Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

<<< Ausnahmezustände in der Literatur aus wissensgeschichtlicher Perspektive


 

Virtuosen-Herrschaft. Überlegungen zu Ausnahme-Performances und Macht – vom Bühnenstar des 19. Jahrhunderts bis zu den Souveränitätsversprechen des Postfordismus

Kai van Eikels (FU Berlin, Sfb „Kulturen des Performativen“) [BIO]

Email: kveikels@zedat.fu-berlin.de

 


 

ABSTRACT:

Virtuosität lässt sich bestimmen als eine ökonomische Figur der Steigerung oder Übersteigerung von Performance. Dabei setzt das virtuose Mehr die etablierten Standards, indem es sie (scheinbar oder tatsächlich) mit Leichtigkeit überschreitet, für den Augenblick einer Ausnahme-Performance außer Kraft. Wo die virtuose Performance in ihrer eigenen Exzessivität ein anwesendes Publikum dazu bringt, dieses Außerordentliche durch seine eigene exzessive Reaktion zu bezeugen, schafft sie einen Ausnahmezustand, der Performer und Publikum zu einem temporären Kollektiv versammelt und nicht allein eine künstlerische, sondern zugleich eine politische Dimension hat.

Im 17. und 18. Jahrhundert tritt der Virtuose dort, wo er mit seinem Bühnenauftritt die Kontrolle über den Ausnahmezustand übernimmt und frenetische Begeisterung bis hin zu Ohnmachten provoziert, symbolisch an die Stelle des souveränen politischen Herrschers. Für die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts werden Virtuosen wie Paganini und Liszt zu Projektionsfiguren einer Handlungssouveränität, die sich das bürgerliche Individuum selbst nicht zutraut. Über die Figur des virtuosen Dirigenten vollzieht sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Übergang vom solistischen virtuosen Performer zum virtuosen Organisator, der kraft des eigenen Exzesses einem Kollektiv zur Steigerung seines Zusammenspiels verhilft. Das virtuose Dirigat funktionalisiert und normalisiert den Ausnahmezustand.

Dieser moderne Ursprung von Organisation durch die soziale Disziplinierung eines virtuosen Mehr-Könnens findet ein starkes Echo in der Organisationstheorie, die um 1990 zunächst im Dirigenten das Ideal des Unternehmensführers erblickt. Mitte der 1990er Jahre gibt es jedoch einen Paradigmenwandel im Management vom „Leadership by Enchantment“, das den charismatischen Führer in den Mittelpunkt stellt, zu „Leadership as Collective Virtuosity“. Wissenschaftler schlagen vor, kollektive Improvisationstechniken wie das Jamming oder bestimmte Formen von Jazz als Modelle für die Zusammenarbeit zu nutzen. Es geht damit um ein verteiltes Management des Ausnahmezustands, in dem klassische Funktionshierarchien verschwinden und flexible, situationsspezifisch spontan immer wieder neu auszuhandelnde Führungsperformanzen an ihre Stelle treten sollen. Damit verknüpft ist ein „demokratisches“ Souveränitätsversprechen, das lautet: Jeder kann als Performer souverän sein, sofern er seine Virtuosität produktiv mit der anderer synchronisiert. Inwiefern ergänzt, supplementiert oder redeterminiert dieses künstlerisch-ökonomische Szenario eines Virtuosen-Kollektivs die politische Szene des Souveränen, wie Giorgio Agamben sie analysiert hat?

 


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