Die Bedeutung Ingeborg Bachmanns (1926–1973) nicht nur als Lyrikerin,
sondern auch als Prosaschriftstellerin ist heute unbezweifelt. Von den
zu ihren Lebzeiten publizierten Texten gehören die beiden Erzählbände,
„Das dreißigste Jahr“ (1961) und „Simultan“
(1972), sowie der Roman „Malina“ (1971) zu den meist übersetzten
Werken der Autorin, ungeachtet der Schwierigkeiten der besonders reichen
und dementsprechend komplizierten Lexik und der einzigartigen stilistischen
Nuancen ihrer Texte. Dabei fällt die zeitliche Distanz der Übersetzungen
in verschiedene Nationalsprachen in einzelnen Ländern auf, die
durch mehrere weit reichende Faktoren verursacht wurde - von den kulturgebundenen
Verständnismöglichkeiten, unterschiedlichen Lebenswelten bis
zu den gesellschaftlichen Faktoren, bei denen verschiedene Ideologien
mitwirkten. Das Oeuvre der Schriftstellerin ist heute aktueller denn
je. Die Übersetzung ihrer Texte trägt, als eine Brücke
zwischen den Kulturen, immer weiter zum Abbau geistiger Barrieren und
zur Erweiterung der geistigen Landkarten bei. Die erzählenden Werke
von Bachmann zu übersetzen, bedeutet nicht nur die Sprache der
Autorin zu kennen, sondern ihre Weltanschauung zu begreifen, ihre Art
des Meinens zu verstehen und ihre Gefühle nachempfinden zu können.
Denn es geht nicht um wörtliche Übersetzung, sondern darum,
den „Geist“ des Originals zu vermitteln. Dabei spielt naturgemäß
dessen Interpretation durch den Übersetzer/die Übersetzerin,
die nicht nur von dessen/deren Kenntnissen, sondern auch von dessen/deren
eigener Lebenserfahrung abhängt, eine wichtige Rolle.
In unserer Sektion soll hinterfragt werden, wie bei den durch Sprache,
Geschichte und kulturelle Differenzen bedingten Unterschiedlichkeiten
zwischen den verschiedenen geistigen und poetischen Welten - die der
Bachmannschen Texte und der Zielsprachen, Literaturen und Kulturen –
eine adäquate Übersetzung eines souveränen ästhetischen
Kunstwerkes geleistet werden kann. Dabei soll das Übersetzen nicht
nur im sprachlich-textlichen Paradigma verstanden werden, sondern auch
zum Begriff der Kulturwissenschaften erweitert werden, wo Übersetzung
zu einer Leitperspektive für jegliche Formen des interkulturellen
Kontakts expandiert.