Patron: President of Austria, Dr. Heinz Fischer

KCTOS: Knowledge, Creativity and
Transformations of Societies

Vienna, 6 to 9 December 2007

<<< Übersetzung und Kulturtransfer

 

Vom Verstehen und vom Verdrehen oder Ist die Nachdichtung auch ein Reflex auf Kosztolányis Wortspiel(1)?

Stephan Krause (Universität Stettin, Polen / Humboldt-Universität zu Berlin)

Email: stephan_krause_berlin@yahoo.de

 


 

ABSTRACT:

Ausgehend von der Frage nach dem Fremdverstehen, d.h. der Frage nach dem Verstehen, das Mitglieder einer Kultur einer anderen Kultur bzw. den Mitgliedern einer anderen Kultur und damit hier in erster Linie deren Hervorbringungen entgegenbringen können, das sie praktizieren können, thematisiert dieser Beitrag die Nachdichtung ungarischer Lyrik – vor allem der Moderne – durch deutsche Autoren in der DDR.

Ein erster Abschnitt des Vortrages skizziert den literaturhistorischen Zusammenhang, innerhalb dessen das „Experiment Nachdichtung“ (Stephan Hermlin) seinen Anfang nahm. Darauf folgt eine Erläuterung und Problematisierung des Begriffes Nachdichtung, deren Praxis sich gewissermaßen durch einen direkten Kontakt an den zwei sprachlichen Ufern auszeichnet. Denn der Nachdichtungsprozess sah engste Zusammenarbeit zwischen Interlinearübersetzer und Nachdichter nicht nur vor, sondern diese stellt eigentlich den Kern des Übertragungsvorgangs dar. Die deutsche Nachdichtung eines ungarischen Gedichtes entsteht somit nicht als Produkt einer Einzelarbeit des Übersetzers in individuellem Kontakt mit dem Text in der Herkunftssprache, sondern sie erwächst mit fortwährender Entwicklung aus dem Dialog zwischen dem Übersetzer mit seiner fremdsprachlichen Kompetenz und dem Nachdichter, der eben über dichterische Kompetenz im Deutschen verfügt. Dass er dabei zumeist nicht oder nur äußerst eingeschränkt über Kenntnisse der Herkunftssprache verfügt, scheint gerade die Frage nach dem Verstehen bereits a priori zu negieren. Doch bei Lichte besehen erweist sich gerade die strikte und notwendige Aufteilung der übersetzerischen Arbeitsschritte als förderlich für die Qualität der Nachdichtungen, und zwar sowohl als „eigenständige Gebilde deutscher Sprache“ (Franz Fühmann) wie in ihrer treulosen Treue zu den Texten in der Ausgangssprache.

In einem zweiten Abschnitt wird anhand wenigstens zweier (in Ungarn höchst kanonischer) Texte von Attila József die Güte der bis heute gültigen nachdichterischen Arbeiten exemplarisch aufgezeigt.

Immanent wird dabei die Leitfrage nach dem Verstehen bzw. dem Fremdverstehen diskutiert und etwa mit dem Gadamer’schen Diktum, der Übersetzer müsse sagen, wie er verstehe in Beziehung gebracht. Denn freilich entdeckt bzw. enthüllt (oder verdeckt bzw. verhüllt?) auch die Nachdichtung ein Verständnis des fremden Gedichtes als Produkt eines Verstehens.


(1) Vgl. dazu den kurzen Artikel Ábécé a fordításról és a ferdítésrol [ABC der Übersetzung und der Verdrehung] von Dezso Kosztolányi. (In: Nyelv és lélek. [Sprache und Seele]. Budapest: Osiris, S.511-515.)

 


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