Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

<<< N.T. – New Testament / Not Testified

 

Die »Poesie der Hottentotten«
Über den Ort oraler Literaturen in der Geschichte der Weltliteratur

Peter Goßens (Ruhr-Universität Bochum) [BIO]

Email: peter.gossens@rub.de

 


 

ABSTRACT:

In einem Konzept zur Überarbeitung seiner Sammlung Stimmen der Völker kündigt Johann Gottfried Herder 1804 an, nun auch, neben Dichtungen der »Sineser, Japaner, Indier, Perser, Araber, Türken«, »Africanische Lieder, Madagaskar« und »Amerikanische Lieder bis Esquimaux« aufzunehmen. Das wundert, denn die afrikanische Literatur war zu diesem Zeitpunkt, anders als etwa die Literatur der indischen Frühkulturen, weitgehend unbekannt. Henri Gregoires Studie Über die Literatur der Neger, in der die Literatur Afrikas, Afroamerikas und der Karibik erstmals umfassend und systematisch vorgestellt wurden, erschien erst 1808 in Paris bzw. 1809 in Tübingen. Doch schon in Goethes Weltliteratur-Konzept wurde die Literatur Afrikas – anders als die Literaturen des Orientraumes – weitgehend ausgeklammert.

Auch in den Diskussionen um Weltliteratur innerhalb des 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts war es um die Literatur des afrikanischen Kontinents schlecht gestellt: Für die meisten Weltliteraturhistoriker der Zeit ist die Literatur Afrikas ein schwarzes Loch, über die es nichts zu sagen gibt. Den weißen Flecken auf den Landkarten der Kartographen entsprechen die Lücken in den Weltliteraturgeschichten der Zeit. Ein wichtiger Grund für diesen Ausschluß der Kultur eines ganzen Kontinents liegt zum einen in der meist oralen Überlieferungsform der literarischen Zeugnisse, die die afrikanische Literatur von der auf Schrift fixierten europäischen Kultur unterscheidet. Sie ist, um den Titel der Sektion etwas anders auszulegen, »not testified«. Schon aus diesem Grund war es für die westlichen Interpreten in ihren Weltliteraturgenesen unmöglich, diese Kulturen als Produkt einer kulturellen Entwicklung wahrzunehmen. Erst mit der Primitivismusmode der 1920er Jahre und dann besonders nach der nationalen Unabhängigkeit der meisten Kolonialstaaten in den 1950er und 1960er Jahren geraten auch die oralen Traditionen in den Blick der auf Totalität setzenden Kompendien wie etwa Wolfgang von Einsiedels Die Literaturen der Welt in ihrer mündlichen und schriftlichen Überlieferung.

Der Vortrag im Rahmen der Sektion N.T. möchte sich der Frage widmen, welche kulturellen Wahrnehmungsmuster in Europa entwickelt wurden, um die Ungewißheit bei der Beschäftigung mit diesen Literaturen zu sublimieren. In welcher Form, unter welchen politischen und sozialen Prämissen, werden diese Methoden aus dem kulturellen Wissen des 19. und auch des 20. Jahrhunderts ausgegrenzt oder wie werden sie in meist versteckter Form doch als Beispiel exotischer Kolonialerfahrungen in die Literatursynthesen aufgenommen.

 


 

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Wien, 6. bis 9. Dezember 2007