. (Selbstredend dabei, dass Poesie das Paradebeispiel für also überschäumende Quellwörtereffekte ist.)

 


 

Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
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Wien, 6. bis 9. Dezember 2007