Das Kürzel N.T. ist eines, das sozusagen an sich häretisch
ist, so häretisch, wie es der Text als solcher immer ist, weil
er immer zu solcher Häresie bereit ist. Denn N.T. ist
das geläufige Kürzel für das Neue Testament, aber auch
für unbezeugte Aussagen bei Nachrichtenagenturen – not testified.
So ist das Kürzel Verweis auf eine wesentliche Glaubensgrundlage
der Christen, aber in verstörender Art sind die beiden Lettern
auch so sehr zum Inbegriff des Ungewissen geworden, daß heute
N.T. als (Zeitungs-)Ente schon die Falschmeldung bezeichnet,
und zwar in mehreren Sprachen, so im Französischen, wo die canard
kaum mehr auf ihren Ursprung weist. N.T. ist also Gewißheit;
aber auch: „haltloses Gerücht, Falschmeldung” (Brockhaus
2005).
Schon lange gilt im Volksglauben die Ente als Hexentier. Wir aber
sehen langsam, daß N.T. selbst verhext ist, ein springendes
Element an so prekärer Stelle, daß die Ente, vor der sich
das Mittelalter fürchten mochte, dagegen harmlos ist. Zumal dieser
Konnex, den das Kürzel stiftet, kein Zufall ist, kein bloßer
Kalauer – sondern etwas exakt trifft. Es ist dies der Umstand
der Geschichtlichkeit und der Verklärung: Jesus als „der
»erhöhte Herr« ist alles – nicht der »historische
Jesus«.”(1) Das ist die Absage
an die Faktizität, die als eine der Dinge an sich sozusagen im
Akt der unerhörten Auferstehung ja ad absurdum geführt ist,
doch ebenso weist diese Absage doch auf jene „performative Wirkung
im Wort des Glaubens”(2), der also
auch Dichtung ist… Und es ist der Widerstand gegen diese Bewegung,
zum einen, weil das der Immanenz entstammende Wort ja damit eine gewisse
Dignität beanspruchen kann – auch ist die Erhöhung keine,
die das Historische negierte, denn das würde die Heilsbotschaft,
sofern sie sich an Endliche, der Geschichte sich noch verhaftet Wissende
wendet, zerstören.
Somit ist N.T. die Chiffre für die dem Glauben immanente
Wörtlichkeit, die ihn bis in die Quelle kontaminiert – dies
soll im Panel Anstoß zum Gespräch von Dichtern wie Künstlern,
Literaturwissenschaftern, Philosophen und Theologen sein.
1 Franz König:
Gedanken für ein erfülltes Leben, hrsg. v. Annemarie Fenzl
u. Heinz Nußbaumer. Wien: Styria 2004, S.30
2 Giorgio Agamben: Die Zeit, die bleibt.
Ein Kommentar zum Römerbrief, übers. v. Davide Giuriato. Frankfurt/M.:
Suhrkamp Verlag 2006 (= edition suhrkamp 2453), S.146; cf. a.a.O., S.146ff.