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Duale Prozessualität von Innovation? Das kommunikative und wahrnehmungsbezogene Zusammenspiel von Erwartung und Erwartungs-Ent-Täuschung
René John (Universität Hohenheim) [BIO]
Email: renejohn@uni-hohenheim.de
ABSTRACT:
Die avisierten soziologisch informierten Überlegungen orientieren sich an drei Begriffsetzungen: Erstens an einem systembildenden Zusammenspiel von Kommunikation und Sinn; Zweitens an der soziologisch nur teilweise reflektierten Bedeutung von Wahrnehmung und Drittens an dem für Innovation besonders bedeutsamen Verhältnis von Erwartung und Wertsetzung. Auf Grundlage dieser näher auszuarbeitenden drei Prämissen wird es möglich, Vorschläge für ein analytisch und empirisch gleichermaßen brauchbares Innovationsverständnis zu unterbreiten, ohne dass die paradoxe Logik von Innovation verloren gehen muss. Zudem kann gezeigt werden, wie hieran anschließend drei kategoriale Aspekte von Innovation (Gegenstand, Reichweite, Ausbreitung) adäquat behandelt werden können und schließlich wird es möglich, die Funktionsweise von Innovation in und durch Kommunikation aufzeigen zu können (Provokation, Störung und Bewertung in Wahrnehmung und Kommunikation).
Geht man vom bisher erreichten Stand der Innovationsforschung, so ist zu konstatieren, dass die Befunde alles andere als befriedigend ausfallen. Vor allem ist die Beliebigkeit der begrifflichen bzw. theoretischen Fundierung vorgelegter Forschungsanstrengungen kaum mehr zu überbieten. Nahezu jeder Sachverhalt erscheint als Innovation, sofern er auch nur in die Nähe einer Neuerung gerückt werden kann. Innovation wird mit Neuerung gleichgesetzt, wobei nicht selten ungeklärt bleibt, woher das Attribut Neuheit eigentlich stammt bzw. welcher Standpunkt oder soziale Standort dieser Aussage zugrunde liegt. Auch bleibt die Differenz von Neuheit und Innovation merkwürdig verdeckt.
Neuerungen sind das Schlagwort. Semantisch und symbolisch aufgeladene Differenzierungen sachlicher oder zeitlicher Art werden der interessierten Öffentlichkeit vorgeführt. Die Erfindung eines Airbag wird schon allein durch die kommunikativ inszenierte Etablierung einer zeitlichen Differenz zu einer Innovation: Aufprallschutz vor bzw. nach der Einführung des Airbag. Reicht die Einschätzung aus, dass ein Objekt, ein Sachverhalt neu ist? Reicht als Kriterium, dass etwas vorher nicht da war? Und was ist es, was es vorher nicht gab?
Ist letztlich alles eine Frage eines Beobachters? Ist die Entscheidung, ein (mehrere) Kriterium (Kriterien) zu finden, mit dem Verweis auf einen zu identifizierenden Beobachter überhaupt noch zu führen? Vor allem, wenn man bedenkt, dass es zu viele Beobachter gibt. Oder müssen wir konzeptionell umschwenken? Können wir Kriterien des Beobachtens ermitteln, die das Unterscheiden berechtigter bzw. unberechtigter Maßstäbe bezüglich der Innovativität eines Gesichtspunktes, Prozesses oder Gegenstandes ermöglichen? Das Kriterium, das eine Innovation konstituiert, kann wie es scheint, nicht von der Wissenschaft selbst geliefert werden, z.B. in Form normativ gesetzter Gründe oder Kriterien. Aber, so ist zu fragen, wer oder was kommt dann eigentlich noch in Frage? Liefern etwa die Gesellschaft und ihre Teilsysteme die Kriterien und die Begründungen?. Sind es demnach näher zu charakterisierende Prozesse sozialer Kommunikation, die entscheiden, was als Innovation in Frage kommt und in welchem Systemzusammenhang die Innovation als Innovation erscheint (vgl. Aderhold 2005)?
Aufgrund vieler gescheiterter Versuche, Innovation über objektive, von gesellschaftlichen Zusammenhängen und von der Unterschiedlichkeit sozialer Beobachterstandorte unabhängige Kriterien zu definieren, setzt sich folgerichtig die Vorstellung durch, die davon ausgeht, dass es gar nicht so sehr um das Innere, das Wesen oder die Idee einer Neuerung geht. Der Blick wendet sich von der Bestimmung sachlicher (technischer) Kriterien zur Beobachtung sozialer Kommunikationsprozesse, die (mit-)entscheiden, was in der Gesellschaft als Innovation anzusehen ist, wobei in der kommunikativen Bestimmung sachliche Aspekte wieder auftauchen können; aber unter den Bedingungen sozialer Erwartungsstrukturen.
In der Innovationsforschung besteht (fast) Einigkeit darüber, wie es nicht geht. Ein Hervorbringen neuer Ideen reicht allein nicht aus (u.a. Hauschildt 2004). Eine Innovation kommt im Kontext marktfokussierter Wirtschaft erst dann zustande, wenn eine Idee z.B. in einem Unternehmen auch zu einem neuen Produkt oder zu einer neuen Dienstleistung führt, wobei diese zugleich die Akzeptanz bei Markt und Kunden erreichen muss (Rogers 1995). Ideen oder Neuerungen – seien diese auch noch so gut und vielversprechend – werden somit nicht automatisch zu einer Innovation. Ausgehend von konstruktivistischen Überlegungen, die z.B. Ereignisse, Akteure und Objekte auf soziale Konstruktionsprozesse zurückführen, ist von einer Innovation erst dann zu sprechen, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, die auf der Basis kollektiver Zuschreibungen etabliert und auch akzeptiert werden (Aderhold/Richter 2006; Baitsch u.a. 2000; Schulz u.a. 2000).
Der Erfolg eines Vorhabens (das sich selbst als Innovation beschreibt) hängt folglich nicht (nur) von der Güte einer Idee, eines Ziels ab, sondern ist von Bedingungen sozialer Akzeptanzbeschaffung (vor allem in anderen sozialen Systemen) sowie von der (nur bedingt zu beeinflussenden) Entwicklung der Erwartungsstrukturen in den jeweiligen gesellschaftlichen Bereichen abhängig. Eine von den innovationsgenerierenden Akteuren ausgehende Perspektive greift folglich deutlich zu kurz. Zumindest wäre diese durch eine Perspektive zu ergänzen, die höchst unterschiedliche soziale Systemreferenzen und -zusammenhänge zu erfassen in der Lage ist. Eine angemessene Thematisierung von Innovation müsste sich folglich mit Fragen, Möglichkeiten und Einbettungen kommunikativer Prozesse sozialer Akzeptanz sowie den systemübergreifenden Diffusionserfordernissen beschäftigen.
In diesem Zusammenhang werden aus soziologischer Sicht folgende Aspekte näher beleuchtet und diskutiert:
Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz FischerKCTOS: Wissen, Kreativität und
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