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Übersetzungs- und Kanonisierungsstrategien – Ingeborg Bachmanns Hörspiel Der gute Gott von Manhattan zwischen Innerlichkeit und Intertextualität
Ingvild Folkvord (NTNU, Trondheim, Norwegen) [BIO]
Email: ingvild.folkvord@hf.ntnu.no
ABSTRACT:
Welche Transformationen finden statt, wenn ein Hörspiel übersetzt wird, und inwiefern können Untersuchungen zur Hörspielgattung zur Perspektivierung verschiedener Rezeptions- und Kanonisierungsstrategien beitragen? In diesem Beitrag werden solche Fragestellungen unter besonderer Berücksichtigung der norwegischen Übersetzung des Hörspiels Der gute Gott von Manhattan (1957) behandelt. Während sowohl Malina (1971) als auch Simultan (1972) erst im Laufe der späten 1990er Jahre auf Norwegisch vorlagen, finden die Übersetzung und die unmittelbar darauf folgende Inszenierung des genannten Hörspiels schon 1961 statt. Sie machen somit eine frühe Phase der skandinavischen Bachmann-Rezeption aus, die bisher kaum Berücksichtigung gefunden hat.
Wie der Roman Malina ist der Hörspieltext von einer komplexen Erzähltechnik geprägt, bei der Zitate und intertextuelle Anspielungen die Plotkonstruktion durchgehend unterminieren. Aus der Übersetzung ins Norwegische geht hervor, dass das Stück mit den etablierten Erwartungen an die Hörspielgattung bricht. Die Übersetzerin, die in Norwegen bekannte Lyrikerin Inger Hagerup, wählt durchgehend Strategien, die als komplexitätsreduzierend verstanden werden können. Auch der Regisseur der norwegischen Hörspielfassung, Bernhardt Halle, fragt sich, ob ein derartig „dicht geschriebenes“ Stück mit einem Hörer kommunizieren kann: „Strengen Sie sich nicht so sehr an, den logischen Inhalt jedes Satzes mitzubekommen“ rät er in seiner Einleitung zum Hörspiel. Vergleichbare Einleitungen finden wir zu keinen anderen deutschsprachigen Hörspielen aus dieser Periode. Ihre rezeptionslenkende Funktion wird mit Vorworten und Rezensionen der späteren Bachmann-Rezeption in Norwegen verglichen, bei denen gerade die „dichte“ Konstruktion der Texte als Qualitätsindiz funktioniert und unter Verweis auf die akademische Bachmannforschung hervorgehoben wird.
So wirft die Übersetzung von Der gute Gott von Manhattan ein Licht auf die norwegische Hörspieltradition und ihr Verständnis von einem gattungsspezifischen „intimen Dialog mit dem Hörer“. Darüber hinausgehend bietet das Material einen interessanten Anlass, den engen Textualismus zu problematisieren, der Teile der Bachmannforschung stark geprägt hat. Der erweiterte Rahmen für den hier vorgeschlagenen Beitrag ist mein gegenwärtiges Forschungsprojekt, das unter anderem die Prämissen avantgardistischer und poststrukturalistischer Radioästhetik diskutiert und sie mit Ernst Cassirers Verständnis vom „Primat der Ausdrucksperzeption“ konfrontiert.
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