Ehrenschutz: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Wissen, Kreativität und
Transformationen von Gesellschaften

Wien, 6. bis 9. Dezember 2007

<<< Ausnahmezustände in der Literatur aus wissensgeschichtlicher Perspektive


 

Es fehlt ein Finger, es fehlt ein Darm. Der Autor im Ausnahmezustand in Chuck Palahniuks Haunted

Christian J. Krampe (Universität Trier, Anglistik) [BIO]

Email: c.krampe@gmail.com

 


 

ABSTRACT:

Der hier im Mittelpunkt stehende Roman Haunted (2005) des US-amerikanischen Autors Chuck Palahniuk teilt vor dem Hintergrund so zentraler Vorbilder wie Chaucers Canterbury Tales oder Boccaccios Decameron Ton und Genre mit Edgar Allen Poe und Bret Easton Ellis. Es handelt sich um 23 schockierende Kurzgeschichten und 21 Gedichte, die eingebettet sind in eine nicht minder erschütternde Rahmenhandlung: Angetrieben von der Hoffnung auf den Durchbruch als Schriftsteller begeben sich 23 Autoren freiwillig für drei Monate in einen von der Außenwelt abgeschotteten Kerker, der sich bezeichnenderweise in einem ehemaligen Theater befindet, um die eine große Geschichte zu schreiben. Bald beginnen die Insassen dieses ‚Schreiblagers’ – in vorauseilendem Gehorsam dem imaginierten Leser gegenüber – eine „Mythology of Us“ zu inszenieren, und zwar mittels selbst zugefügter Leiden etwa durch Nahrungsverweigerung und grausamer Selbstverstümmelung. Nur demjenigen, der authentische und vor allem maßlose Pein vorweisen kann, dürfte – so die Motivation der größtenteils autoaggressiven Gewalt – kommerzieller Erfolg bei Medien und Publikum sicher sein. Spektakuläre Opfer werden deshalb in die „Mythology of Us“ eingeschrieben, die im Roman jene von der allmählich schwindenden Erzählergemeinschaft verfassten Texte parallelisieren; sie sind meist autobiographischer, immerzu aber dunkler Natur.

In Anlehnung an Giorgio Agambens Theorie des Ausnahmezustands (dargelegt im Teil II.1 seiner Homo Sacer-Trilogie) soll insbesondere diese Rahmenhandlung eingehender untersucht werden. Ausgehend von der Konzeption eines rechts- und zunehmend normenfreien Raumes, der zweifelsohne durch „Die Kolonie“ (so auch der Titel der deutschen Übersetzung, 2006) im ehemaligen Theater zunächst konstituiert wird, stellt sich – hier auch unter Transgression des rein legalen Aspektes – die Frage nach der Zuordnung von Normal- und Ausnahmezustand. Argumentiert wird, dass der zunächst so offensichtliche Ausnahmezustand des ‚Autorenlagers’ lediglich ein Spiegelbild des ‚Außen’ (hier auch im lokalen Wortsinne) präsentiert: Der Ausnahmezustand hat sich folglich, wie von Agamben dargelegt, bereits in die Durchschnittskultur ‚eingefressen’. Für den Status eines Celebrity sind die Insassen des Theaters bereit, ihren Körper unfassbar zu malträtieren. Im angeblichen, auch außerfiktionalen Normalzustand nimmt sich jedoch manches Phänomen nicht minder wuchtig aus. Weiterhin bezieht die Analyse neben diesen Elementen auch Aspekte wie Konzepte von Autorschaft, die Kollektivierung der Erzählperspektive des Romans sowie die umgekehrte Stoßrichtung von Gewalt- und Körpermetaphorik in Haunted mit ein.

 


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