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Wilhelm Tell in China
Barbara Kaulbach (München) [BIO]
Email: kaulbach@goethe.de
ABSTRACT:
1902 bearbeitet Zheng Zhe in einem Roman mit dem Titel “Die Entstehungsgeschichte der Schweiz” zum ersten Mal in China den Wilhelm-Tell-Mythos; 1911, also just in dem Jahr, in dem das chinesische Kaiserhaus gestürzt wird, erscheint die erste Übersetzung des Schillerschen Dramas, aus der Feder von Ma Junwu.
Während danach die Übersetzung westlicher Werke sprunghaft zunahm, blieb ihre Wirkung auf der chinesischen Bühne marginal: das Sprechtheater, um 1900 ebenfalls aus dem Westen übernommen, fand nur bei einer kleinen Gruppe westlich gerichteter Intellektueller Anklang, das Volk zog weiterhin die traditionellen Opern vor.
Die Akzeptanz des Sprechtheaters änderte sich schlagartig nach Beginn des Chinesisch-Japanischen Krieges 1937, bei dem die chinesischen Theaterleute das Straßentheater als Mittel der Mobilisierung gegen die Eindringlinge benutzten. Kein Wunder, dass gerade Wilhelm Tell als Kämpfer gegen die Unterdrückung und für die Freiheit ein dankbares Sujet abgab. So erscheinen 1938 gleich zwei Tell-Versionen für das Sprachtheater, von denen die eine, von Song Zhidi und Chen Baichen (Titel: Minzu wansui –es lebe das Volk) recht populär wurde (die andere verfasste Xiang Peiliang unter dem Titel „Minzuzhan-Der Kampf des Volkes“).
In meinem Beitrag gehe ich der Geschichte dieser beiden Tell-Versionen nach, ihrer Aufführungspraxis, sowie den Presse- und Augenzeugenberichten: 1983 durfte ich Chen Baichen, einen der beiden Autoren von Minzu wansui, interviewen, sowie eine Reihe anderer Schauspieler und Regisseure, die in der Zeit des Chinesisch-Japanischen Krieges aktiv am Widerstand des chinesischen Volkes mitgewirkt haben.
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