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„Fall-Beispiel“ Nekromantik 2 oder: Film als Straftat?
Zum brisanten Verhältnis von Film-Kunst-GesetzJörg von Brincken (LMU München) [BIO]
Email: vonbrincken05@aol.com
ABSTRACT:
Neben dem juristisch relevanten Vorwurf der ‚Gewaltverherrlichung’ gibt die filmische Inszenierung von Gewalt und Deviantem als Selbstzweck den wesentlichen Ansatzpunkt für gesetzliche Intervention ab, welche das Zensurverbot des bundesrepublikanischen Grundgesetzes umgehen, indem sie das jeweilige Werk nach Maßgabe eines Straftatbestands verhandeln: Ausschlaggebendes Kriterium für Einzug und Beschlagnahmung ist demnach die „menschenunwürdige Weise“, in der grausame und unmenschliche Gewalttätigkeiten dargestellt werden. Das heißt, dass die filmische Darstellung „ausschließlich zur Erzeugung von Ekel und Nervenkitzel ausgemalt wird“ und weder eine „Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte“ liefert noch dem „kritischen Bewusstsein seiner Zuschauer Denkanstöße vermittelt“.
Grundlage solcher ‚3rd Person-Argumente’, deren prekäre Dimension nicht nur in einer juristischen Bevormundung des realen Publikums, sondern zugleich in der pädagogischen Erziehung eines ‚idealen’ Publikums besteht, ist vor jeder ethischen Perspektivierung nicht zuletzt der Konsens, dass seriöse Kunst in erster Linie, d.h. über schiere Affektation hinaus Inhalte zu vermitteln habe: Die diskursive Ökonomie des Sinns fungiert als gemeinsames Fundament von ästhetischem Geschmackurteil und juristischem Verdikt.
Die vor einiger Zeit, ausgerechnet mit der Debatte um Mel Gibson religiösen Splatterfilm Passion of the Christ, erneut angefachte Diskussion um Lizenzen für filmischen Tabubruch betrifft nun gerade diejenigen affektbezogenen und generell als ‚publikumsgefährdend’ verdächtigen Filmgenres wie den modernen Horrorfilm, dem die explizite und darin scheinbar selbstgenügsam-sinnlose Darstellung von Gewalt, der ‚body horror’ als konstitutives Merkmal zuzuordnen ist. Der ethische, sozialpädagogische und juristische Argwöhn gegenüber dem Genre wird dabei einmal durch die Tatsache konterkariert, dass der Horrorfilm in jüngster Zeit eine bemerkenswerte (und von Seiten der Gesetzgebung erstaunlich tolerierte) box-office-Renaissance erlebt, die fernab aller Polemik nach dem authentischen und existentiell verbindlichen Erfahrungs- und Konfrontationspotenzial von affektivem Filmerleben vor dem Hintergrund postkapitalistischer Unterhaltungskultur fragen lässt. Solch rejustierter Perspektivik wird von Seiten der jüngsten Filmtheorie insoweit entsprochen, als man jenseits literaturwissenschaftlicher bzw. narrativer Modelle verstärkt eine transgressive, weil performativ-sinnliche und/oder realitätsaffine Wirkung des filmischen Mediums diskutiert und diese als Korrektiv einer vorrangig inhaltsästhetisch-fiktionalen Perspektive ernst nimmt.
Am Beispiel des bereits 1992 beschlagnahmten und aufgrund eines Gutachtens von Knut Hickethier erneut und unzensiert freigegebenen Filmes Nekromantik 2 von Jörg Buttgereit soll die skizzierte, juristisch wie ästhetisch relevante Problematik der Spannung zwischen medialer Transparenz und pikturaler Selbstwertigkeit veranschaulicht werden. Besonderes Augenmerk soll dabei einmal auf die Lektüre des wissenschaftlichen Plädoyers für den künstlerischen Wert des Filmes gelegt werden, gerade dort, wo das Gutachten geschickt um affektiv-transgressive Aspekte des Films und seiner zentralen Motive von Nekrophilie, Sexualität und Gewalt herummanövriert. Die Diskussion der Frage, inwieweit der Gutachter also, um den Film im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Gesetz zu ‚retten’, diesen nach Maßgabe einer offiziösen Auffassung von Kunst und ihres Diskurses verhandeln musste, wird erweitert um die Analyse derjenigen Merkmale des Films, die diesen in der Tat auch heute noch als mit gesellschaftlichen und filmischen Lizenzen brechenden und gerade darin ebenso aktuellen wie seriösen Beitrag ausweisen.
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