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Die Chinarezeption bei den deutschen Autoren um die Wende des 20. Jahrhunderts und deren kulturgeschichtliche Bedeutung im Hinblick auf A. Döblin und F. Kafka
Doo Haeng-Sook (Universität Sogang, Seoul)
Email: dhs2kr@empal.com
ABSTRACT:
Insbesondere um die Wende des 20. Jahrhunderts interessierten sich nicht wenige deutsche Autoren für China. Ein großer Einfluss Chinas auf sie zeigt sich vor allem bei den Autoren des Expressionismus wie A. Döblin und F. Kafka. Dies hängt nicht zuletzt mit der politischen, sozialen und geistig unruhigen Situation des damaligen Deutschlands und Österreichs zusammen. Außerdem beherrschten damals die von der Untergangsstimmung geprägten Weltanschauungen von F. Nietzsche und O. Spengler, die sich intensiv mit der herkömmlichen christlich-abendländischen Geschichtsauffassung auseinandersetzten die Öffentlichkeit. A. Döblin betrachtete gewaltige politisch-gesellschaftliche Wandlungen und schrieb in der kulturpessimistisch-ahistorischen Stimmung den Roman “Die drei Sprünge des Wang-lun“(1915), der einen religiös-politischen Aufstand in China als Stoff behandelt. In seiner Konfrontation mit den Sozialsystemen und des Kaisertums seiner Zeit in Deutschland richtete Döblin sein Augenmerk auf eine ganz andere Gesellschaft und Kultur, nämlich auf die Chinesische. Dies erfolgte in erster Linie unter dem Einfluß des damals in Europa verbreiteten Exotismus. Er nimmt einen historischen Stoff aus China auf, verarbeitet ihn im Hinblick auf das Motiv des Untergangs und der Tat. Im Gegensatz zum Tatendrang, worauf damals in Deutschland sehr bedeutend war, steht der chinesische philosophische Gedanke - nämlich der Gedanke des “Wu-wei”, des Nicht-Handelns im Mittelpunkt seines Romans. Döblin schildert hier mit der bei ihm typischen expressionistischen Prägung eingehend diesen bei seinen Figuren zum Ausdruck kommenden Gedanken. Die ursprüngliche Absicht der Helden, in der Konfrontation mit der Gesellschaft nicht handelnd zu bleiben, scheitert. Sie werden zur “Tat” gezwungen, und ihre Taten werden in Form der Rebellion legitimiert. Döblin, der zeitlebens für eine sozialistische Revolution war, stellt so im Roman die Revolution in Form der Rebellion der sozial Unterdrückten dar. Das Umschlagen der Absicht des Nicht-Handelns ins Handeln spiegelt so die Tendenz der damaligen Gesellschaft Deutschlands wider, die angesichts des politisch-gesellschaftlichen Umbruchs sich nach einer klaren Aktion orientieren wollte. Döblin bleibt in seiner Geschichtsauffassung ahistorisch, wodurch er – obwohl er historische Fakten zum Stoff nimmt – sie und die darin behandelten historischen und politischen Motive schließlich auf religiöser Ebene zu lösen sucht. Infolge dessen bleibt die Aufnahme dieses Stoffes, die den Zeitgenossen Döblins eine alternative Weltanschauung hätte ermöglichen können, nur andeutungsweise begrenzt.
Auch bei F. Kafka sehen wir eine ähnliche geistige Stimmung. In seiner Erzählung “Beim Bau der chinesischen Mauer“ (erst 1931 von Max Brod veröffentlicht) behandelt der Autor die Zeit der chinesische Kaiserherrschaft. Darin schildert er genau wie bei Döblin die Auseinandersetzung des Volkes mit dem Kaisertum, jedoch in einer anderen Weise als bei Döblin. Der Ich-Erzähler stellt sich darin als Teilnehmer an dem Mauerbau vor, aber gleichzeitig zeigt er seine Verzweiflung dahingehend, dass er keinen Überblick über die unendlich erscheinende Größe des Landes haben kann, die zwar ein Symbol des mächtigen Herrschaft sein will, aber lediglich einen Verfremdungseffekt auf das Volk machen soll. Die bei Kafka sehr charakteristischen subtilen Schilderungen über chinesische Landschaft, die politische und kulturelle Situation und das Volk überraschen uns Nicht-Europäer dermaßen, dass wir selber aufs neue erkennen, dass ein Europäer über dieselben orientalischen Gegenstände so anders denken können als wir Ostasiaten.
In den beiden oben genannten Werken zeigen sich einerseits tiefe Eindrücke des chinesischen Landes und des chinesischen Volkes auf sie, andererseits jedoch sollten wir nicht darüber hinwegschauen, dass dieses Land ihnen beiden in gewisser Weise überraschend und verfremdend erscheinen. Dennoch gibt es in der deutschen Literatur kaum noch andere Autoren, die sich mit China stofflich und thematisch so intensiv auseinandersetzten und dies in ihren Werken darstellten. Ich möchte deshalb in meiner Arbeit die Stoffe, Motive und Themen aus äußerlich historischer sowie innerlich psychologischer Perspektive betrachten und die sich daraus ergebende Problematik hervorheben.
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