Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

<<< Ausnahmezustände in der Literatur aus wissensgeschichtlicher Perspektive


 

„Keine Sommerfrische“
Das Bild der ‚Reise’ in der europäischen Holocaust-Literatur

Torben Fischer (Leuphana Universität Lüneburg) [BIO]

Email: Torben.Fischer@uni-lueneburg.de

 


 

ABSTRACT:

Von den Arbeiten zur Holocaust-Literatur bislang noch zu wenig beachtet, sind mehrere gewichtige literarische Texte von Überlebenden durch das zunächst völlig widersinnig erscheinende Bild der ›Reise‹ geprägt: In Jorge Sempruns Roman Die große Reise (fran. Le grand voyage, 1963) ist es ebenso Titel gebend wie in H. G. Adlers Roman Ein Reise (entst. 1950/51). Vor dem Hintergrund des Tagungsthemas wäre hier in vergleichender Perspektive der Frage nachzugehen, welche unterschiedliche Poetizität das Bild, als Chiffre für das unvorstellbar Grausame, in beiden Texten entfaltet.

Das äußerst vielgestaltige literarische Spiel mit dem Bild der ,Reise’ als das einer ,Überschreitung’ in beiden Texten – dessen Bandbreite von einem nahe liegenden Sarkasmus bis hin zur ebenso artifiziellen wie unzugänglichen Entfaltung eines Deutungen und Sinnzuweisungen abwehrenden, ubiquitär-leeren Bildes bei Adler reicht – reflektiert dabei, so die Ausgangshypothese, die von Giorgio Agamben analysierte Verschränkung von Natur- und Ausnahmezustand: So ist das Unvorstellbare des Holocaust gerade in jenem spiegelbildlich ,unschuldigen’ Bild der Reise reflektierbar und in engen Grenzen auch darstellbar. Bei Adler mehr noch als bei Semprun wird die ,Reise’ zu einem changierenden Bild – für Entrechtung und Deportation, das Leben, den Prozess der Erinnerung –, das zugleich versucht, neue Begriffe von Recht und Unrecht, Normalität und Ausnahme für eine Zeitsignatur zu entwerfen, in der, so die paradoxe Formulierung bei Adler, das Sagen der Wahrheit keine dem Leben zugehörige Aufgabe mehr ist, weil der Vollzug der Wahrheit „auch das Leben schon aufgelöst hat.“ Der Vortrag möchte nicht zuletzt diesen Verzerrungen und Verschiebungen der Dichotomien (Wahrheit/Unwahrheit, Recht/Unrecht, Natur-/Ausnahmezustand) in zwei literarischen Texten nachspüren, die mit dem Holocaust den fundamentalen ,Ausnahmezustand’ einer fortschreitenden Entrechtung und systematischen Vernichtungspolitik zu reflektieren suchen.

 


Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
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Wien, 6. bis 9. Dezember 2007