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Europäische Kulturhauptstädte – monokulturell, multikulturell, transkulturell
Ingrid Hudabiunigg (TU Chemnitz) [BIO]
Email: hudabiunigg@phil.tu-chemnitz.de
ABSTRACT:
Der Titel „Europäische Kulturhauptstadt“/“European Capital of Culture(ECOC)“ wird durch ein Gremium der Europäischen Union seit 1985 in jedem Jahr einer anderen Stadt in Europa verliehen – so die gesetzliche Vorgabe.
Was sich nun nach über zwanzig Jahren als ein großes Kulturereignis präsentiert, das auf gesetzlicher Grundlage in jährlichem Wechsel durch europäische Länder wandert, erweist sich bei detaillierter Sicht in mehr als einer Hinsicht problematisch. Die Initiative war aus einer Idee und einer weit in die Zukunft weisenden Vision entstanden. Die Vision fokussierte die Städte, ihr kulturelles Erbe und ihre kulturelle Vitalität. Doch was war ihre konkrete Basis? Im Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ ist der Begriff Kultur eingeschlossen, dessen heterogene Definition in jedem Jahr zu Kontroversen führt. Es erscheint daher sinnvoll, die Herkunft und Entwicklung dieser Ausdifferenzierung zu reflektieren.
Monokulturalität ist eine Vorstellung, die innerhalb der Nationenbildung in Europa besonders im 19. Jahrhundert propagiert wurde und heute noch im Diskurs zu einer nationalen „Leitkultur“ eine Rolle spielt. In der politischen Entwicklung des 20. Jahrhunderts sprengten Prozesse der Vertreibung und Umsiedlung ganzer ethnischer Gruppen jedoch jede starre Festlegung auf nur eine Kultur. Daher entstand in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts der Versuch, die gelebte soziale und sprachliche Realität durch den Begriff der Multikulturalität adäquater zu erfassen. Doch auch dieser Begriff fußte noch - in der Tradition Herders stehend- auf einer Vorstellung der Homogenität, welche Kulturen als separate und oft sich gegensätzlich positionierende Einheiten verstanden sehen wollte. Diese Festlegung mit weit reichenden Folgen bei Maßnahmen zur Infrastruktur in den europäischen Städten führte ebenso wie der vorige Begriff zu Konflikten und wurde den weiteren gesellschaftlicher Veränderungen in Europa vor allem infolge massenhafter Arbeitsmigration und Flüchtlingsbewegung nach 1989 nicht gerecht. So kam es zu einer Ablösung des Modells der Multikulturalität durch das alternative Modell der Transkulturalität. Als integratives, nicht auf Separation bedachtes Kulturmodell versteht dieser Ansatz Kulturen nicht als homogene, geschlossene Gebilde, sondern als offene Einheiten. Die gegenwärtigen europäischen Stadtkulturen und Stadtsprachen sind - so dieser Ansatz - durch ökonomische Verflechtung, Migration und erweiterte Kommunikation miteinander verknüpft und vielfältig vernetzt. Das hat zur Folge, dass sie Konturen der Grenzüberschreitung aufweisen - bis hin zu Formen kultureller Fusion wie Amalgamierung , Inkorporation und Konglomeration. Neuschöpfungen kultureller Entitäten, die sich in keiner der Ausgangskulturen finden, wie auf der anderen Seite des Spektrums Abwehr und Rückzug auf traditionelle Merkmale, können somit im Modell der Transkulturalität ihre Erklärung finden und damit in kultur- und sprachplanerische Aktivitäten einmünden.
In dem Beitrag wird auf Beispiele aus vergangenen (Weimar 1999, Graz 2003, Cork 2005) und zukünftigen ( Liverpool 2008, Pecs/ Essen/ Istanbul 2010) Kulturhauptstädten Europas auf der Grundlage von Interviews mit den Kulturbeauftragten der Planungskomitees eingegangen.
Literatur:
Hudabiunigg, Ingrid: Europäische Kulturhauptstädte. In: Peter Jurczek und Matthias Niedobitek (Hrsg.): Europäische Forschungsperspektiven-Elemente einer Europawissenschaft. Berlin: Dunckler & Humblot ( im Erscheinen).
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