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Der Diskurs Wittgenstein in Elias Canettis Roman Die Blendung
Ildikó Hidas
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ABSTRACT:
Die Paralellen, die zwischen einigen Bemerkungen von Wittgenstein und Canetti zu entdecken sind, können auf gemeinsame Grundfragen zurückgeführt werden, welche sowohl bei dem Philosophen, als auch bei dem Dichter auftauchen. Canettis 1931 abgeschlossene Blendung kann paradoxerweise viel enger mit Wittgensteins später entstandenen Werken - unter anderen mit den Philosophischen Untersuchungen (1953) – in Verbindung gebracht werden als mit dem früheren Tractatus logico-philosophicus von 1921.
Der junge Philosoph versuchte im Tractatus eine ideale Sprache zu konstruieren. In den Philosophischen Untersuchungen sieht er seinen Irrtum ein,(1) und stellt fest, dass die Sehnsucht nach einer vollkommenen Sprache den Menschen auf einen rutschigen, eisigen Weg führt, auf dem es keinen Halt gibt. Dieser Weg sei in gewisser Hinsicht tatsächlich ideal, nur gehen kann man darauf nicht. Wenn man aber gehen möchte, braucht man die Reibung. So müssen wir zurück zum holprigen Weg. Die Konsequenz der wunderbaren Metapher liegt auf der Hand: die gesprochene Sprache kann nicht ideal sein oder anders fromuliert: eine ideale („reibungslose”) Sprache kann nicht gesprochen werden.
In seinem späteren Hauptwerk wählt der Philosoph die gesprochene Sprache zum Objekt seiner Untersuchungen. Er macht darauf aufmerksam, dass die Lebensformen beim Gebrauch der Sprache eine wichtige Rolle spielen.(2) Sprache wurzelt in der Realität und kann nicht mehr unabhängig von ihr gedacht werden.
In meinem Vortrag soll das Spätwerk von Wittgenstein behandelt werden. Anhand seiner Thesen soll gezeigt werden, wie eng Sprache und Wirklichkeit(3) zusammenhängen. Diesen Zusammenhang erkannte auch Canetti in der Blendung, als er die beschränkte Lebenssituation und das begrenzte Weltbild seiner Figuren mit deren typischen Sprache darstellte. Der späte Wittgenstein und der junge Canetti, berühren ein gemeinsames Thema: wie Sozialisation und Kommunikation in Verbindung gebracht werden können oder müssen.
Dieses Problem zieht aber unbedingt die Frage nach sich, wie Regel und Regelbefolgung funktionieren. Was kann als richtige Regelbefolgung gelten? Wie lernt man Regeln, wenn es keine Regel für die Anwendung der Regeln gibt? Sowohl Wittgenstein als auch Canetti zeigen hier einen pragmatischen Ausweg. Nur das gemeinsame menschliche Handeln kann ein Bezugssystem bedeuten, anhand dessen wir die Sprache unserer Mitmenschen deuten. Das Fehlen dieser Gemeinsamkeit bringt die Verrücktheit der Sprache mit sich, wie es in der Blendung genau beschrieben worden ist.
1 PH.U. 105–107.
2 Siehe dazu: Ph.U. §19.
3 In diesem Zusammenhang stütze ich mich öfters auf Hans Rudi Fischers Erläuterungen in seinem Buch (Sprache und Lebensform. Wittgenstein über Freud und die Geisteskrankheit, Frankfurt/M.: Athäneum, 1987)
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