Eine neue mediale zeichentragende Macht
EDV-generierte dynamische Gedichte

Erzsébet Kelemen (Universität Debrecen)

Email: kelemen.e@freemail.hu

 

ABSTRACT:

Im 20. Jahrhundert erscheint neben dem Papier eine neue mediale zeichentragende Macht, ein neuer „Botschaftsvermittler”: der Computer. Dieses neue Medium eröffnet auch für die Literatur neue Perspektiven: Programme können fähig sein, richtige klassische Versformen zu generieren.

Der Verfasser des ersten EDV-generierten dynamischen Kalligramms ist Tibor Papp. Er führte sein Werk im Jahre 1985 im Pariser Georges Pompidou Zentrum unter dem Titel Les très riches heures de l' ordinateur, n◦1 vor. Die CD-Platte seines ersten, virtuell 16 Billionen Gedichte enthaltenden automatischen Gedichtgenerators Distichon Alpha — der eine Datenmenge für etwa 6 Milliarden Gedichtbände umfasst — wurde 1994 der Öffentlichkeit präsentiert.

Obwohl die generierten Gedichte mit den auf das Papier gedruckten literarischen Werken scheinbar ähnlichen Charakters durchaus vergleichbar, ja sogar auf komparative Weise analysierbar sind, würde ein solches Angehen die durch das neue Medium getragenen und erzeugten Werke gerade ihrer Wesenszüge und ihrer Gattungsspezifika berauben. Die Existenz der generierten Gedichte besteht nämlich eben in ihrer virtuellen Beschaffenheit bzw. – falls zum Leben erweckt – in ihrer Vergänglichkeit. Andererseits lenken sie das interpretierend-analysierende Denken außer auf literaturtheoretische Fragen auch auf eine philosophisch-ontologische Ebene hin. Wie sollte man also diese Werke angehen? In meinem Vortrag werde ich versuchen, auch diese Frage zu beantworten und zugleich möchte ich die Geschichte der EDV-generierten Literatur in großen Zügen darstellen sowie anhand eines kleinen Beispiels das Funktionieren des Gedichtsgenerators erklären.