John Ronald Reuel Tolkiens (1892–1973)
Roman Der Herr der Ringe (The Lord of the Rings) ist
ein Klassiker der Fantasy-Literatur geworden. Den Verdacht, dass die
beiden Weltkriege, die der Autor miterlebt hatte, Grundlage für
seine Trilogie gewesen sei, verneinte Tolkien kategorisch: „Was
die tiefe Bedeutung oder 'Botschaft' des Buches angeht, so hat es nach
Absicht des Autors keine. Es ist weder allegorisch, noch hat es irgendeinen
aktuellen Bezug. […] Der wirkliche Krieg hat weder in seinem Verlauf
noch in seinem Ausgang eine Ähnlichkeit mit dem Krieg der Sage
(aus dem übersetzten Vorwort Tolkiens zur revidierten Ausgabe von
1966). Doch ist der Ring als Symbol der Macht und des Wissens, und als
solcher ein symbolischer Auslöser von Kriegen, ein altes Motiv
der Weltliteratur. Unter Tolkiens thematischen Vorgängern finden
wir z.B. Giovanni Boccaccio (1313–1375) und Gotthold Efraim Lessing
(1729–1781). Lessings Ringparabel, die uns heute vor allem als
Dokument der Aufklärung bekannt ist, greift auf Boccaccios 3. Novelle
im Dekameron zurück, die just an der Scheide zur Renaissance
entstand. In Boccaccios Novellen wird schon der Weg zur Aufklärung
vorbereitet: Einerseits durch die allmähliche Trennung der Menschen
von der sakralen Sphäre, andererseits durch ihre in der Profanität
wurzelnden Handlung. Weiterhin bildete sich im Laufe der Renaissance
sukzessive eine Wissenschaft heraus, die auf Ratio und Empirie fußte.
Boccaccio war aber keinesfalls der Erfinder der Ringparabel. Die in
einigen literarischen Werken des Mittelalters auftauchende Ringparabel
drückte damals noch nicht den Toleranzgedanken aus, sondern, im
Gegenteil, sie wurde sogar zur Apologie für die 7 Kreuzzüge
(1096–1292). Der Weg des mythischen Rings – ein so harmlos
scheinendes Schmuckstück – in der Literatur von den Gesta
Romanorum und den Cento Novelle Antiche (13. Jh.) –
über Boccaccio und Lessing bis Tolkien symbolisiert die Verquickung
von Wissen und Glaube, Wirklichkeit und Sage, realer und symbolischer
Macht, realem und virtuellem Krieg.
In dieser „Ringsektion“ sind Beiträge
willkommen, die anhand beliebiger in der Literatur verarbeiteter magischer
Gegenstände den Zusammenhang zwischen Wissen und Glaube, Macht
und Kampf bzw. den Weg vom Aberglaube bis zum Wissen und vom Wissen
bis zu fantastischen Vorstellungen über Wissen und Glaube, Macht
und Kampf aufzeigen können.