„An alle, die es betrifft“ – Aporien der philosophischen Anrede

Bernd Bösel (Krems) [BIO]

Email: bernd.boesel@gmx.net

 

ABSTRACT:

Ausgehend von den Aporien der Anrede, die Jacques Derrida in seinen späteren Arbeiten (Gesetzeskraft, Politik der Freundschaft) entwickelt hat, soll ein Themenfeld eröffnet werden, das mit dem schwierigen Verhältnis von Philosophie und Gesellschaft zu tun hat. Der Vortrag wird der Frage nachgehen, ob philosophische Texte nicht per se eine paradoxe Situation erzeugen, die mit der Anrede bzw. Anschrift ihrer Leserschaft zu tun hat. Dieses Paradox entfaltet sich zwischen dem Anspruch des Autors auf Allgemeinheit und dem Faktum der geringen Empfänglichkeit auf Seiten der potenziellen Leserschaft – nämlich der Gesellschaft insgesamt. Konkret gesagt: die meisten philosophischen Texte sind selbst interessierten Nicht-Philosophen zu abstrakt und unverständlich, sodass sich deren Reichweite allzu oft auf den geschlossenen Regelkreis des akademischen Feldes beschränkt. Dieses „postalische“ Dreieck zwischen Anspruch, Reichweite und Empfänglichkeit soll anhand der affektiven Wirkung philosophischer Schrift in den Blick genommen werden. Zielen die einschlägigen Texte nicht immer auch darauf, möglichst „alle zu betreffen“? Und entscheidet sich deren Tragweite nicht kraft des Berührt- und Betroffenseins, das sie beim Leser auslösen? Geht die Jahrhunderte überdauernde Wirkung philosophischer Schrift nicht auf die Erregung, Erschütterung und Begeisterung zurück, die sich vom einstigen Autor auf den nunmehrigen Leser überträgt? Es wird Zeit, sich über diese affektive Seite der Philosophie mehr Klarheit zu verschaffen – und zwar insbesondere in ihrer Wechselwirkung mit gesamtgesellschaftlichen Stimmungen und Betroffenheiten.